Nieder mit der Bundesversammlung!

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Traitor
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Di 25. Mai 2004, 13:16 - Beitrag #1

Nieder mit der Bundesversammlung!

Als ich im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl und dann während der Übertragung von selbiger verfolgt habe, was da so abläuft, habe ich mal wieder ein Stück Glauben an die Bundesrepublik Deutschland verloren.
Das ist ja die reinste Karnevalsversammlung! Die Hälfte der Wahlmänner sind durch undurchsichtige, völlig antidemokratische Mauscheleien in den Ländern zu ihrer Position gekommen, zu großen Teilen politisch völlig unfähig - Schauspieler, Sportler, zufällig ausgewählte Mitglieder der Hintertupfinger Dorfsparteiabteilung.
Und so ein Haufen wählt dann unter lächerlichem Prozedere (Thierse steht zwei Stunden lang vorne und liest 1000 Namen vor, die dann der Reihe nach ihren Zettel einwerfen, während der Rest Zeitung liest) den "höchsten Mann im Staate".

Inzwischen ist für mich klar, dass dieses Wahlverfahren weg muss. Derzeit wird das Amt des Präsidenten, das ja sowieso keinerlei Macht, sondern nur Ansehen genießt, durch die Parteiquerelen im Vorfeld und die Albernheit des Wahlprozesses völlig demontiert. So kann es nicht weitergehen.

Der Standardvorschlag ist ja eine Direktwahl des Präsidenten durch das Wahlvolk. Das ist aber keine echte Alternative - zum einen haben wir bereits viel zu viele Wahlen, die Politikwissenschaftler sind sich einig, dass unsere Demokratie vor allem auch durch den andauernden Wahlkampf gelähmt wird. Außerdem handelt es sich beim höchsten Mann im Staate eben nur um einen Repräsentanten - wer keine Macht hat, braucht auch kein direktes Volksmandat. Zumal die hohe Integrität seines Rufes, die Voraussetzung für einen erfolgreichen Mahnerposten ist, in einem Personenwahlkampf sicher noch schlimmer beschädigt würde als ohnehin schon.

Deshalb meine radikale Idee für ein neues Bundespräsidentenwahlverfahren: Er wird gewählt von einem Ausschuss des Bundestages. Darin hat jede Partei, die als Fraktion im Parlament sitzt (also über die 5%-Hürde kam, keine nur-Direktmandat-Vertreter wie die PDS) genau eine Stimme.
So wären die Parteien quasi gezwungen, sich auf einen überparteilich akzeptierten Kandidaten zu einigen. Die Suche könnte mehr oder weniger ohne öffentliche Schlammschlachten ablaufen, und am Ende hätte man einen Präsidenten, den die gesamte politische Landschaft anerkennt und der somit eine deutlich höhere moralische Position hätte.
Die Suche nach einem geeigneten Kandidaten wäre sicher noch ein bisschen schwerer als jetzt, aber der Vertrauenszuwachs, den die Sache dem Gewählten am Ende bringt, wiegt das für mich klar wieder auf. Und man hätte einen weiteren Unruheherd des Pseusowahlkampfes ausgemerzt.

Proxy_Blue
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Di 25. Mai 2004, 18:46 - Beitrag #2

Also ich sehe eine Gefahr, wenn man das Volk wählen lässt, und zwar die, dass sich viele möglicherweise von der Parteizugehörigkeit beeinflussen lassen würden.

Worte wie: "Ach, der ist CDU, CDU ist scheisse, den wähl ich net.."
etc. werden imo keine Seltenheit sein. Deswegen halte ich es für angebrachter, dass die Bundesversammlung wählt.

mfG Proxy :s11:

Meuchelmoench
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Di 25. Mai 2004, 22:46 - Beitrag #3

Nu, die direkte Wahl durch die Bevölkerung wurde hier ja auch gar nicht vorgeschlagen.

Aber ich sehe dennoch Probleme bei diesem Vorschlag: zum einen ist es eine ziemliche Verbiegung der Repräsentativität, wenn die grossen Fraktionen genau so viel Veto-Macht haben wie die kleinen. Weiterhin besteht ja durchaus die Gefahr, dass mal eine Spinnerpartei, von der NPD mal ganz zu schweigen, die 5%-Hürde schafft. Dann muss man entweder einen Präsidenten annehmen, der von dieser Partei mitgetragen wird, was sicherlich nicht gut wirkt, gerade im Ausland.
Aber ignorieren kann man ihn auch nicht, ausser es gibt eine Regelung, wie verfahren wird, wenn es zu keiner Einigung kommt. Man könnte das natürlich wie beim Papst machen, dass die Leute so lange eingemauert werden, bis sie sich geeinigt haben. Aber bei der Papstwahl sind immerhin alle katholisch, und in der Politik hat jeder eine andere Farbe.
Ausserdem müsste ein Kandidat gefunden werden, der weit genug von allen Parteipositionen entfernt ist, so dass keine Partei sagen kann: "das is unsa!". Gleichzeitig muss er aber eine ausreichende Reputanz haben, man kann ja wohl keinen Nobody wählen. Und so was ist bei uns selten, denke ich.
Und auch geklärt werden müsste dann: wer wählt überhaupt die Vertreter, die den Präsidenten wählen? Letztlich ist es doch nur eine Problemverlagerung, zu sagen, dass die Fraktionen die Ausschussmitglieder bestimmen und dann zu hoffen, dass die eine überparteiliche Wahl treffen.
Und soll die CSU eigentlich einen eigenen Vertreter bekommen?

