MauriceAnalytiker

Beiträge: 5166Registriert: 14.01.2003
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Nun sitze ich hier erneut und frage mich, wie mein Selbst, wie mein Geist beschaffen sei. In den vorangegangenen Überlegungen stellte ich die Theorie auf, dass das, was wir für gewöhnlich als "Ich" verstehen, möglicherweise ausschließlich Produkt uns unbekannter innerer Mechanismen sein könnte, und dass dieses "Ich" somit keinerlei Freiheiten besitzen würde. Doch geht diese Sicht unserer Selbst gegen unser alltägliches Empfinden, und auch ich will mich nicht damit abfinden, dies zu glauben. Es ist sogar schon in gewisser Weise amüsant, sich bewusst zu machen, dass nach meiner zuvor geäußerten Theorie, ich streng genommen nicht sagen kann, dass ich im Moment denke und schreibe, sondern bloß das willenlose Instrument mir unbekannter innerer Vorgänge sei. Ja, im Grunde ist es nicht einmal meine Theorie, noch wurde ich mir selbst gerade Genanntem bewusst.
Ich ging bereits mehrmals mein System des völlig unfreien Ich durch. Doch erscheint es mir trotz Unbehagen stimmig. Wo liegt nur der Fehler?
Betrachte ich mich einfach ein weiteres Mal. Diesmal aber ohne dem Ausgangspunkt der letzten Überlegungen, der da war, Descartes' Idee des Ichs nur als denkendes Ding. Wenn ich mich betrachte, sehe ich meine äußere Erscheinung, meinen Körper. Ich kann zwar nicht ohne mich selbst zu verletzen sehen, was unter meiner Haut ist, aber wenn ich der Naturwissenschaft glaube, so sind in meinem Körper Knochen, Muskeln, Sehnen und Organe. Nach diesem ersten Schritt bin ich schon mal ein fleischlicher Körper, und da ich denke, fühle, atme und mein Herz schlägt gewiss auch ein lebendiges Wesen.
Zwar plädiert Descartes darauf, dass unsere Sinne bisweilen irren, und alles was wir wahrnehmen, also auch unserer äußere Gestalt, eine Täuschung sein kann, doch habe ich mit meiner damals geäußerten Kritik erläutert, warum Descartes' Überlegungen fehlerhaft sind, weshalb sie hier auch nicht weiter berücksichtigt werden sollen.
Ich bin nun zu allererst einmal ein lebender Körper. Wo aber kommt mein Denken her? Auch hier hält die Naturwissenschaft eine Antwort für mich parat, nämlich dass mein Gehirn der Ursprung meines Denkens sei. Religiösen Erklärungen dagegen zufolge sei es meine Seele, die mein Denken hervorbringt, und ich sei diese Seele, die von meinem Körper zu unterscheiden sei. Als völlig unreligiöser Mensch sehe ich weder einen rationalen, noch einen emotionalen Grund zum Anlass, einen solchen unkörperlichen Persönlichkeitsträger anzunehmen. Zwar kann ich nicht beweisen, dass es keine solche Seele gibt, doch kann man auch nicht beweisen, ob es eine solche gibt. Es ist daher durchaus möglich, aus welchen Beweggründen auch immer, diese anzunehmen. Doch sollte eine mögliche Annahme meiner Ansicht nach auf keinen Fall als Argumentationsgrundlage dienen, zum einen auf Grund ihrer empirischen Unbeweisbarkeit, zum anderen wegen fehlender allgemein nachvollziehbarer Argumente. Darum ist diese Vermutung eine untragbare und unnötige Spekulation, die hier nicht in den Erklärungsversuch mit einfließen soll. Diese Auslassung ist insofern wichtig, als dass ich deshalb allein auf der Ansicht aufbaue, dass mein Denken allein mein Gehirn als Ursprung hat.
Mein Gehirn schafft also mein Denken, und als mein Denken empfinde ich mich. Wenn ich mich erinnere, was ich im vorangegangenen Essay überlegt hatte, so bin ich, nach dem damals geäußerten Erklärungsversuch, ein reines Produkt mir unbekannter Mechanismen, und diese entspringen aus materieller Sicht meinem Gehirn. Bin ich nun fleischlicher Körper, wovon das Gehirn ein Teil ist, und dieser mein bewusstes Ich durch mir unbekannte Vorgänge hervorbringt, dann bringe ich mich demnach selbst hervor. Um es noch mal einfacher darzustellen: Mein bewusstes Ich ist Produkt mir unbekannter Mechanismen, diese haben mein Gehirn als Ursprung, und dieses ist Teil des Körpers, der ich bin. Somit bin ich allein mein eigener Ursprung. Selbst wenn mir nicht alle meine Vorgänge bewusst sind, so bin ich es doch stets, der handelt. Ja, durch diese Sicht unseres Wesens sind wir nicht nur für unser bewusstes, sondern auch für unser unbewusstes Handeln zuständig. Wir sind es nicht nur, die denken, entscheiden und handeln, sondern sind es auch, die all unsere Körperfunktionen bestimmen. Wir verwalten uns zwar nicht bewusst, aber dennoch tun wir es.
