PadreicLebende Legende


Beiträge: 4485Registriert: 11.02.2001
|
@Maurice
Dass der Professor auf mich einen positiven Eindruck machen würde, will ich durchaus nicht bestreiten. Man kann durchaus einen guten Umgang mit jemandem haben, mit dem man philosophische Differenzen hat (vielleicht ist sogar der Umgang mit aufgeklärten Hedonisten im Allgemeinen angenehmer). Auch will ich sicherlich nicht bestreiten, dass seine Position durchdacht ist und dass er sie auch intelligent zu verteidigen wüsste (vermutlich intelligenter, als ich sie anzugreifen weiß). Das heißt aber noch lange nicht, dass ich sie teilen muss...
Und ich würde auch sicherlich nicht behaupten, dass du deine Ansichten von ihm geklaut hast. Es dürfte durchaus allen hier im Forum klar sein, dass du selbst denken kannst.
Nun zum Thema:
Dass ich außer Vernunft in der Welt noch Wichtigeres sehe, heißt nicht, dass ich unkritisch bin. Alles auf Vernunft zu reduzieren, scheint mir demjenigen zu ähneln, der sich mit Ockhams Rasiermesser selbst die Glieder abschneidet, da der Körper auch ohne sie lebensfähig ist. Im Menschen ist mehr als Vernunft, er hat in mehr Richtungen Fähigkeiten. Fähigkeiten zu nutzen, bringt Reichtum in die Welt, sie verkümmern zu lassen, Armut.
Ich ziehe nicht die Vernunft der Unvernunft vor. Die Vernunft ist der Rahmen, in dem mein Verhalten spielt. Unvernünftigkeit hieße, dass mein Verhalten der Vernunft widerspricht. Deswegen sprach ich von etwas, das jenseits von Vernunft liegt. Ich kann es in meinen vernünftigen Rahmen einbauen, es widerspricht ihm nicht, aber ich kann es nicht daraus logisch ableiten. Es ist da mehr als Vernunft, aber nichts, das der Vernunft, recht verstanden, widerspricht.
Ich empfehle dir sehr, einmal Brave New World zu lesen. Da werden diese Topoi auch schon angesprochen. Meine Versuche, hier etwas darzulegen, würden die in diesem Buch verwirklichten genialen in vielen Zügen doch nur nachäffen. Ich will trotzdem einige wenige Worte dazu sagen.
Die Annahme eines universellen Strebens des Menschen nach Glück halte ich für eine grobe Vereinfachung. Der aufgeklärte Hedonismus sieht dieses nicht nur als faktisch, sondern macht es auch zum normativen Quellsprung unseres Handelns.
Natürlich, wenn man den Begriff Glück nur weit genug definiert, strebt man in jeder Sekunde nach Glück, wenn man denn überhaupt strebt, da wir ja immer die Erfüllung des Gewünschten wünschen und das dann ja schon Glück wäre. Aber es gibt noch ganz anderes Streben im Menschen als nach dem, was wir normalerweise Glück nennen, der Emotionen. Manchmal sucht der Mensch sogar regelrecht Leiden, was nur mit einer Verbiegung der Tatsachen auf das Glücksstreben zurückgeführt werden könnte. Der Mensch kann auch zu Gott streben, ohne dadurch direkt Glück zu erhoffen.
Alle diese Streben blendet der Hedonismus entweder aus oder wertet sie als schlecht oder überflüssig. Er schneidet sich die Natur des Menschen so zurecht, wie er sie gerne hätte, und macht sie so kleiner.
Natürlich ist es noch kein Grund, etwas zu tun, nur weil man es kann, genauso wenig, wie man jedem Streben nachgeben muss. Aber genauso wie jedes Böse zu Gutem führen kann, kann auch jedes Potential des Menschen zum Positiven genutzt werden. Was positiv ist, ist natürlich immer eine gute Frage, auf die ich selbstverständlich auch keine letztgültige Antwort habe; aber Positivität schlicht mit Glück gleichzusetzen wäre mir für einen Antwortversuch sicherlich zu platt. Da steckt doch mehr im Menschen.
