Bio-Schweinerei

Der Kaktus auf dem Fensterbrett und der bedrohte Regenwald, Haustiere, die uns zu Kühlschrankbutlern erziehen, Wildtiere, die ihre Lebensräume verlieren, Reisen in die Einsamkeit und Erkundungen von Städten.
Lykurg
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Mi 28. Jan 2009, 20:30 - Beitrag #1

Bio-Schweinerei

Gestern las ich eine interessante Stellungnahme eines 'Anwenders' zur Bio-Haltung von Schweinen, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Spannend fand ich neben der Sache an sich (dem generell schlechteren Gesundheitszustand der Bio-Schweine, der auch mit höheren Medikamentdosierungen nicht verbessert werden kann) besonders auch seine Anmerkungen zur Lobbybildung innerhalb der Bauernschaft, auf der anderen Seite aber auch den fehlenden Bezug der Konsumenten zum Vieh, und den damit verbundenen falschen Vorstellungen.
Als Städter bin ich verunsichert. - Besteht Handlungsbedarf, und wenn, in welcher Weise? Erweiterte Kennzeichnungspflicht "Vorsicht, Bio!"? Bild Oder 'einfach nur' rechtzeitige diesbezügliche Aufklärung in der Schule?

Sley
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Mi 28. Jan 2009, 22:05 - Beitrag #2

Das ist wirklich mal etwas anderes, als man sonst immer liest. Biofleisch wird in der Regel immer in den Himmel gelobt, es gäbe nichts besser etc.

Allerdings empfinde ich allgemein das Thema 'Bio' oder nicht sehr überzogen. Wenn man kein 'Bio' kauft, wird man teilweise angemeckert. Wenn man es kauft als 'Öko' abgetan. Richtig Bio ist sowieso nicht möglich, meiner Meinung nach. Das Grundwasser, sogar die Luft - überall sind Schadstoffe. Es geht nicht, dass eine Pflanze nicht mit diesen Schadstoffen in Kontakt kommt. Wenn man wirklich richtig 'Bio' bzw. gesund leben wollte - müsste man die Luft anhalten.

janw
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Mi 28. Jan 2009, 22:27 - Beitrag #3

Ich denke, da ist einiges schief gelaufen, was nicht hätte schieflaufen müssen, und leider ist die Blockbildung und der gegenseitige Neid unter den Bauern vielleicht hierfür gerade förderlich.
Das Hauptproblem scheint so auf den ersten Blick bei den Pilzen zu liegen. Gerade in feuchten Mittelgebirgslagen können Pilzinfektionen im Getreide massiv werden, und wenn keine Fungizide eingesetzt werden dürfen, ist dies sicher ein Problem. Hierzu würde ich allerdings fragen, wie es sich einerseits mit ökologischen fungiziden Präparaten verhält, und auf das Stroh bezogen, warum er zumindest beim Futtergetreide mit der Ernte so lange gewartet hat.
Auch wäre zu fragen, ob er pilzresistentere Sorten eingesetzt hat.
Hinsichtlich des Futters spricht er zunächst von Weizen und Gerste, plötzlich taucht dann aber Mutterkorn auf, das nur auf Roggen vorkommt. Das Mutterkorn hätte er also nicht haben müssen.
Mit der Eiweißquelle ist es sicher ein Problem, da es nur sehr begrenzt ökologisches Soja gibt. Ackerbohnen und Kleie usw. waren da eigentlich immer das Futter der Wahl.
Was diese Abferkelbuchten betrifft, weiß ich nicht, ob diese generell oder nur in bestimmten Bio-Systemen verboten sind, weshalb und wie mit den Konsequenzen umgegangen wird, auch welche Alternativen es gibt. Muss ich mich mal erkundigen.
Bleibt für mich die Frage nach der Wahl der Sorten. Hat er Hybridschweine gehalten, die speziell auf die hochhygienischen konventionellen Haltungssysteme hin gezüchtet worden sind, oder Rassen, die gesundheitlich robuster sind, dafür eben aber längere Mastzeiten benötigen?
Hinsichtlich des Zitats
Wenn Schweine Bionahrung so schlecht vertragen, warum sollte sie gesund für Menschen sein?
ist zu sagen, daß es eben um Verunreinigungen des Futters mit Pilztoxinen ging, welche nicht notwendig so auftreten mussten. Nach dem Lebensmittelrecht gehören die Pilztoxine zu jenen Substanzen, deren Gehalte überwacht werden müssen. Insbesondere bei Nüssen kommt es hier, unabhängig ob konventionell oder ökologisch, immer wieder mal zu Überschreitungen. Lässt man den Punkt beiseite, frage ich mich, welche Giftstoffe sich denn über die längere Haltungsdauer hinweg anreichern sollen - bzw. wie sich das mit der Existenz von Pestizidrückständen im konventionellen Futter verträgt, die selbstverständlich ihren Niederschlag in den Geweben der Tiere finden.
Abschließend bin ich etwas verwundert, daß erst der Tierarzt auf die Mutterkornpilze gestoßen ist, die sind dermaßen auffällig, daß sich mir hier ein gewisser Kenntnismangel des Bauern aufdrängt.
Insgesamt für mich mehr Fragen als die biologische Tierhaltung infragestellende Tatsachen.

