Japan

Der Kaktus auf dem Fensterbrett und der bedrohte Regenwald, Haustiere, die uns zu Kühlschrankbutlern erziehen, Wildtiere, die ihre Lebensräume verlieren, Reisen in die Einsamkeit und Erkundungen von Städten.
Rosalie
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So 11. Nov 2007, 11:08 - Beitrag #1

Japan

Da ich weiß, dass es in der Matrix ein paar Leutchen gibt, welche sich für Japan interessieren und mein Ältester seit sechs Wochen in Tokyo studiert und auf seinem Blog regelmäßig darüber berichtet, möchte ich Euch einfach, in loser Folge, daran teilhaben lassen. Viel Spaß beim Lesen ;)


Japanese Studies, Experience.

Das Freizeitleben japanischer Jugendlichen ist fast ausschließlich über Schulclubs organisiert, sogenannte "Kurabu" (Club) oder "Saakuru" (Circle). Es gibt Saakurus für Bonsai und Designermode, für jede denkbare Kampfsportart und Pinguin-Schutz, und den "Street Dance Club After Beer". Und ca 300 bis 400 andere Interessensringe. Vielfach wird behauptet, die Saakurus, gerade die sportlich ausgelegten, seien nur ein Alibi für gemeinsame Trink-Exzesse.
Und ich glaube, da ist was dran.

Also bin ich nun Mitglied der hießigen Fraktion der Wandervögel, auf Japanisch einfach Wandaa-Foogeru. Im Winter wird aber nicht gewandert, deswegen ist das die nächsten 5 Monate eher ein "Club without Portfolio", aber die Jungs sind ganz witzig. Vor ein paar Tagen war ich mal bei einer Nomikai, einem "Trinktreffen" dabei, wo genau das, und nichts anderes, intensiv und ernsthaft betrieben wurde. Es gibt eine Reihe von Etiketten, die das im Trinkeln im Kreis von Japanern sehr angenehm machen. Ich möchte drei benennen:

1. Man bestellt den ganzen Abend, unentwegt, immer wieder, irgendwas geiles zu Essen. Ohne Ermüdung irgendwelche leckeren Snacks für den Tisch, von gebratenen Hähnchenspießen über panierte Gemüßeteilchen, bis zu Sachen die mir völlig fremd sind. Bislang war noch nichts dabei, was mir nicht geschmeckt hat. Das wird gerade mit steigender Promillezahl ein unvorstellbarer Luxus.

2. Die Rechnung wird immer durch die Zahl der Anwesenden geteilt.
Weil man ja gemeinsam zum Trinken geht.
Das begünstigt hartes Trinken ungemein.
Keine Ahnung, warum die ganzen anwesenden Mädels sich das gefallen lassen.

3. Niemand schenkt sich selbst ein.
Das ist das Schönste Spiel, das man sich vorstellen kann. Kaum ist Dein Glas leer, werden sich mindestens zwei Leute auf Dich stürzen um Dir als erster nach zu schenken, Du entschuldigst Dich, man winkt neckisch ab, kein Problem. Ein liebes kleines Ritual, bei dem es plötzlich unheimlich charmant wird sich gegenseitig abzufüllen. Die ganze Zeit scannen, wo ein Glas leer wird, und selbst schneller trinken, weil es einfach so verdammt viel Spaß macht und man dauernd was zu tun hat.

Die Grundlagen sind gelegt, mehr gibt es gar nicht zu wissen. Nach spätestens 40 Minuten gibt es Opfer.
Japanische Trinkspiele, gleichzeitig das dämlichste und genialste was je erfunden wurde.
"Die Zeitmaschine". Jemand stürzt auf Dich zu, unerwartet, aus dem Hinterhalt gleichsam, und ruft "Beeilung, Beeilung! Die Zeitmaschine fährt ab!" Der ganze Raum horcht auf und alle Beteiligten machen begeistert "Zeitmaschinen-Geräusche" (ja, jetzt stellt Euch dazu mal was vor !!!) , während sich der Passagier einmal um sich selbst dreht, und sein Glas auf Ex trinkt während er allen mit dem Rücken zugewandt ist. Wieder in der Ausgangsposition angelangt, wird im nachgeschenkt, der Zeitsprung hat geklappt, sein Glas war ja noch leer. Das Spiel geht von Vorne los: "Beeilung, Beeilung! Die Zeitmaschine fährt ab!" Das kann man mindestens zehn Mal wiederholen, bis es nicht mehr lustig ist... Bis wieder irgendein anderer in die Zeitmaschine muss. Also, so unter uns, naürlich ist das ungefähr das dämlichste was es gibt, aber es ist so albern dass es genau seinen Zweck erfüllt.

