Wo sind die großen Geister?

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Padreic
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So 3. Aug 2003, 12:16 - Beitrag #1

Wo sind die großen Geister?

Jeder, der sich mit Geistesgeschichte beschäftigt hat, wird wohl darauf gestoßen sein, dass zwar aus früheren Zeiten viele große Namen überliefert sind, aber in der Gegenwart keiner von denjenigen, die als wirkliche große Geister gelten, noch lebt. Um das zu illustrieren will ich mal ein paar Namen nennen (ich will mich erstmal auf die Neuzeit beschränken, wenn natürlich in der Antike und auch im Mittelalter einige Namen zu nennen wären):
In der Mathematik gelten Euler (1707-1783) und Gauss (1777-1855) als die beiden größten, in der Physik würden als erstes wohl die Namen Newton (1643-1727) und Einstein (1879-1955) fallen, in der Musik Bach (1685-1750), Mozart (1756-1791) und Beethoven (1770-1827), in der Philosophie in der Philosophie Descartes (1596 - 1650), Kant (1724 - 1804) und Heidegger (1889 - 1976) etc. Natürlich könnte man noch einige weitere große Geister nennen, die zwar vielleicht nicht ganz das Niveau der genannten erreichen, aber trotzdem groß sind, wie z. B. in der Physik Galilei, Kepler, Maxwell, Planck, Heisenberg, Schrödinger, Bohr, etc., aber auch diese sind alle tot.

Nun stellt sich hier die Frage, ob es wirklich nicht mehr solche großen Geister gibt oder ob wir sie nur nicht mehr (oder noch nicht) erkennen. Bei manchen, wie z. B. Witten in der Physik, könnte ich mir vorstellen, dass wir sie irgendwann mal als große Geister verehren, aber das Problem mag auch sein, dass ein Laie heutzutage beispielsweise in der Physik kaum noch ansatzweise durchblicken kann, während man Sachen wie die Relativitätstheorie wenigstens noch recht gut intuitiv erfassen kann. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass es heutzutage wirklich so viele große Geister gibt, wie beispielsweise in der goldenen Zeit um 1800 rum, wo eben Mozart, Beethoven, Kant, Goethe, Schiller, Gauss etc. lebten. Sowas würde dann doch auffallen, jedenfalls waren diese schon zu Lebzeiten berühmt und geehrt.

Padreic

Shockk
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So 3. Aug 2003, 13:50 - Beitrag #2

Ich glaube die Gebiete, in denen sich diese Geister bewegen, werden heutzutage anders behandelt.

Zum Beispiel die Physik - Newton hat Revolutionäres entdeckt bzw. beschrieben, aber es erscheint uns heute als selbstverständlich - die Gravitation zum Beispiel. Und die Integralrechnung wird in der Schule auch einfach runtergepaukt und gehört schlicht "dazu". Was man heutzutage in der Physik findet entzieht sich den meisten "normalen" Gemütern recht schnell ... da findet die Forschung auf Ebenen statt, die einen "ungebildeten" Geist absolut überfordern.

Was die Musik angeht - die "klassische" Musik ist heutzutage ja fast schon ein Randgebiet. Natürlich gibt es auch heutzutage aktive Komponisten, sehr viele Opern, klassische Musicals usw., aber das tatsächliche "Leben" der Musik findet beim "gemeinen Volk" statt - Unterhaltungsmusik halt. Das Bewusstsein für die "ernste" Musik ist imho nicht mehr präsent.

Philosophie...die Menschen wollen heutzutage ihr Leben nicht mehr selber gestalten. Man will nicht mehr einer bestimmten Richtung folgen, bestimmte Werte einhalten und repräsentieren...man will schlicht Leben. Es gibt wenige, die selber einen Stil erschaffen und dann auch leben - zB die "68er", aber dafür viele, denen irgendwie alles egal ist - die "Generation Golf" oder viele der heutigen Jugendlichen. Wenn man heute lebt, muss man sich Sorgen machen um Kriege, um die Zukunft, alle "großen" Werte, die das Leben sichern sind mittlerweile durch Medien u.A. erschüttert - Liebe, Familie, Frieden - und da ist man doch dankbar, wenn einem der Staat das Leben organisiert. Wozu dann noch eine Philosophie?