@Sley: Geschmacklich macht es oft schon einen Unterschied, die längere Mastdauer wirkt nicht unbedingt negativ. Bei Obst und Gemüse ist es IMHO nicht so eindeutig, auch konventionelle Landwirte kriegen da sehr leckere Sachen hin, immer eine Frage der Sortenwahl, der Wachsbedingungen und des Düngereinsatzes.
Letztlich geht es IMHO vor allem um die Folgen der Wirtschaftsweise, werden Boden, Wasser und Luft nur als Produktionsfaktoren verstanden oder der Boden als Lebensraum, den es zu pflegen gilt, wird das Futter mit allen möglichen Folgen in der 3. Welt angebaut und dann zu uns geschippert oder besteht ein regionaler Keislauf, sind die Tiere nur Rohstoff, der möglichst zeiteffizient zum Produkt zu werden hat, oder Lebewesen, denen mit einer gewissen Achtung zu begegnen ist, als Beschreibung der Extrempunkte.
Bei den Rindern des konventionellen Landwirts bei mir gegenüber ist die Sache mit der Achtung voll erfüllt, wirklich eine schöne Rinderhaltung dort. Wenn ich mir ansehe, daß in der industriellen Hühnerproduktion durch die Trennung in Legerassen und Fleischrassen alle männlichen Küken der Legerassen getötet werden, sehe ich nur noch rote Eier im Supermarkt.

Aber lass Dich bei Deiner Kaufentscheidung nicht davon beeinflussen, was andere reden, da ist so viel Stimmungsmache im Umlauf...

Maglor
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Do 29. Jan 2009, 17:51 - Beitrag #4

Ich finde das jetzt nicht überraschend. Ich selbst lebe ja in sogenannten Dritt-Welt-Verhältnissen, sprich ich halte zwei Rinder und zwei Schweine, vorwiegend zur Selbstvorsorgung. Früher (so vor 15 Jahren), als sich bäuerliche Landwirtschaft als Nebenerwerb noch lohnte, hielt meine Familie noch bis 80 Schweine.
Ich selbst bin der Ansicht das die sogenannte biologisch-dynamische oder ökologische Landwirtschaft sehr viel mit Ideologie zu tun hat. Ihre Produkte sind nicht grundsätzlich besser und gesünder. Was die Bio-Landwirtschaft der konventonellen allerdings voraus hat, ist der ideologische Unterbau, der mit Anthroposophie und Homäopathie für Nutztiere schon esoterische Züge trägt.
Der konventionellen Landwirtschaft gelingt es nicht aus ideologischen Wertvorstellungen Kapital zu schlagen.

Zitat von janw:Hinsichtlich des Futters spricht er zunächst von Weizen und Gerste, plötzlich taucht dann aber Mutterkorn auf, das nur auf Roggen vorkommt. Das Mutterkorn hätte er also nicht haben müssen.
Mit der Eiweißquelle ist es sicher ein Problem, da es nur sehr begrenzt ökologisches Soja gibt. Ackerbohnen und Kleie usw. waren da eigentlich immer das Futter der Wahl.

