Wer fühlt sich als Nihilist?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.

Fuehle ich mich als Nihilist ?

Ja, - bin fuer gelegentlichen Wertewandel
17
77%
Nein, - bin gegen jeden Wertewandel
0
Keine Stimmen
Nein, - denn ich bin religioes bestimmt
1
5%
Ich weiss gar nicht, was Nihilismus bedeutet
4
18%
Ist mir voellig egal
0
Keine Stimmen
 
Abstimmungen insgesamt : 22

dmz
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Mo 4. Okt 2004, 22:01 - Beitrag #1

Wer fuehlt sich als Nihilist ?

Wer fuehlt sich als Nihilist ?
:::
Einleitend erinnere ich daran, dass der Grund fuer den so genannten Nihilismus,
- wie ihn Fr.Nietzsche gegen 1887 sinngemaess formulierte und
fuer die naechsten 200 Jahre in Aussicht gestellt hat -, darin besteht,
dass sich die geltenden (obersten) Werte entwerten.
:::
Wie kommt es zur Entwertung der Werte ?
Allgemein, indem alte Wervorstellungen als wertlos erkannt werden und abgeschafft
oder durch neue Werte ersetzt werden.
Es sind dabei auch die Tugenden zu beruecksichtigen.
Und wir alle sind m.E. an den Vorgaengen direkt oder indirekt beteiligt.
:::
Da wir uns in der Mitte eines nihilistischen Zeitalters befinden und in einer Zeit leben,
die uns zu Zeugen eines (schleichenden) Wertewandels macht,
sei die Frage gestellt, inwieweit sich die Teilnehmer des Forums bewusst sind,
dass sie selbst Nihilisten sind ?

Maurice
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Mo 4. Okt 2004, 22:26 - Beitrag #2

Ich habe den Begriff "Nihilismus" bisher anders aufgefasst, aber nach deiner Definition würde ich mich eindeutig als Nihilist bezeichnen.

Ich bin mir aber nicht sicher, für was ich abstimmen soll, denn meinst du mit der ersten Option, dass man dafür ist, dass sich die jetzigen Werte wandeln, oder dass sich Werte im laufe der Zeit immer wieder wandeln sollten?

Traitor
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Mo 4. Okt 2004, 23:44 - Beitrag #3

Was ist das für eine seltsame Definition von Nihilismus? Wenn du sagst, dass sie so auf Nietzsche zurückgeht, dann belege das doch bitte, da sie vollkommen dem gegenübersteht, was normalerweise mit Nihilismus bezeichnet wird.
Wie üblich gilt: wer einen Begriff anders verwendet als alle anderen, der muss diese Definition erstmal rechtfertigen, bevor er sie zur Diskussionsgrundlage erklären kann.

dmz
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Di 5. Okt 2004, 05:11 - Beitrag #4

@Maurice und Traitor
:::
Sinngemaess FN.:
"Ein Nihilist ist der Mensch, welcher von der Welt, wie sie ist, urteilt,
sie sollte nicht sein, und von der Welt, wie sie sein sollte, urteilt, sie existiert nicht."
:::
Daraus ist abzuleiten, dass der Nihilist die Defizite seiner Umwelt erkennt,
und die Vorstellung davon hat, wie die Umwelt sein sollte.
Das Moment der Resignation im letzten Teil des Satzes muss nicht
Ausweglosigkeit bedeuten.
Der (Nach)Nihilist ist, - nachdem er Traditionelles verneint hat -,
also herausgefordert, nach neuen (angemessenen) Werten zu suchen.
Nihilismus als Selbstzweck hat FN. nicht im Sinne gehabt;
statt dessen "Ueberwindung des Nihilismus".
:::
Umstritten wird der Begriff "Nihilismus" haeufig dahingehend interpretiert,
dass er das Ergebnis von Verneinung und Verfall jeglicher Werte ist
auf dem Wege in ein wertloses "Nichts",
etwa mit der Folgeaussage: "das Dasein ist sinnlos".
Das waere Pessimismus, ein schwacher Nihilismus,
der z.B. mit dem Begriff der Anarchie in Bezug gebracht werden muesste.
Dagegen ist ein starker Nihilismus zu setzen, um den es FN. gegangen ist;
naemlich den Ausweg durch eine neue Werteordnung zu finden.
Das ist die Aufforderung, ein "starker Nihilist" zu sein.
:::
Nun bin ich mal gespannt, ob ihr eine andere Interpretation habt ?