Irgendwann geht es dann richtig ab. Wegen dem Problem mit dem Bahnstopp nach halb 1 beginnt man schon früh, sehr früh, und wenn es dann Mitternacht wird, will natürlich keiner den letzten Zug nehmen - teuflisch!
Es gibt kleine Gläser und kleine Portionen, aber die Intervalle, in denen Gründe gefunden werden viele Gläser zu exen, sind bewundernswert. Da muss nur einer vom Klo zurückkommen, schon wird groß seine Rückkehr gefeiert. "O-Kaeri O-Kaeri!"
Wurde das deutsche Wort "Auf Ex!" gelernt, muss es auch ganz oft gemeinsam ausprobiert werden. Gegen Mitternacht kotzt einer auf den Tisch, zwei andere schlafen schon auf dem Boden, und die Sprechchöre und Trinkgesänge gehen munter weiter.

Das ist nämlich genau die Sache mit dem Japaner: Er denkt kontextuell. Je höflicher und zurückhaltender er im Alltag ist, desto mehr darf er mit der gleichen Disziplin an entfesselten Trinkspaß gehen, denn das ist ja genau der Anlass des Abends. Je öfter man sich gegenseitig nachschenkt, desto begeisterter wird es begrüßt, wenn man dann nach ein paar Stunden doch mal aus der Flasche trinkt. Ein Land der Gegensätze und Dichotomien, allesamt auf höchstem Niveau kultiviert und verfeinert. Selten war es so ein erhebendes Gefühl, die eigene Trunkenheit steigen zu spüren.

Die kleinen Erfolge des ratlosen Kulturwissenschaftlers...

Rosalie
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Mo 12. Nov 2007, 19:42 - Beitrag #2

Ein Artikel, wie Humor in Japan "funktioniert" ;)

Japanese Studies, Theory

Es wird vielfach behauptet, die Japaner hätten keinen Humor. Vom grundsätzlichen Problem mit grundsätzlichen Aussagen mal abgesehen ist es tatsächlich so, dass es recht selten klappt einen Witz auf Japanisch zu machen, der funktioniert. Es ist natürlich schwer das abzuschätzen, da höflichkeitshalber eigentlich immer mal gelacht wird, aber dazu muss zumindest mal die Absicht verstanden werden, dass ich jetzt irgendwas Beknacktes sage, das lustig sein soll.

Humor ist nicht nur ein Phänomen, sondern vor Allem ein etabliertes Werkzeug, das (ob wir es wissen, wollen, beabsichtigen oder nicht) bestimmte Funktionen erfüllt, die mit Kommunikations-Mustern zu tun haben. Im westlichen Kulturkreis funktionieren die meisten Konversations-Scherze meiner Erfahrung nach darauf, neue geistige Brücken zu schlagen, die überraschend oder unerwartet sind. Mit anderen Worten: Wild zu assoziieren und irgendwas Beknacktes zu sagen, was an dieser Stelle mal gar nichts zu suchen hat.

Das hat den tollen Effekt dass alle merken wie kreativ und geistreich man ist, wenn man zum Beispiel seine unsichtbaren Flur-Genossen mit einem Zombie-Holocaust vergleicht. In der Theorie bietet die japanische Sprache für diese Art von Gedankenspiel-Kamikaze die besten Voraussetzungen, da hier endlich mal ein Anwendungsfeld der fünf Millionen unnützen Kanji-Komposita geboten wäre, die wir in den letzten Jahren in den Kopf schieben mussten. Wenig Schüler heute -> Karôshi, Tod durch Überarbeitung!

Leider funktioniert der japanische Humor etwas anders. Die Maxime, um derentwillen Conversational Jokes geführt werden, ist hier selbstverständlich nicht die Hervorhebung individueller Kreativität, sondern - wie so oft - die Harmonie innerhalb des Gesprächs. Darum verlassen 90% der Scherze des Japaners den Gesprächskreis auch nicht so blindwütig, wie ich es gerne zu tun pflege. Stattdessen wird der Inhalt des Besprochenen neu beleuchtet, von einem anderen, leicht verschonbenen Blickwinkel aus. "Er hat viel Alkohol getrunken." "Nein, der Alkohol ist dabei ihn viel zu trinken!" (mit Passiv des Leidens), habe ich schon zwei mal gehört.