Dass Mutterkorn nur auf Roggen vorkommt, halte ich für ein Gerücht. (Vielleicht verstehen Biologen auch etwas anderes darunter als Landwirte?)
Was die Eiweißversorgung von Schweinen angeht, so wäre mit Sicherheit tierisches Eiweiß (Tiermehl? Fischmehl?) am artgerechtesten. Wildscheine ziehen ihr Eiweiß auch aus tierischer Kost ud nicht aus Hülsenfrüchten. Wenn es ihnen um artgerechte Ernährung von Schweinen gehen würde, müssten die Demeter und Bioland eben die Fütterung von biologisch-dynamisch erzeugtem Tiermehl propagieren!
Zitat von janw:Was diese Abferkelbuchten betrifft, weiß ich nicht, ob diese generell oder nur in bestimmten Bio-Systemen verboten sind, weshalb und wie mit den Konsequenzen umgegangen wird, auch welche Alternativen es gibt. Muss ich mich mal erkundigen.
Bleibt für mich die Frage nach der Wahl der Sorten. Hat er Hybridschweine gehalten, die speziell auf die hochhygienischen konventionellen Haltungssysteme hin gezüchtet worden sind, oder Rassen, die gesundheitlich robuster sind, dafür eben aber längere Mastzeiten benötigen?

Konkret geht es um solche Konstruktionen. Sie verhindern, dass die Dogge ihre eigenen Ferkel erdrückt. So kann die Dogge ihre Ferkel nicht an die Wand drängen, also auch nicht leicht erdrücken.
Bild
Das Problem ergibt sich aus der eher "unnatürlichen" Größe von ausgewachsenen Hausschweinen und der Tatsache, dass Platz nun mal begrenzt ist, auch in "Bio"-Ställen.
Das Problem ist tatsächlich ein Rasse-Problem, es betrifft aber tatsächlich auch die alten, speckreichen Landrassen wie Schwäbisch-Häller oder Angler-Sattelschwein.
Zitat von janw:Wenn ich mir ansehe, daß in der industriellen Hühnerproduktion durch die Trennung in Legerassen und Fleischrassen alle männlichen Küken der Legerassen getötet werden, sehe ich nur noch rote Eier im Supermarkt.

Das grundlose Töten von Tieren ist nach dem deutschen Tierschutzgesetz verboten. Die getöteten männlichen Küken müssen daher verwertet werden; sie werden an Zootiere verfüttert.
Mir ist nicht bekannt, dass die ökologische Landwirtschaft bei der Trennung von männlichen und weiblichen Einttagsküken anders verfährt.
Ob Freilandhaltung von Hühnern in 500er Gruppen in Hinsicht auf Hackordnung und Hygiene tierfeundlich ist, möchte ich bezweifeln. Hühnergruppen mit über 50 Tieren führen nach Erkenntnissen der Verhaltensbiologie zum Dauerstress; derartige artgerechte Gruppengröße kann die komerzielle Bio-Landwirtschaft aber nicht finanzieren.
Darum halte ich meine eigenen Hühner! Die fütter ich auch brav mit transgenem Soja. ;)

janw
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So 1. Feb 2009, 03:04 - Beitrag #5

Zitat von Maglor:Ich selbst bin der Ansicht das die sogenannte biologisch-dynamische oder ökologische Landwirtschaft sehr viel mit Ideologie zu tun hat. Ihre Produkte sind nicht grundsätzlich besser und gesünder. Was die Bio-Landwirtschaft der konventonellen allerdings voraus hat, ist der ideologische Unterbau, der mit Anthroposophie und Homäopathie für Nutztiere schon esoterische Züge trägt.