[Zitat "Maurice": Ich habe den Begriff "Nihilismus" bisher anders aufgefasst,
aber nach deiner Definition würde ich mich eindeutig als Nihilist bezeichnen.

:::
Aber wuerdest Du dich auch als Nihilist fuehlen ?
Der Unterschied waere: "aktiver oder passiver, starker oder schwacher Nihilist zu sein."
Aehnlich stellt sich die Frage: aktiver oder passiver Atheist zu sein.
Passiv heisst in beiden Faellen: "Mitlaeufer" einer
Entwicklung zu sein, die bequem und gerade in Mode ist.
Deshalb meine beiden letzten Fragen: die Punkte 4 und 5 der Umfrage.

[Zitat "Maurice": Ich bin mir aber nicht sicher, für was ich abstimmen soll,
denn meinst du mit der ersten Option, dass man dafür ist,
dass sich die jetzigen Werte wandeln,
oder dass sich Werte im laufe der Zeit immer wieder wandeln sollten?

:::
Gebe zu, dass der Sachverhalt von mir sehr allgemein ausgedrueckt worden ist.
Aber ich meine, - und das durchaus in Anlehnung an die Philosophie des FN. -,
dass Werte nur dann veraendert werden sollen,
wenn sie als sinnlos entlarvt worden sind und ihre Veraenderung geboten erscheint.
Nihilismus als Selbstzweck hat FN. nicht im Sinne gehabt;
statt dessen "Ueberwindung des Nihilismus".

Maurice
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Di 5. Okt 2004, 08:46 - Beitrag #5

Wer mich in der Philo-Sektion kennt, der weiß, wie oft ich gegen herrschende Werte und Normen wettere. Man siehe allein den Mystik-Thread, wo ich zur größtmöglichen Rationalität aller Menschen aufrufe.
Nach deinen Ausführungen würde ich mich starker, aktiver Nihilist bezeichnen. Reicht das als Antwort, oder ist das hier zu knapp geraten? ^^*

Padreic
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Di 5. Okt 2004, 14:17 - Beitrag #6

Wer schon die neuen Werte, denen er folgen will, geschaffen hat, ist kein Nihilist mehr. Ein Nihilist ist, wer keinen Gott hat (deutlich unterschieden zu der Aussage, dass es keinen Gott gibt). Dein Gott, Maurice, ist der Nutzen und die Ratio.

"Gott ist tot." ist der Leitspruch des Nihilismus. Wir haben keinen Orientierungspunkt mehr, wir sind verloren. Aber Nietzsche wollte die neuen Werte, er wollte den Nihilismus überwinden, er wollte einen neuen Orientierungspunkt schaffen. Und wer den hat, der ist kein Nihilist mehr. Nihilist ist, wer seine eigenen Werte umwandeln will oder keine mehr hat, aber nicht der, der mit festen Willen die der Gesellschaft wandeln will.

Ich bin in gewissem Maße Nihilist. Ich habe nur sehr begrenzt Orientierung. Aber ich will kein Nihilist sein, ich halte den Nihilismus für sehr gefährlich. Wer keine Werte hat, soll sich welche suchen. Doch das ist leider schwer.

Padreic

Maurice
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Di 5. Okt 2004, 15:56 - Beitrag #7

Könnte man die These aufstellen, das jeder kritischer Denker irgendwann einmal ein Nihilist ist?

Die Lage der Orientierungslosigkeit bezüglich der Werte ist mir sehr bekannt. Ich weiß wie es ist, wenn ALLES keinen Wert mehr besitzt, weil man den Dingen ihren Wert abgesprochen hat. Ich bin ja immer noch der Ansicht, dass an sich nichts von Wert ist. Das heißt aber nicht, dass nichts einen Wert besitzen kann. Alles macht nur innerhalb seiner Grenzen Sinn.

Dein Gott, Maurice, ist der Nutzen und die Ratio.

Ja je nachdem wie man etwas definiert, kann es mal existieren oder nicht. Wenn du sagst, dass dies mein "Gott" ist, dann stimmt das auch... aber dieser Beweis ist nur tautologisch. Ich bin kein Fan davon die Begriffe so zurecht zu biegen, wie einem gerade Lust ist, sondern halte es für sinnvoller diese an unseren alltäglichen Gebrauch zu orientieren. Dies ist bei deiner Verwendung des Wortes "Gott" imo hier nicht der Fall.

