Die Kopftuchfrage

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Traitor
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So 28. Sep 2003, 16:11 - Beitrag #21

Zum Kopftuch selber: Schließe mich Feuerkopf an, es ist für mich über die Grenze dessen, was als rein privates Symbol durchgeht, und somit, wenn von einer Lehrerin getragen - @Maglor: Lehrer sind genauso Teil der öffentlichen Repräsentationsfläche Schule wie die Mauer, an der das Kruzifix hängt, also eben nicht individuell.

Zur Ordenstracht: Einerseits ist sie noch auffälliger als ein Kopftuch und somit eine sehr starke religiöse Beeinflussung seitens der Schule, somit wäre sie ebenfalls inakzeptabel. Andererseits ist die vermittelte Botschaft deutlich "defensiver" als beim Kopftuch, da die Orden ja nicht verlangen, dass sich jeder so kleidet wie sie. Danach wäre es deutlich harmloser. Kann mich da nicht so recht festlegen, welcher Aspekt wichtiger ist.

Zur Kreuzkette: bei der ist auch anzumerken, dass sie inzwischen oft losgelöst vom christlichen Symbol als reiner Schmuck getragen wird, auch von bekennenden Nichtchristen. Somit ist sie für mich kein wirkliches religiöses Erkennungssymbol mehr, udn auch wenn sie so getragen wird, doch rein privat, da sie sehr unauffällig ist und auch keine offensive Botschaft bringt (also keine der beiden oben genannten Bedingungen erfüllt).

Zum Religionsunterricht: Angeblich soll hier ja nicht die christliche Lehre verbreitet werden, sondern Lehre über das Christentum, sprich keine Indoktrinierung.

Voronwe
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So 28. Sep 2003, 18:24 - Beitrag #22

zu der Ordenstracht: Soweit ich informiert bin unterrichten doch Nonnen nur an bestimmten Schulen die nur katholiken nehmen oder ähnliches also dürfte mit anmelden des Kindes an der Schule den Eltern klar sein das dort auch wenn "nur" in indirekter Forum einfluss im sinne der Religon auf die Kinder ausgeübt wird.

Feuerkopf
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So 28. Sep 2003, 20:28 - Beitrag #23

Indoktrination christlicher Art gibt es natürlich auch, schließlich gibt es konfessionell gebundene Schulen. Da kann es schon interessant sein, zu welchem Orden eine Nonne gehört, die Religion unterrichtet. Trotzdem: Ihr Habit ist selbst für den fundamentalistischten Katholiken niemals Kleidungsnorm.

Kleine Ehrenrettung für Patres: Unsere Franziskaner hier im Bezirk sind mutig und sehr engagiert. Ich wünschte, die Amtskirche wäre so nah bei den Gläubigen. (Dabei bin ich Ex-Katholikin.)

Wenn eine Muslima ihr Kopftuch tragen will, ist ihr das unbenommen. Sie kann auch gern meine Kinder unterrichten, von mir aus auch mit Kopftuch. ABER noch einmal: Es geht mir hier ganz ausdrücklich um die jungen Mädchen islamischen Glaubens, die hier einer ganz besonderen Form der Koran-Auslegung ausgesetzt sind.

So lange wir keinen offiziellen Islam-Unterricht an unseren Schulen haben, dessen Inhalte auf DEUTSCH unterrichtet werden und zwar nach allgemeinen Richtlinien, sehe ich das ganze mit sehr, sehr gemischten Gefühlen.
Es gibt mir zu viele radikal-fundamentalistische Imame in Deutschland, die versuchen, die muslimischen Mitbürger ganz direkt unter Druck zu setzen.

Padreic
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So 28. Sep 2003, 20:57 - Beitrag #24

@Feuerkopf
Und werden die Kinder von einer nicht-kopftuchtragenden (muslimischen) Lehrerin nicht genauso mit einer besonderen Auslegung des Korans konfrontiert?