Das ist toll, weil es hervorhebt, dass es immer andere Sichtweisen als die jeweils eigene gibt, und es bringt das Gespräch voran, statt es mit der Assoziativgewalt einer Haubitze in die Peripherie zu feuern. Leider bleibt mir das aber vollkommen verschlossen, da diese Art von Twists einen sehr sicheren und präzisen Umgang mit der japanischen Sprache und Grammatik verlangen. Wenn ich eine geniale Planidee für einen solchen Scherz mal mit viel Kopfarbeit konstruieren würde, merkt man noch nicht mal dass das beabsichtigt war, bei meinem sonstigen Augenmaß-Geplappere.

Mit anderen Worten: Japanischer Humor ist für Japaner.


Rosalie
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Mi 14. Nov 2007, 18:50 - Beitrag #3

Das erste Wochenende im fernen Osten oder

Capsule City

Bei einer Stadtverwaltung wie der von Tokyo, in der 24 Stunden am Tag all die Convenience Stores, Restaurants und Spielparadiese am Laufen gehalten werden, und in der das disziplinierteste Nahverkehrssystem der Welt glaenzt, scheint es voellig paradox dass die U-Bahnen nach halb Eins eine willkuerliche Pause fuer 5 Stunden einlegen. Das haelt nicht etwa nur kuenstlich Tausende von Capsule Hotels am Leben, in die es all die Firmenangestellten zieht, die den letzten Zug verpasst haben. Ich habe gestern zwischenmenschliche Gruende kennen gelernt.

Wer nach halb Zwoelf noch in Tokyo unterwegs ist, naehert sich einem Point Of No Return, an dem er einen Vertrag mit der Stadt abschliesst. Von da ab gibt es kein zurueck, Du sitzt mit ein paar Millionen anderen Nachtwahnsinnigen zusammen in einem brennenden Aufzug, der tiefer und tiefer ins eklektische Herz von Shinjuku, Roppongi oder Shibuya hinab steigt. Jeder, der Dir in dieser Zeitkapsel begegnet traegt es im Gesicht.. Du kannst Dich in Bars oder Clubs rumdruecken, in teuren Restaurants oder billigen Kaffees Geld ausgeben, oder in Manga-Ecken und Pachinko-Hoellen die Zeit totschlagen. Die Kapsel hat sich geschlossen und der Ausgang ist am naechsten Morgen, wenn die Sonne aufgeht.

Huehnenhafte schwarze Tuersteher, Sakkos, polierte Glatzen, ein vertrautes Bild. Dann in akzentfreihem Japanisch aus purer Bassfrequenz das "der kommt hier nicht rein!", absurd.
Durch stilgerecht dreckige Gaenge in einen Fahrstuhl, er faehrt wohl nach oben, es scheint recht lange. Als sich die Tuer oeffnet bin ich aber in einer Katakombe, die von heftigen Elektro-Beats ueber "Feels like Heaven" durchflutet wird. Schnelle, lackierte Plastikdisko, voll bis unters Dach. Betrinken wird schwierig, der Eintritt war teuer, also doch Tanzen. Ich schalte mein Mimikri-Modul an und lasse die Bewegungen der Shibuya-Partyszene durch mich hindurchlaufen.

Die gleichen Charaktere und Pofile wie bekannt, bloss von Japanern verkoerpert und viel ueberzeugter ausgespielt. Der hippe Zappler, der coole Bastard, der Pseudo-Gangster. Hinter dem Mischpult ein Jack Black mit schmalen Augen und Kinnbart, auf der Buehne flachbruestige japanische Taezerinnen in guertellangen Roecken.
Aber ich bin nicht zum Soziologisieren hier, und die Rolle des gelangweilten Spoetters ist schon gut besetzt, also feile ich mir liebe mein eigenes Profil 'wahnsinniger Gaijin' und gehe ab. Eigentlich ist das ja lustig.