Traitor
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Di 5. Okt 2004, 22:38 - Beitrag #8

@dmz: Ich bin kein Nietzsche-Kenner und kann dir so keine echte Eigeninterpretation entgegenstellen. Was ich aus Sekundärliteratur als Nietzsches Haltung kenne ist aber die, die Padreic darstellt.

Aber zumindest auf deinem sinngemäßen Zitat kann ich aufbauen, und das kann ich nur anders interpretieren, als du es tust. Denn es umfasst nur den von dir sogenannten "schwachen Nihilismus", ein "starker Nihilismus" setzt nach dir ja neue Werte, und um neue Werte zu setzen, muss man diese für möglich halten und somit dem "und von der Welt, wie sie sein sollte, urteilt, sie existiert nicht" widersprechen.

Aber ersetze in deinen Aussagen "starker Nihilist" (oder teils auch einfach "Nihilist", wie in der dadurch sehr fragwürdigen Umfrage) durch "den Nihilismus Überwundenhabender", und du bist wieder bei der Standardinterpretation - wir streiten hier im Prinzip nur um Worte, wobei deine Formulierung IMHO den Kürzeren ziehen muss, da sie dem Wortsinn widerspricht.

PS: Es wäre übrigens übersichtsfördernd, wenn du die Quote-Funktion des Forums verwendest.

@Maurice:
Könnte man die These aufstellen, das jeder kritischer Denker irgendwann einmal ein Nihilist ist?
Ich denke, es reicht, wenn er den nihilistischen Gedankengang im Konjunktiv ausprobiert, um damit seine Weltsicht zu überprüfen.

e-noon
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Mi 6. Okt 2004, 19:17 - Beitrag #9

Nihilismus=Wertelosigkeit

Ich habe Nihilismus bisher so interpretiert, dass man nicht bestimmte Werte, sondern Werte überhaupt ablehnt, dass man nicht an Gott glaubt, aber auch das nicht aus Überzeugung, sondern weil man zu dem Schluss kommt, dass seine Existenz unwahrscheinlich ist;
Vom Atheist ist es demnach nur ein kleiner Schritt zum "schwachen", passiven Nihilist, der die Sinnlosigkeit der Welt erkennt und nichts verändern möchte, weil auch dies ihm sinnlos vorkommt;
Als "schwacher" Nihilist hat man dann eigentlich nur noch die Alternativen, sich umzubringen, oder aber geduldig auf seinen natürlichen Tod zu warten.
Daher gibt es bei der Abstimmung leider keinen Punkt, dem ich zustimmen könnte...
Ich würde noch einen hinzufügen, der einfach die Aussage hat, "für mich existieren keine Werte...", dem könnte ich mich dann anschließen.
:-)

dmz
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Do 7. Okt 2004, 03:51 - Beitrag #10

Zunaechst mal: danke fuer die Beitraege, die mir neue Denkanstoesse gegeben haben.
:::
Ich habe eingangs bei der Interpretation des Begriffes "Nihilist"
den zentralen Ausgangspunkt des Religionsargumentes vermieden,
weil ich keine Religionsdebatte im Sinne hatte.
Auch taete man FN. Unrecht, wuerde man ihn in diesem Zusammenhange
inhaltlich auf die Religionsfrage reduzieren.
:::
Es besteht ein besonderer Anreiz darin, philosophische Inhalte von frueher
mit unserer Zeit in Beziehung zu bringen.
Das erfordert, sich gelegentlich von Lehrmeinungen und Kolleginhalten,
- bisweilen auch vom Urtext -, behutsam zu entfernen.
Denn das Philosophieren soll leben und nicht fuer tot erklaert werden muessen.
Auch haette ein verstorbener Philosoph so manches im Laufe der Zeit
umgeschrieben und ergaenzt.
Das ist der Nachwelt vorbehalten; vielleicht ist sie dazu sogar verpflichtet.

@Maurice:
Könnte man die These aufstellen, das jeder kritische Denker irgendwann einmal ein Nihilist ist?