Mein Vater hat mir erzählt, dass in seiner Jugend es durchaus üblich war, dass Frauen bei der Feldarbeit Kopftücher getragen haben. Wie schon gesagt, halte ich deshalb Kopftücher nicht für ein besonderes religiöses Symbol. Etwas anderes wäre es, wenn die Lehrerin deutlich machen würde, dass sie auch von anderen erwartet, Kopftuch zu tragen, dann wäre es ein Problem, so aber IMHO nicht, höchstens insofern, als, wie Voronwe es schon anmerkte, es in Deutschland üblich ist, Kopfbedeckungen abzunehmen und es ja auch nicht toleriert wird, wenn ein Schüler eine Mütze trägt. Dem ist aber entgegenzusetzen, dass ein Kopftuch bei Mädchen durchaus toleriert wird.

Padreic

Aesos
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Mo 29. Sep 2003, 10:27 - Beitrag #25

Ich sage ein ganz klares JA für das Kopftuch...

Immer diese Vorurteile gegen alles was anders ist,
alle wollen Sie unsere Kinder beeinflkußen missionieren und kleine Kinder zum Kopftuch zwingen...

Ich glaube es hackt...

Wer tut denn nun endlich was gegen die 40.000.000 Kinder die als Babys mit Weihwasser fast ertränkt werden???
Die Taufe ist doch pure Kinderquälerei...

Natürlich darf jeder der Will ein Kopftuch tragen...
Genau so natürlich darf eine Muslimische Kunstlehrerin die Kinder nicht zum Islam bekehren...

Denke auch nicht das ein christlicher Kunstlehrer der ein Kreuz um den Hals hängen hat,
meine Kinder zum Christentum verführen würde....

Bitte wir sind hier in einem Freien Land, also laßt uns auch frei und offen gegenüber anderen bleiben...

Immerhin wollen wir Integration und nicht Assimilation ...

Feuerkopf
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Mo 29. Sep 2003, 12:15 - Beitrag #26

@Padreic:
Das Kopftuch ist bei einer Muslima schon optischer Ausdruck einer bestimmten Haltung, so wie z. B. die orthodoxen Juden ebenfalls durch ihre Garderobe ihre Haltung demonstrieren.

Wie gesagt: kleine Mädchen brauchen keinesfalls ein Kopftuch zu tragen, es ist normalerweise so, dass sich junge Frauen entscheiden, wie sie es halten wollen.

Ich weiß, dass es in Deutschland bis vor gut 100 Jahren auch nicht viel anders war. Meine Großmütter z. B. wären nie ohne Hut aus dem Haus gegangen.

Aber ich finde es interessant, dass hier niemand außer mir auf den speziellen Frauenaspekt eingeht. Niemand verlangt von kleinen Moslems, irgendeine spezielle Kleidung zu tragen. Nur die Mädchen sollen den Kopf bedecken und lange Mäntel tragen...

@Aesos:
Komm mal runter vom Baum!
Es geht hier nicht um Toleranz oder Intoleranz, sondern um das, was sozusagen an Ideologie hinter dem Kopftuch steckt.
Ich finde es bedenklich, wie sich wohlmeinende Leute instrumentalisieren lassen für die Legalisierung einer ultrakonservativen Haltung!

Das Christentum in Deutschland mit dem Islam zu vergleichen, ist wie der Vergleich von Äpfeln und Birnen.
Als Christ kannst Du mit 14 die Brocken hinschmeißen und später aus der Kirche austreten. Moslem ist man qua Geburt (wie übrigens auch Jude). Wenn Du nicht gerade in die Fänge einer fundamentalistisch christlichen Gemeinschaft gerätst, bist Du in Deiner Entscheidung recht frei.

Padreic
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Mo 29. Sep 2003, 13:21 - Beitrag #27

@Feuerkopf
Sicher drückt es eine konserative Ansicht aus, das will ich nicht bestreiten, nämlich dass sie eine Frau dezent zu kleiden hat bzw. erstmal, dass sich diese spezielle Frau dezent kleiden will. Dass dies nur Frauen betrifft, ist nicht verwunderlich, da Frauen auf Männer bekanntlich eine größere sexuelle Ausstrahlung haben als andersherum.
Ich halte das Kopftuch für keine wesentlich extremere Sache, als wenn eine Frau (bzw. Lehrerin) nur dunkle lange Röcke trägt.

