Geiselnahmen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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Fr 3. Sep 2004, 22:33 - Beitrag #1

Geiselnahmen

Die Positionierung dieses Threads ist etwas schwierig, es wird zwangsläufig auch eine ganze Menge Philosophie mithineinspielen.

Aber zum Thema: Derzeit spielt sich in Russland eines der schrecklichsten Geiseldramen der letzten Jahre (überhaupt?) ab. Beim Sturm einer von Terroristen besetzten Schule sind je nach Schätzung 150 bis 300 Menschen, darunter viele Kinder, ums Leben gekommen.

Dieser absolute GAU eines Polizeieinsatzes hat mich wie schon so viele Geiselnahmen wieder zu der Überlegung gebracht, wie in solchen Situationen gehandelt werden sollte. Ich denke, es gibt wohl kein Verbrechen, gegen das schwerer vorzugehen ist als eine Geiselnahme, und keines, das ein so schwieriges ethisches Dilemma produziert.

Die geläufige Doktrin ist "Der Staat verhandelt nicht mit Verbrechern." Egal, wieviele Geiseln ein Verbrecher/Terrorist genommen hat, man versucht, ihn zur Aufgabe zu zwingen oder notfalls die Geiseln gewaltsam zu befreien.
Aber das Risiko für deren Leben, das man damit eingeht, ist gewaltig.

Ein generelles Nichtverhandeln kann nicht praktikabel sein, wie einige Extremfallüberlegungen zeigen: Was wäre, wenn tatsächlich einmal Terroristen mit einer Massenvernichtungswaffe eine ganze Stadt "als Geisel nehmen", wie es James-Bond-Filme regelmäßig durchexerzieren, aber eben kein James Bond existiert, der dies im letzten Moment verhindert? Eine Million Leben etwa für die Nichtfreilassung von politischen Gefangenen zu opfern, wirkt doch äußerst fragwürdig.
Auch ohne ganz so extrem zu werden, stellt sich bereits die Frage: wieviel ist dem Staat in so einem Fall ein Menschenleben wert? Wenn die Terroristen in Russland statt der Unabhängigkeit Tschetscheniens nur 10 Millionen Dollar gefordert hätten, wäre man dann für 1500 Leben darauf eingegagnen? Auch bei 150 oder bei einem?
Anscheinend werden hier Grenzen gezogen, aber worauf beruhen diese?

Wie diese Überlegungen zeigen, ist es wirklich einer der schwierigsten Fälle angewandter Ethik, der sich betrachten lässt. Welche Systeme sind in der Lage, hier angemessene Antworten zu geben? Und wie können Entscheidungsträger diese Verantwortung verkraften?

MartinR
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Sa 4. Sep 2004, 00:33 - Beitrag #2

Dem Staat (und ich glaube so ziemlich jedem!) ist ein Menschenleben nichts wert!!!!

Bei Geiselnahmen kommt es viel mehr auf die in der Politik zu erzielende Vorteile an.
Entsprechend wird entschieden, wie vorgegangen wird.

Dr.Bizeps
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Sa 4. Sep 2004, 13:03 - Beitrag #3

bei so knallharten Geiselnehmern ist eine hohe Anzahl an Opfern praktisch unvermeidlich :sad:

Putin begeht in Tschetschenien den gleichen Fehler den "Dabbelju" Bush im Irak begeht, beide denken sie könnten allein mit militärischer Übermacht und gnadenloser Gewalt den irakischen bzw. tschetschenischen Widerstand brechen :s42: und wundern sich warum das dann doch nicht ganz so einfach ist

Tar-Minyatur
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Sa 4. Sep 2004, 15:43 - Beitrag #4

Heydiho!

Original geschrieben von MartinR
Dem Staat (und ich glaube so ziemlich jedem!) ist ein Menschenleben nichts wert!!!!

Bei Geiselnahmen kommt es viel mehr auf die in der Politik zu erzielende Vorteile an.
Entsprechend wird entschieden, wie vorgegangen wird.


Ich will dir ja wirklich nicht zu nahe treten und es liegt mir fern, hier einen Strei anzuzetten, aber eine Diskussionskultur legst du nicht wirklich an den Tag, das ist dir hoffentlich bewusst. Dieses "Der Staat ist Scheiße und macht nur Scheiße" geht mir irgendwie ziemlich auf den Geist. Solche pauschalen Aussagen sind total überflüssig. Sorry...musste jetzt mal raus.

Um mal zum Thema zu kommen: Zweifelsohne ist so eine Situation äußerst kompliziert. Ich bin immer sehr froh, dass ich jetzt keine Entscheidungen diesbezüglich treffen muss. Da steht man nämlich vor einem wirklich großen Problem.

Die Folgen, wenn der Staat auf eine Forderung eingeht, sind im Prinzip genauso verheerend, als wenn sie es nicht tun. Nur befinden sich die Auswirkungen auf zwei vollkommen verschiedenen Ebenen.