Bevor mir wirklich auffaellt dass hier noch viel mehr Auslaender sind wechsele ich die Ebene. ueberall wird eine andere Schiene gefahren, und ihre Namen sind Legion. Ich bleibe in einem Missy Elliot-Gangstalevel haengen, in dem gleichzeitig "Falsches Spiel mit Roger Rabbit" und "Caligula" projeziert ・er die Waende fliesst. Auf dem Tresen tanzen amerikanische Studentinnen, die sich spaeter zuhause in Arkansas mit Episoden aus "07 in Tokyo" jahrelang ueber eine bedeutungslose Studienzeit retten werden. Und dauernd quatscht mich ein begeisterter japanischer Punk an "You are English speaking, yes?" "You dance great style" "I speak English likely". Langsam wird mir klar wie das hier laeuft. Die zahllosen Auslaender landen hier, um ueber bekloppte Japanische Shibuya-Teens zu lachen, und die zahllosen Japanischen Shibuya-Teens lachen ueber die bekloppten Auslaender. Streichelzoo mit Drehtuer, geniales Konzept.
Irgendwann haenge ich einfach bei Bob Hoskins fest, der immer noch glaubwuerdig naiv mit seinen Zeichentrickfiguren redet. Ich winke ihm zu und versuche mich nicht von den Rammeleien auf dem anderen Bild stoeren zu lassen. Aus den flachbruestigen japanischen Taenzerinnen wurden vollbusige skandinavische Taenzerinnen.
Zweiwegspiegel.

Irgendwann geht es auf die Strassen zurueck, um diese Zeit ist es angenehm kuehl im verschwitzten Shirt. Um die Love Hotel Hills herum schlafen die ersten Verlierer der Nacht auf den Gehsteigen, aber die Ramen-Kuechen der Restaurants und Cafes laufen auf Hochtouren, Luxus! Noch genug Zeit, um die Sonne vom 29. Stock eines Hotel-Fahrstuhls aus im Osten hinter Shinagawa, Ginza, und dem Tower aufgehen zu sehen. Zeitlupe, Muedigkeit setzt ein, und dann steht auch noch ein Wolkenkratzer da, wo der Morgen sein sollte. Um Sieben werde ich im Bett sein, mal gleichzeitig mit Europa. Die Bahnhoefe sind wieder voll, diesmal mit Gespenstern.
Als sich die Kapsel endlich oeffnet, sieht keiner mehr einen komischen Auslaender.
Wir sind einfach nur alle muede.

Das Integrationssystem von Tokyo, grandios.

Rosalie
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Sa 17. Nov 2007, 23:51 - Beitrag #4

Dialog zweier deutscher Studenten, welche in Japan verweilen, zwecks Erlernen der Sprache

A:Jedem, der mit dem Gedanken liebäugelt, Japanisch zu erlernen,
kann man eigentlich nur abraten.


B:Richtig. Ich will nämlich nicht, dass andere Deutsche außer mir Japanisch können!


A:Man muss das aber anders formulieren, etwa: Es ist gar nicht möglich.

B: Stimmt ja auch.

A: Ist ja auch keine Sprache!
Eher eine linguistische Kolonie, in der hunderte von kleinen Pennern in ihren Zelten vor sich hin vegetieren und keiner mehr von seinem Nachbarn weiß. Wie ein großes Festival, das irgendwann mal ganz dreckig schief gelaufen ist.
So ist Japanisch.

B: Das Problem ist das Wort Shôka. Stellvertretend.
Schlag das mal nach, was das bedeutet!

A: Okay, warte... Shôka ist:

1. Ein kleiner Fehler.
2. Die Sublimination (mathematisch)
3. Ein Feuer löschen
4. Die Verdauung
5. Der Gesang
6. Die Abteilung für Handelswissenschaften
7. Die Kristallisation
8. Der Hymnus
9. Ein Freudenhaus
10. Die Waldbeere

B: Jeweils anders geschrieben, aber gleich gesprochen.
Und leider, meine Damen und Herren, ist dies nicht nur bei Shôka so,
sondern auch bei Tausenden anderer Wörter.
(Gleichwohl diese flüchtige Bekanntschaft der Waldbeere mit dem Freudenhaus schon eine ungeheure Schelmerei darstellt.)


A: Auf jeden Fall lässt sich mal feststellen, dass erstens, das Erlernen des Japanischen damit zu Vergleichen ist, einen Fluss Stromaufwärts zu schwimmen, und zweitens, dass, sobald so ein Japaner zu reden anfängt, ich unmittelbar in der linke Gehirnhälfte das juckende Gefühl initiiert bekomme, ein großer Nebel würde über die Ebene ziehen und alles einhüllen, mit Sack und Pack.


