Die Rückreise von Tokyo

Der Kaktus auf dem Fensterbrett und der bedrohte Regenwald, Haustiere, die uns zu Kühlschrankbutlern erziehen, Wildtiere, die ihre Lebensräume verlieren, Reisen in die Einsamkeit und Erkundungen von Städten.
Rosalie
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Fr 20. Jun 2008, 12:49 - Beitrag #1

Die Rückreise von Tokyo

Einige von Euch werde sich sicherlich noch an Japan-Thread vom vergangenen Jahr erinnern. Vor einer Woche startete mein Filus nun seine Rückreise. Aber nicht, in den Flieger und ruck - zuck nach Hause! Nein, es geht bis Kuala-Lumpur mehr oder weniger auf dem Landweg. Dann wird ein Teil bis Istanbul per Luft zurückgelegt und danach? Lassen wir uns überraschen!!

Hier nun der Beginn :

Osaka war noch Heimurlaub, wie ein exotischer Cocktail unter Freunden, in der letzten Aussenfeste des Reiches, Mos Eisley, dahinter nur die Weltkarte. Und unser Schiff auf dem Pazifik, zwei Tage bis Shanghai. Nach den ersten Stunden auf hoher See beginnt das Rad der Fortuna sich schon mehrmals zu drehen.

Geht man nur nach dem sichtbaren Eindruck, handelt es sich um eine reine Touristenkutsche, soviele Backpacker aus aller Herren Laender sitzen um die Tischtennisplatte, lehnen an der Reeling.

Die Chinesen und Japaner an Bord bleiben in ihrer Kabine, haben das schon zu oft gesehen. Kleinere Gruppen trauen sich in den Zweiwegezoo, um in diesem riesigen schwimmenden Wohnzimmer, wo die Zeit zwischen den Zonen stillsteht, gegenseitig einen Blick auf eine andere Welt zu riskieren, ungefaehrlich.

Kurz flammt das LARP-Gefuehl auf, jeden mal angesprochen zu haben, woher kommst Du, wohin geht die Reise, was kannst Du? Information, Information. In der Wahl des ersten Satzes, nachdem dann alles egal ist, wird man mal kreativ, mal beliebig, wundert sich kurz ueber diese Spielregeln. Darueber, dass man um diese Rituale nicht herumkommt, dass wir in einer Smalltalk-wueste der stets gleichen Geschichten gelandet sind, und Oasen nicht in Sicht.

In Gespraechen ueber Japan broeckelt der Putz ab, der an Thailand noch healt, das sind die Gemeinplaetze auf die wir bald auch reduziert werden. Did you eat that, that aaawesome!!! Die Rucksack-Fraktion tagt unerbittlich, eine Lebensform die normale Angestellte oder Studenten ein-, zweimal im Jahr uebernimmt, und Reisestempel im Pass sammelt wie frueher in der Grundschule die Stickeralben.
Man trifft sich in Kairo, trennt sich in Suedafrika, verabredet sich fuer Brasilien. Ein Paerchen hat sich gerade in Tokyo kennen gelernt und reisst nun zusammen weiter, die ganze Rucksack-Sache scheint ohnehin eine einzige grosse Partnerboerse zu sein. Keine Alternative in Sicht, All Inklussive-Party mit Abenteuer-Illusion auf der Menuekarte. Tjo, auch schoen!
Amerikaner und Chinesen sitzen im selben Raum und existieren doch niemals in der gleichen Luft, alle Wege wurden schon befahren, und die meisten zahlen dafuer, dass man sie zuhause fuer ganz wueste Draufgaenger und Abenteurer haellt - bitte exklussiv ausgeschlossen fuehlen!

Die letzte Fluchtmoeglichkeit ist eine japanische Rentnergruppe, die vor Jahrzehnten Deutsch lernen musste, fuer ihr Medizinstudium, nette Gespraeche. Gleich sind sie weg, meine Japaner, dann bleiben nur die Robinson-Wandervoegel, oder die Einsamkeit. Leichte Wahl. Unsere Kilozentner an Buechern, die zu lesen keine Zeit bleibt, weil staendig irgendwo Spass stattgefunden wird, sind ploetzlich eine Eintrittskarte in ein anderes China. Wo vielleicht keine Chinesen leben und auf uns warten, aber wenigstens Lukas und Suennje. Parties wird es geben, keine Frage, und wir werden uns amuessieren. Aber alles ist eine Preisfrage, gerade in Billiglaendern
.
Doch das Rad dreht sich weiter, die Gesichtsausdruecke aller Anwesenden aendern sich unmerklich, als das Schiff am dritten Tag langsam in den gelblich-schlammigen Abwasserfluss von Shanghai hineinrollt, und die Sonne verschwindet.



Wer das ganze bebildert sehen möchte: http://www.zeitstromschipperer.de unter "Westwärts"

Rosalie
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Fr 20. Jun 2008, 12:51 - Beitrag #2

Shanghai

Shanghai gilt als die Stadt mit der hoechsten Umweltbelastung der Welt - was auch immer das bedeutet. Die Stunden, in denen das Schiff in eine lange Flussader hineingesaugt wird, ist wie eine Fahrt in einen anderen Planeten. Das Wasser ist sicherlich noch hunderte Meter tief, graebt sich aber wie schlammiger Sand unter dem Schiffsboden entlang, vermischt mit Oelfeldern, Muellfeldern und einem toten Tier hier und da. Und dann verschwindet der Himmel.

Aller Backpacker-Zynismus zerbricht an schierer Ehrfurcht vor dieser dichten, tiefer und tiefer sinkenden Decke aus schweren Gasen, die alles verschluckt. Wolkenkratzer loesen sich oben (oder in der Mitte?) in Grauweiss auf, wie in einem alten N64-Spiel, aus der Staubsmogwolke leasst sich ein ewiger Nieselregen unableassig ueber die Industriegebeude herab. Die Naturgesetze gelten hier nicht, UV-Strahlung prasselt ungehindert hindurch, alles andere Licht bleibt gefangen, und selbst um Mitternacht hat Shanghai die gleichen Temperatur-, Wetter-, und Helligkeits-Bedingungen wie am Morgen. Das Licht verschiebt sich etwas von Grauschwarz zu Rostbraun, doch der giftige Nadelregen klebt weiter das Shirt in tropischem Wind an die oelig-schmierigen Arme.

Der erste Tag war wie ein Rausch, wie ein dreckiger Drogentripp, wie ein dystopischer Traum kurz vor dem Aufwachen. Wie viele Stunden wir geleahmt durch Strassen und Gassen gespuelt wurden, gefangen unter der leuchtenden Smogdecke, unbestimmbar. In beinahne religioeser Ehrfurcht stolpern wir Stunde um Stunde durch diese Drehtuer in die Hoelle, von Menschen fuer Menschen geschaffen, die ganz am Grunde, am Bodensatz dieser Mars-Kolonie leben, ein eigenes Lebenskonzept kreiieren und atmen, fuer das man andere Lungen benoetigt, ein Leben ohne Sonne.

Wir sind Fremdkoerper hier, durchgespuelt und zerstoben, doch nicht unwillkommen. Man stiert uns nach, starrt uns an, blickt nicht hoeflich-japanisch beiseite, dies ist ehrliches Interesse an unserer Raumlandung. Die alten Klischees vom herzlichen Leben, der 100jeahrigen Frau die in einem winzigen Park mit einer Lanze Kung Fu trainiert, der Fischheandler der auf seinem Moped einen Mittagsschlaf macht, die Strassenverkaeufer die Fische in der Rinne ausnehmen, der dicht umringte Spieltisch der Go-Meister auf der Strasse... Wen man anlacht, der lacht zurueck. Natuerlich auch die ersten Scam-Versuche, Touristenfallen und betrogenen Vertrauen. Westliche Massstaebe zerbrechen wie Wellen an schwimmenden Oelfaessern. Shanghai. Shanghai.


Sicher, die Pfade wurden schon begangen, doch wir sind wieder Marco Polo, die ersten Wesen auf einem unbekannten Kontinent, demuetig und gluecklich hier zu sein, und aus dem lichtlosen Dschungel aus lehmartigen Slum-Huetten unserem Hotelfenster wird ein Bewusstloser von drei Polizisten herausgeschleift. Shanghai.

Ein Ticket nach Hong Kong zu erhalten war erstaunlich einfach. Es geht weiter. Wieder die Sonne zu sehen, bald, in einer 19-Stunden Zugfahrt Hard-Sleeper, 1300 Kilometer, das wird ein Damaskus. Und der Regen wird waermer und waermer. Gleichzeitig wird das Abenteuer abnehmen, die Touristen mehr, die Preise niedriger. Shanghai wird ein Unikum bleiben. Westwärts nun, mit jedem Schritt.

Rosalie
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Do 3. Jul 2008, 17:55 - Beitrag #3

Hongkong

Es ist zur Freude eines Reisenden, wenn seine Logbuch-Eintraege aus der Fremde von lieben Freunden zuhause mit Spannung verfolgt werden. Nur ungern wartet man da mit der Enttaeuschung auf, dass das Reiseprojekt zunaechst einmal beiseite gelegt wurde, wenn auch aus einem praktischen Grunde:

Hong Kong.