Wenn man sich dann die Einstellungen der Menschen (cih könnte mich problemlos ohne weiteres dazuzählen) dann mal anschaut - wozu braucht man noch "große" Geister? Wofür soll ich Menschen verehren, wenn sie Dinge leisten, die mit mir aber nichts zu tun haben? Sicherlich respektiere ich Physiker, Mathematiker, Musiker und dergleichen, aber mehr auch nicht. Hätte ich mir nie Gedanken über Schwerkraft gemacht, und plötzlich wäre jemand dahergekommen und hätte sie mir erklärt, sie mir verdeutlicht - es wäre für sicher ein bewegender Moment gewesen. Und heute? Elementare Physik. Lernt man in der 9ten oder 10ten Klasse (oder wann auch immer). Wozu einen genialen Komponisten verehren, wenn ich eh nur Techno und Metal höre? Wozu mich für eine Philosophie begeistern, wenn mir der Rest der Welt eh egal ist und ich mit meinem Leben halbwegs zufrieden bin?

Ich will nicht leugnen, dass es heute auch noch "große Geister" gibt - aber sie werden nicht mehr wahrgenommen, zumindest nicht so, wie es früher der Fall war.

JaY
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So 3. Aug 2003, 14:24 - Beitrag #3

Das mit den "großen Geistern" ist tatsächlich ein Problem. Ich denke das viele "große Geister" vielleicht auch nur kleine dinge Revolutionieren. Mal angenommen es findet jemnd ein Heilmittel gegen Krebs oder Aids wäre er für die Betroffenen ein "Gott" sozusagen ein "sehr großer Geist" Was ich damit sagen will ist das es die "großen Geister" immernoch gibt aber sie werden nicht mehr von der breiten Masse "verehrrt" sondern nur noch von kleinen Gruppen. Was ich persönlich sehr schade finde denn wenn jemand eine Bahnbrechende Entdeckung macht sollte ihm der nötige respekt gezollt werden und eher sollte dafür auch belohnt werden nicht mit Geld sondern einfach mit Anerkennung.

Krautwiggerl
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So 3. Aug 2003, 18:30 - Beitrag #4

Hier wird behauptet, es fehlen die großen Geister. Da sieht man mal wieder, wie man mich verkennt :D ;)
Im Ernst: diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt heute Leute, die genausoviel druff haben wie jene dazumal. Heute allerdings verdoppelt sich der Wissensstand schon alle 4 Jahre, mit steigender Tendenz. Wie soll hier ein einzelner Mensch noch zu derart bahnbrechendem fähig sein, dass sein Vermächtnis derart herausragt, dass er so verehrt wird? Der Zugang zu höchster Bildung ist heute viel einfacher als damals, so dass es heute mehr Spitzen gibt als damals und damit natürlich nicht mehr so herausragen. Desweiteren ist man der heutigen Wissensmenge gezwungen, sich immer mehr zu spezialisieren, womit der Kreis, der dies aufmerksam verfolgt, auch kleiner wird. Früher konnte man Mathematiker, Astronom, Philosoph, Arzt und Schriftsteller sein und das auch jeweils noch führend. Seid mal ehrlich: könnte das alles auch ein Genie von damals in der heutigen Zeit noch so stemmen?

Padreic
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So 3. Aug 2003, 19:03 - Beitrag #5

Ja, so ähnlich wie ihr sehe ich das auch. Gerade bei den Wissenschaften dürfte es Krautwiggerls Argumentation es sehr gut treffen. Wenn ich mir z. B. mal angucke, was man in der String Theorie allein an Mathematik braucht (mal ganz abgesehen von der Physik), das können selbst viele Diplom-Mathematiker nicht. Bis man an die Forschungsspitze kommt, dauert das schon ziemlich lange und dort ist die Forschung mühsam, weil schon so viel entdeckt ist. Eine Universalbildung wie bei Leibniz oder auch nur Poincare, der im Fachbereich der Mathematik immerhin Universalist ist, (was heute auch unmöglich ist, ein Mathematiker versteht längst nicht unbedingt, was ein anderer macht) ist heute praktisch unmöglich.