B: Schön gesprochen.


A: Aber wahr.
Wenn man davon ausgeht, dass ich vielleicht 10% der Alltagssprache schon mal gelernt, davon aber nur maximal ein Viertel selbst verwendet habe, 97,5% somit in angemessener Zeit nicht identifizierbar sind...


B: ...dann ist das bei der unglaublichen Menge an sinnlosen Kanji, die wir schon lernen mussten -


A: (unterbricht ihn)
Oh ja... Dagegen hab ich HIER das Gefühl, jetzt lern ich kaum noch was,
in diesem Disneyland, im Vergleich zum Unterricht beim Yamanaka, was haben wir da geschuftet...!


B: (bricht in Lachen aus)
Geschuftet? Geschuftet?!
Kannst Du das nochmal sagen
(kriegt sich kaum noch ein)
Oh ja, WAS HABEN WIR GESCHUFTET!!!


A: ...Okay, okay, das waren diese anderen da...
Aber trotzdem, so ne ganz schöne Menge an Wissen, das wir da haben, dass es beim Reden eigentlich kein Stress ist alles Nichtwissen zu Umschiffen.


B: Jaaa!
Deswegen versuche ich ja auf Teufel komm raus zu Reden, als wär der Teufel hinter mir her!
Solange ich selbst auf Autofeuer bin, kann ich mir meine 2,5% selbst aussuchen und alles ist gut...
Bloß niemand zu Wort kommen lassen, sonst versteh ich wieder nichts
und schau dumm drein wie die Meerkatz'!


A: Ja, Reden geht schon, abgesehen von dem Verben-Prob ---


B: (fällt ihm ins Wort)
--- dem Verben-Problem, genau!
Da fehlt mir auch jedes Zweite Wort. TUN-Wort, wie man so schön sagt.
Entweder nehm ich dann immer einfach 'tun' und 'machen', oder, wenn's mir scheißegal ist weil ich schon betrunken bin und ich herausfinden will ob mir überhaupt noch jemand zuhört, IRGENDJEMAND,
ersetze ich das fehlende Wort einfach gegen... IRGENDEINS das ich schon lang mal wieder verwenden wollte. Auch wenn der Satz dann überhaupt keinen Sinn mehr ergibt,
weil man eine Waschmaschine ja schlecht 'einberufen' kann.



A: Ich bin mir halt nur nicht sicher, ob das echt Sprachen lernen ist, was wir da machen, eher Kombinations-Elemente auswendig lernen und auf Einsätze warten...


B: Ähm, genau das IST Sprache!

A: Aber wenn ich an so nem Abend mal wieder alle Worte ausprobiert hab,
die ich ausprobieren wollte, dann geh ich am liebsten gleich nach Hause, weil ich dann eigentlich nichts mehr zu sagen habe.


B: Stimmt nicht.

Bier.

A: Gut, wir halten fest: Ich rede gern viel!
aber damit provoziert man nur dass der Japaner auch viel redet, und dann ist alles verloren!
Alles!
Und dabei meint er das auch noch voll nett! Ich meine, ich will nur wissen ob ich Links oder Rechts gehen muss, und weil er denkt, ich Ausländer verstehe ihn nicht so gut, erklärt er es mir in fünf verschiedenen Versionen, bei denen ich natürlich schon nach der ersten Glue-Word-Falle geistig nicht mehr mitkomme.


B: Dann fragt man eben einfach noch mal nach, "ähhm, also...links?"
"Nein, Rechts!"
Geht doch.

A: Geht doch.


B: Letztlich hat das eben mit Sprache doch nicht viel zu tun...
Im Grunde sind wir halt nur dafür ausgebildet worden, unsere eigenen Touristenführer zu sein.



A: Ach, wenigstens ist das Essen gut...


B: Zum Wohl, zum Wohl...

Rosalie
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Do 22. Nov 2007, 12:37 - Beitrag #5

Gehen drei auf einen Berg ...


Der Japaner an sich ...ist achtzig Jahre alt und lebt in einer Hütte auf dem Berg.
In diesem Sonderbeitrag ,wurde dies unter Einsatz unserer Leben unter Beweis gestellt.