<>Das Abenteuer stieg noch mit uns aus dem Zug heraus, nach 18 Stunden Fahrt durch cinesische Provinzen, echt Asien. Unserem Vorsatz gemeass, die stets billigste Herberge aller moeglichen zu finden, mussten wir nach Chung King-Mansion, dem weltweit unteren Ende der Uebernachtungs-Ghettos, eine Attraktion des Slum-Tourismus': Ein 17-stoeckiger tropfender Gulag, mit hunderten von zwielichtigen Streichholzschachtel-Vermietungen, ueber die Etagen und Blocks verteilt. Vor den wenigen Aufzuegen stets lange Warteschlagen, in den Treppen eine einmalige toxische Fauna, Schwarzmarkt ueberall. Fuer unter 5 Euro pro Nacht landen wir zunaechst in einer lichtlosen Box, Block A1, 14.Stock, ausser uns nur Schwarze, die von einer zahnlosen lateinamerikanischen "Momma" herum kommandiert werden.

Ja, erst ist es kaum aufgefallen, es gibt wieder Schwarze. Und Araber, Thais, Tuerken, Suedamerikaner, Mischlinge... Die ersten Stockwerke des Chung King Mansions fuellt ein grosser, tageslichtloser Schwarzmarkt, rund um die Uhr, Rolex, Anzuege, Haschisch. Hautfarben, Sprachen, Dialekte mischen sich zu einem grossen Sud an Babel-Ursuppe, in dem es keine Touristen mehr gibt, weil alle irgendwie Fremde sind, weil chinesische Kinder mit Englisch aufwachsen, weil Franzosen und Briten und Thais hier leben und arbeiten und Chinesisch koennen. Wir sind angekommen, ohne es zu wissen, in einer Stadt in der jeder schon immer ankommen wollte, ein geheimes Traumziel in einem versteckten Knick der Welt, die vielleicht einzige echt internationale Stadt der Welt.

Nicht nur die Nationaliteaten klaffen weit auf wie eine blutende Wunde, sondern auch die Klassen. Direkt neben dem Bottom End-Wohnslum der Welt liegt das Peninsula, das Cheraton, die Louis Vitton-Arkaden, und dann wieder 50cent-Garkuechen. Und 7 Minuten weiter das Pier von Kowloon, mit einem 180grad-Rundumblick ueber den Hafen auf die gigantischste Skyline der Welt, Hong Kong Island, gegen die Manhatten und Tokyo nicht anstinken koennen. Anders als die kleinen Wolkenkratzer-Inseln in Shinjuku, Roppongi, Shibuya, ueberwaerltigt Hong Kong tatseachlich mit Spider-Man feahiger Rundum-Perspektive vom linken Horizont zum rechten, doppelt beeindruckend durch die 600m-Berge dahinter, auf den Gipfeln noch mit Tuermen bebaut. Jede Nacht um 20 Uhr passiert etwas, was eigentlich auch nur in Comics erlaubt ist, die "Szmphony of Lights" verwandelt die Skyline ueber dem Bay zu einer Disco-Box, zu elektronischen Klaengen erwachen Dutzende von Wolkenkratzern zum Leben, blinken, senden Laser aus, fahren hoch und runter. Nach 20 Minuten denkt man an einen gigantischen Pinball-Automat, Daewoo und Phillips blinken wie die Bumper beim Multiball, und ganz ehrlich, die Musik ist auch manchmal ganz aehnlich.

Dazu gibt es Palmen und Straende, Seilbahnen und Kinos, und den Drogenmarkt direkt im Erdgeschoss. Unsere Reise, unser Ueberlebenstripp, hat ploetzlich das Etikett geandert und ist zum Urlaub geworden, durch glueckliche Umstaende muessen wir auch eine Woche auf unser Weiterreise-Visum warten. Wir sind im Kino, sehen Robert Lepage im Theater, das Halbfinale nachts in einer Bar. Tagsueber gibt es eine Innenstadt, mit den schoensten Teilen von London und New York vor der Kulisse von San Tropez, ein Hauch Asien druebergepustet, aber immer noch in Englisch. Hong Kong ist das bessere Barcelona, billiger wenn Du willst, teurer wenn Du willst... Schwierig war es nur, Long Papers zu bekommen, keine Ahnung warum es hier so etwas nicht gibt. Nachdem der Stapel Papes des Haendlers unseres Vertrauens verbraucht ist, und der scharfe Verstand nach einigen Tagen zurueckkehrt, denkt Lukas scharf nach und kommt darauf, wo es Rauchzubehoer geben koennt: In einem Cigar and Pipe-Store! Und der findet sich in der First Class-Suite des Peninsula-Hotels, scharf kombiniert. Da steht Lukas nun, unrasiert und mit trueben Hawaiihemdblick, und vor ihm ein alter englischer Butler. "Do you rather prefer longer smoking papers or shorter ones, Sir?" Kurzes angetaeuschtes Nachdenken, Abwaegen: "Tonight I'd rather feel like some jolly long Ones, I suppose!" "Excellent choice, Sir!" und Papers auf einem Silbertablett, yeah!

Keiner hat uns je erklaert, "was man so macht", auf einer Reise. Laesst man sich stundenlang davonspuelen und durch die Strassen treiben, in der Hoffnung nach Erlaeuchtung, oder fuellt man den Tag mit Programmpunkten? Schreckliche Vorahnung, wer dies unterwegs nicht herausfindet, hat zuhause noch weniger Chancen und merkt es nicht mal mehr, und das Label "Urlaub" ist ein weiteres solches Alibi. Urlaub ist gar nicht so viel anders als Alltagsleben, in beidem ist einem Alles gegeben, beides ist einfach - zumindest wenn man lebt wie wir.


Bald beginnt wieder "Reise", Hong Kong wird zu einer Episode der Erinnerung, zu einem "das ist der geilste Stadt der Welt", aber wie ist es wirklich, irgendwo? Ohne die Leidenschaft des Reisenden wird jeder Ort zum goldenen Wartesaal im Arztzimmer des Lebens. Mit hingegen, ueberspuelt Aufbruchsstimmung jeden Ort und jeden Weg. Urlaub ist wie Zuhause nur ein Stoff, Reise ist der Geist. Hong Kong ist eine Sprache: Wir brauchen Worter und Saetze, die wir damit ausdruecken wollen.

Das Ist Reise.
Wir sind bereit fuer Vietnam.

Rosalie
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Fr 4. Jul 2008, 19:04 - Beitrag #4

Hanoi

Die Reise von der chinesischen Grenze nach Hanoi ist ein kleiner Traum von wahrer asiatischer Exotik des tiefsten Vietnams, in dem die Leute dich und mich aus nicht-kommerziellen Gruenden meiden oder kennenlernen moechten. Uns wird wahres Interesse entgegengebracht, auch wenn man sich nur durch Zeichnungen, Pantomime und Zahlen verstaendigen kann. Aber das ist schon eine Menge. Hier lernt man, dass man sich eigentlich mit jedem Menschen der Welt unterhalten kann. In der Holzklasse des 25 km/h schnellen Zuges hat jeder Europaeer und jeder Vietnamese genug Zeit, Lust und Geduld, sich auch ueber Stunden auszutauschen. Lange Schweigemomente des Nachdenkens sind inklusive. Wie schoen und intensiv sind diese Beruehrungsmomente zweier so unterschiedlicher Kulturen.
Man selbst versucht so feinsinnige Fragen wie moeglich zu stellen. Hier moechte ich nicht so wirken, als hatte ich eine vorgefertigte Meinung.

Interesse an vietnamesischer Kueche fuehrt zur Frage nach einer Speise-Empfehlung auf der Menuekarte, die Antwort: Entschuldigung, das Maedchen war noch nie in einem Restaurant und kenne auch niemanden, der sich damit auskenne. Weit, weit weg von Japan... Das Schoene: das sprachliche oder kulturelle Unverstaendnis wird durch ein Laecheln ausgeglichen, auf beiden Seiten.



Hanois Leben spielt sich auf den Strassen ab. Mit einem symphatisch froehlichen Gleichmut leben hier die Menschen, sitzen auf hunderten von Plastikstuehlchen vor Restaurants und sind immer in Gesellschaft. Viele sind arm und muessen hart arbeiten. Aber nie hat man das Gefuehl, dass es jemandem schlecht geht.

Es ist erstaunlich, wie anders die Rolle “Tourist” hier funktioniert, als in den bisherigen Laendern.
In Hong Kong zahlten wir bereitwillig auch mal 5 Euro fuer ein Bier, in einem stylischen Club. Hier nun aber knausern wir schon bei 0,40 Euro, weil wir oft glauben muessen, dass die Leute den Preis fuer uns ein wenige erhoehen. Fuer die sind wir reich. Und das sind wir hier auch.
Und trotzdem fehlt noch der Massstab.