Übrigens sehe ich es nicht so, dass mit dem Tragen eines Kopftuchs automatisch ein Absolutheitsanspruch für die Kleidungsweise verbunden ist. Sicher findet eine gewisse Beeinflussung statt, aber man kann es genauso als Darstellung einer Alternative bei liberalen Moslem-Familien sehen. Irre ich mich, wenn ich bei dir raushöre, dass du das Kopftuchtragen bei Frauen allgemein als eher schlecht betrachtest und deshalb nicht willst, dass andere junge Mädchen dazu gebracht werden? Wenn man versucht, es neutral zu sehen, könnte man, denke ich, genauso gut sagen, dass es eine Muslima aus einer eher konserativen Familie in die Richtung des Nicht-Kopftuchtragens beeinflusst.
In einem Reli-Kurs einer Parallel-Klasse war mal eine Frau zu Besuch, die zum Islam konvertiert ist und die das Kopftuch für eine gute Regelung hielt, weil sie dann nicht jemand wegen ihrer schönen blonden Haare ansprechen würde, sondern viel eher, weil er sie vom Charakter her interessant findet.

Padreic

Tendou
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Mo 29. Sep 2003, 13:27 - Beitrag #28

Endlich mal ein paar Gleichgesinnte, das tut gut :)

mfg. Tendou

Feuerkopf
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Mo 29. Sep 2003, 13:31 - Beitrag #29

Ach, Padreic,
die Geschichte mit dem Verhüllen ist natürlich einer Frau mit Frauenbewegungsvergangenheit ein massiver Dorn im Auge.

Da sollen Frauen sich verhüllen, weil Männer sich angezogen fühlen könnten! Ja, wo sind wir denn?
Wann verbieten wir Miniröcke, bauchfreie T-Shirts, blonde Haare?

Männer - auch Moslems! - sollen endlich aufhören, so zu tun, als seien sie massiv schwanzgesteuert! Sie können sich genau so beherrschen wie Frauen.
Es ist übrigens ein Vorurteil, dass Frauen
nicht auf die Optik eines Mannes abfahren.;)

Wenn eine Frau nicht belästigt werden will, dann darf sie sich gern dezent kleiden. Aber es darf doch kein Zwang dahinter stecken, so subtil er auch sein mag!

Padreic
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Mo 29. Sep 2003, 13:42 - Beitrag #30

@Feuerkopf
Es läge mir fern, da irgendeinen Zwang zu fordern. Wenn es nicht gerade ein Bikini im Schule ist, muss man da sicherlich auch nichts verbieten.

Dass sich Frauen von Männern nicht optisch angezogen fühlen können, wollte ich auch gar nicht behaupten. Es kommt auf die Stärke an und da bleibt meine Behauptung, dass die Anziehungskraft andersherum eher stärker ist. Ich halte es durchaus nicht für einen Zufall, dass Frauen viel eher als Männer Kleidung bewusst so einsetzen, dass sie besonders anziehend wirken. Wenn man im Winter eine Frau draußen mit Minirock rumlaufen sieht, dann kann man sich nur noch wundern ;).

Ich will es übrigens nicht so erscheinen lassen, als sei ich ein Befürworter des Kopftuchs bei Frauen, beileibe nicht. Jede Frau soll sich, solange es in einem gewissen Rahmen bleibt, so kleiden wie sie will und ich würde lügen, würde ich sagen, dass ich es nicht auch schön finde, die Haare einer Frau und ein wenig Haut zu sehen. Aber sich so zu kleiden, dass man auf das andere Geschlecht eine möglichst große Anziehungskraft ausübt, halte ich auch für keine gute Sache.

Padreic

Shockk
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Mo 29. Sep 2003, 22:51 - Beitrag #31

Das Christentum in Deutschland mit dem Islam zu vergleichen, ist wie der Vergleich von Äpfeln und Birnen.
Als Christ kannst Du mit 14 die Brocken hinschmeißen und später aus der Kirche austreten. Moslem ist man qua Geburt (wie übrigens auch Jude). Wenn Du nicht gerade in die Fänge einer fundamentalistisch christlichen Gemeinschaft gerätst, bist Du in Deiner Entscheidung recht frei.