Kukotori-San, der Wolkenbezwinger! Langsam muss mit diesem ganzen Tourismus-Quatsch hier Schluss sein, eine echte Aufgabe muss herbei. Etwas, das nur... Extreme Touristen wagen! Das Okutoma-Naturschutzgebiet, 200 km östlich von Tokyo, klingt verlockend und irrsinnig genug, um (Anfang November!) als Projekt zu dienen. Projekt heißt natürlich nur, dass wir mit viel zu wenig Plan und Peil an die Sache gehen, in diesem Fall: Den zweitägigen Kumotori-San Track, der das Chichibu-Gebiet mit dem Oku-Tama Gebiet über den Gipfel des Kumitori-San verbindet, der höchste Berg der Region Tokyo.

Als wir Samstag Morgens um acht (früh!!!) schlaftrunken Geld abheben wollen, hat der ATM-Geldautomat natürlich erst ab 9 geöffnet, dabei ist das buchstäblich nur ein einzelner Raum mit automatischen Türen auf der Gasse, der eigentlich gar nicht geschlossen haben kann. Noch länger warten kommt nicht in Frage, also legen wir unser letztes Bargeld zusammen und kaufen ein Ticket Richtung Chichibu. Zwischendurch muss man zwei Mal die Bahn-Netze wechseln, was gut ist, in unserem Fall: Wir brauchen dringend irgendwo einen Geldautomaten der unsere Karten akzeptiert. Doch die Häuser werden kleiner und kleiner, Vorstadt, Provinz... Weniger und weniger Chancen hier ne Bank zu finden. Und wir haben nicht mal genug Geld für die Rückfahrt, sehen uns schon in der Kleinstadt sterben! In einem erbärmlichen Nest namens Higashi-Han'Nô, das sich erstaunlich nach Urlaub anfühlt, spuckt schließlich ein Postamt Geld aus. "Und, wieviel hast Du abgehoben?" "Ach, 30.000, falls das bei Euch nicht geht!" "Oh! Ich auch. Bischof?" Plötzlich hat sich die Situation in ihre Gegen-Karrikatur verdreht, wir haben dank unseres kurzen Panikanfalls jetzt auf ner Bergtour 90.000 Yen in der Tasche, ein echtes Projekt! Soviel auch zu dem genau ausgerechneten Plan, wieviel Essen aus dem Supermarkt wir mitnehmen um mit dem Mindestbudget zu überleben. Wir haben Hunger und gehen erst mal in ein Soba-Restaurant. Projektarbeit.




In Chichibu angekommen stellt man fest, es gibt natürlich keine Seilbahn, oder nur im Sommer, und der "Dreistundenweg" für heute dauert wohl Sechs, und überhaupt ist der nette ältere Beamte ganz durcheinander weil wir das unmöglich tun können. Mit dem nächsten Bus wären wir nach 1,5 stündiger Fahrt um kurz vor 14 Uhr am Startpunkt (statt um 11), und stockdunkel wird's hier um 17 Uhr. Ach ja, wir hanben auch nur zwei Schlafsäcke.
Irgendwie ist es unmöglich, dass wir das alle drei überleben, aber umkehren ist jetzt halt ganz und gar keine Option mehr, also einfach noch etwas Alkohol gekauft, für Notfälle. Freiheit oder Tod, wir sind Ausländer, wir dürfen alles, und Bischof wiederholt immer nur "Gebt mir keine Verantwortung!"

Die Busfahrt ist die Hölle, Millionen von Japanern die alle diesen Schrein am Startpunkt besuchen wollen, als wir ankommen sind wir völlig am Ende. Und vor uns ein Weg ohne Wiederkehr. Andererseits: Es fühlt sich höher an als jeder Ort an dem ich je war (das ist Quatsch), die Herbstfärbung ist der Wahnsinn, und überhaupt ist das alles viel zu toll, und auch noch blauer Himmel. Wieder Andererseits: Wir haben nicht mal Zeit, den weltberühmten wunderschönen Schrein auf 1200 Metern im Berg auch nur eines Blickes zu würdigen, zu dem hier alle pilgern (Touristen!) wir haben einfach keine Zeit. Und so viel Herbstfärbung hat es dieses Jahr noch gar nicht, außerdem ist dieses Wort im deutschen einfach nix halbes und nix ganzes, das heißt ab sofort: Buntlaub. Bischof: "Ah, ich hab noch Bücher von der Japanologie zuhause, der Ackermann wird so traurig sein die nicht mehr zu bekommen!!!" Zur Zeit des Buntlaubes also gingen wir in den Tod, durch ein Tor ohne Wiederkehr.