Hanois Altstadt ist sehr auf Touristen eingestellt. Nach den tollen Erfahrungen im Zug moechte ich weg von allen Souvenirgeschaeften und Taxifahrern. Es zieht mich dahin, wo mir kein zu hoher Preis fuer meine Fanta genannt wird - nicht aus finanziellen Gruenden, sondern weil ich keinen finanziellen Sonderstatus hier haben moechte. Gleichzeitig jedoch moechte ich exotisch bleiben, um weiterhin das gleiche Interesse zu empfangen, das mir die Menschen entgegenbringen. Dafuer muss ich vielleicht manchnal ein paar Cent mehr zahlen, sei’s drum. Wenn man es dann schafft fuer Normalpreise zu essen oder zu trinken, ist man stolz wie ein Baerenjaeger!
Fanta: 5.000 dong = 0,20 Euro!
(Ja, wir zahlen nun mit DONGS. Wir sind Dong-Millionaere!)

Wir wandeln nun durch diese neue Kultur und lassen Erlebnisse auf uns einstuerzen. Irgendjemand gibt uns immer die Illusion von Kontrolle, oder auch mal die Illusion von Kontrollverlust. Um uns Touristen wird ein Kokon aus nachgebauter Abenteuerluft geschaffen. Spannend kannst du es auch haben, wenn du ein wenig dafuer zahlst.
Ein Wagnis: Das tun, wovor die Guidebooks warnen, hinter einem Einheimischen auf dem Motorrad. Der zeigt Slums, zeigt das andere Vietnam. Das echte, mit den Schlangenfarmen und hunderten von Kobras. Die Bambusbongs, aus denen alte Maenner ihren Tabak rauchen. Abzockerei kann man das eigentlich kaum nennen, auch wenn man bereitwillig 8 Euro und ein paar Bier zahlt, man wusste es zuvor.
Illusion von Kontrolle.

Wenn die Sehnsucht nach Gleichgesinnten ruft, verbringen wir Zeit mit feinen Menschen aus feinen Nationen: dem schwedischen Paar Victor und Valeria und dem Schotten Doug. Hier wird nicht mit Stempeln im Reisepass oder den tollsten Erlebnissen geprahlt. Man redet, lacht und oft spricht auch mal keiner. Schweden und Schottland eben. Manchmal dann der Sprung in die kleine Festung Europa in Hanoi. Man sieht Deutschland beim Fussball verlieren.
Mit hundert anderen.

Geht auch.
Geht alles, wenn man will.

Rosalie
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Sa 5. Jul 2008, 00:44 - Beitrag #5

Ungeplanter Stop "in vietnamesicher Prärie"

Weiter Richtung Sueden, Suedwesten.
Ab heute jeder Tag heisser, die Sonnenbreande agressiver, die Naechte selbst mit Ventilator kaum zu ertragen.
Aus Hanoi heraus werden die Rollenspielempfindungen schwaecher, eine zweischneidige Gewissheit. Einerseits der Bootstripp, zwei Tage Ha Long Bay, eine der atemberaubendsten Buchtlandschaften der Welt (bekannt durch Filme wie James Bond: Der Mann mit dem Goldenen Colt). Wieder ein All-Inklusive Luxusurlaub, Kayakfahren, Dinner, Lunch und Fruehstueck, Hoehlenbesichtigung, Schwimmen im Sonnenuntergang. Die unverbindlichen One-Liner "wo kommt ihr gerade her? Wohin geht's?" werden weniger, nachts unter offenem Ozeanhimmel richtig gute Gespreache mit der Gilde. Ein grosses Gruppennacktbaden kann gerade noch von der besorgten Crew verhindert werden, ein deutscher Urlauber stuerzt sich im letzten Moment alleine vom Deck des Schiffs ins Dunkle. Alle sind daraufhin etwas angesauert auf die Mannschaft, dann noch einige Verzoegerungen am naechsten Tag, der Bus kommt auch nicht wie er soll...

Wie selbstversteandlich fuehlen wir uns unserer Freiheit beraubt als ein zweites Baden nicht mehr moeglich ist, man versucht Freigetreanke fuer Fehler auszuhandeln, Vertragsbruch, wir sind aufgeklaert ueber Verbraucherrechte und ohnehin!
"Kommunikation ist nur unter Gleichen moeglich" sagte Hagbard Celine, hier tritt die ziemlich unschoene Schattenseite dieses Gesetzes zu Tage. So laecherlich wenig zahlen wir fuer diesen tropischen Traum, kaum 40 Euro fuer zwei Tage und offensichtlich Dutzende von Parteien und Dienstleister, dass wir mit der Crew kaum noch in irgendeinem bestimmbaren Verhaeltnis stehen. Wer 250 Euro aus der Kasse holt, kann erwaegen was er fuer sein Geld bekommt, erwaegen, ob die Crew nicht verdammt gute Arbeit und Service leistet, erwaegen ein Dankeschoen fuer zwei unglaubliche Tage dazulassen. Im Nullstellenschatten Vietnams schafft das fast keiner...
Ich schaue vom Deck und sehe dutzende Touristenschiffe, vor Allem sehe ich die "Deluxe"-Ausgabe unseres Trips, die Dreitageausfluegler, die Rundfahrt-Schmalspur-Tourer... Kommunikation unter Gleichen, denke ich, der Schatten hat uns alle in andere Billigpreisklassen zersprengt, und kaum eine Muenze passt mehr dazwischen. Fuehlt es sich so an, reich zu sein? War deswegen in Hong Kong vieles teurer, leichter? Oder fehlt uns Lotto-Gruenschnaebeln nur ein Mass, aus Erfahrungen gewonnen?

Wir fliehen Hanoi Richtung Kleiner, Weniger, Stiller, sitzend im Nachtbus nach Hue, in der Hoffnung dort nicht hundertmal pro Minute Nein sagen zu muessen, links und rechts. Erstmalige Magenprobleme erzwingen den Ausstieg in einem kleinen Flecken Erde, der im Lonely Planet kaum eine Fussnote verdient, Ninh Bingh, tatsaechlich Kleinstadt.
Angeschlagen, orientierungslos, schutzbeduerftig, kurz vor Mitternacht, ein altes franzoesisches Kolonialhaus einer vietnamesischen Familie. Viktorienischer Prunk, meterhohe Decken, knisternde Hitze und hallende Stimmen, am Nebentisch ein viet-frango Sprachgemisch. So muss sich die Redux-Szene aus Apocalypse Now angefuehlt haben, wir beschliessen einige Tage zu bleiben;
Wohin der Magen Dich fuehrt, soll Dich der Kopf nicht bannen.

Am neuen Morgen die andere Moeglichkeit in einem Land zu versinken, im Schatten des Tourismusspiels zu leben: Motorrad ausleihen und nach handgezeichneten, voellig wirklichkeitsfremden Karten (= der Nase nach) irgendwelche Naturdenkmaeler, Hoehlen und Flusslaeufe verfolgen. Im eigenen Tempo, an den Hauptstrassen entlang erst, wo Laster sich hupend dreispurig ueberholen und den Gegenverkehr auf den Standstreifen zwingen, wo Hupen nicht "ey Du Arsch" heisst, sondern "Ich ueberhole jetzt!".
Der rechte Weg ist zum Glueck rasch verloren, es bleibt ein einstmals dreispuriger Autobahnfluss von Bergen eingeschlossen, der heute nur von Bauern zum Getreidetrocknen verwendet wird und uns durch atemberaubende Gebirgsformationen spuelt.
Mit uns zwei Israelis namens Tal und Or, auch hier halb-geplant gestrandet. Die uebliche Erwiderung der Anderen auf die Frage "and where are YOU from?" "Germany", das unverbindliche "oh, nice..." kommt gerade einen Sekundenbruchteil zu langsam um nicht doch einen Comedy-Effekt nach sich zu ziehen. Man spricht sich mit "What are you waiting for, Germany?" ueber die leeren Asphaltpisten an, und die Deutsch-Israelische Freundschaft wurde stark aufgewertet, als Tal und Or nach Stunden der Fahrt auf einem halbbefestigten Gebirgspfad stuerzen und erste Hilfe gegen Panik ob zentimetertiefer Wunden geleistet werden muss.

Aus dem Nichts taucht eine 17jaehrige Vietnamesin mit Heilkraeutern auf, die die Blutung sofort stoppen, weitere Anseassige in Lumpen leisten Hilfe mit selbstgebranntem Alkohol. Waehrend alle unter einer Plane Luft holen, will man uns irgendeinen alten Buddha zeigen, wir sollen Fotos machen und dafuer zahlen, fuehlen uns aber nicht recht in Sightseeing-Laune. Das bedauern wir spaeter sehr, als wir fuer die Hilfe etwas Spielgeld dalassen wollen, was kategorisch abgelehnt wird. Touristen machen Fotos und zahlen, Mitmenschen verletzen sich und helfen einander. Ich bedauere es, nicht singen oder tanzen zu koennen oder irgendwas, wir sind schon ganz erbaermlich auf unseren Geldbeutel degeneriert. Zum Glueck bleibt ein internationales Mittel der Anerkennung, ich teile meine Zigaretten mit den Maennern, man raucht schweigend, gemeinsam.

