syco23Excellent Member
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o.k. hier mal meine Arbeit:
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Gert Ledig – „Vergeltung“
Scheinbar ist es eine unausgesprochene, aber unumgängliche Bedingung tot zu sein, um in der Welt der Literatur als prägend oder „wichtig“ anerkannt zu werden. Kaum anders erging es Gert Ledig, der in den 50er Jahren innerhalb von 3 Jahren 3 Bücher über den zweiten Weltkrieg und seine Folgen – „Die Stalinorgel“, „Vergeltung“ und „Faustrecht“ - verfasst hatte und danach für rund 4 Jahrzehnte in Vergessenheit geraten war. Aber immerhin war es ihm noch vergönnt kurz vor seinem Tod 1999 die Anfänge der Wiederentdeckung seines Werkes mitzuerleben und in die Ehre eines letzten Interviews zu kommen.
Gert Ledig
Gert Ledig, am 4. November 1921 in Leipzig geboren, meldete sich 1939 im Alter von 18 Jahren nach einer Ausbildung zum Elektrotechniker freiwillig zur Wehrmacht. 1942 wurde er wegen zwei schweren Verwundungen am Arm und am Unterkiefer wieder heim geschickt und erlebeste so nach dem Wahnsinn an der Front auch die großflächigen Bombardements der Alliierten deutscher Großstadte gegen Ende des Krieges selbst mit.
Noch während des Krieges arbeitete Ledig als Schiffsbauingenieur. In den harten Jahren nach dem Krieg übte er verschiedene Tätigkeiten aus und begann schließlich Anfang der 50er Jahre mit den Arbeiten zu seinem ersten Buch, „die Stalinorgel“, wo er den Kampf um eine Anhöhe im Zuge der Schlacht von Stalingrad beschreibt. Dieses Buch, erschienen 1955, machte ihn mit einem Schlag international bekannt und brachte ihm großes Anerkennen von Seiten der Kritiker und seiner Schriftstellerkollegen ein. Der ehemalige Wasagassen-Schüler Siegfried Lenz sprach von einem „staunenswerten Buch“ und die Kritik meinte man könne das Werk „zu dem Besten und Eindrucksvollsten rechnen, was je über den Krieg geschrieben wurde“.
Angespornt von diesem großen Zuspruch brachte Gert Ledig schon im nächsten Jahr das Buch „Vergeltung“ heraus, auf das ich hier genauer eingehen werde.
„Vergeltung“ – Der Wahnsinn des Krieges schonungslos dargestellt
„Lasset die Kindlein zu mir kommen. – Als die erste Bombe fiel, schleuderte der Luftdruck die toten Kinder gegen die Mauer. Sie waren vorgestern in einem Keller erstickt. Man hatte sie auf den Friedhof gebraucht, weil ihre Väter an der Front kämpften und man ihre Mütter erst suchen musste. Man fand nur noch eine. Aber die war unter den Trümmern zerquetscht. So sah die Vergeltung aus.“
So beginnt Ledigs „Vergeltung“. Der Inhalt lässt sich ganz im Schreibstil des Romans in einem kurzen Hauptsatz zusammenfassen: Es geht um einen Luftangriff auf eine deutsche Stadt gegen Ende des zweiten Weltkriegs. Der konkrete Inhalt hat bei diesem Buch eine ganz andere Bedeutung als sonst. Es geht nicht um bestimmte Menschen, Einzelschicksale und in keinem Fall um eine spannende Geschichte. Die Protagonisten sind weder Helden noch Schurken, sondern Gestalten mit exemplarischen Erlebnissen, an Hand derer das Schicksal einer ganzen Generation in Erinnerung gerufen wird.
Da verbrennt eine Frau, das Gesicht eines jungen Soldaten wird zerfetzt, ein verschütteter vergewaltigt eine junges Mädchen zwischen den Trümmern, bevor er sich die Adern aufschlitzt. Ein amerikanischer Bomberpilot stürzt ab, wankt durch die brennende Stadt und stellt schließlich die Einwohner vor die Wahl zwischen Lynchjustiz und Hilfsbereitschaft. Am Ende ist auch er tot.