Du verlangst in deinem Posting Konkretisierung. Ich sprach von literarischen Beispielen, die ich jedoch in meinem letzten Beitrag noch nicht brachte. Das will ich jetzt zur hoffentlichen Stillung deines Verlangens nachholen:
Ich weiß nicht, ob du Der alte Mann und das Meer gelesen hast. Es geht dort um einen alten Fischer, der viele Tage keinen einzigen Fisch gefangen hat und nun beschließt, weit hinauszufahren, in eine Gegend, wo er großen Fisch vermutet. Und er bekommt tatsächlich eine sehr großen an der Lein, zu groß, um ihn einfach hochzubekommen. Er lässt sich tagelang unter fast schon übermenschlichen Anstrengungen und Leiden (in Wirklichkeit sind sie eigentlich nicht übermenschlich, sondern verwirklichen gerade das Potential des Menschen), bis er ihn schließlich erlegen kann; doch der Fisch wird ihm auf der Heimfahrt komplett von Haien zerrissen.
Der aufgeklärte Hedonist hätte das Ganze sicherlich nicht gutgeheißen, er wäre umgekehrt, da die Anstrengungen selbst einem so großen Fisch nicht angemessen sind. Der alte Fischer hat aber gekämpft.
In seinen Gedanken findet sich auch die Erinnerung an zahlreiche Armdrückwettbewerbe, die er in seiner Jugend gewonnen hatte; nicht, weil er der Allerstärkste war, sondern weil er der Entschlossenste war und oft viele Stunden durchgehalten hat.
Auch hier hat der Fischer gekämpft. Und seine Größe bewiesen. Er hat sein Potential genutzt und dabei nicht an Glück gedacht. Sicher kann ich nicht beweisen, dass diese Tat groß war; ich will hier auch keine ausgefeilten philosophischen Konzepte zur Größe vorlegen, nur die schon bisher angedeuteten, aber in meinem Empfinden steht diese Ansicht der Größe fest. Und wovon soll die Philosophie ausgehen, wenn nicht vom von der Vernunft interpretierten und gereinigten Empfinden und Erleben?
Zur Religiösität:
Dein Verhalten erinnert mich ein wenig an den Lahmen, der den Langstreckenlauf verteufelt. Genauso bist du als jemand, der von sich selbst sagt, dass er keine Anlage zur Religiösität hat, gegen die Religion. Man mag sich fragen, wie du, der das religiöse Gefühl bestenfalls aus Berichten kennst, die nur einen groben Abklatsch des Erlebten darstellen können, über Religion kundig reden willst.
Ich kann auch sagen, dass der Mensch zwei Beine hat, auch wenn offensichtlich manche Menschen verkrüppelt sind. Es gibt immer Ausnahmen. Obgleich ich es durchaus für möglich halte, dass der Fall bei der Anlage zur Religiösität anders liegt und der Funke, der vielleicht in allen liegt, bei manchen schlicht und einfach noch nicht geweckt wurde.
Ich bin nicht auf Religion "versessen". Nur habe ich Schatten von dem erlebt, was religiöses Gefühl bedeuten kann. Und deswegen kann ich eben sagen, dass ich nicht erwarte, dass man auf Erden außerhalb der Religion etwas vergleichbares finden kann.
Natürlich soll man nicht vorschnell sein und wegen irgendeines religiösen Gefühls gleich die Existenz von Gott und allen Engeln postulieren. Es ist vielmehr eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Religion, die von Nöten ist. Es ist mindestens genauso falsch, vorschnell anzunehmen, dass es keinen Gott gibt und dass das religiöse Gefühl auf nichts jenseits der menschlichen Sphäre verweist, wie dass es einen Gott gibt.
Ich frage mich auch, warum du meinst, dass Religion eine kurzsichtige Sache ist. Bisher war ich immer eher vom Gegenteil ausgegangen, auch wenn man die Annahme, dass es ein Leben nach dem Tod gibt (die ich auch nicht unterschreiben würde), nicht tätigt. Religion kann einem das ganze Leben lang Trost und Stärke spenden.
Padreic
P. S. Ich hoffe, ich habe mich zwischendrin nicht allzu weit vom Ausgangsthema entfernt. Ihr entschuldigt auch hoffentlich die für mich ungewöhnlich große Länge des Beitrages.
|