Rollenbewusster spielen und trennen, darauf kommt es wohl an. Kleinen Kindern, denen beigebracht wird dass man zu Auslaendern "hello" sagen muss, zocken mit. Hier draussen paussiert das Spiel manchmal an den Grenzen der Schattenzonen, in denen man sich mit der Dorfjugend nach bezahlten Essenspreisen an den Tisch setzen darf und Gratis-Schnapps bekommt, weil man sich gegenseitig ziemlich komisch-bizarr findet.
Will ich der Tourist sein, der sich uebers Ohr hauen laesst und den dreifachen Preis fuer die Huehnersuppe zahlen muss wie der Einheimische zuvor? Oder will ich der sein, der den Preis penetrant runterhandelt, auf 10 statt 30cent? Ich glaube ich waere gerne einer, der auf Vietnamesisch signalisieren koennte, dass er bereit ist mehr zu zahlen, weil der gleiche Preis eben nicht derselbe ist. Und das kann eigentlich kein Sprachproblem sein.

Sind wir noch auf der Reise? In diesen Orten, fast ueber dem tueckischen Schatten, hin und wieder, hier koennte man ankommen. Und doch dreangt es weiter in den Sueden, irgendwohin wo neue Rollen auf uns warten, zu denen nicht immer der Darm fuehren muss;
gerne aber wieder ein Motorrad.

Rosalie
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Fr 11. Jul 2008, 18:00 - Beitrag #6

Richtung Saigon

So kamen wir in Saigon an. Nachtbus, 1700km, sitzend, 40 Stunden, weiter, und wieder dunkel, noch so eine Nacht. Wir sitzen nicht zusammen, zu voll, ueberbucht, auf dem Boden liegt einer, uebrigens nur vier Auslaender, und ausgerechnet ein zwei Meter Koloss neben mir, rutscht im Schlaf dauernd auf meine Sitzhealfte, wieso kann der ueberhaupt schlafen? Die Klimaanlage leckt, Kuehlfluessigkeit tropft auf meinen linken Vordermann, arme Sau, der Sitz ist schon ganz feucht, er versucht es mit Pflastern abzukleben, hilft fuer zehn Minuten. Vorne im Bus noch groesseres Leck, der Fahrer bindet einen Vorhang quer drueber, das ist gewitzt, der Vorhang wird dicker und dicker, ich bin nicht muede. Ein schoenes langes Hoerspiel waer toll, aber ich hab nur Hyperion von Hoelderlin, versteh ich nicht. Mein Sitznachbar schmiegt wohlig seine Muskelberge an meine Huefte, der Vorhang vorne ist prall gefuellt, das neachste Schlagloch entleasst fuenf Liter klatschend auf den Boden, lag da nicht einer? und dann beginnt der erste zu kotzen, die erste besser gesagt, hinten auf den Rowdy-Plaetzen, der Bus springt auch ueber jedes Schlagloch einen halben Meter hoch, huiii, und das stinkt, ich denke bloss an Hoelderlin, romantisches Gesuelze, mein Vordermann kippt Leim in die Wasserritzen, mein Hintermann fuehlt sich vom Geruch inspiriert sich solidarisch zu zeigen, mein Nebenmann bekommt von all dem nichts mit, Hoelderlin schwaermt von den goldenen Tagen der Helenen, irgendjemand hat keine Tuete dabei. Bald muss die Sonne aufgehen, ganz gewiss, oder eine Raststaette, es ist gewiss schon halb vier morgends, aber ich habe Hyperion erst zwei mal gehoert, eine Uhr, natuerlich - noch nicht mal Mitternacht. So kamen wir in Saigon an. So sollte man reisen.

Zu guterletzt verstehe ich Hyperion immer noch nicht, alles andere schon, in der Not sollte ich wieder Gedichte verfassen, etwa so:

My bus is sailing through the night
Hours, waiting for the light
should I cry, i think I might
But that won't make the road alright
As I recall, I chose this fight
just keep waiting, hold on tight
wait for that dawn to touch my sight
while we are bouncing through the night

Als wir in Shanghai erstmals sahen, wie Menschen vor ihren Haustueren auf dem Boden lebendige Fische, Fleisch und Obst verkaufen, waren wir erfuellt von der Erregung, jetzt im echten Asien zu sein. Nichts erinnerte mehr an die gute deutsch-japanische Hygiene.

Inzwischen haben wir uns sehr an all diese Bilder gewoehnt. Sie sind zur Normalitaet geworden. Nur in einigen klaren Momenten wird uns bewusst, wie anders hier alles ist, als bei uns Zuhause:

Die Haeuser der Vietnamesen sind klein und meistens teilt sich die Familie einen Raum zum Schlafen und ein Wohnzimmer. Man stelle sich dieses Wohnzimmer bitte wie eine Guckkastenbuehne vor: es fehlt die vierte Wand, denn die liegt zur Strasse hin und ist offen. Nachts wird sie manchmal durch ein Gitter geschlossen.


Die Kueche wird taeglich neu auf der Strasse aufgebaut, wichtigstes Bestandteil: der kleine Kohlegrill, auf dem alles gebraten, gekocht und gegrillt wird. Oft kann man sich in diesen Strassenkuechen verkoestigen lassen und noch viel oefter glauben wir dies nur und fragen in einer Privatkueche nach Essen. Es ist ruehrend, dieses Zusammenleben auf engstem Raum und die Umgangsweisen damit zu sehen.

Spaet Abends kommen Lukas und ich aus der Bar und sehen in den Wohnzimmern die alten Menschen vor den Fernsehern liegen, einige schlafen. Dieses Leben ist uns fremd, aber man tendiert dazu, diese Besonderheiten nach einer Weile weniger wahrzunehmen. Der Unterschied stoesst erst auf, wenn man statt des erwarteten Fruehstueckseis ein gekochtes Kuekenembryo im Ei findet. Vietnamesische Andersartigkeit, piep piep piep.

Saigon zerlegt das Gehirn und unsere Texte in zusammenhanglose Fragmente, etwa:

Thema Verkehr. Ampelsysteme nicht bekannt, ausserdem umsteandlich. Um Strassen zu ueberqueren einfach langsam aber stetig mitten ueber die Hauptstrasse in den Verkehr hineinlaufen, der sich strumpfartig um dich herumlegen wird. Moses, das rote Meer, Saigon, alles gehoert zusammen.
Das beste: Es funktioniert, jedesmal wieder sehr sinnlich ausserdem.

Charlie gefunden.
Er ist Englaender, lallt etwas,
behauptet steandig ihm gehoert der ganze Laden hier.
Der beste Danceclub in Saigon heist Apocalypse Now, an der Wand das Surfbrett meines neuen Freundes:
Charlie don't Surf! "This all belongs to me! I'm Charlie, man!!!"
Weiterhin:
Echten Expat gefunden, Amerikaner, lebt hier, in Hemmingway-Manier betrunkenes Gespraech am Tresen um 5h. Zigarre moeglicherweise auch. "I love it here, I won't leave!" Als er aufsteht sehe ich dass sein Ellenbogen fehlt. "Always honour your Enemy, my boy"
Spaeter.
Andere Deutsche wollen "jetzt endlich mal Opium probieren". Das Vorhaben steht unter einem schlechten Stern weil keiner weiss was man damit machen wuerde. Den Dealer fragen stellt sich nicht als klug heraus. Gerne werde ich an den Ausruf 30min spaeter, quer durch die Bar, zurueckdenken: "What the...?! Is that... That's a Chewing Gum isn't it?!"


P.S.: Man hat schon davon gehoert dass in diesen Laendern hier alles fast umsonst ist. Das kann man zum Beispiel bei Maßanzuegen ausnutzen, indem man sich fuer 20 Euro zweiteilige Suits auf den Koerper genau schneidern laesst, wie's die Suennje tat. Oder aber, man legt richtig los, denkt sich die absurdesten Rollenspiel-Kostueme aus, kombiniert Vorhandenes, zeichnet auf, waehlt wie im Videospiel-Edit-Menue Stoffe, Farben, Taschen, Knoepfe, Schnitte, und taaa-daaaa, schon hat man fuer den gleichen Preis in 3 Stunden ein neues Larp-Outfit auf den Leib geschneidert. Meine neue Jacke http://zeitstromschipperer.de/uploads/eintraege3/masschneiderei2.JPG !
Hurr hurr, ich weiß, ihr hast mich alle...

Rosalie
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Do 17. Jul 2008, 22:06 - Beitrag #7

Phnom Penh

Endlich in einer Stadt, in der noch nicht mal Freunde von Bekannten von Freunden öfters reisen! Ich halte eigentlich nicht viel von Grenzen, und staatspolitisch gezogene Landesumrisslinien erschienen mir nie besonders vertrauenswuerdig. Und nun, Kambodscha, das viel kosmopolitischere englische Cambodia – lasst uns Kambodien sagen! Die erste kleine Hausmannsfreude dieses Landes, sich fuer einen Elefanten mitfreuen, der von seinem Herrchen eine ordentliche Wasserdusche bekommt! Nanu? Ein Elefant, der die Strasse entlang trabt, und dann stromern da Affen ueber Baeume und Palmen, auf der Suche nach Diebesbeute. Nur 130 Kilometer und eine Staatsgrenze, den Mekong River hinauf, und wir sind auf einem anderen Kontinent! Vietnam geht noch als "tropischeres China" durch, doch jetzt ploetzlich stehen wir gefuehlt vor den Toren Indiens. Hinduistisch anmutende Spitztuermchen, drogenflammende Antennentempel, gelbgewandete Buddhistenmoenche, und alle Leutchen haben eine viel dunklere Hautfarbe UND turnen mit Vorlieben auf irgendwas herum, fahrenden LKWs oder Zügen, Haeusern oder Lieferwagen – wie die erwahnten Äfflein. Was ist denn da los?

