Dammbruch-Vertrag bei Siemens?

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Traitor
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Fr 25. Jun 2004, 12:24 - Beitrag #1

Dammbruch-Vertrag bei Siemens?

Siemens hat unter der Drohung, 5000 Arbeitsplätze abzuschaffen und die entsprechende Produktion nach Osteuropa zu verlegen, der Gewerkschaft einen sensationellen Vertrag abgerungen: die Arbeiter leisten ohne Vergütung 40 statt 35 Stunden, das Weihnachts- und Urlaubsgeld werden komplett gestrichen und durch eine potentielle Leistungsprämie ersetzt.

Es gibt ja eine Menge Stimmen, die diesen Vertrag als schwere Bedrohung für die Tarifverträge ansehen und als endgültiges Zeichen, dass sich die Unternehmer inzwischen alles herausnehmen können.

Prinzipiell kann ich derartige Verträge auch nicht gutheißen, da so wieder der "kleine Mann" für alles aufkommt, während die Firma weiter maximale Gewinne macht. Aber wie man so ein Dilemma besser lösen kann, wüsste ich auch nicht - verbietet der Staat derartige Verträge, wandert die Firma eben doch ins Ausland ab und die Arbeitsplätze sind hin.
Was kann man dagegen tun? EU-weit einheitliche Steuern und Abgaben wären ein großer Schritt. Aber auch das würde das Problem noch nicht wirklich lösen, dann wird halt nach Russland oder China abgewandert. Strafzölle, um das zu verhindern, sind wiederum illegal.
Also muss man wohl dafür sorgen, "den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen", wie es immer so schön heißt. Also die Arbeitskostendifferenz zu anderen Ländern soweit senken, dass sie durch Sicherheit, bessere Verfügbarkeit qualifizierten Personals etc ausgeglichen wird. Es führt wieder darauf hinaus, dass das Steuersystem komplett reformiert werden müsste...

janw
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Fr 25. Jun 2004, 15:42 - Beitrag #2

Ich halte dies auch für eine sehr bedenkliche Entwicklung, und es ist zu hoffen, daß Siemens ein Einzelfall bleibt.

Ich denke, in solchen Fällen ist es Sche der Gewerrkschaften zu fordern, daß der Lohnverzicht alle Gehalts- und organisationsstufen des Unternehmensteils betrifft, damit nicht die Vorstände sich in einem halben Jahr wieder eine üppige Zulage genehmigen.
Eine Möglichkeit wäre auch, daß den Arbeitnehmern verbindlich zugesichert wird, daß ein Teil des nicht gezahlten Lohnes nach Ablauf der Geltungsdauer ausgezahlt wird, das Unternehmen damit einerseits Liquidität erhält, andererseits die Arbeitehmer nicht ganz vom Erfolg des Unternehmens abgekoppelt bleiben.

Ich denke, hier müssen die Gewerkschaften in diese Richtung kreative Gegenforderungen entwickeln.

alea
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Fr 25. Jun 2004, 18:59 - Beitrag #3

Ich sehe das komplett anders als ihr. Es ist zwar wohl so, dass Siemens das nicht deswegen geplant hat weil sie sonst insolvent gegangen wäre, aber ich finde, dass eine Arbeitszeit von 35 Stunden viel zu niedrig angesetzt ist und eine Arbeitswoche von 40 oder mehr Stunden deutlich angemessener wäre. Bei uns in der Stadt haben gerade zwei Betriebe rund 500 ihrer 800 Angestellten ins Ausland verlagert nachdem sie ein Jahr zuvor beide Insolvenz anmelden mussten. Ich finde vor allem für solche Fälle, die bei längeren Arbeitszeiten und niedrigeren Nebenkosten sicher nicht so gekommen wäre, ist die Siemens-Regelung angemessen und Siemens hat mit seiner Forderung auch für kleinere Unternehmen am Rande der Pleite diesen Weg geöffnet.

Traitor
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Fr 25. Jun 2004, 19:44 - Beitrag #4

Aber was würde denn passieren, wenn Siemens von seinen Partnern verlangen würde, 14% mehr Komponenten ohne jede Bezahlungserhöhung zu liefern? Das würde niemals gemacht werden. Den Arbeitern gegenüber kann man es aber machen.
Das ist das Problem - die Firmen sitzen heutzutage wieder am weit längeren Hebel und können die Arbeitnehmer erpressen, wie sie wollen. Dagegen gibt es ja staatliche Regulierungsmethoden, die nur leider durch die Globalisierung nicht mehr greifen.
Anstatt dies aber einfach als unvermeidlichen Fakt hinzunehmen, wie du es anscheinend tust, sollte man doch lieber versuchen, diese Regularien zu verbessern, beziehungsweise die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass sie wieder anwendbar werden.