Aber ich würde gerne noch mal genauer auf die Kunst bzw. besonders die Musik (weil diese das Gebiet der Kunst ist, womit ich mich am besten auskenne) eingehen. Shockk schrieb, dass heut einfach kein Interesse an großer "klassischer" Musik mehr bestände. Ganz so einfach ist es, denke ich, aber nicht. Natürlich, der größte Teil der Bevölkerung wird bei Charts und Verwandtem verbleiben, aber es gibt gar nicht so wenige, die gerne Mozart, Beethoven, aber auch Orff hören. Und hier ist kein Problem damit, dass man sich zu viel Wissen aneignen musste. Das Können, was Bach im Bezug auf die Fuge hatte, hat z. B. heute keiner mehr, die musikalische Bildung bei den früheren großen Komponisten war eher stärker als die heutige. Die "klassische" Musik (dieser Terminus ist eigentlich in diesem Zusammenhang unpassend, da die Wiener Klassik ja schon längst vorbei ist, aber in Ermangelung eines besseren, werde ich ihn erstmal benutzen) hat aber, besonders auch durch Schönberg und seiner Zwölftonmusik, einen, ich will mal sagen "seltsamen" Weg eingeschlagen. Sicher, es wurde damit nicht nur schlechte Musik gemacht, z. B. in Schönbergs Stück "Ein Überlebender aus Warschau" ist sie durchaus nicht schlecht eingesetzt, aber der Weg führt weit weg von Barock, Klassik und Romantik in eine Richtung, die erstens das Volk (nicht nur das gemeine) niemals in dem Sinne mögen oder gar genießen wird (manche werden sie aber vielleicht noch schätzen, das aber auch nur wenige) und die IMHO auch längst nicht die Qualität von beispielsweise den großen Sinfonien aus Klassik und Romantik erreicht. Es ist also nicht nur so, dass solche Musik einfach nur nicht wahrgenommen wird, sondern, dass sie einfach nicht mehr so gut ist. Dass mag wirklich damit zusammenhängen, dass unsere Kultur schnelllebiger und weniger auf das wirklich Große und die damit verbundene Mühe angelegt ist, wie du es schon sagtest, Shockk. Eine Sinfonie sich anzuhören und sie wirklich zu begreifen ist Arbeit. Trotzdem könnten die heutigen Komponisten versuchen, auf romantische oder klassische Weise zu komponieren, aber das geschieht eigentlich höchstens noch in der Filmmusik, woanders wird auf eine fast "dekadente" Weise komponiert (den Pop mal ausgeklammert). Auch die Komponisten sind wahrscheinlich nur ein Spiegel unserer Zeit...
Mit der Philosophie liegt es vielleicht ähnlich, wie Shockk es auch schon sagte. Der Wille zum großen System ist schon nach dem deutschen Idealismus mit Hegel zusammengebrochen, aber man bemühte sich auch danach noch um die echte Wahrheit und hat tiefe Gedanken gedacht, zumindest bis Heidegger. Auch heute gibt es noch Philosophen, aber auch hier ist es nicht nur so, dass sie nicht wahrgenommen werden, sondern auch, dass sie es nicht wirklich mit den großen Philosophen aufnehmen können (so weit ich das sehe). Vielleicht sind auch sie in der Zeit des Relativismus gefangen und trauen sich nicht mehr zu großer Philosophie heraus.

Mit der Hoffnung, dass man durch mein Chaos findet,
Padreic

Maglor
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So 3. Aug 2003, 22:22 - Beitrag #6

@Padreic
Nur weil, ich beinahe 2 Monate nicht gepostet habe, mußt du noch lange nicht denken, es gebe keine großen Geister mehr:D
Naja Problem ist wirklich, dass schon alles gemacht wurde.

Wenn interressieren schon die Erkenntnisse der Superstring-Forschung. Die großen Geister bemerkt wahrscheinlich keiner mehr. Obwohl die Relativitätstheorie verstehen oder kennen nur die wenigstens und doch ist Einsteins Genie eher populär einzustufen.
:s11:
MfG Maglor

Krautwiggerl
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So 3. Aug 2003, 22:23 - Beitrag #7