Ich verallgemeinere mal den Begriff "kritische Denker" und vermute,
dass nicht wenige Menschen irgendwann und in irgendeinem Zusammenhange
im Leben zu Nihilisten werden, wenn es um (lebenslange) Grundeinstellungen geht,
zu Religion, Politik, Gesellschaft und aehnlichen Merkmalen.
Alle, die z.B. aus Ueberzeugung aus der Kirche ausgetreten sind, sind Nihilisten gewesen
(Nihilist ist man in der Zwischenphase der Entscheidungsfindung, sonst gemaess dmz: 'Nach-Nihilist').
:::
FN. hatte sich als den "Ersten Nihilisten" bezeichnet und (seit 1887) von einem 200jaehrigen
nihilisten Zeitalter gesprochen.
Jeder Denker, der Wertewandel unterstuetzt und anstrebt bzw vorher alte Werte verworfen hat,
weil sie von ihm als (vermeintlich) falsch entlarvt worden sind,
muesste sich die Bezeichnung Nihilist gefallen lassen.
Aber auch der Schopenhauersche Pessimist ist Nihilist ( - der Schwaeche).
:::
FN. hatte sich z.B. herausgefordert gefuehlt,
den Schopenhauerschen Pessimismus aufzugreifen ... ,
- "Alles sei wertlos und sinnlos" -,
... weil er der Erfahrungswelt gemaess
die Perspektive, die Auswegmoeglichkeit, das Lebensbejahende in der Aussage vermisste,
um folglich seinen Nihilismus (der Staerke), des Ueberwindens zu foermulieren.
Das Nihilist-Werden ist also ein emotional-kritischer Prozess.

@Traitor
Aber zumindest auf deinem sinngemäßen Zitat kann ich aufbauen, und das kann ich nur anders interpretieren, als du es tust. Denn es umfasst nur den von dir sogenannten "schwachen Nihilismus", ein "starker Nihilismus" setzt nach dir ja neue Werte, und um neue Werte zu setzen, muss man diese für möglich halten und somit dem "und von der Welt, wie sie sein sollte, urteilt, sie existiert nicht" widersprechen.


Dem Argument kann ich nur zustimmen.
Weil ich es zunaechst auch so gefuehlsmaessig verstand, habe ich es aufzufangen versucht
in meiner Aussage:
"Das Moment der Resignation im letzten Teil des Satzes muss nicht
Ausweglosigkeit bedeuten."
Und das entspricht m.E. dem Bestreben des FN. nach Ueberwinden des "Totpunktes".

Traitor
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Do 7. Okt 2004, 11:39 - Beitrag #11

Ich denke, du überstrapazierst den Begriff Nihilismus einfach. Wenn Nietzsche mit Nihilismus den Moment, den es zu überwinden gilt, meint, und du dem zustimmst, welchen Sinn macht es dann, auch die Überwindung und das, was nach ihr kommt, als Nihilismus zu bezeichnen? Da machen Begriffe wie Humanismus, Atheismus, Existentialismus in meinen Augen deutlich mehr Sinn.
Interessant ist übrigens die Parallele zwischen Camus' Absurdität-Existentialismus-Zweischritt und deinem Nihilismus-Postnihilismus-Zweischritt, wobei ich ersterem die bessere Wortwahl unterstelle.


Jeder Denker, der Wertewandel unterstuetzt und anstrebt bzw vorher alte Werte verworfen hat, weil sie von ihm als (vermeintlich) falsch entlarvt worden sind, muesste sich die Bezeichnung Nihilist gefallen lassen.

Nein, denn man kann auch einige Werte wandeln und andere belassen, ohne ersteinmal generell alle als falsch zu betrachten. Wie ich bereits als Anmerkung an Maurice schrieb: auch ein Nihilismus im Konjunktiv reicht, um zu einer kritischen Haltung zu kommen.

dmz
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Do 7. Okt 2004, 23:04 - Beitrag #12

@Traitor
Ich denke, du überstrapazierst den Begriff Nihilismus einfach.

Habe mir mein letztes Posting nochmal durchgelesen und
bin damit gar nicht mehr zufrieden.
Scheine da etwas ins 'Schwimmen' geraten zu sein.
Interessant ist übrigens die Parallele zwischen Camus' Absurdität-Existentialismus-Zweischritt und deinem Nihilismus-Postnihilismus-Zweischritt, wobei ich ersterem die bessere Wortwahl unterstelle.

