Eines meiner schönsten Spinnenerlebnisse hatte ich mal in den USA, in der Mojave-Wüste. Das ist schon zwanzig Jahre her, als die felsreiche Gegend, speziell das Joshua Tree National Monument, noch nicht so von Kletterfreaks überlaufen war.
In südlichen Gefilden der USA gibt es Tarantulas, ziemlich friedliche Gesellen. Sie sind weit weniger giftig als ihre südamerikanischen Verwandten, und viel weniger reizbar. Vor allem fehlen dieser Tarantula die giftigen Körperhärchen, die ihre Verwandten bei einer Attacke auf ihren Angreifer durch Körperkontraktion schleudern können.
Man kann sich ihnen jedenfalls völlig gefahrlos nähern. Wenn sie einen Menschen über sich bemerken, falten sie die Beine unter den Körper und stellen sich tot. Man kann sie dann, wenn man nicht ganz idiotisch grob zupackt, problemlos hochnehmen und sich die Tarantula auf den Handteller oder den Ärmel setzen. Manchmal spielt sie eisern weiter totes Achtbein, manchmal fasst sie sich ein Spinnenherz und läuft ein wenig herum. Sie beisst aber nicht, obwohl sie das könnte.
Das Kuriose - ungelogen, kein Jägerlatein - an der Sache ist, dass die Tiere locker nach Geschlechtern getrennt leben. Die Weibchen bevölkern eher die tiefer liegenden Gebiete, die meisten Männchen die höher gelegenen. Zwischen September und November, in der Paarungszeit für Tarantulas, setzen sich die Weibchen in ihre kleinen Erdhöhlen und senden in den klaren Wüstennächten Sexualduftstoffe aus. Dann machen sich die Männchen auf eine Völkerwanderung aus den Hügeln, marschieren geschäftig nebeneinander her senkenwärts und suchen eine Partnerin.
Die Wüste lebt dann tatsächlich, weil sehr viele der Burschen unterwegs sind - ein wirklich rührender Anblick. Ich bekam ein richtig schlechtes Gewissen, als ich mir das nachts mit der Taschenlampe näher anschaute. Die Umrisse kann man zwar auch so noch erkennen, Mond und Sterne über der Wüste scheinen sehr hell, aber für Details braucht man die Lampe.
Die erotisch aufgeheizten Wanderer erschraken immer furchtbar und mussten sich tot stellen. Den Weibchenduft hatten sie aber immer noch in der Nase, und die Konkurrenten ein paar Meter weiter konnten nun Vorsprung gewinnen. Wer diesen geschäftigen Marsch mal gesehen hat - die dicken Beinchen scheinen dabei ein wenig zu winken, die ganzen haarigen Kerlchen wirken wie dicke Männer in Eile in alten Slapstickkomödien - wird nie mehr Angst vor großen Spinnen haben.
Gut Schiss hatte ich dagegen vor den Schwarzen Witwen, die ziemlich klein, schwer auszumachen und auch schwer zu identifizieren sind, weil es sie, anders als der Name vermuten lässt, in mehreren Farben gibt. Deren Biss kann wirklich unangenehm und im Extremfall lebensbedrohend sein. Und Muffe hatte ich auch vor dem bis zu wolfsspinnengroßen, aber dünnen Sun Spider, der ein wirklich unangenehm aufdringlicher Geselle ist und gern und richtig schmerzhaft beisst - übler als ein Wespenstich. Egal, wie gut ich aufgepasst habe, wie sorgsam ich alles hinter mir sorgsam zumachte, jeden Tag musste ich ein, zwei Exemplare Sun Spider aus dem Zelt fegen. Nachts musste ich regelrecht den Schlafsack ablausen, und meistens fand ich einen. Brav wie ich bin, habe ich den immer aus dem Zelt geworfen, das Ganze ist schließlich Naturschutzgebiet und ich war dort der Fremdkörper. Vermutlich waren es also immer wieder die gleichen Quälgeister, die sich Zutritt zum Zelt verschafften.
Übrigens: früher demonstrierten die Park Ranger Besuchern gern die Harmlosigkeit der Tarantula, um die Tiere vor der Angst der Menschen und Stiefelabsatzattacken zuschützen. Inzwischen sind sie wieder dazu übergegangen, die Tierchen als nicht ganz so harmlos darzustellen - "bites painfully when provoked" - weil all zu viele der halb schwachsinnigen Touristen natürlich welche ausgegraben und als Souvenir mitgenommen haben. Zumindest auf den halben Nachhauseweg. Bis die Eltern sich doch wieder gegen die Kinder durchgesetzt hatten und die Spinnen an irgendeiner Highway-Parke in einem völlig fremden Biotop einsam ins Gelände geschmissen wurden.
Aber Ihr wisst jetzt Bescheid.
Fargo