Warum wird von manchen gute Musik allein auf die Klassik reduziert? Das wäre, wie wenn ich sagen würde, dass nach Schiller alle das Schreiben verlernt haben (wobei ich generell kritisiere, dass man die deutsche Literatur nur zugern auf 2 Personen reduziert und vielen anderen guten Autoren Unrecht tut). Stimment tut wohl noch das Argument der musikal. Bildung, wohl sind aber auch die Vorraussetzungen heute anders. Dass die Musik (oder auch Literatur) heute schlechter geworden ist, diese Ansicht teile ich absolut nicht. Gute Musik zeichnet sich IMHO dadurch aus, dass gekonnt Spannungen aufgebaut und aufgelöst werden, dass der Zuhörer überrascht wird und die Musik für sich alleine eine Geschichte erzählt. Dass das nur Klassik und Romatik gelungen wäre, sehe ich absolut nicht. Es gibt genug in der modernen Musik, die das leisten und ungeheuere Stimmung mit verschiedensten Techniken erzeugen können. Was Virtuosität angeht, das ist IMHO der Jazz unerreicht, wo sich knifllige Harmonien mit ausgeklügelten Rhythmen paaren. "Best of both worlds" sozusagen, und tatsächlich sind Jazz-Musiker heute die mit Abstand besten Musiker. Dass heute keine großen Werke mehr geschrieben werden stimmt auch nicht, wohl sind das aber Marginalien. Das liegt am geänderten Konsumverhalten und auch am erweiterten Zuhörerkreis.
Ich wär sehr vorsichtig damit, die Künstler von damals mit denen von heute zu vergleichen. Damit begibt man sich auf unsicheres Terrain, und IMHO kann dieser Vergleich, nach besser oder schlechter bewertet, nicht seriös ausfallen.
Was definitiv schlechter geworden ist, da sind wir uns wohl alle einig, ist die Musik für's Fußvolk. Wo heute noch alles aus der Retorte kommt (künstlerich lachhaft), und noch vor 30 Jahren echte Künstler geschätzt wurden. Aber das darf man nicht zum Anlaß nehmen zu behaupten, es gäbe heute keine gescheiten Künstler mehr. Man könnte vielleicht sagen, dass es traurig ist, dass die echten Künstler heute kein Gehör mehr finden. Die Folge des Masenkonsums, und von PISA, wie ich kritisch meine.

Maglor
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So 3. Aug 2003, 22:42 - Beitrag #8

Was an der Musik sachlecht ist, ist das es sich um Remix und Coverversionen handelt, und das wirklich neue ist auch nix besonders. (Ich rede hier über Pop und So)
MfG Maglor

JaY
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So 3. Aug 2003, 23:51 - Beitrag #9

Musik - Ich weiß ja nicht ich höre viel Techno weil es mir eben gefällt. Ich beschäfftige mich nun schon seit längerem Mit der Elektronischenmusik ansich, klar musste ich feststellen das im Augenblick viele Remakes auf den Markt kommen. Dennoch bin ich von einigen DJ's total überrascht das sie sich immer wieder mal was neues einfallen lassen und mich immer wieder mit neuen Sounds beglücken. Pop ist genau die Musik welche die breite Masse hören will. Ich kann logischerweise den Schluss ziehen: Das viele Leute coverversionen hörenwollen da diese Produziert, gespielt und gekauft werden. Ein DJ ist wie eine Firma er produziert, spielt genau das was sein Publikum hören will.

Padreic
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So 3. Aug 2003, 23:52 - Beitrag #10

@Krautwiggerl
Dass heute keine gute Musik mehr geschrieben wird, will ich gar nicht behaupten, selbst im populären Bereich gibt/gab es mit den Beatles oder mit Queen sehr gute Bands. Mit Jazz kenn ich mich persönlich kaum an, will mich aber auch in nicht allzu ferner Zukunft mal reinhören. Aber wenn ich das vergleiche, was ich bei moderner Musik empfinden und was ich bei manchen Beethoven-Sinfonien empfinde, sehe ich doch gewaltige Unterschiede. Z. B. stand mir bei modernen Stücken noch nie minutenlang der Mund vor Überwältigung offen.
Mit Literatur geht es mir auch ein wenig ähnlich. Ich zähle eigentlich kein Buch aus den letzten 30 Jahren zu meinen Lieblingsbüchern. Ich will Literatur wirklich nicht auf Goethe und Schilller reduzieren (ich kenne beide auch nur ungenügend), auch in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und auch noch ein wenig danach, kenne ich fantastische Literatur, aber mittlerweile nicht mehr so viel (OK, Mankell lese ich recht gern, aber sonst?). Das mag natürlich auch wieder an meiner ungenügenden Kenntnis oder an meinem speziellen Geschmack liegen.

@Maglor
Viele tausend Menschen verstehen die allgemeine Relativitätstheorie wirklich und es geht in die Millionen, die sie zumindest intuitiv zu einem recht großen Grade verstehen. Sie wissen immerhin, dass Uhren langsamer laufen und haben von Längenkontraktion gehört.