Danke fuer den Hinweis, den ich bei Gelegenheit verfolgen werde.

Ipsissimus
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Sa 30. Okt 2004, 02:05 - Beitrag #13

es scheint ein Fundamentalaxiom zu sein, daß es wie auch immer gearteter "Werte" bedarf, damit ... ja, damit was? Menschen nicht entgleisen? Menschen nicht anfangen, die Welt in einer Weise zu sehen und zu interpretieren, die WIR nicht gutheißen können?

Mir als vorsätzlichem, bewußten, frei gewählt habenden Nihilisten verbindet sich der Begriff mit der gründlichen Desavouierung von Werten. Das Prinzip "Wert" als solches ist in Frage und zur Debatte gestellt, nicht etwa nur einzelne Werte. Gemäß meiner Sicht der Dinge entgleisen Menschen aufgrund der Werte, die ihnen immer nur äußerlich sind. Menschen vermögen, völlig wertfrei zu leben, ohne ihren Antrieb zu verlieren. Und sie vermögen dies, ohne zu Amokläufern oder anderen Monstern der Bürgerlichkeit zu mutieren, die dem Druck schon lange obsoleter Wert- und Begründungssysteme nicht mehr standhalten.

e-noon
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Sa 30. Okt 2004, 02:56 - Beitrag #14

@Ipsissimus
Mir als vorsätzlichem, bewußten, frei gewählt habenden Nihilisten verbindet sich der Begriff mit der gründlichen Desavouierung von Werten. Das Prinzip "Wert" als solches ist in Frage und zur Debatte gestellt, nicht etwa nur einzelne Werte.

Hierbei würde ich dir zustimmen; das würde sich wahrscheinlich mit der oben genannten Definition des "schwachen Nihilismus" decken. Dass Menschen aufgrund "äußerer", aufgezwungerer Werte, die ihnen nichts bedeuten, in Bedrängnis geraten können, ist auch verständlich. Aber ich kann mir keine funktionierene soziale Gesellschaft vorstellen, in der jeder Einzelne jegliche Werte und Wertevorstellungen ablehnt; was sollte einen dann davon abhalten, dem anderen zu schaden, oder gar ihn zu töten, wenn es einem persönlichen Nutzen bringt? Und wie sollte man die, denen Rücksichtnahme fremd ist, ohne allgemeingültige Werte daran hindern, anderen Schaden zuzufügen? Ohne Werte gäbe es imo auch keine Gesetze und folglich niemanden, der diese zu Gunsten der Schwachen, die dies nicht können, durchsetzen könnte. Letztlich könnte ein völliger Wegfall der Werte auch zur Selbstvernichtung der Menschen führen, was wohl kaum in deinem Sinne sein könnte?

Stalker
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Sa 30. Okt 2004, 10:28 - Beitrag #15

@Ipissimus

Zum Teil magst du Recht haben. Psychologische Phänomene, wie Amokläufer, Massen- oder Serienmörder, sind tatsächlich durch (kontraproduktive) Werte verursacht (Wenn man gehirnorganische Ursachen ausschließt), da solche Vorkommnisse kulturspezifisch sind. Aber deiner gezogenen Konsequenz kann man sich nicht anschließen. Der Mensch kann ebenso wenig auf das Herausbilden von Werten verzichten, wie auf das der Sprache, oder des aufrechten Gangs. Der Mensch, als soziales Tier, wird sich immer nach Werte und Normen richten. Selbst das Ablehnen von Werten, ist ein Wert, bzw. eine Norm. Und wie schwer es ist, sich bewusst aller Werte zu verschließen, zeigst du schon mit dem Begriff „Monster“ dass, nach meinem Verständnis, eben ein wertender Begriff ist.

Wie schon Padreic sehr gut formuliert hat, ist der Nihilismus, in Nietzschens Sinne, wohl eher eine Unfähigkeit (Weshalb auch immer) als denn eine Verweigerung der Werte.
Welchen Nutzen der Nihilismus, sowohl für das Individuum als auch für eine Gesellschaft haben sollte, ist mir schleierhaft.

Ipsissimus
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Sa 30. Okt 2004, 14:08 - Beitrag #16

eure Kritik basiert auf einigen impliziten Voraussetzungen, nicht wahr? Ihr wißt a priori manche Dinge, die ich nicht weiß, z.B. daß unsere heutige, auf Werten basierende Gesellschaft eine funktionierende soziale Gesellschaft sei.