Die grundsätzliche Erhöhung der Arbeitszeit kann zu diesen Veränderungen dazugehören (auch wenn ich sie persönlich ablehne), aber sie sollte vom Staat ausgehend als Teil eines Maßnahmenpaketes geschehen, nicht als "Kapitulation" gegen die Unternehmen.

fanvarion
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Sa 26. Jun 2004, 18:26 - Beitrag #5

Die Entwicklung ist bedenklich.
Aber an einer Arbeitszeit von 40 Sunden in der Woche ist so erst mal nicht auszusetzen. Um seinen Arbeitsplatz zu retten ist das positiv anzusehen.

Das schlimmste was ich an diesem Vertrag finde ist das Siemens sich nur für 2 Jahre verpflichtet die Arbeitsplätze zu sichern. Wenn solche Abschlüsse gemacht werden von der IGM finde ich das kriminell.


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Das Steuermodell zu ändern, dann haben wir ja bald die Chance ein für Unternehmer gutes Gebiet zu schaffen.
Denn die CDU gewinnt wahrscheinlich die nächste Bundeswahl und die Pläne dieser sind extrem Unternehmerfreundlich!

Traitor
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Mo 28. Jun 2004, 12:34 - Beitrag #6

"Unternehmerfreundlichkeit" ist aber nicht das Allheilmittel. Einseitige Unternehmerfreundlichkeit, wie sie CDU oder im Exzess FDP betreiben, führt dazu, dass ein paar tausend Millionäre noch besser leben und der Rest der Bevölkerung immer weiter absackt. Dadurch bricht der Konsum mittelfristig weiter ein, da nur die Superreichen auch nicht genug aufbringen können, und man schadet im Endeffekt wieder der Wirtschaft.
Das Ziel muss meiner Meinung nach eine Entlastung von Unternehmern und Arbeitnehmern sein, auf "Kosten" der Staatsquote. Senkt man bei gleichbleibenden Löhnen die Lohnzusatzkosten und gleichzeitig die Subventionen, so fehlt im Endeffekt nirgends Geld, alles ist aber viel dynamischer verteilt und die Unternehmer haben wieder Investitionsanreize in Deutschland. Ein weiteres Element wäre die Umverteilung der Steuern von Arbeits- auf Konsumsteuern, etwa die Umsatzsteuer. Auch so hätten die Arbeitnehmer nicht weniger Geld, aber die Unternehmer könnten das Geld freier einsetzen.

janw
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Mo 28. Jun 2004, 16:04 - Beitrag #7

Wie schon befürchtet, scheint das Modell Begehrlichkeiten zu wecken, noch mehr Firmen würden gerne so Geld sparen und Arbeitskraft gewinnen.
Ich denke, hier müssen die Gewerkschaften gegenhalten und ggf. wirklich langfristige Bestandsgarantien und anderes einfordern. Schlimm, nur, daß die Gewerkschaften prinzipiell keine bessere Figur machen als die Unternehmer: Herr Bsirske genehmigte sich erstmal eine 50 %ige Gehaltserhöhung zum Amtsantritt, und im Berrich Ausbildung wären die Gewerkschaften mit die ersten, die die Abgabe zahlen müßten.
Eine Steuerrreform ist unabhängig davon nötig, mit weniger Ausnahmetatbeständen (Kosten die man absetzen kann), die eh nur Vielverdienern nützen, weniger Subventionen und versteckten Zuwendungen. Sinnvoll wäre IMHO, die Mehrwertsteuer auf Arbeitsleistungen zu senken, um so Arbeit gegenüber der Mechanisierung besser zu stellen.

fanvarion
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Mo 28. Jun 2004, 18:52 - Beitrag #8

@traitor
so wie du es schreibst meine ich es auch, es war êigentlich ironsch gemeint .

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Leider brüllen immer mehr vor allem die großen Firmen nach diesem Supersondersparmodell um Geld, Fremdfirmen und eigene Mitarbeiter einzusparen.