Sicherlich *nicht*. Ein seeehr großer Teil, selbst wenn man die Austretenden berücksichtigt, bleibt in der Kirche. Weil sie damit groß geworden sind und es einfach "dazu gehört". Bitte, da hast du deine Indoktrination, die lieben Kleinen wurden auch nicht gefragt, ob sie getauft werden wollten oder nicht.

@ Neben-Topic: Islam-Unterricht an deutschen Schulen? Prima. Ich finde schon den Reli-Unterricht schlimm, dass reicht nun wirklich.

@ Topic - Mir ist es ehrlich gesagt absolut egal. Ich bin nicht getauft und nicht Anhänger irgendeiner Religionsgemeinschaft. Es kümmert mich genausowenig, ob jemand mit Kopftuch rumläuft, oder mit Kreuzen oder welcherlei Symbolen auch immer. Warum auch immer diese Leute diese Sachen tragen ist ihre Sache.

@ Feuerkopf - ich weiss, dass ich mit dieser Meinung wahrscheinlich bei dir anecken werde. Es ist einfach so ... ich bin den Glaubensgemeinschaften gegenüber relativ gleichgültig gegenüber. Ich respektiere, was sie vertreten, was sie getan haben, bzw verurteile auch manche Taten, aber sonst sind sie - in meinem Leben - eher ein Randphänomen, weil sie nicht das verkörpern, was ich unter "Glauben" verstehe.

@ Topic: Womit ich allerdings ein Problem hätte, wären eindeutig glaubensbezogene Symbole im Klassenraum. Kreuze, Fahnen, was weiss ich. Das wäre nicht im Sinne der Neutralität, die eine Schule bewaren sollte.

Feuerkopf
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Mo 29. Sep 2003, 23:38 - Beitrag #32

@Shockk

Das wäre noch einmal eine andere Diskussion, ob Religionsunterricht überhaupt in eine öffentliche Schule gehört.
Sollten wir vielleicht - bei Bedarf - auf ein separates Topic verschieben.

Traitor
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Di 30. Sep 2003, 15:38 - Beitrag #33

Zum Religionsunterricht gab es schonmal ein Thema . Das ist allerdings doch ziemlich alt, so dass ein Neues sich wohl eher lohnen würde.

@Padreic: So harmlos wie du würde ich das Kopftuch nicht betrachten. Dass es auch ohne den islamischen Kontext eingesetzt werden kann, muss nicht heißen, dass es von diesem im Prinzip frei ist. Dies wäre für mich nur der Fall, wenn die andere Nutzung überwiegen würde. ZB in früheren Zeiten, wo, wie du schreibst, viele (christliche) Frauen es zur Arbeit trugen. Heute sind Kopftuchträgerinnen fast immer Muslime, zumindest bei dieser Art Kopftuch. Modekopftücher kann man von diesen leicht unterscheiden, das sind meist ja eher bunte, dünne Seidentücher. Diese eine Art Kopftuch ist also durchaus ein klares Symbol für konservativen Islam.

@Feuerkopf: Ist "Muslima" ein offizieller "political correct" Begriff? Kannte ihn bisher nicht und bin, was Religionen angeht, lieber übervorsichtig, bevor ich mir neue Bezeichnungen aneigne, bevor das einem falsch ausgelegt wird ;)

Feuerkopf
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Di 30. Sep 2003, 17:44 - Beitrag #34

"Muslim" ist der fachsprachliche Ausdruck für jemanden islamischen Glaubens.
Man möge mich korrigieren, aber soweit ich weiß, ist "Muslima" die weibliche Form, wird jedenfalls immer so genutzt.

Feuerkopf
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Do 2. Okt 2003, 01:11 - Beitrag #35

Diskussionsbeitrag

Diesen Artikel habe ich in der Online-Version der ZEIT gefunden:



Kein Kopftuch in staatlichen Schulen!

