Ich wusste schon, warum ich Wells damals fürs Gemeinsam-Lesen-Projekt vorgeschlagen hatte.
Das Werk des Mannes bietet noch immer mehr Gesprächsstoff, als man vermeintlich vertrauten und erschlossenen Texten zutraut.
Gewiss enthalten die Texte die von Dir genannten Drohungen, Traitor - aber doch nicht als Fazit oder Generalbass, sondern eher als Schauermoment.
Zu "War Of The Worlds":
Jau, die technologisch überlegenen Marsianer überfallen die Erde, und die Menschheit kommt nur davon, weil die Natur ihr noch einmal hilft (wobei das Immunsystem Erde, das sich fremder Invasoren entledigt, sowieso auch kein ganz pessimistisches Konzept darstellt). Aber was ist denn die Schlussfolgerung daraus: dass wir uns bangend unter die Bettkästen zurückziehen und dem Moment entgegen zittern, an dem uns irgendetwas auslöschen wird?
Im Gegenteil: der Text beginnt mit dem Hinweis, dass die moderne Menschheit sich nicht träumen ließ, von einer technologisch weit überlegenen Macht belauert zu werden. Und er endet mit dem Hinweis, dass man für dieses Mal davongekommnen ist, sich für die nächste Invasion nun aber vorbereiten muss, weil die Bakterien nicht noch einmal helfen werden. Das ist ein absoluter Durchhalte- bzw. Wachrüttelroman.
Für wen schreibt Wells denn da? Für ein Empire, das sich für die Krönung der Geschichte hält, dessen Führungsschicht sich technologisch, wissenschaftlich, politisch auf der höchsten Höhe glaubt, für eine Funktionselite, die eher auf Besitzstandwahrung als auf Vorwärtsdrang aus ist. Der schreibt Wells ins Gewissen, dass mit der Eroberung Indiens und der flächendeckenden Gaslichtversorgung der Großstädte die Weltgeschichte noch nicht zu Ende ist. Wells will die Briten zurück an die Werkbänke, in die Labors, in die Wanten und an die Bajonette treiben, er will den Kämpfergeist am Leben erhalten, der einer kleinen Insel die zeitweilige Weltherrschaft eingebracht hat.
Zu "Time Machine":
Ist der Gedanke wirklich so ein Horror, dass die Menschheit, ja, dass alles Leben auf diesem Planeten einmal erlöschen wird? Iwo, das ist zwar etwas, das uns melancholisch stimmen kann, aber es ist schlicht eine Tatsache. Und Wells droht damit ja nicht für die nahe, sondern für die ferne Zukunft. Für den Zeitreisenden, der das mit ansehen muss, ist das sehr viel belastender als für uns.
Wells schreibt hier wieder grundoptimistisch gegen den saturierten Geist eines Empire an, das glaubt, auf einem Plateau ewiger Macht, Sicherheit und Behaglichkeit angekommen zu sein. Der Autor hält dem entgegen, dass es solch einen Stillstand nicht gibt, wobei er es nicht auf einen Nation, sondern auf die gesamte Menschheit bezieht. Man steigt entweder auf, oder man steigt ab, man befindet sich in der Jugendphase hin zur Reife, oder man hat den Höhepunkt überschritten und altert dem Verfall entgegen. Die Reife selbst ist kein Dauerzustand.
Die Schilderung der erschlafften und dekadenten Menschheit will den Willen aufstacheln, es noch lange nicht so weit kommen zu lassen. Wells zeigt ja auch sehr deutlich, wo er die Eingriffsmöglichkeiten sieht - der Zerfall der Gemeinschaft in Arbeitstiere und Konsumparasiten muss gestoppt werden. Das ist ganz zeitkritisch auf ein England hin geschrieben, in dem Arbeit und Kapital nicht einfach verschiedene Klassen, sondern verschiedene Spezies zu definieren scheinen.
Und falls man den Veränderungswillen nicht aus purem Trotz gegen das Geschilderte aufbringt, lässt Wells den Erzähler noch mal ausdrücklich sagen, dass er gar nicht an die Unabwendbarkeit der vom Zeitreisenden geschilderten Zukunft glaube, dass der die Zukunft noch immer für offen und unbestimmt halte.
Nee, nee, Pessimismus ist eine zeitweilige literarische Finte bei Wells, keine Geisteshaltung.
Fargo