Es gibt also bewusste und unbewusste Vorgänge, für welche allein wir selbst verantwortlich sind, dessen Werdeprozess wir uns aber nicht immer bewusst sind. Im Grunde könnte unser bewusstes Handeln bloßer Wiederschein unserer unbewussten Vorgänge sein, was jetzt aber keine Rolle mehr spielt, weil allein immer wir handeln, egal ob bewusst oder unbewusst. Aber für das eigene Verständnis und das mit anderen Menschen, macht es einen Unterschied, denn wir können nur Prozesse benennen, die uns bewusst sind.
Es ist nun an der Zeit sich näher mit dem Willen zu beschäftigen, der für unser Selbstverständnis eine bedeutende Rolle spielt. Alles was wir wollen, entspringt aus uns selbst, und weil allein wir entscheiden, scheint unser Wille frei. Aber können wir ihn wirklich so bezeichnen? Was wir wirklich wollen, ist uns nicht immer bewusst und können somit nur das aussprechen, was wir bewusst wollen. Demnach können wir auch nur uns Bewusstes als unseren Willen bezeichnen. Aber gibt es auch einen unbewussten Willen? Eine durchaus paradox wirkende Konstellation. Natürlich könnte man unbewusste Verlange auch als Willen bezeichnen, liegt es doch in unserer Hand, wie wir Begriffe definieren. Doch stellt sich die Frage, ob dies für das Verständnis sinnvoll ist. Ich bin der Ansicht, dass weil wir nur uns bewusste Wünsche als Willen bezeichnen können, wir den Begriff des Willens auch nur dafür verwenden sollten. Dies Entspricht darüber hinaus auch unserer alltäglichen Sprache und verkompliziert dadurch die Sache nicht noch unnötig. Ich schlage vor, Wünsche, die uns nicht bewusst sind, eben auch als solche zu bezeichnen.
Nicht alles Wollen ist auch unser Willen, denn man kann durchaus in Willenskonflikte geraten, bei denen wir Gegensätzliches wollen. Wir können sogar etwas wollen, was wir eigentlich gar nicht wollen. Solchen Willenskonflikten können wir im Alltag ständig begegnen. Hier ein paar Beispiele: Früh morgens klingelt der Wecker, und da wir noch sehr müde sind, würden wir am liebsten einfach weiterschlafen, müssen aber aufstehen, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Auf der einen Seite wollen wir zwar weiterschlafen, wollen aber auch nicht zu spät zur Arbeit kommen. Ein anderes Beispiel, was wohl vor allem Frauen bekannt sein sollte, ist die berühmte Diät und die Verführungen, denen man in solch einer Zeit ständig ausgesetzt ist. Beispielsweise der Anblick eines schmackhaften Stück Kuchens weckt in uns den Wunsch, dieses zu essen. Auf der anderen Seite wollen wir es aber nicht essen, weil wir ja unsere Diät konsequent durchziehen wollen. Unter dem Gedanken, dass man etwas will, was man nicht will, können sich vielleicht nicht alle etwas vorstellen, ich hoffe aber mit dem folgenden Beispiel zur Klärung beizutragen. Als ein Beispiel können Phobien zählen, die bei jemandem, z.B. beim Anblick eines bestimmten Tieres, große Angst erzeugen und den Wunsch, der Angstquelle aus dem Weg zu gehen oder gar vor ihr zu fliehen. Dieses Flüchten-wollen wird aber etwas sein, das der Betroffene durchaus nicht will. Er will in diesem Fall nicht nur eine entgegen gesetzte Handlung (sich der Angst zu stellen), sondern will auch den Wunsch der Flucht nicht mehr haben. Er will hier also etwas nicht mehr wollen. Das Wort Wunsch besitzt die gleiche Bedeutung wie Wollen, denn ein Wunsch ist ja das wollen einer bestimmten Sache.
Nun habe ich zwar Aussagen über den Willen gemacht, aber noch nicht die Frage beantworten können, ob unser Willen frei ist.