Eine liberale Gesellschaft ist auf ein Höchstmaß an staatlicher Neutralität angewiesen

Von Margrit Gerste für ZEIT.de

Im Juli vergangenen Jahres druckte die ZEIT auf Seite1 ein vehementes Plädoyer ihres Chefredakteurs Michael Naumann. Unter der Schlagzeile „Das Kreuz mit dem Tuch“ forderte er, kopftuchtragende Lehrerinnen im staatlichen Schuldienst im Namen von Toleranz, Liberalität, Pluralismus zu ertragen. Das Echo der LeserInnen war enorm. Besonders interessant war, was über türkisch-stämmige Mädchen berichtet wurde – eine Gruppe, die beim gegenwärtigen Streit um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fast unter den Tisch fällt: man sorgt sich um deutsche Belange, etwa um die Frage, „wie viel fremde Religiösität die Gesellschaft erträgt“ (Süddeutsche Zeitung).

Eine türkisch-stämmige Ärztin schrieb: Mehrere ihrer kleinen anatolischen Patientinnen werden mit dem Einsetzen der Regel umgekleidet. Die Eltern sagen, es ist ganz freiwillig, die Mädchen erzählen der Ärztin unter vier Augen, es war ein Handel, „Papa hat mir alles gekauft, was ich mir wünschte.“ Ein arabisches Mädchen gestand ihrer Ärztin: „Ich würde das Kopftuch sofort ablegen. Aber ich lebe noch mit meiner Familie, deren Verachtung und Ausgrenzung könnte ich nicht ertragen.“ Ein Lehrer berichtete, wie fröhliche und weltoffene kleine Mädchen plötzlich geduckt unter einem Kopftuch erschienen – ein neuer Hodscha, so berichteten sie, sei frisch aus der Türkei gekommen. Ein anderer Pädagoge beobachtet, wie schwer es so manche türkische Schülerin („Berufliche Oberschule“) hat, sich aus den Fesseln der Tradition und Religion zu befreien: „Die Schulkarriere dieser Mädchen ist des öfteren unter den Schlägen der streng gläubigen Väter und dem Terror der Machobrüder zunichte gemacht worden.“ Was also wird diesen Mädchen angetan, wenn man ihnen Kopftuch tragende Lehrerinnen vorsetzt? Man würde es ihnen noch viel schwerer machen, ihre Chancen in dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Integration? Das Wort bekäme einen noch hohleren Klang.

Das Kopftuch mag aus den vielfältigsten Gründen getragen und eingesetzt werden – es ist in den letzten 20 Jahren vor allem zu einem mächtigen Symbol politischer und religiöser Überzeugungen rund um den Globus geworden. In manchen Ländern, in Algerien etwa, mit tödlichen Konsequenzen für Frauen, die sich verweigern. In Deutschland symbolisiert das Kopftuch nicht nur individuelle Religiösität seiner Trägerin, sondern mindestens die Tatsache: Islamische Frauen werden nach anderen, strengeren Maßstäben von Moral und Sittlichkeit gemessen. Wir kennen das, es ist noch nicht so lange her beziehungsweise noch gar nicht so ganz vorbei, dass die christliche westliche Gesellschaft ähnlich verfährt – man nennt das Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, und sie ist laut Grundgesetz (und wachsender gesellschaftlicher Einsicht) verboten. Was wäre denn eine Toleranz wert, die im Namen einer anderen Kultur, einer anderen Religion die Relativierung des liberalen Prinzips der Gleichberechtigung in Kauf nähme? Sie gliche eher der Gleichgültigkeit und der Heuchelei.

Im so genannten Kruzifix-Urteil wurde der Staat völlig zurecht vom Bundesverfassungsgericht zurück gepfiffen: staatlicher Zwang, in bayrischen Klassenzimmern Kruzifixe aufzuhängen, ist mit dem Recht auf Religionsfreiheit nicht vereinbar. Warum Karlsruhe im Kopftuch-Streit zum entgegen gesetzten Schluss kommt (und für ein Verbot eigene Gesetze der Länder verlangt), ist schlecht begründet und völlig unverständlich.

Gerade eine offene, liberale, multikulturelle Gesellschaft ist auf ein Höchstmaß an staatlicher Neutralität angewiesen. In diesem Sinne: Bitte kein Kopftuch in staatlichen Schulen!