"Neben der Mutter stand eine Frau und brannte wie eine Fackel. Sie schrie. Die Mutter blickte sie hilflos an, dann brannte sie selbst.“
Gert Ledig versucht in einer klaren einfachen Sprache die großflächigen Bombardements deutscher und österreichischer Städte gegen Kriegsende dem Leser nicht nur zu beschreiben, sondern ihn auch den Schrecken des Krieges selbst spüren zu lassen. Und dieser Versuch ist ihm voll und ganz gelungen. Durch die „mosaikartige Montage synchroner Ereignisse“ (aus dem Nachwort) bekommt der Leser ein erschreckend realistisch erscheinendes Bild von den Auswirkungen der Luftangriffe der Alliierten. Ledig verzichtet weitestgehend auf detaillierte Beschreibungen und metaphorische Sprache und konzentriert sich auf das dramaturgisch Wesentliche.
Erklärungen oder angedeutete Lösungsvorschläge liefert uns der Autor keine. Nur manchmal – so selten, dass es (positiv) auffällt – kann er sich eine pointierte Ironie nicht verkneifen. Ansonsten bleibt er konsequent bei seinem nüchternen Telegrammstil. Ohne ein bestimmtes System stehen am Anfang jedes Kapitels kurze Selbstbeschreibungen der vorkommenden Charaktere – toter, später sterbender und überlebender. Diese Beschreibungen unterschiedlichster Menschen – zusammen als repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung zu verstehen - haben den Zweck das willkürliche Zuschlagen der „Vergeltung“ zu verdeutlichen. Jeder war betroffen, manche hatten Glück, andere nicht. Persönliche Vergangenheit und gesellschaftlicher Status waren nicht von Bedeutung, alle saßen im selben Boot und wurden von Schicksal gleich hart bestraft.
Angesichts dieser Gleichheit aller, die Ledig herausarbeitet, ist es ein interessanter Kunstgriff, dass er den amerikanischen Bomberpiloten während dem Angriff abstürzen und durch die brennende Stadt irren lässt. Auch er ist nicht anders als die Deutschen: Teil eines gesichtlosen Unpersönlichen, nämlich dem Krieg. Was ihn trennt ist die Seite, der er angehört. Zuerst entgeht er auch nur knapp einer gra nicht wirklich gewollten Lynchjustiz, als sich zwei Arbeiter in einem Umspannwerk dazu verpflichtet fühlen den Angriff zu rächen. Schließlich landet er in einem Luftschutzkeller. Auch hier stellt sich die Frage, wie mit ihm zu verfahren sein. Schließlich siegt – ohne jeglichem Pathos dargestellt – die Menschlichkeit. Für den stark verletzten Piloten ist es aber ohnehin schon zu spät.
Am Ende des Buches ist der Angriff noch nicht vorüber. Die einzelnen episodenhaften Geschichten der noch lebenden sind nicht zu Ende, denn..
„Nach der siebzigsten Minute wurde weiter gebombt. Die Vergeltung verrichtete ihre Arbeit. Sie war unaufhaltsam. Nur das jüngste Gericht. Das war sie nicht.“
Was Ledig bewusst aus seinem Werk ausklammert ist die Schuldfrage. Böse Nazi-Funktionäre, gute Helfer und heldenhafte Taten wird man vergebenes suchen. Die Charaktere sind unfreiwillige Besetzung in einem sinnlosen Schauspiel. Jeder agiert so wie es sich aus seiner eigenen Lage und seiner psychischen Verfassung und Disposition heraus ergibt.
Was Ledig kritisiert ist der Krieg an sich. Und zwischen den Zeilen vieles was vorher und nachher passierte.
„Eine Stunde genügte, und das Grauen triumphierte. Später wollten einige das vergessen. Die anderen wollten es nicht mehr wissen. Angeblich hatten sie es nicht ändern können.“
„Vergeltung“ im Auge der Kritik – damals und heute
Während Gert Ledig mit seiner „Stalinorgel“ noch sehr erfolgreich war, war „Vergeltung“ für die Kritiker der 50er Jahre wohl zu hart. Die FAZ etwa schieb von einer „gewollt makaberen Schreckensmalerei“. Andere Zeitungen sahen den „Rahmen des Glaubwürdigen und Zumutbaren“ gesprengt und erkannten in diesem Werk ein „Gruselkabinett“ mit „abscheulicher Perversität“. Man war eben gerade erst selbst mit dem eigenen Erleben fertig geworden und noch nicht für eine derart drastische Darstellung des Krieges gefasst.