Ansonsten finde ich den Vorschlag durchaus interessant, und, wie man sieht, diskussionswert.

Traitor
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Mi 26. Mai 2004, 16:38 - Beitrag #4

@Meuchelmoench: Die "Verbiegung der Repräsentativität" ist gerade das, was ich mit dem Vorschlag erreichen will. Der Bundespräsident hat derzeit eine zwiespältige Rolle - einerseits kann und soll er nur repräsentieren, seinen Haupteffekt als moralischer Redner und Aushängeschild haben. Andererseits versucht man, ihn so weit wie möglich als Parteiinstrument zu missbrauchen.
Von letzterem Zwang würde ich ihn gerne befreien, und das schafft man IMHO nur, indem er streng überparteilich gewählt wird. Würden die Parteien weiter Stimmen gemäß ihrer Anteile haben, würde weiterhin der Kandidat der Mehrheitskoalition gewinnen. Durch die Reduktion aller Parteien auf eine Stimme ist ein Konsenz stärker erzwungen.

Das Argument mit den Splitterparteien ist allerdings schwerwiegend. Vielleicht könnte man eine 2/3-Mehrheit bzw eine Sperrminorität von mindestens 2 einführen, um dies zu verhindern - das würde das Konzept der Überparteilichkeit verwässern, aber nicht allzu sehr, da zB derzeit ja immer noch zumindest eine Ampel für einen Kandidaten nötig wäre.

Was den geeigneten Kandidaten angeht... viel schwerer als jetzt kann die Suche kaum noch werden, denke ich. Schon jetzt war es ja quasi unmöglich, wirklich qualifizierte und gleichzeitig saubere Kandidaten zu finden. Leute wie Schwan und Köhler wiederum, die der aktiven Politik eher fern stehen, hätten auch im neuen System noch Chancen.

Die Vertreterfrage sollte sich dadurch lösen lassen, dass man die Stimmen der Parteien nicht als persönliche Wahlmänner mit Gewissensentscheid wie in der Bundesversammlung, sondern wirklich nur als Stimmen ansieht - die Parteien können also auf direktem Weg miteinander verhandeln, am Ende entscheidet je nach interner Regelung der Vorsitzende/die Fraktion/die Basis/werauchimmer.

Was die CSU angeht... vermutlich würden die Schwarzen dann aus taktischen Gründen darauf bestehen, dass diese eine eigene Fraktion darstellen. Kenne mich mit Bundestagsrecht aber zu wenig aus, um zu sagen, ob das ihnen anderswo Nachteile brächte, sprich, ob sie es wirklich machen würden. Oder sogar jede Partei es mit einem Trick schafft, ihre 20% in vier Stimmen zu splitten? Aber ich hoffe, solchem Missbrauch ließe sich durch geschickte Gesetzesformulierung ein Riegel vorschieben...

Danke für die Anregungen und Kritik, ist ja ein Konzept in Entwicklung.

Agnitio-Opes
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Sa 29. Mai 2004, 08:58 - Beitrag #5

Ein hier genanntes Argument ist nicht genug bedacht und zwar
jenes in der Aussage, dass das Volk am Besten nicht entscheide, wer BundespraesidenIn werde, da es schon zu viele das Land laehmende Wahlen gaebe.
Wer hat denn gesagt, dass die Amtsdauer sakrosankt ist? Bei einem auf zehn Jahre gewaehlten Bundespraesidenten waere dieses Argument nicht mehr zutreffend.
Der Traitor'sche Vorschlag ist sicherlich interessant, aber ich sehe nicht ein, aus demokratiepraktischen Defiziten Demokratie an sich auszuhebeln und ein solches Vertretersystem hat mit Demokratie nichts mehr zu tun, beispielsweise unter dem Umstand drei Stimmen fuer einen linken Kandidaten (da drei Linksparteien) trotz einer rechten Regierung mit nur einer Stimme (da nur eine Partei).
Ueberhaupt muesste dafuer ersteinmal das Grundgesetz geaendert werden und ich denke, die grossen Parteien wuerden lieber einer Direktwahl zustimmen, als Macht an die kleineren Parteien abzugeben.