Da ich das Bewusstsein und Denken als Funktionen unseres Körpers definiert habe, und dieser aus Materie besteht, könnte man mir vorwerfen, nach dieser Sichtweise müsste der Wille unfrei sein, da ja unser Körper, wie alles Materielle, der Kausalität unterworfen sei. Unser "Geist" sei demnach determiniert und dies schließt Freiheit aus.
Zuerst möchte ich hier erstmal den Begriff "Geist" aus dem Feld der benutzten Wörter streichen, da dieser ein Synonym für "Gespenst" ist, und ihm demnach auch etwas "gespenstiges" anhaftet, und darüber hinaus von manchen Personen mit dem Begriff "Seele" assoziiert wird. Ich werde deshalb den Begriff "Psyche" verwenden. Es sei noch mal betont, dass die Psyche eine Funktion des Körpers ist und nichts von ihm zu unterscheidendes, was sie von ihm trennen würde. Jedes Organ hat seine Funktion und die des Gehirns ist die Psyche.
Fragen wir nun nach der Freiheit der Psyche, so muss man vorher beantworten, was Freiheit bedeutet. Freiheit kann man spontan erst einmal als "Möglichkeit zur Selbstbestimmung" bezeichnen. Es ist also Freiheit, selbst zu entscheiden, was man macht. Ein Gefangener ist unfrei, weil er an einem Ort festgehalten wird und nicht selbst entscheiden kann, wohin er gehen kann. Wird er aus dem Gefängnis entlassen, ist er nicht mehr an diesen Ort gebunden und kann entscheiden, wohin er geht. Aber kann er jetzt machen was er will? Wenn er auf die schnelle zu Geld kommen will, kann er versuchen, eine Bank auszurauben. Der Versuch steht ihm zwar frei, doch wenn der Versuch misslingt, wandert er wieder ins Gefängnis und verliert wieder an Freiheit. Will er nun aber das Risiko nicht eingehen und sich an die gesellschaftlichen Regeln halten, kann er die Bank nicht ausrauben. Eine Handlungsoption weniger und somit ein Stück Freiheit. Dass man in einer Gesellschaft nicht einfach machen kann, was man will, ist klar, aber stellen wir uns einen Menschen vor, der alleine auf einer Insel lebt. Besitzt dieser völlige Freiheit? Wir erinnern uns, Freiheit bedeutet, dass man selbst bestimmt, was man macht. Aber auch auf der Insel ist die Person nicht völlig frei, denn auch wenn sie sich nicht mehr an Regeln anderer Menschen halten muss, so ist sie immer noch den Regeln der Welt unterworfen. Ihr könnte z.B. der Wunsch kommen, zehn Meter hoch zu springen, schneller als ein Gepard zu laufen oder gar zu fliegen, aber sie wird dazu nicht in der Lage sein. Sie besitzt diese Freiheit nicht und wird (ohne technische Hilfsmittel) dies auch nicht erreichen können.
Nicht nur für den Menschen, sondern für alle Lebewesen gibt es keine völlige Freiheit. Wenn Freiheit nun nicht ganzheitlich ist, sollte man die Vorstellung der Freiheit verwerfen? Mitnichten. Wir dürfen nur nicht mehr Freiheit grenzenlos verstehen, sondern immer in bestimmten Grenzen betrachten. Man ist immer nur innerhalb seiner Grenzen frei. Selbst der Gefangene hat Freiheiten, auch wenn diese sehr begrenzt sind.
Betrachten wir nun endlich die Frage nach der Freiheit der Psyche. Wie schon im vorangegangenen Essay beschrieben, kann die Psyche nicht frei über ihr Wesen bestimmen. Z.B. können wir uns selbst nicht einfach mit einem Schlag unbeschwert glücklich zaubern, wenn wir im Augenblick tot traurig sind. Allein das Beispiel zeigt schon, dass die Psyche nicht völlig frei sein kann. Wie sieht es aber allgemein mit Freiheiten aus? Da die Psyche eine Funktion des Körpers ist, und dieser der Kausalität der materiellen Welt unterworfen ist, könnte man durchaus vermuten, dass die Psyche determiniert ist. Nun betrachten wir einfach den Menschen und untersuchen ihn auf seine mögliche Determiniertheit. Determiniert bedeutet, dass auf eine bestimmte Ursache immer dieselbe Wirkung erfolgt. Es ist also im voraus klar, wie die Wirkung aussehen wird. Beispiel: Wir schreiben ein Computerprogramm, bei dem eine Tastenkombination eine bestimmte Funktion auslöst, z.B. ein bestimmter Ton erklingt. Ich drücke die Taste X und der Ton Y erklingt. Dieses Programm ist eindeutig determiniert, da auf die Ursache des Tastendrucks X immer die Wirkung des Ton Y folgt. Nun spiele ich das Beispiel statt mit einem Computer mit einem Menschen durch: Ich sage ein Wort X und mein Gegenüber soll darauf immer das Wort Y antworten. Wie das Experiment ausgehen wird, wenn man es lange genug durchführt, sollte jedem klar sein. Mein Gegenüber wird nach einer Zeit nicht mehr das Wort Y antworten, wenn ich das Wort X sage. Wer will, kann es ja gerne selber ausprobieren. Warum befolgt mein Gegenüber also nicht die Regel, wenn wir uns doch auf diese geeinigt haben? Weil er nicht an die Regel deterministisch gebunden ist. Er kann entscheiden, ob er das Wort Y antwortet, wenn ich das Wort X sage, oder nicht.