Ein weiteres Jahr später erschien sein letztes Werk, „Faustrecht“, in dem er die Not der Bevölkerung direkt nach dem Ende des zweiten Weltkrieg schildert. Auch dieses Buch erntete kaum Anerkennung. Offenbar sehr frustriert zog er sich sehr schnell wieder aus der Welt der Literaten zurück, was ihm auch nicht sonderlich schwer fiel, da er sich in Literatenkreisen wie der Gruppe 47 oder dem PEN, wo er gern gesehen worden wäre, nach eigener Aussage nicht so ganz recht am Platz vorkam.
In den folgenden vier Jahrzehnten blieb es sehr ruhig um Ledig. Er selbst schrieb bald nicht mehr, blieb aber noch eine Zeit lang mit einigen Literaten in Kontakt und engagierte sich zunehmend für den Kommunismus. Seine drei Bücher wurden nicht mehr neu aufgelegt und selbst in die umfangreichsten Lexika der Nachkriegsliteratur fand er kaum bis gar nicht Eingang.
Auch in einer Poetikvorlesung von des in England lebenden deutschen Autors W.G. Sebald im Jahre 1997 mit dem Titel „Luftkrieg und Literatur“ wurde Ledigs Werk nicht erwähnt. Erst die Diskussion, die sich aus dieser Vorlesung entwickelte brachte Ledigs „Vergeltung“ wieder ins Gespräch. Ledigs Trilogie über den zweiten Weltkrieg hielt wieder Einzug in die Köpfe der Literaturinteressierten und zumindest die ersten beiden Schriften, „Die Stalinorgel“ und „Vergeltung“, wurden plötzlich in den höchsten Tönen gelobt. Schnell kam es zu einer Neuauflage von „Vergeltung“, es folgten „Die Stalinorgel“ und „Faustrecht“.
Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass Ledig diese Renaissance seines Werks kaum noch miterlebte – er starb etwa zeitgleich mit der Neuauflage von „Vergeltung“. Als ihn Volker Haage, der Verfasser des Nachworts der Neuauflage von „Vergeltung“ im Suhrkamp Verlag, im Oktober 1998 in Utting am Ammersee (Bayern) besuchte, wo er zurückgezogen lebte, hatte er mit seinem Leben als Schriftsteller längst abgeschlossen. Er zeigte sich aber sehr amüsiert und erfreut darüber, dass seine Bücher nun wieder Anerkennung fanden.
Während einem Spaziergang antwortete er auf die Frage, warum es nur bei den 3 Büchern geblieben ist: „Vielleicht hatte ich einfach keinen Stoff.“ Er hatte die Schrecken des Krieges selbst miterlebt und schließlich alles schonungslos in seinen Büchern niedergeschrieben. Vielleicht war seine Seele dadurch etwas genesen und die Triebfeder für sein Schreiben ohnehin weg. Eine klare Aussage über die wahren Beweggründe für seinen Rückzug aus der Literatur war ihm nicht zu entlocken.
Nach der harten Kritik an „Vergeltung“ hatte Ledig an seinen Verleger geschrieben „’Vergeltung’ war doch ein sehr starkes Buch und es wird so oder so seinen Weg machen. Zumindest ist eine Neuauflage nach dem dritten Weltkrieg gesichert“. Für eine Neuauflage hat es nicht so lange gebraucht - Bleibt abzuwarten wie viel Anerkennung Ledigs eben erst wiederentdecktes Werk nach weiteren 45 Jahren in der Welt der Kritiker und Leseratten finden wird. Immerhin wird „Vergeltung“ schon vom Suhrkamp Verlag zusammen mit einigen Duzend anderen Werke von Autoren wie Ingeborg Bachmann, Franz Kafka oder James Joyce im Rahmen der Reihe „Romane des Jahrhunderts“ verlegt.
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.. na, was sagt ihr?
Gruß,
Syco
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