CeyxAdvanced Member
Beiträge: 372Registriert: 31.01.2002
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Die Lifttüren fielen mit einem lauten Krachen zu, gaben Kai das Gefühl, an dem Punkt zu sein, wo es keine Wiederkehr mehr gab. Oder schon weit dahinter, er wusste es nicht. Er fragte sich, ob es so etwas, wie diesen Punkt im Leben eines Menschen gab. Der Punkt, der Punkt der Entscheidung, die den Fortlauf bestimmen sollte, ein Punkt, nach dem jegliche Entscheidung zur puren Farce werden sollte, eine Farce, die das Gefühl geben sollte, noch am Leben zu sein, und immer noch umkehren zu können.
Wenn es so etwas gab, einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, dann war dieser Punkt für Kai wohl schon lange am Horizont verschwunden. Verschwommen, irgendwo hinter einen unscharfen Linie, die alle Leben nannten.
Der Lift rumpelte in die Tiefe. Der Lärm war selbst hier drinnen so laut, dass man nichts verstand, wenn jemand sprach. Kai fragte sich, wie alt der Lift wohl schon war. Ihm wurde schwindelig, als er daran dachte, wie viel Menschen schon vor ihm damit in die Tiefe gefahren waren.
Lebende Geschichte nannte man das doch.
Lebende und zerfallene Geschichte.
Alles fiel auseinander.
Kein Vergleich natürlich mit den neuen Liften im Innenbezirk, die lautlos zwischen Magnetschienen in die Höhe schnellten, kein Vergleich natürlich zu den hohen Wolkenkratzern, die glänzend dastanden, und von der schönen, neuen Welt verkündeten, kein Vergleich natürlich zu den fröhlichen Menschen, die dazwischen herumwuselten.
Wie so vieles, kein Vergleich.
Der Lift kam zum Stehen. Mit einem Male war es ruhig. Der Unbekannte vor ihm machte einen Schritt aus dem Lift raus, griff in seine Jackentasche, und hielt im nächsten Moment Kai eine Packung Zigaretten hin. Kai schüttelte den Kopf, und obwohl der Dick-Tracy-Verschnitt vor ihm die Geste gar nicht sehen konnte, nahm er sich selber eine Zigarette, und lies die Packung wieder in der Tasche verschwinden.
Während er sie anzündete ging er langsam los, ohne sich nach Kai umzusehen. Wozu auch. Es gab kein Fluchtweg. Der Gang vor ihnen, der Gang vollgestopft mit Gerümpel und Müll, ging geradewegs zum Ausgang.
"Wer sind sie eigentlich?" Die Frage, die schon die ganze Zeit in der Luft hing.
"Das spielt keine Rolle. Ich bin nur ein Bote, ein Übermittler."
"Und was wollen sie von mir?"
"Wenn du die Worte, die ich dir gerade gesagt habe, überlegt hättest, dann würdest du die Antwort schon wissen. Ich will nichts von dir. Aber ein Kunde von mir will mit dir reden."
Spätestens jetzt hätte ein kalter Schauer über Kai's Rücken gehen sollen, doch die Worte des Unbekannten bestätigten nur das, was schon klar gewesen war. Natürlich wollten sie mit ihm reden. Und es gab nichts, was ihn noch mit Sarah verband.
Ausser einem Brief, der oben in seinem Zimmer lag.
Sein Puls hatte sich verdoppelt. Seine Gedanken rasten, tausende Stimmen in seinem Kopf schrien durcheinander. Manche versuchten ihm zu sagen, dass sie sie ihm nichts anhaben konnten, doch wurden zu einem Wispern, einem Flüstern, als die anderen von Flucht sprachen, dass er rennen musste.
Und er wäre nicht er gewesen, als er nach der Holzlatte, die inmitten des Mülles an der Wand lehnte, griff, er wäre nicht er gewesen, hätte er nicht das getan, was er tat.
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