Das sollte ich dem Herrn Dr. Ludolph vom Kronberg Gymnasium zu Weihnachten schicken.

"Shigo no yô ni yama noborimashô"

"Lass uns den Berg erklimmen gleich einer toten Sprache
."


Der Aufstieg geht los. Wunderschön. Natur: Traumhaft! Und die hohen Gräser, so was kennt der Deutsche gar nicht in den Bergen, toll! Aber ist schon recht steil, hm... Nach einer Stunde gehen uns die Witze aus, und nach Eineinhalb Stunden wird es kalt. Richtig kalt. Wir sind auf 1500 Meter, auf einem Plateau namens Kirimo-ga-mine, und fertig.
Bald wird es dunkel, und Passanten warnen uns bereits, ohne Lampen nicht weiter zu gehen. Bischof hat Teelichter dabei, immerhin.

Zu unserem Glück finden wir eine Art Gartenhaus, das wohl eine Bergütte darstellt, in dem ein alter Mann lebt. Verkauft normalerweise Kaffee an Vorbeikommende. Wir schildern ihm unsere Lage, und er fordert uns auf bei ihm auf dem Boden zu schlafen. Er rückt ein paar Holzbänke von draußen herein und wirft Feuerholz nach. Die Hütte hat zwei Räume, keinen Strom, und der heiße Kaffee ist mal das Beste was es je gab. Die Übernachtung wird quasi umsonst sein,
Mathias bekommt einen Schlafsack geliehen. Wir können uns grad keinen besseren Platz auf der Welt vorstellen. Um 17 Uhr ist es dunkel, der alte Mann kocht sich ein unglaublich leckeres Eintopf-Süppchen dass er mit uns teilt (dabei ständig betont wie schlecht es schmecken würde). Kurz vor Stockfinster taucht noch ein zweiter 80jähriger Senior auf Gebirgstour auf, der draußen sein Zelt aufschlägt. Irgendwann holen wir jeweils unseren Shôju heraus. Man trinkt.

Nun ist dazu zu sagen, dass das sogenannte "Japanisch" im Grunde eine Kolonie verschiedener Sprachen darstellt, die je
nach Alter, Geschlecht und Status der Sprecher nur über zahlreiche Ecken miteinander verwandt sind. Man lernt so eine Art höflichen Standart, versucht dann jahrelang ihn wieder loszuwerden, und die völlig verschiedene Umgangssprache unter Jugendlichen zu erlernen. Wir haben grad einen Kurs "Höflichkeitssprache" an der Uni. Aber niemand hat uns je Bergbauern-Grammatik, Bergbauern-Vokabeln oder -Syntax gelehrt. San'nô-Go sollte das heißen. Trotzdem wird man mit Einhergehen des Flaschenleerens redselig, Herr Bischof ist sogar der Ansicht er werde immer 'charmanter'.




Die Nacht ist eine Erinnerungswolke von verschiedenen Kälte-Empfindungen. Kalt. Schweinekalt. Kalt. Überraschend kalt. Erkenntnis: Hier stirbt es sich recht leicht. Dieser Samstag war der einzige Tag der Woche, in dem der alte Mann in seiner Hütte war. Wir müssen um sechs Uhr los marschieren, da wir viel Weg gutzumachen haben, und die völlig unmögliche Strecke von 8 bis 11 Stunden zurück legen müssen. Zum Frühstück bekommen wir noch mal Brot geschenkt, die Wanderung kann beginnen.

Tatsächlich erreichen wir den Gipfel des Kumotori-Sans gegen halb 11. Der Fuji-San überragt die Wolken im Osten, dominiert die Aussicht. Irgendwie tut uns der Kumotori etwas leid, der arme Tropf, dass ihm viele Japaner nur wegen Fotos von einem anderen Berg einen Besuch abstatten. Mit Fotos haben wir aber eh ein Problem. Während der gemeine Japanische Bergsteiger technisch tiptop unterwegs ist, jeder greisenhafte Mann Ipdod-Kopfhörer an den Tag legt und wir selbst auf dem Gipfel einen Laptop erspähen, haben wir die Grundregeln vernachlässigt und nur Mathias' kleine Kamera, deren Speicherkarte auch noch auf halber Wegstrecke voll ist. Der restliche Weg ist bestimmt von der Schreckensdrohung "Oh, das muss ich knippsen, ich lösch' mal Bilder!"