Traitor
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Mi 2. Jun 2004, 23:04 - Beitrag #6

Zehn Jahre sind eine unglaublich lange Zeit. Ich denke nicht, dass es Sinn macht, ein Staatsoberhaupt auf diese lange Zeit zu wählen - es könnte passieren, dass sich die politische Landschaft in dieser Zeit sehr, sehr weit von ihm entfernt. Und es müsste vermutlich ein Höchstalter für Bundespräsidenten eingeführt werden, damit das Risiko, dass er vor Ablauf der Amtszeit stirbt / nicht mehr amtsfähig ist nicht zu groß wird (Rau in 5 Jahren könnte schon recht kritisch sein, an Hindenburg könnte man sich auch perfekt erinnern). Schon die französischen 7 Jahre finde ich zu hoch. 4-5 Jahre sind allgemein ein recht guter Kompromiss.

Was die Demokratieaushebelung ausgeht... undemokratischer als das derzeitige Verfahren wäre es wohl kaum. Diese Karnevalsveranstaltung von Bundesversammlung kann ich beim besten Willen nicht als demokratische Institution betrachten...

Der Fall mit den drei Linksparteien ist im Prinzip der gleiche Einwand wie die Frage nach der CSU. Leider habe ich darauf keine wirkliche Lösung. Um eine wirklich gute Lösung zu finden, bräuchte es wohl auch einen kompetenten Verfassungs-/ Staatsrechtler...

Agnitio-Opes
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Fr 4. Jun 2004, 06:55 - Beitrag #7

Noch zu einer Amtszeit von zehn Jahren: In welche politische Richtung koennten sich die Deutschen denn vom Bundespraesidenten entfernen und wo ist das Problem? Falls die Deutschen zu rechts werden (Bitte nicht!), waere er eine Bastion der Liberalitaet und falls die Deutschen zu links werden, dann waere der Bundespraesident immer noch Demokrat, auf Fehler hinzuweisen und die Gemueter zu beruhigen ist ja sowieso seine Aufgabe.
Danke! Dein Argument laesst sich sehr gut in meine Argumentation einbinden.
Was das Alter angeht, wir wollen doch nicht anfangen Menschen wegen iheres Alters zu diskriminieren!!!
Uebrigens ein Bundespraesident, der auf zehn Jahre direkt vom Volk gewaehlt wurde, wird ganz sicher auch abgewaehlt werden koennen, wenn das Volk es wuenscht.
Ach, ich mag solche Theorie-Spielchen, es kommen immer mehr Varianten und Aspekte hinzu...

Traitor
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Fr 4. Jun 2004, 13:18 - Beitrag #8

Ich beziehe mich nicht auf ein links-rechts-Spektrum, sondern auf die Modernität seiner Ansichten. Ein schönes Beispiel ist unser hochverehrter Ex-Kanzler Kohl, der nach 16 Jahren Amt gegen Ende schon fast in einer Traumwelt zu leben schien, in der er sich von den politischen Realitäten kaum noch leiten ließ; oder der Die-Renten-sind-sicher-Nobby. So eine Gefahr sehe ich beim vom Tagesgeschäft entrückten Präsidenten noch deutlicher - ein vor 9 Jahren gewählter Präsident könnte heute durchaus gegen jedwede Kürzung der Sozialsysteme wettern und damit eine sehr schadhafte Rolle einnehmen.

Was das Alter angeht - da herrscht schon jetzt Diskriminierung. Schließlich hat der Bundespräsident ein Mindestalter von 40 (oder 50?) Jahren. Aber das sollte nicht das Argument sein. Sondern vielmehr die praktischen Überlegungen aus dem Vorpost, die du nicht mit political corectness wegwischen solltest

Eine Möglichkeit zur Abwahl des Präsidenten durchs Volk würde ziemliche Unruhe ins System bringen. Bürgerinitiativen mit Stimmensammlung, wieder eine Wahl mehr... die destabilisierende Wirkung zu häufiger Volksentscheide hat man wiederum in Weimar gesehen. Da sollte es lieber bei Regelwahlen bleiben.

Agnitio-Opes
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Sa 5. Jun 2004, 12:59 - Beitrag #9

Bei einer zehnjaehrigen Amtszeit koennte man ja durchaus sagen, dass das Volk erst dann abwaehlen darf, wenn mindestens fuenf jahre vergangen sind.
Ich habe Dir im Bezug auf ein Mindestalter ueberhaupt nicht wiedersprochen, aber ein Maximalalter halte ich fuer untragbar. Dann soll sie/er halt waehrend der Amtszeit sterben, das Volk hat sie/ihn ja auch im Wissen es Alters gewaehlt.


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