Vier Wochen unterwegs, da sind die Kulturschocks schon kleiner, selbst im alltagsfreien Leben richten sich Routinen ein, das teagliche Rucksack-Neupacken ist wie Zeahneputzen. Man muss zugeben, wir haben es endgueltig verabschiedet so ganz ganz anders zu sein als alle Touristen, das ist naemlich die schlimmste Touristenmasche.
In Phnom Penh gibt es ein, zwei Strassen, die fuer Reisende geschaffen wurden, der Lake District. Hoelzerne Guesthouses schwimmen auf Stegen im See, Sonnenuntergang ueber Party-Enklave. Die Sekundearwirtschaft leauft komplett ueber Dollar, mag sein dass Einheimische mit kambottischen Riel weit weniger zahlen, aber seitdem hier alles in Khmer geschrieben ist sehen wir eh nur kleine Wuermchen. Wir leben in einem Eiland der Duldung. Unser Manager, etwa mein Alter, lockt dafuer mit der Versprechung "good food, good drink, good smoke, everything here!", und ueberall in den Strassen steigen duftende Rauchwolken auf. Damit nicht genug, die tradtionelle Kueche arbeitet auch mit viel Hanf, da bestellt man "Happy Pizza", Happy Shake, Happy Burger, happy, happy, happy, auf Nachfrage extrahappy
– und Long Papers stehen auf der Speisekarte.

Wenn man auf dem Trip ist zu tun was alle tun, dann muss man hier auf die Killing Fields! Ein Monument ueber den Massengraebern, in denen das zu erwaehnende Rote Khmer-Regime 1973 bis 1979 einige Massenmorde an allen "Intellektuellen" des Landes veruebt hat, wozu einen schon Fremdsprachenkenntnisse oder eine Lesebrille adelten. Nun, man muss da wirklich hin, denn kaum verlaesst man die Behausung bruellen es einem die Tuk-Tuk Fahrer links und rechts in die Ohren, "Killing Field? Killing Field? You want Killing Field?" Ausschwitz, Ausschwitz, zum Ersten zum Zweiten!
Erwartet haben wir uns viel Propaganda, Wut und Schockeffekte, in Wirklickeit strahlt der Park um die Menschelschädelberge eine pietätsvolle Ruhe aus der fast an Antiklimax grenzt, aber ich wäre auch dagegen Birkenau-Besucher in Sträflingskostueme zu stecken und mit Spielzeug-Tasern zu erregen. In dieser Stimmung dort soll man wohl nachdenken, aber was soll ich da bitteschoen denken…


Als boeser Diktator wuerde ich mir die fanatischen Jubelrufe meines unterdrueckten Volkes sichern, die Nachbarleander unterwerfen, und meine florierende Wirtschaft auspressen – aber nicht ueber ein Drittel aller Meanner, Frauen, Kinder, und Nachbarn meines Landes einfach erschießen und erstechen lassen. Da fehlt jede Vergleichbarkeit und jedes Maß, keine Ideologie und kein Hass bleibt uebrig, ich bin nicht mal sonderlich betroffen. Ein Deutschland, in dem es nur noch Bauern und Dorfjugend gaebe, jede Realschulbildung Plus ausgemerzt, wie viele Generationen braucht es um sich davon zu erhohlen, wie lange bis wieder Buecher geschrieben werden… Die Ruhe des Parks uebertoent die Imbisbudengrills und die japanische Ticket-Verkaufsfirma.

In der Gegenwart, heute, hat Kambodien nur noch seine antike Vergangenheit, Angkor Watt. Angkor ist Kambodien, Angkor ist ueberall, auf Bier-Etiketten, Zigarettenpackungen, Speisekarten, Taxis... Sowie der schlimmste Stil-Missgriff des 20 Jahrhunderts, ein ab- oder nachgezeichneter Angkor-Tempel auf JEDER Kambodischen Nationalflagge! Nein, solche Logos denken sich 12jaehrige fuer ihre selbst erfundenen Superhelden-aus...

Nachts zurueck im Lake District machen sich die Ausmaße unserer kleinen Insel bemerkbar – Gluehende Strassen zum Beduerfniskonsum, Goa-Bars, Happy Restaurants und Rooftop-Tanzfleachen schwimmen wie die Milchstrasse im All Kambodiens. Je weiter man sich tragen und ziehen laesst, von Licht-Plateau zu Licht-Plateau, desto mehr franzen die Raender aus und die Dunkelheit schlaegt sich Brechen heraus. "Guesthouse" wird zu Massage, zu Special Massage, und irgendwann sind die Lichter leergeblutet, in die dunkle, stromlose Nacht von Phnom Penh, wo ich nicht sein sollte. Bevor ich mich zurueck ziehen lasse, will ich Bier nachtanken, in einer Weltraumstation am Rande der Milchstrasse, im Fernsehen leauft eine japanische TV-Show. Ich bin mutig ueber beide Ohren und frage fast fluesternd ob man denn das Japanisch verstuende, und da laesst sich die Statistikfee fuer mich hernieder: Japanischer Vater, kambottische Mutter, wie wahrscheinlich ist das? Irgendwann habe ich diese Reise mal dreist luegend als Forschungsprojekt deklariert, aber gerade erinnere ich mich daran dass ich wirklich gerne etwas von Bedeutung hier schreiben wuerde, etwas besonderes, einzigartiges. Mir fehlen im Moment alle japanischen Grundbegriffe, fuer meine Altersnennung muss ich ernsthaft nachdenken, aber ich bin berauscht genug umk Alles fuer ein grosses Spiel zu halten.

Ich hole mir ein weiteres Bier und bleibe laenger.

Hier kommt mein Spider Jerusalem-Modus fuer diese Nacht. In Kambodscha geschieht gerade etwas, dass man als Zeitraffer der Generationengeschichte des 20.Jahrhunderts betrachten koennte. Auch in Europa vereandert sich gerade einiges, auch im Westen sehen wir Spuren davon, aber hier produziert sich gerade Geschichte mit Nachbrenner: Das Bloggen, hier Cambodian Blogging oder Clogging geduzt, vereandert das Bedeutungsmonopol im Land auf eine Weise, die von der Generation der Plus-30jaehrigen nicht mehr erfasst werden kann, weil da kaum einer mehr am Leben ist, der Mittelschule gemacht hatte, nicht Handwerker oder Farmer ist, oder vielleicht kaum Lesen kann. Jugendliche hingegen entdecken das Internet wie in jedem Land und schreiben sich ein neues Kapitel. Mir wurde erzeahlt, dass die Elite-Riege der Top10-Blogger hier Popstar-Rang genießt, alle Jugendlichen ihre Pseudonyme kennen und in kleineren Foren und Blogs mit- und weiter diskutieren. Die coolen Typen an der Ecke sind hier die, die die heißesten Texte online feuern, und Meanner aus Politik, Wirtschaft und professionellen Medien kommen nicht hinterher. Nicht selten bauen auch Frauen hinter ihren Online-Refugien an neuen Trends und politischen Gefechten mit. Und die coolsten und stilbildensten Typen, die von allen beobachtet und nachgeahmt werden, das ist die kleine Elite der Ober-Geeks, die ihre Blogs auf Englisch verfassen. Sprache schafft Schlupfloecher und Paleaste, stellen wir fest, auf Japanisch.

Ich laufe davon, stuerze zu einem Internet-Café, und beginne mir selbst eine Mail zu schreiben, ueber deren Inhalt ich am neachsten Tage staunen werde! Wie eine Rakete verlaesst sie das tiefe lichtlose Tal meiner Trunkenheit, in der es keine Inseln gibt.

Rosalie
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Mi 23. Jul 2008, 20:19 - Beitrag #8

Angkor Wat ... oder naht die Erleuchtung?

Angkor Wat! Eines der siebzehn Weltwunder, Kultstaedte, und Ziel von Generationen von Reisenden. Zwei Probleme: Erstens, wenn man mal da ist kann man vor Allem doch wieder nur Fotos machen. (Damit haben wir ein Unterproblem, ich will es 1a nennen, zu dem wir speater kommen). Oder einen rauchen. Damit sind wir bei zweitens: Weil jeder irgendwas ueber Angkor Wat zu sagen hat (gewaltig, inspirierend, erleuchtend, prophetisch) lassen wir das einfach. Bilder findet man ja zum Beispiel im Internet. Stattdessen wollen wir den 60erJahre-Hindu-Psychodelic-Charme des ganzen zum Anlass nehmen, heute nicht von Aussen zu berichten, sondern von Innen. Alas, from here on Gonzo:

S.: Und alles was wir sagen wird bald vergessen - wird der Unendlichkeit dargegeben sein!

L.: Ich bin mir gerade gar nicht so sicher, ob ich in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft bin. Oder kannst du mir das beweisen?