Dafür hat der Japaner zum Ausgleich auch völlig nutzlose Glöckchen um den Hals hängen, die zur Abschreckung irgendwelcher Bären dienen sollen, aber wenigstens eine nette Bergziegen-Illusion erschaffen. Wenn ich ein Bär wäre würde ich als erstes jedes nervende Glöcklein vernichten, und die Statistik, hier von einem gefressen zu werden ist auch nicht viel höher, als in Tokyo von einem Solchen überfahren zu werden.

Auf dem langen, langen Rückmarsch über zahlreiche teuflische Hoch-Runter-Gipfel gibt es nirgendwo mehr eine Hütte, wo wir auch nur einen Kaffee bekommen, obwohl wir - als reiche Männer - Unsummen für Instant-Nudeln ausgeben würden. Die bewirtschaftete Riesenhütte, die sehr empfehlenswert sein soll weil selbst die Tochter des Tennô zweimal im Jahr zu einem geheimen Datum inkognito hierhin wandert, hat gerade ausnahmseweise an diesem Tag keinen Betrieb, weil sie von nem Helikoter beliefert wird - was ist denn das für ein Grund?
Dafür gibt es frisches Quellwasser, das angeblich bei Genuss 10 Jahre jünger macht, hervorragend.
"Oh ja, mit 14 wurd man so richtig schnell besoffen, das war noch was!"





Wir beginnen die Berge zu verfluchen, überlegen, sie später, wenn wir viel Geld haben (NOCH mehr Geld) aufzukaufen und Plattzumachen, stattdessen nützliche Atomkraftwerke drauf zu bauen, denn das Berge schleifen braucht viel Energie. Immerhin ist der hohe Pass vom Kumotori-San über Nanatsu-ishi-san und Takanosu-san ein optisches Gedicht.

Höhe durchschnittlich 1700 Meter, überall Waldschluchten, und unser Weg auf dem Kamm stammt mindestens aus einem Kurusowa-Film, mit Samurai-Hinterhalten zu Shamisen-Klängen und großen Taiko-Trommeln. Witzig, an so einer Stelle mal keinen Herr der Ringe-Soundtrack im Ohr zu haben, dann schon eher Street Fighter II-Midi-Gedudel, denn hier könnte auch die 2D-Stage irgendeines Zen-kämpfers sein. Wenn man springt fährt die Kamera raus und man sieht die schönen Berge, der Hintergrund ist immer sauber durch Bambusgras abgegrenzt.
Jedes Bild ein Postkartenmotiv, darum löscht unser Foto-Hitler auch ständig weiter alte Aufnahmen.

Der Abstieg ist lang und ereignislos, Gesprächsthemen wechseln sich zu Dutzenden, bleiben immer wieder bei fassungsloser Verwunderung über die japanische Sprache hängen. Wolken ziehen auf, doch gegen 15 Uhr erreichen wir die Straße. Wir wollen einen Autofahrer, der auch gerade vom Berg kam und zu seinem geparkten Mobil geht, nach dem Weg fragen, natürlich bietet er uns gleich eine Rückfahrt an. Nicht nur nach Okutama, sondern gleich nach Tokyo, Kodaira, Kokubunji, denn durch eine unerklärliche Anhäufung von Zufällen ist der 50jährige Wandersmann hier, hunderte Kilometer von der Hauptstadt entfernt, mein Nachbar.
Bei so viel verquerer Statistik war der Bär wohl doch eine Gefahr...





Noch mal ein paar Stunden im Auto Japanische Konversation betrieben während das Hirn sich langsam selbst zu Muß verarbeitet. Wieder viel Geld und Zeit gespart, wir gleichen das ein wenig durch ein sehr leckeres Essen aus, Bischof fährt nach Utsunomiya zurück - fast drei Stunden Fahrt, ich will ncht tauschen. In meiner Klause angekommen will ich nur noch eine Dusche, ein Bier, mein Bett.


Stattdessen ruft Sara an, ich müsse nach Kokubunji in eine Izakaya mitkommen, Monika und sie haben viele Japaner zum Trinken klar gemacht.
Das ist so unmöglich grad, dass es nach einem neuen Projekt klingt.
Natürlich bin ich dabei.
Schönes Wochenende.

Japan ist nicht Tokyo


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