Nun, wenn es um Rückstände von Pestiziden geht und wenn es um eine Betrachtung der Auswirkungen der Produktion auf die Landschaft und die Lebensgrundlagen geht, waren die ökologischen Produktionsweisen bis in die 90er hinein den konventionellen überlegen - Entsorgung von Gülle in die Bäche, Landschaftsausräumung und Flächenvergrößerung auf Deubelkommraus, die Verwandlung von belebtem Boden in ein mineralisches Haltesubstrat sind Züge einer zur Industrie gewordenen Landwirtschaft. Seit dem hat sich allerdings im konventionellen Bereich viel getan, vor allem aufgrund der Einführung und Überwachung von Richtlinien (Gülleverordnung, Naturschutzvorgaben in der Flurbereinigung usw.), auch durch den Generationswechsel und verbesserte Ausbildung der Landwirte und nicht zu vergessen die verstärkte Überwachung von Rückständen in den Nahrungsmitteln.
Die Fehlentwicklungen wurden aber durch die Bewegung des ökologischen Landbaus zum öffentlichen Thema gemacht und der Weg geebnet für die Verbesserungen, die heute festzustellen sind (Mittlerweile haben sogar die Holländer begriffen, daß eine Tomate mit Aroma nicht krank ist). Auch wenn die Bewegung des ökologischen Landbaus sicher ein Sammelbecken für sehr unterschiedliche Strömungen war, ändert das nichts an der Berechtigtheit der Kritik an den konventionellen Systemen und der Notwendigkeit der Reformen.
Heute kann man zumindest in Deutschland die Frage stellen, was Ökolandbau hinsichtklich der Produktqualität bewirkt, hinsichtlich der Inhaltsstoffe schneiden Obst und Gemüse wechselseitig mal besser oder schlechter ab, und geschmacklich haben die konventionellen Produkte deutlich zugelegt. Wenn ich mir allerdings die hohen Pestizidrückstände in Waren aus Italien und Spanien ansehe oder sehe, daß Bananen und Kiwis fast billiger sind als Äpfel und Birnen, werde ich dennoch den Eindruck nicht los, daß überall dort, wo die Richtlinien nicht so streng sind oder eingehalten werden wie bei uns, der konventionelle Weg doch immer noch mit einem Berg an Folgen belastet ist, die eigentlich keiner wollen kann.

Dass Mutterkorn nur auf Roggen vorkommt, halte ich für ein Gerücht.

Stimmt, der Pilz befällt auch Weizen, seltener Gerste und Hafer sowie Wildgräser - mir stand nur der besonders auffällige Befall an Roggen vor Augen.
Der Landwirt spricht auch explizit von Roggen in dem Zusammenhang.
Letztlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen, wie er das Mutterkorn hätte zumindest deutlich verringern können - Hackfruchtanbau zwischen Getreide und Wegrändern, Beimischung von Bestäuberroggen und nicht zuletzt Reinigung in der Mühle.
Der Punkt hat nun wirklich nichts mit bio contra konventionell zu tun, sondern mit grundlegendem Gewusstwie.

Was die Eiweißversorgung von Schweinen angeht, so wäre mit Sicherheit tierisches Eiweiß (Tiermehl? Fischmehl?) am artgerechtesten. Wildscheine ziehen ihr Eiweiß auch aus tierischer Kost ud nicht aus Hülsenfrüchten. Wenn es ihnen um artgerechte Ernährung von Schweinen gehen würde, müssten die Demeter und Bioland eben die Fütterung von biologisch-dynamisch erzeugtem Tiermehl propagieren!

Nicht zu vergessen Molke und andere Molkereiabfälle.

Maglor
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Di 17. Feb 2009, 19:08 - Beitrag #6

Dass der ökologische Landbau Probleme aufgezeigt, will ich gar nicht leugnen.
Was die Pestizid-Belastung von Obst angeht, so ist das sicher ein Problem. Ich selbst zehre noch von deutschen Äpfel aus eigner Ernte, und das im Februar. Ich habe allerdings meine Zweifel ob diese schrumpeligen, teilweise vernarbten, mitunter wurmigen Äpfel dem verwöhntem Stadtkind von heute noch zuzumuten sind. Die meisten Menschen wollen zwar eigentlich Bio, wollen aber trotzdem glatte, saubere ud glänzende Äpfel, am besten frisch und ganzjährig, billig natürlich. Sprich, würde ein Supermarkt meine im Herbst eingelagertn Äpfel anbieten, würde sie wahrscheinlich niemand kaufen, möglicherweise weist jemand das Personal auf das abgelaufene Obst hin.
Naja, gut das in Südafrika, Chile und Neuseeland gerade Herbst ist. Von dort kann ja neuerdings auch Bio-Obst eingeflogen werden. :rolleyes:

Was ich aber eigentlich an dem ganzen "Bio" verurteile ist die esoterisch-ideologische Aufbauschung.
Zum Beispiel Herzberger, die Bäckerei von tegut:
http://www.herzberger.com
Die Wenigsten vermuten hier esoterischen Blödsinn.
Unter >Produktion wird auf "Das bewegte Wasser" hingewiesen. Tatsächlich bereitet dieser Konzern sein Wasser für die Produktion speziell zu. In einer Mischung aus anthroposophischer Zahlenmystik und der wirren Theorie von intelligentem Wasser. :rolleyes:


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