Die Positionierung dieses Threads ist etwas schwierig, es wird zwangsläufig auch eine ganze Menge Philosophie mithineinspielen.
Aber zum Thema: Derzeit spielt sich in Russland eines der schrecklichsten Geiseldramen der letzten Jahre (überhaupt?) ab. Beim Sturm einer von Terroristen besetzten Schule sind je nach Schätzung 150 bis 300 Menschen, darunter viele Kinder, ums Leben gekommen.
Dieser absolute GAU eines Polizeieinsatzes hat mich wie schon so viele Geiselnahmen wieder zu der Überlegung gebracht, wie in solchen Situationen gehandelt werden sollte. Ich denke, es gibt wohl kein Verbrechen, gegen das schwerer vorzugehen ist als eine Geiselnahme, und keines, das ein so schwieriges ethisches Dilemma produziert.
Die geläufige Doktrin ist "Der Staat verhandelt nicht mit Verbrechern." Egal, wieviele Geiseln ein Verbrecher/Terrorist genommen hat, man versucht, ihn zur Aufgabe zu zwingen oder notfalls die Geiseln gewaltsam zu befreien.
Aber das Risiko für deren Leben, das man damit eingeht, ist gewaltig.
Ein generelles Nichtverhandeln kann nicht praktikabel sein, wie einige Extremfallüberlegungen zeigen: Was wäre, wenn tatsächlich einmal Terroristen mit einer Massenvernichtungswaffe eine ganze Stadt "als Geisel nehmen", wie es James-Bond-Filme regelmäßig durchexerzieren, aber eben kein James Bond existiert, der dies im letzten Moment verhindert? Eine Million Leben etwa für die Nichtfreilassung von politischen Gefangenen zu opfern, wirkt doch äußerst fragwürdig.
Auch ohne ganz so extrem zu werden, stellt sich bereits die Frage: wieviel ist dem Staat in so einem Fall ein Menschenleben wert? Wenn die Terroristen in Russland statt der Unabhängigkeit Tschetscheniens nur 10 Millionen Dollar gefordert hätten, wäre man dann für 1500 Leben darauf eingegagnen? Auch bei 150 oder bei einem?
Anscheinend werden hier Grenzen gezogen, aber worauf beruhen diese?
Wie diese Überlegungen zeigen, ist es wirklich einer der schwierigsten Fälle angewandter Ethik, der sich betrachten lässt. Welche Systeme sind in der Lage, hier angemessene Antworten zu geben? Und wie können Entscheidungsträger diese Verantwortung verkraften?