S.: Ich habe das nicht vergessen. Ich habs nur in meiner Erinnerung uebersehen.



Lukas lernt Haare flechten (Ist man am Ruecken, ist man schon halb am Popo).

“Und was mach ich jetzt mit dem Ende? Nen Knoten?”

.: Der Mond wird immer groesser. Und immer orangener. WIE IN SCHWEDEN!



“Lukas, du wirst immer schlauer, wenn du Kamele reitest und ich werd immer duemmer.”

“Na, dann treffen wir uns in der Mitte!!!”

“Warte… warte… das war gar kein Witz! Das war… sehr schlau!”



Lukas faengt ploetzlich an, an Suennjes Arm herumzuschmatzen.

S.: “Na, schmeckts?”

L.: “Das hoert sich jetzt vielleicht komisch an… aber ich grad so nen komischen Geschmack im Mund, den wollt ich weg kriegen.



S.: Also dieses Wasser, ich sag dir. Das riecht wie altes Gras, oder wie bei Oma aufm Dachboden und schmeckt auch so.



Lukas’ Schultern druecken sich von Innen gegen seine… Schultern.


Lukas hat das Problem eines Sonnenbrandes IN seinen Gehoergaengen. Wie kleine warme Stifte in den Ohren. Stecken bis zur Schnecke. Das hat aber nichts mit den blinkenden Ohren von gestern zu tun.



S.: Ich kann auch in der Lunge Spass haben.



L.: Suennje? Suenje???

S.: Hmmmmrr!?

L.: Oh mein Gott, wie du aussiehst! Wie vor der totalen Erleuchtung! Das muessen wir ausnutzen, sag mal was!

S.: Wie seh ich aus?

L.: Wie Buddha, bevor er die hoechste Stufe der Erkenntnis erreichte.

S.: Oh, der Arme!

S.: Lukas, du hast ja gar keine Fahne von gestern!
L.: (gewitzt) Da ist jetzt ja auch Kamelparfum drueber.


S.: (panisch!) Das ganze Logbuch ist leer! Bis zum Anfang!
L.: Na dann dreh's doch mal richtig rum...




L.: Das muss jetzt ein staendiges Protokoll sein her!
S.: Na, solang du dich an was erinnerst, mir ist das schleierhaft.



L.: Also der Grund ist… ach shit. Darf man eingebildete Fakten zur Begruendung verwenden? Ich wollt jetzt grad auf meine Wolkenburg verweisen.



S.: Wir packen unsere Rucksaecke oefters als wir Zaehneputzen und beides geht gleich schnell.



L.: Also DAS sollte mal bei geoeffneten Fenstern aus dem Bundestag gerufen werden:
“Ein jeder baue an, soviel er nur kann!”

---------








Unterproblem 1a:

Gerade als wir der Erleuchtung so nahe waren wie Buddha der Versuchung schlug das Schicksal zu und sand Lukas einen Boten. Eine handtellergrosse haarige Indiana Jones-Spinne, zum ersten Mal seit drei Jahrhunderten in Freiheit. Freiheit kann seltsame Formen annehmen. Fuer manche ist es eine Revolution, ein Joint, oder die Schenkel einer schoenen Frau. Fuer eine Spinne in Angkor Wat war es Lukas' Oberarm. Schreck, Panik, Kamera fliegt, Schnitt. Von daher, nun, leider keine Bilder mehr. Schade. Aber da Texte ebenso wenig Realitaet enthalten muessen wie Uhren Zeit, sondern ihre Gegenuebers allenfalls bemessen (Nebengrund: Drogen) machen wir unsere Fotos einfach im Kopf. Das geht.

Etwa so:


Foto 1: Makro-Modus, Grossaufnahme, Termiten. Dutzende von kleinen Termitenkoerpern marschieren teils geordnet, teils fallen sie etwas chaotisch eine Wurzel hinab. Ihre Koerper glaenzen schwarz poliert, zwei kleine Beisszangen zucken am Kopfende. Beissgeraeusche.

Foto 2: Sonnenuntergang Angkor. Suennje liegt vor mir auf den warmen erdfarbenen Steinen auf dem Bauch, wartet auf das Verschwinden der Sonne. In ihrer Hand glimmt ein Kamel, unter ihr der Dschungel, Palmen, bizarre Steinformationen, Kuehe. Sie fragt mich ob ich mir vorstellen koennte wie es sich fuer Kuehe anfuehlt mit dem Steissbein zu wedeln.

Rosalie
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Mo 28. Jul 2008, 17:18 - Beitrag #9

Bangkok

Nun erzeahl mir Dein Bangkok. Darum geht es doch, und es bedeuted so viel mehr...
Die lange, geistige Anreise auf die andere Seite. Durchs Niemandland China, den Dschungel von Vietnam und Kambodien, auf die andere Seite von Asien, die andere Seite von Reise, vom grossen 'Wir'.
Erzeahl mir von Deinem Bangkok, doch wie soll es meines sein, zu viele Bilder sind schon vorgemeisselt, nicht wahr? Wir koennen Malen-nach-Zahlen spielen, ich habe alle Buntstife die man sich wuenschen kann angesammelt. Dann steht hier, dass unser erstes Erwachen, verkatert und vollgepumpt, im Zimmer mit einem nackten Paerchen und Japanerinnen und Polinen in halb-bemuehter Unterwaesche stattfand, so klingt das dann. Aber damit muss ich kurz auf mein Gehirn zu sprechen kommen, ein vortreffliches Spielzeug! Allerdings hat es soziale Nebenwirkungen, etwa dass die Anderen lieber mit Deinem als mit ihrem spielen. Und sie wollen dass Du staendig das gleiche spielst wie sie. Nun, 'rationale Vernunft' zum Beispiel ist ein heiteres Konzept, wie uebrigens auch Halma, aber manch einer will lieber Schach, Twister, Strip Poker oder russisches Rolett mit seinem Gehirn spielen (oft: In Bangkok). Das Problem dabei ist, dass das Gehirn, die alte Socke (uebrigens das Koenigsorgan des menschlichen Koerpers - behauptet zumindest das Gehirn), dass das Gehirn zumeist seine eigenen Spiele mit Dir treibt und in Richtungen marschiert die mit der Aufgabenstellung (heute: Text ueber Bangkok) nur marginal zu tun haben. Siam's gonna be the witness of the ultimate test of cerebral fitness. Ich will nun versuchen es zu ueberlisten, den alten Krawallbruder Gehirn, und ein synaptisches Hussarenstueck versuchen:

Zum Thema Bangkok ist es so, dass es leider einmal gar keinen Satz gibt, in dem "Bangkok" vorkommt, den man nicht irgendwie rechtfertigen koennte. Bangkok leuchtet im Dunkeln; Bangkok hat Boris Jeltzin nackt gesehen; Bangkok hat die Extraportion Milch. Bangkok ist nur echt mit Gimmick; Bangkok ist nicht Wahnsinn, Bangkok ist Sparta; Bangkok hat voraussichtlich zehn Minuten Verspaetung und dankt ihnen fuer ihr Verstaendnis; Haette Bangkok damals nur auf mich gehoert, dann wuerden all diese Kinder heute noch am Leben sein; Bangkok ist stolz darauf Mitglied des Westwärts-Teams zum sein.

Ueber all diesem Trubel wacht Thailands beliebtester Comicheld, der Koenig von Siam, seine Majestaet Rama der Neunte. Meterhohe goldgerahmte Foto-Panels zeleberieren an jeder grossen Strasse die Best-of-Momente des knuffigen Heroen. Rama der Neunte und seine neue Krone! Rama der Neunte trifft den blinden Heiligen! Rama der Neunte beim Militaer! Rama der Neunte und die Juwelen der Saengerin, Rama der Neunte und der Schatz Rachams des Roten... Irgendwo muss es die Strasse mit der Galerie der wilden Jugendjahre geben, also laufe und suche ich weiter. Laufen muss gar nicht sein, denn links und rechts rufen die Tuk-Tuk-Faher "Hey Man, where you going?" (Englische Uebersetzung: "Can I drive you somewhere?") und Tuk-Tuk Fahren geht neuerdings umsonst, denn "I drive you free, show you good store, just looking!". Mein neues Hobby, Scam-Surfen, all die Betrugsversuche mitnehmen die Wikitravel.com als Landesspezialitaeten erwaehnt, denn auch hier gibt es mehr als eine Moeglichkeit wie das ablaufen kann. Ich war ja selbst enttaeusch genug, dass man mir keinen Massanzug in Marsupilami-Farben schneidern konnte, zahlungswillig war ich wohl! "Are you kidding me?!? I was driving through half the town and now you can't do that? NO, NOT TIGER, for heaven's sake, MARSUPILAMIAN VELVET!!!" Schwieriger wird es, die "Free Show" bei den roten Lichtern zu ueberlisten. Mein Gehirn schleagt vor, "I want to hear from the manager that it's free, can you bring me to him?" (aber vom Gehirn wurde ja schon gesprochen). Managerin kommt, kleine gelbe Plastikplakette in der Hand: "Beer 100 Baht, Looking free", nice! Beim Bezahlen eine Rechnung von 1000 Baht.
"Looking is 900 Baht, Sir!"
"Oh no, it certainly isn"t."
"That's the price, you don't make us trouble, do you?"
"Go away, talk to the manager!"
"I am the manager, Sir!"
In ihrer Hand eine klein gelbe Plastikplakette, Beer 100 Baht, Looking 900 Baht. Raffiniert! Verdammt raffiniert! Zu allem Ueberfluss sieht die neue Managerin aus wie die alte, nur mit anderem Haarschnitt. Klar, ich bin in Siam. "So we got both tricked by that evil twin of yours..." Can't be too careful with your company. NAber niemand bringt gerne Ausleander um, das macht den Fluss noch schmutziger, also kann man verhandeln, 200 Baht, 400 Baht... Tage habe ich gebraucht, um zu kapieren dass die nicht dauernd von "Bucks" reden...