Natürlich ist das Beispiel nicht überzeugend genug, es sollte auch nur den Grundgedanken des Determinismus erläutern. Anderes Beispiel: Wir stehen vor unserem Kleiderschrank und überlegen, was für ein Hemd wir anziehen. Wir können uns für das eine oder andere entscheiden, wir stehen nicht unter äußeren Zwängen. Wir werden uns für das Hemd entscheiden, für was wir im Moment am meisten Lust haben. Wer sich an mein letztes Essay erinnert, dem wird diese Situation bekannt vorkommen. Warum haben wir auf das eine Hemd mehr Lust als auf das andere? Wir wissen es vielleicht nicht, aber der Grund warum wir uns für das entscheiden, für was wir uns entscheiden, liegt in uns selbst und nicht in äußeren Umständen. Die Ursache für die Wirkung des Wählen des Hemdes sind wir. Um eine Verbindung zu dem vorangegangen Beispiel zu knüpfen, kann man sagen, dass wir es sind, die die Taste X drücken und niemand anderes. Selbst wenn wir unter äußerem Druck stehen, z.B. auf eine Feier mit Kleiderordnung eingeladen sind, sind wir es doch die entscheiden, ob wir uns an die Ordnung halten oder nicht und nicht jemand anderes. Wir sind also selbst Ursache für unser Verhalten.
Es darf aber nicht vergessen werden, dass der Mensch durch seine Umwelt geformt wird, und dies auf sein Verhalten Einfluss hat. Außerdem werden wir von bestimmten Grundeigenschaften bestimmt, nämlich den Trieben und Instinkten. Man kann diese zwar beeinflussen, doch nicht einfach ausknipsen, wenn man wollte. Ja, der Mensch wird durch innere und äußere Einflusse bestimmt, aber dies bedeutet keine Determinierung der Psyche, sondern nur eine Beeinflussung. Wir sind es, die denken, entscheiden und handeln und sonst keiner. Ich versuche mal den Sachverhalt bildlich darzustellen: Die Psyche ist eine Person in einem Raum, in dem die Grundeigenschaften der Psyche die Wände darstellen, und die Umwelt diese Wände verformen oder Gegenstände in den Raum werfen. Sowohl die Wände, als auch die Gegenstände haben Einfluss auf uns, aber wie wir uns in diesem Raum bewegen, bestimmen allein wir.
Vergleiche ich mein hier dargestelltes Modell, mit der Sicht aus dem ersten Essay, so hat sich die Formel, wie ich es sehe, nicht geändert, nur ein Wert wurde anders gesetzt, was das Ergebnis grundlegend geändert hat. Das X in der Formel, das anzeigt was wir sind, sagte zu beginn, dass wir allein "Geist" seien, aber jetzt allein Körper. Ich habe sozusagen nur das Vorzeichen geändert, und plötzlich macht das Resultat für mich Sinn.
Ich habe versucht eine mir plausible Theorie darzustellen, ich behaupte nicht, dass sie der Wirklichkeit entspricht. Aber wie so vieles in der Philosophie ist auch die Frage nach dem Wesen des Subjekts eine, die momentan nicht oder vielleicht sogar nie eindeutig und endgültig beantwortet werden kann. Eine Antwort auf diese Frage sollte meiner Meinung nach deshalb plausibel sein, und ich denke, das ist mir recht gut gelungen. Das Thema ist damit bei weiten noch nicht abgeschlossen, aber ein Grundgerüst wäre damit erstellt. Es bedürfte natürlich noch einiger Überprüfung, zu testen, ob dieses stabil ist.
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