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Feuerkopf
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Mo 4. Aug 2003, 00:03 - Beitrag #11

Ihr habt die wesentlichen Gesichtspunkte schon genannt. Mir fällt aber noch etwas anderes auf: Wir sind nach wie vor komplett Europa- bzw. Amerikazentriert. Was östlich von uns, oder in Afrika oder Asien oder in der Karibik oder sonst wo passiert, das bekommen wir doch kaum mit.
Ich erinnere mich, wie baff ich war, dass die indische Musik mit einem ganz anderen Notensystem arbeitet als unsere. Wusstet ihr, dass Äthiopien/Eritrea eine eigene Schrift und Sprache hat? Was ist mit China, was wissen wir über China?

Ich will andeuten, wie viele "große Geister" wir gar nicht wahrnehmen, weil wir so auf unserem "westlichen" Kulturgut rumhängen. Dabei gab es auf anderen Kontinenten schon "Kultur", als wir hier noch in Bärenfellen rumliefen.;)

Die bahnbrechenden Dinge sind nun mal nur einmal zu entdecken, das Rad nur einmal zu erfinden. Und Universalgelehrte gibt es eben nicht mehr. (Abgesehen davon hat Goethe nicht nur Geniales geschrieben, und Schiller auch nicht. ;) )

Also sollten wir unser Wahrnehmungsfeld erweitern. Und auch vielleicht mal nach weiblichen großen Geistern Ausschau halten...

JaY
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Mo 4. Aug 2003, 13:05 - Beitrag #12

Feuerkopf Kämpferin der Frauen und vergessenen!

Es hat niemand abgestritten das es weibliche große Geister gibt oder gegeben hat.

Marie Courie - Atomphysik war für mich ein Großer Geist.

Außerdem hinter jedem großen Mann steht eine mindestens genauso große Frau.

Jeder Wissenschaftler oder sonst etwas hat den Rüken von seiner Frau gestärkt bekommen auch wenn ihm kein anderer Geglaubt hat.

Padreic
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Mo 4. Aug 2003, 14:23 - Beitrag #13

Ich denke, dass man in unserer Geschichte mehr männliche als weibliche große Geister sieht, liegt nicht nur daran, dass man die männlichen mehr beachtet als die weiblichen. Zumindest in manchen Bereichen sind IMHO weibliche große Geister stark in der Unterzahl.
Es wird kaum bestritten, dass Männer im Allgemeinen ein größeres Talent für Mathematik haben als Frauen und trotzdem sehen wir hier ein paar große Mathematikerinnen (ich würde da z. B. Sophie Germain und Emmy Noether nennen), die sicher nicht ganz so große Mathematiker waren wie Euler, Gauss oder Hilbert, aber trotzdem bedeutendes geleistet haben. Es würde mir aber schwer fallen, auch nur eine einzige bedeutende Philosophin zu nennen (es gab da, glaub ich, eine Schülerin von Pythagoras und Hildegard von Bingen wäre auch noch in Betracht zu ziehen, sie war aber wohl auch keine richtige Philosophin). Ein wenig ähnlich ist es in der Musik. Wir wissen von ganz herausragenden Pianistinnen (z. B. Clara Schumann oder in neuerer Zeit Martha Argerich), aber kennt irgendjemand eine bedeutende Komponistin?
Aber betrachten wir mal die Literatur: Man sagt ja im Allgemeinen, dass Frauen eine eher höhere Sprachbegabung haben als Männer. Dementsprechend gibt es auch einige große Autorinnen. Nur bei den ganz großen Werken sind die Autorinnen eher dünn gesäht. Z. B. in Reich-Ranickis Literatur-Kanon ist keine einzige weibliche Schriftstellerin (was aber natürlich auch mit seiner persönlichen Einstellung zusammenhängen könnte). Auch unter den Literatur-Nobelpreisträgern zähle ich nur 8 Frauen.
Vielleicht hängt das tatsächlich mit dem Naturell der Frau zusammen. Im Allgemeinen haben Frauen wohl ein stärkeres Bedürfnis nach Familie und Bindung, was allzu fanatischer Tätigkeit entgegenwirkt (die oftmals die großen Geister auszeichnet) [Hierzu gibt es ein interessantes Zitat von Beethoven (kurz vor seinem Tod zu einem Freund)): "Du bist ein glücklicher Mann; du hast eine Frau, die dich liebt - aber ich bin ein armer Junggeselle.". Darüber hinaus (und auch damit verbunden) machen Frauen wohl nicht so schnell etwas revolutionäres, sie wollen eher weniger umstürzen. Weiterhin könnte es sein, dass die "Streuung" bei Frauen nicht so groß ist, salopp gesagt, dass es also weniger Idioten und weniger Genies gibt.