Ein Gott
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Di 29. Jun 2004, 14:53 - Beitrag #9

40 Stunden Woche

Dammbruch? Nein, meiner meinung nach ist der tarifabschluß ehr eine maßnahme zur arbeitsplatzvernichtung. da nun mehr gearbeitet wird für weniger geld, können die konzerne durchscnittlich jeden 5 AN entlassen, die anderen machen die arbeit mit! das phänomen wird sich in spätestens 5 jahren zeigen, weil dann der großteil der arbeitnehmer in deutschland in die rente geht(rentenpyramide und Personalstruktur) und dementsprechend weniger AN eingestellt werden.und das für das selbe geld. das ist keine hypothese sondern realität!!! ich persönlich arbeite so lang ich denken kann schon 50 h die woche! ohne zuschläge! die lösung des problems der unwirtschaftlichkeit der industrie ist absolut absurd! die großzahl der konzerne verlegt seine produktion eh schon ins ausland (Danone, Reemtsa, Nestle usw.)(das brauch ich nicht belegen, da der großteil an maschienenbau eh schon für den export bestimmt ist! die arbeitsplätze in god old germany sind nicht mehr zu retten, was ja eindeutig an der Finazpolitik liegt, einfuhrzölle sind günstiger als arbeitsplätze und von da her....

alea
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Di 29. Jun 2004, 16:34 - Beitrag #10

nun ja, das mit den Einfuhrzöllen ist ja nun mal so, weil sonst die WTO Deutschland bzw. der EU dicke Geldstrafen aufbrummen würde, wie es ja nun ja schon öfter geschehen ist. Man kann nicht die eigenen Zölle hoch halten und sich dann beschweren, wenn z.B. die USA ihre Stahlzölle erhöhen. Solcher Protektionismus kann nur fehlschlagen. Außerdem finde ich es nicht logisch, dass du sagst durch längere Arbeitszeiten würden mehr Jobs wegfallen. Mit dieser Aktion geht es letzlich darum den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen und damit nicht einen Jobab- sondern -aufbau zu befördern. Dies wäre natürlich dem Problem mit der Rentenpyramide nur zuträglich, was aber mit dem eigentlichen Thema nicht mehr so recht was zu tun hat. Du sagst, die Firmenbosse agieren nur so, um sich selbst zu bereichern. Letztlich fließt aber nur wertvolles kapital ins Ausland. Das Problem, das ihr hier anspielt ist doch eigentlich eher das Thema Vermögenssteuer, oder?

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Di 29. Jun 2004, 17:46 - Beitrag #11

Bei Verlagerung der Jobs ins Ausland-Rückforderung sämtlicher Subventionen/Steuervergünstigungen der letzten 10 Jahre von Siemens. Diese Damen und Herren in der Vorstandsetagen denken aber auch nur von zwölf bis Mittag. Schön billig im Ausland produzieren und dann teuer in D verkaufen.Ganz große Klasse. Genau dieselben Herrschaften stellen sich dann hin und schreien rum die Menschen betreiben keinen Konsum mehr. Von was denn auch ? Das ganze wird durch die Eu-Osterweiterung noch wesentlich schlimmer kommen als es jetzt schon ist. Kleines Beispiel ? Eine Lübecker Spedition verlegt ihren Firmensitz ins polnische Stettin. Die Fahrer werden nicht gekündigt nein man ist ja Mensch denen wird angeboten weiter zu fahren nur für 800 Euro brutto statt 2000. Den Fahrer kann ich verstehen der auf die Eu und Polen schimpft.

GH

fanvarion
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Di 29. Jun 2004, 22:01 - Beitrag #12

Klar werden immer mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlegt.

Ich verfolge in der Presse häufig das viele Firmen gewisse Zweige wieder zurück holen da das Nacharbeiten teurer war als die Ersparnis de Löhne.

GoodHope
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Mi 30. Jun 2004, 16:57 - Beitrag #13

Das ist ja nicht nur im Ausland der Fall. Für meinen Arbeitgeber hat eine Billigfirma Halterungen angefertigt die dann an Flurförderzeuge montiert werden sollten. Nach knapp drei Monaten hat man aufgegeben und sie wieder beim alten Zulieferer fertigen lassen. Passungenauigkeiten und Ausschuß des Billiglöhners stiegen exorbitant an.
Gut geschulte,motivierte und zuverlässige Mitarbeiter bekommt man eben nur mit vernünftiger Bezahlung.
Noch ein Fall: Wir betreuen im technischen Service eine Billiglohnfirma die Hafennahen Umschlag betreibt, was dort an Schäden entsteht sei es an Ladung aber auch an Umschlaggeräten ist die wahre Pracht. Zumal das Personal ´ne Halbwertszeit von ca. 4 Wochen hat. Aber was will ich auch erwarten für 6 Euro die Stunde.
Nur solange solche Leute noch von der örtlichen Politik hofiert werden von wegen Jobmaschine wird sich nichts ändern.


GH


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