Original geschrieben von Padreic
An jedem verdammten Tag des 2. Weltkrieg sind Männer gestorben. Nur weil die vielleicht damit keine entscheidende Schlacht gewonnen haben, soll man ihrer dann nicht gedenken?
Niemand verbietet Dir, aller Toten des Krieges jeden Tag des Jahres zu gedenken. Falls Du das kannst, tut die Gedenkfeier zum D-Day dem gewiss keinen Abbruch. Die meisten Menschen aber können nicht so universal denken und empfinden. Sie brauchen Symbole, um sich zu erinnern, um Gedanken und gGefühle zu fokussieren, so Ordnung und Übersicht in dem Chaos all dessen zu finden, was man anständigerweise so sollte.
Staaten bzw. politische Gemeinschaften brauchen solche Symbole und Rituale erst recht, denn sie denken und empfinden ja nicht unabhängig von Handlungen, sondern nur durch Handlungen.
Der D-Day ist so ein Symbol, ein kraftvolles, wie ich finde, ein geschichtsträchtiges Datum. Er nimmt niemandem etwas weg – er steht pars pro toto.
Das Ganze erinnert mich an den eigentlich durchaus berechtigten Einwand gegen die organisierte Zuwendung an unsere Lieben anlässlich von Weihnachten und Geburtstag. Das sei nur Konsumterror, sagen manche, da machten sie nicht mit, sie zeigten Zuneigung und Sympathie lieber das ganze Jahr über und nicht auf fremden Befehl.
Prima.
Dummerweise sind es oft gerade diese Menschen, die zwar Weihnachten und Geburtstag ungerührt passieren lassen, aber auch den Rest des Jahres nicht durch Wärme, Großzügigkeit, Zugehen auf den anderen auffallen.
Unter den Leuten, die Weihnachten und Geburtstage mit Freude begehen, gibt es dagegen welche, die dmait noch nicht alle Zuneigung abgehakt haben, die auch das Jahr über immer wieder durch nette Gesten überraschen.
Um mal von mir zu sprechen: mir helfen diese organisierten Feste, den Gedanken des Beschenkens, als Zeichen, dass man den anderen für ein Geschenk im eigenen Leben hält, wach zu halten. Ich hake das Nettsein dann nicht ab, im Gegenteil: gerade weil ich diese Rituale praktiziere, gerät mir das Schenken auch das Jahr über nicht aus dem Sinn.
Ich wage mal zu behaupten, dass es nicht nur mir mit Gedenktagen aller Art ganz ähnlich ergeht.
Sicher war der D-Day einer der entscheidenden des Krieges, aber warum muss man ihn so herausheben?
Es gibt sicher viele Gründe, warum gerade der D-Day sich für symbolisches Gedenken eignet.
Da ist zunächst seine strategische und politische Bedeutung. Die Militärformel vom Ausbootungstag (Debarcation Day) war ja schon damals einer anderen Interpretation des D gewichen: Decision Day, Tag der Entscheidung. Rein militärisch bedeutete es die Eröffnung einer weiteren enormen Front, die endgültige Überstrapazierung der deutschen Kriegsmaschine. Politisch bedeutete es eine neue Eskalationsstufe des amerikanischen Engagements in Europa. Es gab ja auch die Option, amerikanische Bodentruppen nur im Pazifik kämpfen zu lassen und die Gefechte in Europa den Europäern zu überlassen, wenn auch mit heftiger logistischer Unterstützung durch die USA. In Amerika gab es viele Anhänger dieser Variante. Die hätte einen ganz anderen Kriegsverlauf und eine ganz andere Nachkriegswelt ergeben.
Dann war der D-day etwas, bei dem die Westalliierten ohne den sowjetischen Partner agiert hatten – das gab dem Datum im Kalten Krieg noch einmal eine eigene Bedeutung.
Dazzu kommt aber das enorm Bildhafte der Landungsoperation. Da wird nicht einfach Boden gewonnen, da treten Truppen quasi aus einem anderen Reich auf das Gefechtsfeld. Der Moment, wenn die Türen der Landunsgboote aufklappen, der ist eben sehr symbolisch für das Sich-Aussetzen im Krieg, für den enormen Unterschied zwischen relativer Sicherheit und tödlichen Risiko.
Das Kriegsende zu feiern wäre weit weniger willkürlich.
Das Kriegsende wurde und wird ja auch in vielen Ländern gefeiert. Nur wir (West-)Deutschen sollten da relativ still sein. Wir haben es nämlich jahrzehntelang nicht fertig gebracht, den Sieg der Alliierten als Tag der Befreiung oder wenigstens als Beginn des Friedens zu feiern. Eine schrecklich große Anzahl Deutscher hat das Jaher um jahr, Dekade um Dekade als Niederlage empfunden, sich also entsetzlicherweise eher mit den Nazis als mit deren Gegnern und Opfern identifiziert.
Dass diese Feiern zum Kriegsende für Veteranen eine D-Day-Zeremonie nicht ersetzen kann, hat für mich einen nachvollziehbaren Grund. Der Moment des Sieges, der gegnerischen Kapitulation, war einer großer Erleichterung für viele. Aber in der Erinnerung franst der Triumph aus, denn man war ja gerade an diesem Tag meist mit Banalem beschäftigt, mit Routine, steckte in einer Antiklimax. Der Freidenstag ist einer, an dem man gedenkt, was einem erspart geblieben ist.
Der D-day aber steht symbolisch für das, was man geleistet hat, für die Momente intensivsten Einsatzes, für das, was man tatsächlich durchgemacht und erlitten hat. Und weit mehr als der Friedenstag auch für jene, die nichts anderes als den Krieg gekannt haben, für die der Frieden nie kam, weil sie da schon tot waren.
Die beiden Gedenktage widersprechen einander nicht. Sie ergänzen einander.
Fargo