FeuerkopfModeratorin


Beiträge: 5707Registriert: 30.12.2000
|
Es mag tendenziös sein, doch hat die Frankfurter Rundschau online noch mehr zu diesem Thema geschrieben. Wenn Koch wirklich Kanzler wird, stehen uns dunkle Zeiten bevor. Ich möchte nicht in einem Land leben, das in sozialer Kälte erstarrt. Himmel, der Kerl ist mal gerade so alt wie ich!
Quote:
Die Null als Programm
Ein halbes Jahr nach der Wahl versucht Hessens Landeschef Koch, sich mit einem Kahlschlag-Papier zu profilieren
Von Matthias Bartsch (Wiesbaden)
Wer sich aus dem Internet unter der Adresse "www.hessen.de" die Streich-Liste der Wiesbadener CDU-Landesregierung für den Sozialbereich ausdrucken lassen will, sollte vorher kräftig Papier nachladen. Der Drucker wird hart arbeiten müssen und rund hundert Seiten ausspucken, viele von oben bis unten bedruckt mit Namen von Initiativen, Organisationen und Sozialverbänden, bei denen jetzt der Rotstift angesetzt wird. Und hinter sehr, sehr vielen dieser Namen wird in der Spalte "Vorgesehene Förderung für 2004" eine sehr kurze Zahl stehen: Null.
"Wir sind hier in der größten Restrukturierung des Landes", rief Regierungschef Roland Koch (CDU) am Mittwoch den hessischen Parlamentariern entgegen, als er sich zum Thema Spar-Politik in Rage geredet hatte. Der Satz verrät eine Menge über das, was in Hessen gerade geschieht. Soziale und ökologische Strukturen, auf die das Land einst stolz war, stehen vor dem "Kahlschlag", klagen nicht nur direkt Betroffene. 120 Projekte der Obdachlosenhilfe, Randgruppen- und Gemeinwesenarbeit werden nicht mehr vom Land finanziert, hat der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte, Reinhard Thies, nach einer ersten Durchsicht der Liste addiert. Für lokale Beschäftigungsinitiativen, Erziehungs-, Jugend- und Familienhilfen, Projekte zur "Sozialen Stadt" oder 36 hessische Schuldnerberatungsstellen will die CDU-Regierung keinen einzigen Euro mehr ausgeben. Die Null auf der Liste findet sich bei der medizinisch-psychologischen Betreuung von HIV-infizierten Gefangenen ebenso wie bei Frauenhäusern der Arbeiterwohlfahrt oder Suchtberatungsstellen der Caritas.
Einige Initiativen werden sich vielleicht retten können, wenn Kommunen einspringen und den Ausfall der Landesmittel zumindest teilweise ausgleichen. Aber Städten und Gemeinden steht das Wasser selbst bis zum Hals, manche unterliegen wie Frankfurt der strikten Ausgabenkontrolle durch den hessischen Innenminister. "Viele Projekte werden schlicht und einfach sterben", weiß LAG-Chef Thies. Gerade in ohnehin schon ausgegrenzten Wohngebieten werde die soziale Infrastruktur für Menschen in Notlagen vernichtet. Ein dummes, ein kurzsichtiges Sparen, warnen Sozialexperten: Wer heute die Beratung streiche, die Hochverschuldeten oder arbeitslosen Frauen eine Perspektive gibt, werde morgen umso mehr teure Sozialhilfeempfänger zu beklagen haben.
Richtig ist: Hessen befindet sich, wie viele andere Bundesländer, in einer finanziell prekären Situation. Daran ist die Koch-Regierung nicht ganz unschuldig: Seit sie im Amt ist, steigerte sie die Ausgaben des Landes kräftig, um ihre Wahlversprechen zu erfüllen. Selbst im Haushaltsplan für 2003, in dem fast alle anderen Bundesländer längst auf die Ausgabenbremse drückten, hatte Koch noch einmal um 3,2 Prozent draufsatteln lassen - es war die Zeit kurz vor der Landtagswahl. In Wahlkampfreden sprach Roland Koch damals noch davon, dass man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Schulden machen müsse, um nicht die Zukunft des Landes zu gefährden.
Die rasante Wende kam nach der Wahl im Frühjahr: Koch, gerade noch glühender Befürworter von Steuersenkungen, profilierte sich auf der Berliner Bühne gegen seine Partei-Rivalin und -Chefin Angela Merkel plötzlich als entschiedenster Gegner einer vorgezogenen Steuerreform und eiserner Spar-Kommissar. Da muss es geschmerzt haben, als ihm ausgerechnet sein Spezi Edmund Stoiber in die Parade fuhr mit der spitzen Bemerkung, Koch solle doch erst mal in seinem Land die Hausaufgaben machen, bevor er auf Bundesebene Forderungen stelle. Dann stufte auch noch eine namhafte US-amerikanische Rating-Agentur das traditionell reiche Hessen in die zweite Liga der Schuldner-Länder ab, während die unionsregierten Nachbarn Bayern und Baden-Württemberg oben blieben. Besonders glaubwürdig waren Kochs Spar-Forderungen in Richtung Berlin da nicht mehr.
Aber es gehört zu Kochs alten Rezepten, sich nach der "Brutalstmöglich"-Methode immer an die Spitze der Bewegung zu stellen, um auch richtig aufzufallen und mit Superlativ-Formeln wie "Größtes Sparpaket in der Geschichte Hessens" als vermeintlich Klassenbester glänzen zu können. Doch nicht nur deshalb war zu erwarten, dass er ein Kahlschlag-Papier und keine moderate Spar-Liste präsentieren würde. Der objektiv vorhandene Spar-Druck bietet ihm jetzt, zu Beginn einer fünfjährigen Legislaturperiode mit CDU-Alleinregierung, die ideale Chance, endlich mit vielen ungeliebten Resten aus rot-grüner Regierungszeit aufzuräumen.
Ob Ausländersozialarbeit des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Förderung bei der Umstellung auf Öko-Landbau oder Orientierungskurse für erwerbslose Frauen: Die Null in der Streichliste trifft auffallend oft diejenigen, die bei der traditionell stramm rechten Hessen-CDU schon immer im Verdacht standen, irgendwie zum rot-grünen Umfeld zu gehören.
Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir hat in der CDU-Sparliste nicht lange suchen müssen, um ein Gegensatzpaar zu finden, das die Zielrichtung der von Koch angekündigten "Restrukturierung" anschaulich macht: Landesverband des Bundes der Heimatvertriebenen - komplette Beibehaltung des Landeszuschusses auf dem Stand von 2003; Landesverband der Schwangerschafts- und Familienberatung Pro Familia - komplette Streichung des Landeszuschusses auf Null.
Das, so sagt Tarek Al-Wazir, zeige "den wahren Koch": Ein Bankrotteur, "der den Bankrott aber noch dazu nutzt, sein erzreaktionäres Weltbild umzusetzen".
Quelle: Frankfurter Rundschau online
|