Brauchen Kinder Gott, ist es gut, bei der Erziehung und bei der Erklärung der Welt religiöse Kategorien einfließen zu lassen, so irreal sie uns als Erwachsenen auch erscheinen mögen, oder sollte man sie gleich mit der Realität konfrontieren, so hart sie auch ist und für so real wir sie auch halten?
Diese Frage kam heute im "Was macht Ihr gerade-thread" auf, und auf eine Anregung von aleanjre hin habe ich "Religion" durch den allgemeineren Begriff der "Mystik" ersetzt, der nun auch Wesenheiten wie Wichtel, Elfen, die Sieben Zwerge, den Weihnachtsmann und den Osterhasen umfaßt.
Nun, kurz gesagt, meine Antwort lautet: "Ja!"
Zur Begründung bieten sich mir mehrere Wege an, deren einer ist, daß bestimmte Phänomene der Natur dadurch recht einfach erklärbar werden.
"Mama, wo kommt der Schnee her?" Wird der/die mittelmäßig Gebildete vielleicht die Geschichte von Kondensation, Kristallisation usw. vielleicht gerade noch präsent haben, so versuche er, dieses einem Fünfjährigen nahezubringen...
Der Rückgriff auf die bettenausschüttelnde Frau Holle ist hier durchaus hilfreich.
Auch die disziplinierende Wirkung des eng mit dem Weihnachtsmann verbandelten Knechtes Ruprecht ist nicht zu unterschätzen.
Abseits von derlei praktischen Erwägungen ist festzustellen, daß alle traditionellen Kulturen über religiöse Bezugssysteme verfügen, die Frage des Woher, Wohin, Wozu des Lebens ist eine universelle Fragestellung des Menschen und letztlich immer mit einer transzendentalen Antwort belegt worden. Eine menschengemäße Erziehung muß also auch immer tranzendentale Inhalte einschließen, könnte man daraus schließen.
Weiterhin sind religiöse Bezugssysteme gut geeignet, um die Werthaltigkeit der Dinge in der Welt zu begründen.
Was ist gut, was ist schlecht, diese Frage kommt zwangläufig irgendwann auf, und in manchen Bereichen erfolgt die Unterscheidung durch die Erfahrung von Belohnung oder Sanktionen.
Aber daß wir Menschen Verantwortung haben, nicht nur für uns selbst und vielleicht noch für Mutters Ming-Vase, um die sie soviel Angst hat, woraus ergibt sich das? Doch am ehesten daraus, daß auch das Meerschweinchen von irgendjemandem gemacht wurde, der es außerdem liebhat, auch wenn es gestorben ist.
Letztlich, Erziehung bedeutet, das Kind an die Dinge der Welt heranzuführen, und mystische Elemente sind ein Teil der Welt, der gesellschaftlichen Realität.
Ein Kind unter konsequenter Nicht-Erwähnung von Gott und ähnlichem aufzuziehen, heißt, es irgendwann mit mystischen Vorstellungen in der Welt zu konfrontieren, auf die es nicht vorbereitet ist. Ihm zu sagen, daß es Gott nicht gibt, erfordert, ihm erst einmal zu erklären, was andere mit Gott meinen, ist also ebensowenig zielführend.
Ich bin selbst mit einem ziemlichen Vollprogramm an Mystik groß geworden, von Grimms Märchen über Kinderbibel (habe ich bei Oma verschlungen!), Waldorf-Wichtelwelt und einigem mehr, und kann nicht sagen daß es mir geschadet hat. Womit aber die Unschädlichkeit nicht unbedingt als universelles Kriterium postuliert werden soll.
Aber neben den genannten Punkten hat es sicher zur Entwicklung von Phantasie und Vorstellungskraft beigetragen und zur Entwicklung eines Weltbildes, das nicht nur dem Menschen einen Wert-Platz und dem Rest einen nur materiellen Gegenwert einräumt.
Abgesehen davon, mal folgendes: Wenn wir mal ehrlich sind, schon beim Nachdenken über unsere Gefühle erreichen wir die Grenzen der sicheren festen materiellen Welt, Liebe - nur ein Wort, nur ein paar angeregte Synapsen, die mit dem merkwürdigen Etwas namens Bewußtsein verknüpft werden, oder doch Ausdruck einer größeren Verbundenheit?
Wenn man sich das Leben betrachtet - wir können heute erklären, wie es ungefähr funktioniert, welche Informationen zur Funktion eines Lebewesens nötig sind, naja so ungefähr zumindest, aber wir können kein Leben de novo erzeugen.
Leben entsteht immer nur aus Leben, und das seit Anbeginn.
Daß damals soetwas entstanden ist, ist schon ein Wunder, bei dem man transzendentale Kräfte im Hintergrund nicht unbedingt ausschließen muß.
Jetzt seid Ihr dran