(c) DIE ZEIT

Thod
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Do 2. Okt 2003, 10:48 - Beitrag #36

Ja, ein gelungener Artikel :-)
(Abgesehen von der Bewertung des Kruzifixurteils ;) )

werde ihn mal weiterkopieren...

gruss,
thod

Cheilon
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Do 4. Dez 2003, 03:41 - Beitrag #37

Mein Senf

Im Diskurs über das Kopftuchverbot in Deutschland, scheiden sich, wie zu unzähligen Themen auch, die Geister. In diesem speziellem aber, so scheint es mir, wirkt Religion gleich dem Manifest Marx, das Kapital, als Opium für das Volk.
Mit dieser Aussage wollte er nicht die atheistische Grundhaltung des Kommunismus propagieren, sondern er wusste um deren Wirkung als Droge die den Verstand nicht erweitert sondern vernebelt.
Wie auch immer. Deutschland gehört zu den freiheitlichsten Staaten der Erde, deren Verfassung jedem Individuum ein Leben nach „seiner Facon`“ garantiert. Nichtsdestotrotz gibt es auch in der freiheitlichsten Demokratie Regeln, die, bei Einhaltung, ein friedliches Zusammenleben ermöglichen.
Ergo: Wenn die Mehrheit der Deutschen für ein Verbot ist, dann soll es Gesetz und unumstößlich sein. Alles andere wäre Anarchie (Fanatismus), und wozu dies führt ist angesichts der aktuellen Anschläge in der Türkei, und des 11.Septembers, allgemein bekannt.
Ferner wird, meines Wissens, im Koran ein „Nichttragen“ des Kopftuches an keiner Stelle als Blasphemie gewertet.

Traitor
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Sa 6. Dez 2003, 18:09 - Beitrag #38

Du setzt Anarchie mit Fanatismus und umgekehrt gleich? Dem kann ich nicht ganz folgen: Fanatismus beinhaltet ja, dass man diese Anschauung allen anderen aufzwingen will bzw. diejenigen, die das nicht mit sich machen lassen, vernichten. Während bei der Anarchie eigentlich alle nebeneinander her leben sollten... Erkläre diese Gleichsetzung bitte mal.

DaumA
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So 7. Dez 2003, 13:43 - Beitrag #39

Zur Kopftuch frage:
Jeder hier darf seine Religion frei ausleben, wenn es nicht zur belästigung anderer übergeht!
Das heißt für mich ganz klar, dass Kopftücher vollig ok sind, doch wenn z.B. in der Schule (im Unterricht) russisch, polnisch, türkisch etc. geredet wird finde ich das total unakzeptabel!

Maglor
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Mi 17. Dez 2003, 18:47 - Beitrag #40

Re: Mein Senf

Original geschrieben von Cheilon
Ergo: Wenn die Mehrheit der Deutschen für ein Verbot ist, dann soll es Gesetz und unumstößlich sein. Alles andere wäre Anarchie (Fanatismus), und wozu dies führt ist angesichts der aktuellen Anschläge in der Türkei, und des 11.Septembers, allgemein bekannt.

Mhh, da hat hier wohl jemand, was verwechselt.
Wenn die Entscheidung der Mehrheit absolut ist, so nennt man das das nicht Demokratie im eigentlichen Sinne, sondern eher Ochlokratie. Die totale Herrschaft der Mehrheit ist sicher das Gegenteil der Anarchie, aber an ihr haftet wohl der herbe Geschmack des totalitären. Fanatismus wird primär eher in totalitären als in anarchischen System entwickelt, er läßt nur in Anarchien leichter ausleben.
Ergo: Selbst wenn die Mehrheit der Deutschen, der Parlamentarier oder wer auch immer entscheidend, und somit die Rechte von Miderheiten einschränkt ohne damit grundlegende Mehrwerte für die Allgemeinheit zu schaffen, dann sollte man im Zweifel den das Verfassungsgericht anrufen, wenn man dazu finanziell und intellektuell in der Lage ist.
MfG Maglor

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