Trotzdem sind irgendwann Bahts und Bucks und Kroeten alle weg, Freundin auch weg, im Hintergrund leauft die Thai-synchronisierte Version der Trapp-Familie, und wo bin ich ueberhaupt? Ueber der Autobahntrasse zwischen den Hauesercanyons leuchtet mir seine Majestaet Rama der Neunte in Bergsteigerkluft mitfuehlend entgegen, gut genug. Strahlt wie ein Rennaisance-Cherub, der vom Heiligenschein der Madonna genascht hat. "Hey Man, where you going?" jodelt er mir durch den Regen hindurch hinunter. Antworten mag ich aber nicht, der will mich bestimmt auch nur auf seinen Berg mittuckern, ausserdem faellt mir auf dass ich die Antwort schon lange nicht mehr kenne. Und dann dieser Regen... Schottischer Regen ist ja wirklich respektabel, aber ich glaube nicht dass Bangkok-Regen seine Toechter mit ihm verheiraten wuerde. Zum Glueck bin ich nicht der Einzige, der da mit klebenden Kleidern barfuss in den Pfuetzen sitzt, es gibt ja auch noch Frauen mit solchen Shirts, die sich fuer Koalabaeren am Eukalyptusbaum halten. Regenzeit ist's, sagt man... You are talking to a tourist whose every move's among the purest.

Zu allen Teufeln aber gibt es Heilige, gerade in Bangkok. Stumme Waechter in orangenen Gewaendern, in allen Zwischenzonen, in den Gassen. Die Moenche, fuer die die letzten Reihen in Bus und Boot reserviert sind, die in jeder Strasse auf und ab gehen. Auf einem Schiff entbrennt ein hysterischer Streit zwischen einem Thai-Paerchen, es fliessen Traenen, Schreie. Die Moenche in der letzten Reihe stehen schweigend auf, gehen nach Vorne. Legen die Haende auf die Schultern der Streitenden, gesenktes Haupt, Zeit haelt an. Gaensehaut, Wim Wenders muss hier gewesen sein, eine Action-Szene fuer die sich jeder Rollenspieler ein Bein ausreissen wuerde. Nichts wird mir geschehen, solang die Moenche hier sind! Not much between despair and extasy.

Nun erzeahl mir Dein Bangkok in unter 25 Woertern.
Bangkok, Hauptstadt Thailand, in Thai-Sprache 'Krung Thep', Stadt der Engel, 11 Millionen Einwohner, vereint Gegensaetze.
Hm, vier Minus, setzen!
Darf ich's nochmal versuchen?
Gerne, gerne...
Fuer den reisenden Romantiker bist Du das Venedig des Orients, am Abend, in der Nacht zeigst Du Dein wahres Gesicht als gewaltteatig-alkoholischer Stiefbruder Amsterdams.
Besser, Zwei Plus.

"Well, we didn't come her for the rubble certainly", sagte einer, fair enough. Um sein eignes Bild zu malen, seine eigene Geschichte zu erzeahlen, muss man tiefer und weiter hinunter. Damit ein Ort eine kleine Station Deines Lebens werden kann, eine eigene Note in deiner Partitur, muessen Klischees von innen gesprengt werden, wie der Meteor von Bruce Willis, mit ebvensoviel Popsong-Pathos. Massage-Paleaste nahmen mich auf im Morgengrauen, mein Geld wurde mir gestohlen in der Nacht... Partnertausch-Angebote wurden gezueckt, tintegefuellte Klingen gruben unter der Haut, Opium glomm, fluessige Neonfarbe lief ueber wogende Feuchtkoerper, Hut fuers Leben wurde gefunden, und halbverhungerte Strassenhuren haiku-en links und rechts durchs Bild. Bangkok. Thank god I'm only watching the game, controlling it. Brandungen, die blass an Deinen Klippen zerschellen, weil Du vorbereitet warst unvorbereitet zu leben. Aber Du hast die troepfelnde Erosion vergessen, die auch Bangkok ist, denn da gibt es noch so einen Satz: Was in Bangkok stirbt, stirbt nicht mit einer Detonation, sondern mit einem Fluestern. Vielleicht sollte ich mal mit einem Moench hier darueber reden... Wir werden nicht in den Klischees anderer Leute bleiben, wenigstens. Es heisst, wer nach Amsterdam geht, muss eine Sache zuruecklassen. Nun, wer hierher kommt, darf vielleicht nichts mitbringen. Wie ein Opiumtraum im Sommer ist diese Stadt zu uns gewesen, ein Traum der wie ein deutscher Schaeferhund in der Hitze nicht gut auf konkurrierende Artgenossen zu sprechen ist. Ich kann Anfang oder Ende sein, aber denke nicht Du kommst hier durch ohne mich zu unterhalten, sprach Bangkok, und ein Werbeplakat kommentiert ironisch
"it's not where you go - it's who you meet!"

Und dann, Kamerad, frag Dein Lieblingsspielzeug Gehirn, angeblich der Rama Neun des menschlichen Koerpers, was es dazu zu sagen hat... dann weisst Du wer hier der Spielleiter war.
Es war ein langer gemeinsamer Weg, westwärts, auf die andere Seite.
Der Weg ist nicht hier, er fliesst in unseren Adern. Und er schafft Vertrauen in eine weitere, andere Seite, mit noch mehr Popsong-Passion und neuen Brandungen.

Jede gute Reise sollte enden, wie sie nie geplant war.
Und größer werden.


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Di 5. Aug 2008, 17:19 - Beitrag #10

Thailand

Nun reist Lukas´Freundin alleine weiter und berichtet:


Auf Kho Pangan locken angeblich die schoensten Straende der Welt. "Don't go to Phuket", so wurde ich gewarnt. Dort schluege man Profit aus der Tsunami-Katastrophe. Aha. Dann also lieber ab auf die Insel.
Mal ehrlich: wenn ich von thailaendischem Strand rede, wer hat da nicht sofort unzaehlige Bilder vor Augen? Genau! Durch das Fernsehen kennen wir schon alles, glauben wir jedenfalls. Tatsaechlich aber kennen wir nur die Highlights, das Best-of. Somit KANN der Urlaubsort unseren Vorstellungen nicht gerecht werden. Und so laeuft es dann auch: "Den Strand habe ich mir aber breiter und laenger vorgestellt.", "Das Wasser ist ja viel zu warm!", "Mann, ist hier alles teuer.","Kaum Muscheln zum Sammeln", "Keine Wellen, langweilig."

Erst auf den zweiten Blick erchliesst sich einem die wahre Schoenheit der Natur. Das klare tuerkise Wasser, kleine Wasserfaelle, hunderttausende von Palmen (alle mit dicken Kokosnuessen beladen, die jederzeit hinabfallen koennen. Man schwebt also staendig in Lebensgefahr hier) und dann endlich auch die perfekte Muschel. Mann muss sie nur dort finden, wo sonst keiner sucht.




Inzwischen reist man allein, was zur Folge hat, dass man ueberall gefragt wird, wie alt man ist und ob man einen Freund dabei hat. Geredet wird weniger mit mir als mit meinen Bruesten und meinem Hintern. Dauer erfolgt beim Gute-Nacht Gruss des Oefteren die Frage, ob ich noch einen Bettgefaehrten suche.

Nein danke! Haettest du auf mein Gesicht geschaut, haettest du auch gemerkt, dass ich gerade ehrlich gesagt keine Lust auf Gesellschaft habe.Und waum glaubt hier jeder, dass ich Unterhaltung brauche, sobald ich irgendwo fuer einen Moment allein lese, Musik hoere, Billiard spiele oder schreibe?
Doch trotz aller Ablenkungbleibe ich allein in diesem Urlaubsparadies, wie gewuenscht. Jeder Meter Strand in der Dunkelheit erinnert an den Grund, weshalb ich eigentlich diese rote Decke dabei habe. Jede Kerze auf dem Tisch in der Strandbar laesst mich an Romantik denken, wie man sich das mal vorgestellt hat. Jedes Erleben, jede Besonderheit bedeutet vor allem, dass ich sie nicht teilen kann. Alles bleibt im Kopf und man erinnert sich allein daran zurueck. Und trotzdem gewoehnt man sich an diese Gedanken, wie an ein neues Paar Schuhe, das man mit der Zeit immer mehr lieb gewinnt. Und wo am ersten Tag nur alles in mir stumm ist, wird ab da der Geist klarer und mit jedem neuen Tag gibt es mehr Freude und ich werde nach und nach rein.


