Genfer Konventionen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Padreic
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Fr 13. Feb 2004, 12:44 - Beitrag #21

@AJ
Es ist leicht zu sagen, dass man damals im Bezug auf Ideologien aufgeklärt war. Stimmen tut es IMHO nicht in diesem Sinne. Nationale Bewegungen waren damals allgemein sehr stark, schon vor dem Auftreten der Nationalsozialisten, die Demokratie war alles andere als gefestigt, viele waren im Grunde eher Monarchisten als Demokraten. Dazu kam noch die Weltwirtschaftskrise, in der viele um ihren Lebensunterhalt stark kämpfen mussten. Hier traten nun die Nationalsozialisten auf und schafften es mit viel Propaganda die Ängste und Sorgen eines Teils der Bevölkerung auszunutzen. Dadurch und durch Bündnisse mit anderen Parteien gewannen sie immer mehr Macht und konnten auch immer mehr Propaganda einsetzen. Schon 1933 kam es dazu, dass, wer auch nur Sozialdemokrat (geschweige denn Kommunist oder dergleichen) war um sein Leben fürchten musste, ebenso jeder, der seine Meinung gegen das Regime äußerte. Es gelang auch den Nationalsozialisten den Massengedanken heraufzubeschwören: Ein Einzelner wird sich meist gegen das Regime ausgesprochen haben, aber wenn die Leute in der Masse waren und einige es fanatisch befürworteten, ließen sie sich mitreißen. Bei den jüngeren kam noch die Quasi-Pflicht-Einziehung in die HJ hinzu, wo man wirklich nicht mehr von ideologie-freier Aufklärung sprechen kann, ganz im Gegenteil, man wurde mit geschickter Propaganda, Kameradschaftsgedanken etc. nur so eingenebelt.
1939 kam dann der Krieg. War es denn wirklich so klar, dass es eine ungerechte Sache war? Polen hatte wesentliche Teile der deutschen Ostgebiete auf recht fragwürdige Weise annektiert und mit Frankreich hatte Deutschland eine schon lang andauernde Feindschaft, die durch den Versailler "Vertrag" noch stark angeheizt wurde. Trotzdem würde ich sagen, dass die meisten sicherlich nicht begeistert in den Krieg zogen, aber sie wollten nicht als Deserteure standrechtlich erschossen werden. Als dann die Fronten von den Alliierten zurückgedrängt wurden, galt es für den national Denkenden das Vaterland zu verteidigen. Dass die Alliierten für eine für eine durch und durch gerechte Sache kämpften, ist IMHO Blödsinn, insbesondere nicht an der Ostfront. Was die Sowjets an Greueltaten an der Zivilbevölkerung ausgeübt haben, ist sicherlich nicht wenig. Was der Feind mit der deutschen Bevölkerung machen würde, wurde natürlich auch Gegenstand der Propaganda.
Ich will damit sicher nicht die Kriegsverbrechen der Deutschen entschuldigen, doch zu sagen, dass jeder deutsche Kriegsteilnehmer ein Verbrecher war, der es hätte besser wissen müssen, ist IMHO Blödsinn. Um die "psychische" Lage im dritten Reich aus subjektiver Sichtweise kennenzulernen, kann ich übrigens die Bücher "Geschichte eines Deutschen" von Haffner und "Kirschen der Freiheit" von Andersch empfehlen.

Und zu den Exekutionen:
Ich finde die Sichtweise, dass die Italiener nach ihrer Kapitulation noch Freunde waren, etwas seltsam. Man könnte es auch so ausdrücken, dass sie die Deutschen im Stich gelassen haben. Das war natürlich angesichts der Lage und des deutschen Regimes mehr als verständlich und auch berechtigt, nur dürfen sie sich dann nicht wundern, von den Deutschen als Feinde angesehen zu werden...

Padreic

Artanis
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Fr 13. Feb 2004, 15:27 - Beitrag #22

Die Genfer Konventionen sind in etwa so nütlich wie Kants kategorischer Imperativ, beides wirklich super toll auf dem Papier in der Realität allerdings total unbrauchbar.
Ich persönlich würde meinem Gegener auf dem Schlachtfeld die Achtung erweisen, die er mir erweist, handelte ich anders dann gäbe ich alle Vorteile in die Hand meines Feindes und das kann nicht Sinn einer KAmpfhandlung sein.

Meuchelmoench
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Fr 13. Feb 2004, 22:55 - Beitrag #23

@ Artanis

Dann kannst du auch gleich Gesetzen Untauglichkeit bescheinigen, die werden auch täglich gebrochen...

Von Menschen gemachte Gesetze sind eben normative Gesetze und keine empirisch-analytischen Gesetze wie die Naturgesetze.


Und wie würdest du eigentlich "Achtung" auf einem Schlachfeld definieren?