Mit dem fernen Osten kenne ich mich wenig aus. Aber ich weiß z. B. dass Debussy durch indonesische Musik (die haben dort auch eine andere Tonleiter) sehr angeregt wurde. Ich will ganz sicher nicht bestreiten, dass es auch dort große Geister gibt.

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Mo 4. Aug 2003, 14:37 - Beitrag #14

ich denke, das was man früher grosse geister genannt hat, gibt es heute so gut wie nicht mehr, weil wir zu viel wissen sammeln. der sammeltriebe unterbindet denken. die meisten meinen, denken sei entweder das dahersagen von gelernten fragen ähnlich von quizz-shows, oder es sei einfach das einhakten in eine argumentation, und das postulieren von gegenargumenten.
einen gemachten gedanken nach-zudenken, ihn zu verstehen, und auf ihn aufzubauen, ist imho die erste sprosse der leiter, ein grosser geist zu werden. aber sowohl unsere schule, als auch der sog. bildungsanspruch sowie die selbstbeweihräucherung einer gewissen satten mittelschicht, verbieten dieses denken. (ganz zu schweigen von medien und populärwissenschaften)

gruss,
thod

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Mo 4. Aug 2003, 15:35 - Beitrag #15

Wobei aber gerade die Art von "Denken", die du kritisierst, in früherer Zeit noch vorherrschender war als heute. Zeugnisse davon gibt es viele, auch in der Literatur, wo dies immer wieder behandelt wird.

Thod
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Mo 4. Aug 2003, 16:09 - Beitrag #16

du meinst, dass früher leute auch wissen gesammelt haben? das hab ich ja auch nicht bestritten.
ich sage nur, dass man heute vor wissen sammeln das denken vergisst ;)

heidegger, den man ja durchaus noch als zeitgenossen bezeichnen kann, hat mal sinngemäss gesagt, dass nirgendwo so wenig gedacht wird, wie in der philosophie...

gruss,
thod

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Mo 4. Aug 2003, 20:07 - Beitrag #17

Nö, ich meinte nicht nur die bloße Tätigkeit der Wissenssammlung, die gab es immer. Ich meinte damit, dass dies früher das Bildungsideal schlechthin war. Symptomatisch finde ich eine Anspielung in einem Roman von Fontane, wo eine "gebildete" Frau aus besserem Haus sich auf des Rezitieren von Gedichten beschränkt, und dies als Indikator für Bildung auslegt. (Wg. Titel müsste ich nochmal nachschlagen)

Thod
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Mo 4. Aug 2003, 20:20 - Beitrag #18

ja schon, aber da werden ja nicht einfach fakten sozusagen als phrasen gelernt, sondern neudeutsch "idiomatische ausdrücke".
will heissen: wenn man längere texte lernt, geht der zusammenhang eher ein, als bei einfachen aphorismen und daten im sinne von reinen zusammenhangslosen quizz-antworten.

das auswendiglernen, das haben wir ja auch schon lange verlernt. ich denke, es ist nicht nur vom ästhetischen her schön. wenn man auf einen internen schatz an balladen o.a. zurückgreifen kann. auch das schult das zuhören, und somit auch das nach-denken.

ich denke, dies ist eine frage der methode.

gruss,
thod

Krautwiggerl
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Mo 4. Aug 2003, 20:31 - Beitrag #19

Diese Methode ist auch heute nicht mehr nötig. Die bevorzugte Verfassung von Texten in Reimform geht auf die prä-Buchdruck-Ära zurück, wo sie nicht mehr als memotechnische Hilfe war.
Ich vertrete den Standpunkt, dass man gerade dann, wenn man stur auswendig lernt, sich mit der Materie nicht richtig beschäftigt. Die Schulzeit, wo ich Gedichte noch auswendig lernen musste, war garantiert nicht die, wo man sich mit dem Gehalt, der Pragmatik, den stil. Besonderheiten auseinandergesetzt hat.

Thod
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Mo 4. Aug 2003, 20:32 - Beitrag #20

nun, dann haben wir da wohl einen recht unterschiedlichen blick auf die wirklichkeit ;)

gruss,
thod

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