Dank eines guten Tipps bin ich im Reggae-Village untergebracht. Hier gibt es alles was das Herz begehrt, sogar den total verpeilten Besitzer Mr.Lek, der aus ganz unverstaendlichen Gruenden immer sehr gut drauf ist und mich staendig auf seinem neuen Motorrad ueber die Insel kutschieren will.

Man hat vor allem Zeit hier, wenn man sich nicht gerade den Mondsuechtigen anschliesst, die heute zur Half-Moon Party (oder sonst zur Full-Moon oder Black-Moon Party) gehen. Sogar die Bewohner hier scheinen nie zuviel zu tun zu haben. Es gibt hier soviel Zeit fuer jeden wie Sand am Strand: unendlich viel.

Unglaublich viele Menschen kommen jaehrlich fuer ein paar Tage Urlaub hier her und bleiben fuer immer. So wirkt die Gesellschaft so, wie ich sie mir auf Jamaika vorstelle. Alle haengen den ganzen Tag
nur herum und verpassen ihr Leben. Oder sie finden dessen Sinn in ihrer Haengematte, unter Palmen.



Rosalie
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Di 19. Aug 2008, 15:36 - Beitrag #11

Kuala Lumpur

Eigentlich ist Kuala Lumpur eine Stadt zu der man kein Bild hat. Es gibt keinen Mythos KL, keine Geschichten, keine Erwartungen.

Vielleicht kommt das durch das unglaublich heterogene Gesicht Kuala Lumpurs. Nichts laesst sich hier auf eine Wahrheit beschraenken und keine Maxime hat alleinige Gueltigkeit. Ich bin in einer Stadt, von der ich keine Ahnung haben wuerde wo ich bin, wenn ich es nicht schon vorher gewusst haette. Hier leben mehr Chinesen als Malaien. Dazu kommen Inder, Araber und Bewohner der umliegenden Laender. Es gibt genauso viele Buddhisten wie Muslime, ein paar Christen und Hindus.
Sieht man an der einen Ecke noch eine Chinesin im kuerzesten Rock der Welt, stolpert man 10 Meter weiter ueber eine Gruppe junger Inderinnen in Saris gekleidet. Dahinter, nicht allzuweit entfernt sitzt die muslimische Mutter, sie traegt eine Burka. Ausser ihren Augen ist ihr gesamter Koerper verhuellt. Ihre schwarz behandschuhten Finger streicheln durch das Haar ihres schlafenden Sohnes.



Die Bevoelkerung hier ist noch nicht ganz auf die modernen Neuheiten eingerichtet, die immer mehr Einzug halten: so wird fuer manche das Besteigen der Rolltreppe zu einem riesen Abendteuer und nach mehreren erfolglosen Versuchen draufzuspringen und sich krampfhaft am sich bewegenden Gummigelaender festzuhalten, stehen die Fuesse endlich "zwischen den gelben Streifen", ganz wie es auf der Anleitung steht.
Nach und nach werden auf oeffentlichen WCs die Loecher in den Boeden durch moderne Toiletten wie wir sie kennen ersetzt, oft noch mit dem Hinweis, dass die Brillen nicht fuer die Fuesse zum darueber Hocken, sondern zum Sitzen gedacht sind.

Ein wirkliches Muellentsorgungssystem wie wir es in Europa haben, gibt es hier noch nicht. In ganz Asien wird der Abfall vor den Tueren auf den Strassen gelagert, ab und zu zusammengefegt und irgendwann abgeholt. Das healt die vielen Kakerlaken und Ratten am Leben. Nie jedoch sah ich so viele und so grosse, wie hier. Im naechsten Block allerdings erstrahlen die maechtigen Tuerme des Petronas-Gebaeudes, eines der hoechsten der Welt, das im Dunkeln aussieht wie eine strass-besetzte Sandburg, so sehr funkelt es. Es ist unglaublich beeindruckend und bildet wohl den Hoehepunkt des Aufenthalts, auch wenn Besucher nur auf die Skybridge duerfen, die beide Tuerme miteinander verbindet.



Als Europaer wird man nicht so freundlich als Exot behandelt, sondern eher wenig beachtet. Gleichzeitig fuehlt man sich trotzem nicht so integriert, wie es in Hong Kong der Fall war. Denn gerade von den Maennern wird man angestarrt und angesprochen. Viele Telfonnumern darf man sich als Allein-Reisende aufschreiben, aber nie wird man unhoeflich behandelt, uebergangen oder als Objekt betrachtet. Jeder respektiert meinen eigenen Willen, ein Nein, oder eine klare Ablehnung. Eine Haltung, die in Deutschland nicht selbstverstaendlich ist.
Und trotzdem, trotzdem schaffe ich es nicht, Kuala Lumpr ein eigenes, individuelles Gesicht zu geben. Durch die Mischung aus alt und neu, verschiedenen Religionen und Bevoelkerung, hat es eben nicht nur eins, sondern ganz viele.




Kuala Lumpur ist die letzte Station der Asienreise. Heute heisst es Abschied nehmen. Nach 2 Monaten. Ein wenig Melancholie kommt auf, gerade wenn man den Weg betrachtet, den ich und wir zurueckgelegt haben. Aber ich freue mich noch mehr auf das Stueck absehbare Zunkunft, was noch vor mir liegt. Es ist sicherlich zu frueh ein Fazit aus der Reise zu ziehen. Aber es darf angedeutet werden, dass kein Tag bereut wird. Und dass das Ziel, sich auf eine Rueckkehr nach Deutschland zu freuen, erreicht wurde, egal wie dann die Anfangszeit wird. Mit jedem Tag stebe ich nun weiter heim und mit jedem Tag wird die Freude darueber groesser.

Aber erst geht es nach Istanbul, um weiter Haart zu bleiben.



Rosalie
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Fr 3. Okt 2008, 20:57 - Beitrag #12

habe gerade festgestellt, dass der letzte Beitrag der Rückreise, der kurze Aufenthalt in Istanbul, hier noch gar nicht steht. Will dies hiermit nachholen:

Istanbul bedeutet für mich das Ende des Backpacker-Lebens. Morgens macht mir jemand Kaffee, ich esse Müsli zum Frühstück und gehe abends mit Freunden aus. Ich bin nicht mehr anonym in einer Stadt, in der ich mein Zimmer nur zum Schlafen benutze und den Rest des Tages draußen verbringe. Mein Zuhause ist Annas Studenten-WG, der Hund freut sich, wenn ich nach Hause komme und ganz selten mache ich auch mal den Abwasch.
Anna ist keine oberflächliche Reisebekanntschaft, mit der ich über Stempel im Reisepass rede. Sie ist eine Freundin und kennt mich seit etwa 13 Jahren. Wir lachen und reden und können auch einfach mal die Klappe halten und eine halbe Stunde schweigend nebeneinanderher laufen. Der Wert einer Freundschaft, das erfahre ich nach dieser langen und doch kurzlebigen Reisezeit, kann einfach nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Hier entdecke ich die Stadt nicht, sondern sie wird mir gezeigt. Deshalb kann ich mir kaum die Namen der vielen Orte und Plätze merken. Dafür ist es umso erfreulicher zu sehen, wie Anna hier inzwischen zurecht kommt. Selten habe ich jemanden mit so leuchtenden Augen und einer solchen Liebe von einer Stadt erzählen hören. Dabei geht es weniger um die Menschen (die natürlich auch), als um die Stadt selbst, die sie sich zu Eigen gemacht hat. Vor einigen Wochen kamen diese Emails von ihr, in denen klar wurde, dass sie verliebt ist. In welchen Mann, fragte ich mich damals.

Mein Verhalten in der Öffentlichkeit ist hier komplett anders als in Asien. Mein Blick weicht anderen eher aus. Zuviel könnte als Aufforderung zum Ansprechen verstanden werden, In Asien dagegen begegnete ich den Menschen mit offenem geraden Blick und sah in ihren Gesichtern das Lächeln, das mein eigenes spiegelte. Hier denken Männer schnell, dass ich sie heiraten will, wenn ich nur nach dem Weg frage. Will ich aber nicht. Es ist also nicht schwer Männer kennenzulernen, auch wenn die Meisten freiwillig eher darauf verzichten. Und wer daran interessiert ist auch mit Frauen ins Gespräch zu kommen, der gehe in einen Hammam, ins türkische Dampfbad, in dem man mit anderen Frauen nackt und ungezwungen beisammen ist und es sich richtig gut gehen lässt. Dadurch, dass man dort massiert, gewaschen und gepeelt wird, ist man hinterher garantiert sauberer als nach einem Besuch im Onzen (japanisches Bad), aber man fühlt sich genauso gut.

Wie symbolisch ist es, dass Istanbul die Schnittstelle zwischen Europa und Asien ist. So ist diese unglaubliche Stadt die perfekte Abstufung gewesen, um schrittweise in Europa anzukommen.Und morgen ist es also vorbei mit der großen Reise. Ich fliege wieder nach Deutschland und das neue Projekt beginnt.
Mission: Baue dir ein ziemlich cooles, ziemlich neues Leben.


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