@ Padreic & AJ

Ich denke auch, dass die Menschen damals oft von ihrem Tun überzeugt waren, auf beiden Seiten. Und insofern ist dieses Gerede von einer "gerechten Sache" nicht sehr nutzbringend, da sie jeweils Grausamkeiten am Gegner legitimiert und von beiden Seiten als Propagande benutzt wird.
Natürlich wissen wir heute, wie verbrecherisch die Deutschen sich in dem Krieg und vorher verhielten, und auch viele Alliierte (und Deutsche) wussten dies damals. Und dennoch behandelten zumindest die Westalliierten die Deutschen gerade nach Kriegsende, aber auch während des Krieges, angesichts der von Deutschen begangenen Verbrechen menschlich.
Sollte man dies wirklich "Schwäche" nennen und den Respekt vor den Soldaten der Alliierten verlieren (@AJ)? Nur weil sie nicht Massengräber für Deutsche errichtet haben?

Sicher könnte ich es verstehen, wenn viele den Wunsch verspürten, "den Deutschen" Gewalt anzutun. Aber richtig wäre dies sicher nicht gewesen, weil die Sachen, die zumindest die Westalliierten verteidigten, nicht nur einfach ihr Land und ihr Leben waren, sondern auch Ideen wie Menschenrechte und "Recht" überhaupt. Und dieses gilt nicht nur auch, sondern *gerade* für den eigenen Gegner.

janw
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Fr 13. Feb 2004, 23:16 - Beitrag #24

@AJ: ich habe vor vielen Jahren eine ähnliche Diskussion mit meinem Opa gehabt. Er ist 1939 etwa in Deinem Alter eingezogen worden und hat dann bis, ich glaube, 1943 oder 44 gekämpft, kam dann in Gefangenschaft.
Ich habe ihn mal gefragt damals, warum er / seine Generation denn nichts getan hat gegen das, was sich da entwickelte. Er sagte mir, daß die Jugendlichen von den ganzen Repressalien gegen Juden und andere "Randgruppen" nicht soviel mitbekommen hätten, das was Hitler da von sich gab nicht ernst genommen und die HJ als sehr spaßig empfunden hätten, eben mit Ausflügen, Abenteuer...Für andere Meinungen war kein Raum.
Der Kriegsbeginn wurde dann als Überfall der Polen "verkauft" (Seit 4.30 Uhr wird zurückgeschossen), der Krieg gegen Polen wurde dadurch zur legitimen Verteidugungshandlung stilisiert.
Im Krieg selbst war es so, entweder du schießt oder der Gegner, mal von so Pausen an Weihnachten abgesehen, und wenn du nicht das tust, was dein Vorgesetzter dir befiehlt, kriegst du entweder gleich die Kugel oder das nächste Himmelfahrtskommando. Was er erlebt hat, wollte er nie erzählen, es muß wohl traumatisch gewesen sein.

Ich will damit sagen, daß der Mensch zu aufgeklärtem Denken und Handeln fähig ist, man ihm aber sehr leicht durch Propaganda und soziale Strukturen ein anderes Handeln "anerziehen" kann. Zudem führen Befehlsnotstand (der Vorgesetzte gewissermaßen mit Gewehr hinter dem Soldaten) und die ständige Gefahr plus die einseitige Information dazu, daß Soldat am Ende gewissermaßen nur dem eigenenn Selbsterhaltungstrieb folgt.

Für mich ist daher jeder Soldat sowohl Vollstrecker einer Politik wie auch ihr Opfer, und jeder gefangene Soldat muß daher IMHO menschenwürdig behandelt werden, denn er ist Mensch und zudem nicht nur Täter, sondern auch Opfer von Umständen, für die er nichts kann.
Rache und Vergeltung gehören für mich in den Bereich der affektiven Handlungsauslöser, sprich, aus dem Moment heraus sind solche Handlungen verständlich, aber sie können für mich nicht Leitlinie für den Umgang mit Gefangenen sein, wenn der Adrenalinspiegel wieder normal ist.

@Pad: Polen ist Opfer mehrerer Teilungen im 19. JH, wo Preußen und Rußland das land unter sich verteilt haben. Nach dem 1.WK wurde dieses Unrecht, das es war, teilweise wieder rückgängig gemacht. Sicher haben die polnischen Beamten auf der Transitstrecke auch manchmal Reisende schikaniert, aber das kann kein Grund für einen Angriffskrieg sein! Vielmehr ist es ja auch so, daß im Hitler-stalin-Pakt Polen erneut aufgeteilt wurde.
Insofern kann ich für die einseitig informierte deutsche Bevölkerung nur in den Schikanen einen subjektiven Rechtfertigungstatbestand erkennen, der bei objektivem Blick auf die wirklichen Tatsachen jedoch nicht aufrecht zuerhalten ist.

@ Artanis:
Die Genfer Konventionen sind in etwa so nütlich wie Kants kategorischer Imperativ


Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Systemen ist aber, daß die GK konkrete Normen setzt zum Umgang mit konkreten Menschen, und die hier genannten normativen und strukturellen Anforderungen sind durchaus erfüllbar, also Bestandteile realer Systeme. Im Gegensatz dazu ist der KI eine nur mäßig konkrete Grundlage für ein potentielles anzustrebendes Normensystem, daher nicht auf individualisierbare konkrete Sachverhalte anwendbar. Was ein Kriegsgefangener ist, ist klar definierbar und definiert, welche Normen aber eine bestimmte Gesellschaft zum gedeihlichen Funktionieren benötigt, und die somit aus einem gottgefälligen Handeln folgen würden, ist weidlich diskutierbar.