Zum einen ist da die ethische Ebene, nämlich der Tod von Menschen, die meist sogar noch unschuldig sind. Das andere ist die politische Ebene, also das offenbaren der Tatsache, dass Geiselnahmen zum Erfolg führen können, was unter Garantie zu einer Flut neuer Vorfälle führen würde, da die Hoffnung in denen, die am Erfolg ihrer "Mission" gezweifelt hatten, stärker wird.

Meiner Meinung nach bleibt garkeine Wahl. Es führt entweder zu einem Massaker oder in einen Teufelskreis aus Geiselnahmen, befolgten Forderungen und wieder neuen Geiselnahmen.

Es gibt meines Erachtens keine gute Lösung. Das einzige, was man im Prinzip wirklich tun kann, sit Prophylaxe. Und die stellt sich bei so etwas als äußerst kompliziert dar.

Feuerkopf
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Sa 4. Sep 2004, 21:55 - Beitrag #5

Es gibt wahrscheinlich keine Patentlösung.

Ich erinnere mich gut an die RAF-Anschläge in den 70ern, an das Attentat bei der Olympiade in München und die Folgen. Damals war wenigstens noch ansatzweise ein politischer Hintergrund erkennbar, manchmal konnte man die Beweggründe nachvollziehen, wenn auch nicht gutheißen.

Was inzwischen an Terroranschlägen verübt wird, hat eine völlig neue Dimension erreicht. Es werden sogenannte "weiche" Ziele attackiert, die de facto kaum zu schützen sind.

Natürlich hat die russische Regierung nach dem Ende der Sowjetunion viele Fehler gemacht und in Afghanistan und im Kaukasus Terror im Namen des Staates begangen.

Tschetschenien scheint ein besonders komplizierter Fall zu sein; dort rekrutieren radikale Moslemmilizen ihre Kämpfer, dort hat die russische Mafia vitale Interessen, das Land ist ein Zentrum des Schmuggels, außerdem gibt es dort große Ölvorkommen.
Die Intellektuellen sind längst geflohen, weil die Einführung eines Kalifatstaates droht. Wie soll man ein solches fast zur Gänze zerstörtes Land befrieden?

Ich sehe die Problematik von Geiselnahmen. Ich denke, ein Staat darf nicht erpressbar sein, denn Erpresser werden sich niemals zufrieden geben. Es gibt eben keinen Königsweg.

fanvarion
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So 5. Sep 2004, 19:38 - Beitrag #6

Original geschrieben von Feuerkopf
Es gibt wahrscheinlich keine Patentlösung.
Tschetschenien scheint ein besonders komplizierter Fall zu sein; dort rekrutieren radikale Moslemmilizen ihre Kämpfer, dort hat die russische Mafia vitale Interessen, das Land ist ein Zentrum des Schmuggels, außerdem gibt es dort große Ölvorkommen.
Die Intellektuellen sind längst geflohen, weil die Einführung eines Kalifatstaates droht. Wie soll man ein solches fast zur Gänze zerstörtes Land befrieden?

Ich sehe die Problematik von Geiselnahmen. Ich denke, ein Staat darf nicht erpressbar sein, denn Erpresser werden sich niemals zufrieden geben. Es gibt eben keinen Königsweg.


Stimmt es wird nie einen Königsweg geben.
In Tschetschenien wurde ja bereits zum zweiten mal groß Aufgeräumt.
1944 unter Stalin wo viele Städte und Dörfer niedergemacht wurden wer Wiederstand leistete wurde erschossen.

in den 90er das Gleiche in Grün: Das merkt man sich und ich denke der Gruppenhass ist inzwischen ist Riesig bis Gigantisch. Inzwischen werden ja die sogenannten Schwarzen Witwen losgelassen die Männer und/oder Familie verloren haben. Die haben nichts mehr zu verlieren deswegen ist dieser Terror noch eine Stufe härter.

So nun zurück zum Haupthema:
Ein Staat sollte auch nicht erpressbar sein, aber in der Geschichte der Bundesrepublik wird noch viel zu schnell Lösegeld bezahlt.
Die Erpresser werden keine Ruhe geben und noch höhere Forderungen stellen.

Es bleibt wirklich die Frage sind wir bereit 100te oder 1000ende Tote zu akzeptieren. Vielleicht kann man auch den totalen Überwachungsstaat einführen, hat aber auch sehr viele Nachteile.

Solange wir auf der Welt immer wieder schaffen den Menschen Neid einzureden und das auch noch mit Religion verknüpfen kann oder ein Volkshass auf ein anderes Volk geschürt werden kann wird Terrorismus nicht abzuschaffen sein. Es läßt sich immer ein Thema finden wo man Anhänger für finden kann.

Die Entscheidungen möchte ich nicht treffen denn egal wie man es macht, man macht es laut Presse immer wieder falsch


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