Padreic
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Sa 14. Feb 2004, 00:48 - Beitrag #25

@janw
Mir lag (und liegt) es fern, den deutschen Angriffskrieg auf Polen zu legitimieren. Ich wollte nur darlegen, dass der Versuch, einen solchen Angriffskrieg zu legitimieren, insbesondere gegenüber einer einseitig informierten Bevölkerung, nicht absurd ist.

@Meuchelmönch
Wobei die "menschliche" Behandlung der Kriegsgefangenen auch nur relativ zu dem Greuel des Krieges so genannt werden kann. Mein Großvater war in französischer Gefangenschaft und das wenige, was ich von meiner Großmutter aus darüber weiß, ist nichts, was man wirklich ernsthaft als menschenwürdig bezeichnen könnte. Es mag aber durchaus sein, dass dieses konkrete Fallbeispiel sich nicht verallgemeinern lässt.

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cerberus
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So 15. Feb 2004, 13:09 - Beitrag #26

die genfer konventionen: auch als gesetze und gebräuche
des krieges bekannt
aus eigener erfahrung kann ich sagen das die GK jede menge gummiparagraphen enthält

die konventionen können nicht von a-z eingehalten werden
denn ein offizier hat nur zwei augen und muss bei seinen 30 bis 50 soldaten gleichzeitig auf die einhaltung der GK achten

das ist schlichtweg unmöglich

janw
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So 15. Feb 2004, 14:38 - Beitrag #27

@ Cerberus: Wo Normen gesetzt werden, entstehen immer auch Auslegungsfragen, man es sicher so sehen, daß einige Punkte besser formuliert worden sein könnten, aber das tut IMHO dem grundsätzlichen SINN und der Notwendigkeit der GK keinen Abruch.
Gleiches gilt für die Einhaltung: Auch bei der Polizei kommt es vor, daß festgenommene Verdächtige nicht korrekt behandelt werden. Für solche Fälle sind aber soweit ich weiß auch in der GK Beschwerdemöglichkeiten enthalten, jedenfalls ist der durch die GK geschaffene Standard hundertmal besser als der Zustand der völligen Willkür und totalen Auslieferung der Gefangenen, der ohne sie herrschen würde. Verbesserungen sind aber sicher möglich und nötig.

Meuchelmoench
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Mi 18. Feb 2004, 00:15 - Beitrag #28

Genau so ist es.

...

Mich wundert das allmählich, dass immer wieder das Argument gegen die GK auftaucht, dass sich einige nicht daran halten.

Wie gesagt, mit dieser Begründung wäre jedes Gesetz und jede Moral hinfällig. Wenn das tatsächlich jemand meinen sollte: nun denn....

Artanis
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Mo 1. Mär 2004, 14:47 - Beitrag #29

Die GK sind nur dann anwendbar, wenn 2 konventionelle Truppenverbände, welche beide die GK achten, durch, mit anderen Mitteln fortgeführte Diplomatie, miteinander konfrontiert sind, das ist schlicht ein Fakt, den die praktische Vernunft diktiert. Ob das moralisch korrekt oder erstrebenswert ist sei dahingestellt, es ist aber so. Jegliche Zuwiderhandlung hat zwangsläufig den eigenen Nachteil zur Folge. Es gibt aber eben auch andere Konflikte und in diesen haben Großteile der GK keine Anwendung. Ich kann einem Kriegsgefangenen nicht sämtliche Rechte zugestehen, die ihm laut GK zustehen, wenn mein Feind seine Gefangenen foltert und mein Gefangener die Dechiffrierung des feindlichen Funks kennt, dann MUSS und WERDE ich ihn foltern, GK hin oder her, weil ich weiß, dass dieser Verstoß MEINEN SIEG bedeutet und folglich unzählige Leben rettet. Jeder, der die GK in diesem FAll nicht missachtet ist ein moralinsaurer realitätsfremder Dummkopf.
Nebeinbei würde jeder so handeln, hier in Sicherheit am PC zuhause über die Wichtigkeit der GK schwafeln, das ist einfach, vor Ort ist es der Überlebensinstikt, der die Schritte leitet nicht die GK. Wenn ich weiß, dass meine einzige Möglichkeit zu überleben das Anziehen und kämpfen in einer feindlichen Uniform ist, dann ziehe ich sie an, das würde jeder tun, auch wenn es verboten ist.

JaY
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Di 2. Mär 2004, 00:14 - Beitrag #30

Ich muss Arantis recht geben. Wenn es ums überleben geht Heiligt der Zweck die Mittel.

Ich würde wenn es nicht anders geht, wahrscheinlich jeden einzelnen Paragraphen der Genfer Konvention missachten, wenn ich dadurch mein oder das überleben einer oder mehrerer Personen die mir wichtig sind sicherstellen kann.

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