Wenn du fragt, e-noon, was einen Einzelnen davon abhalten soll, jemand anderen zu schädigen, wenn es denn nicht (normative) Werte sind, die ihm abverlangt werden, so muß ich zurückfragen, wo du in unseren Gesellschaften siehst, daß die Werte, auf die verpflichtet zu sein wir behaupten, uns davon abhalten, anderen Schaden zuzufügen? Was ich sehe, läuft darauf hinaus, daß Menschen diejenigen, die sie lieben oder wenigstens mögen, sowenig Schaden zufügen, wie ihnen situativ möglich ist, und allen anderen gegenüber in größtmöglicher Gleichgültigkeit agieren, Schaden vermeidend nur in dem Maße, als sie unfähig sind, ihre Verantwortlichkeit zu verschleiern.

Deine implizite Annahme, daß der Wegfall der Werte zu einem noch größeren Maß an schädigendem Verhalten führt, ist nur eine Annahme; genausogut kann ich annehmen, daß ein größeres Maß schon gar nicht mehr möglich ist, oder aber, daß der Wegfall der Verpflichtung zu einer seelischen Entlastung führt, die antiaggressiv wirksam wird.

Und was die Selbstvernichtung der Menschen und der Menschheit angeht: ist es nicht das, was die Menschheit gerade unter den Bedingungen von Wertesystemen mit wachsender Begeisterung immer auf´s neue versucht? Ich sehe nicht, daß ein "Wert" auch nur zu einem Toten weniger geführt hätte, wohl aber, daß "Werte" Trennungen darstellen, die Begründungen dafür schaffen, die ANDEREN, die unsere Werte nicht teilen, zu vernichten.



"Der Mensch kann ebenso wenig auf das Herausbilden von Werten verzichten, wie auf das der Sprache, oder des aufrechten Gangs."

DER Mensch ist ein furchtbar großes Wort, Stalker, DER Mensch konnte noch immer alles, um zu begründen, warum er Macht über andere Menschen ausüben sollte. Tatsächlich gehen die Gründe hierfür als Letztes aus, solange die Macht nur vorhanden ist.

Der Mensch hat die Herausbildung der Sprache nicht betrieben, die Evolution hat vielmehr ein bißchen gespielt, dasselbe gilt für die Gangart. Werte und Normen hingegen waren von Anfang an Mittel, andere zu unterwerfen, Mittel, sich selbst Privilegien zu sichern und sie anderen zu verwehren, ohne dies ständig über Gewaltabgleich durchsetzen zu müssen. Werte waren schon immer der Agent des Feindes im eigenen Herzen :-)

"...wie schwer es ist, sich bewusst aller Werte zu verschließen, zeigst du schon mit dem Begriff „Monster“ dass, nach meinem Verständnis, eben ein wertender Begriff ist"

ich bestreite nicht die Existenz von Werten (die Existenzfrage wird über Macht entschieden, über sonst nichts), ich bestreite ihre Meta-Gültigkeit und ihre Angemessenheit.


"Wie schon Padreic sehr gut formuliert hat, ist der Nihilismus, in Nietzschens Sinne, wohl eher eine Unfähigkeit (Weshalb auch immer) als denn eine Verweigerung der Werte."

Wie ich hoffentlich einigermaßen verständlich formuliere, ist Gläubigkeit (als das große Gegenüber zum Nihilismus) wohl eher eine Unfähigkeit zu leben, ohne sich etwas vorzumachen als eine positive Adaption der Lebendigkeit.


"Welchen Nutzen der Nihilismus, sowohl für das Individuum als auch für eine Gesellschaft haben sollte, ist mir schleierhaft."

Welchen Nutzen Werte haben, ist mir alles andere als schleierhaft: sie dienen zur leichteren Zementierung von Macht

Padreic
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Sa 30. Okt 2004, 15:28 - Beitrag #17

@Ipsissimus
Was verstehst du unter Wert?

Nach meinem Verständnis des Wortes 'Wert' kann, wenn ein Mensch keine Werte hat, auch nichts für ihn einen Wert haben. Wenn keine der Handlungsalternativen einen Wert hat, sind alle gleichwertig. Was zeichnet dann die eine Handlungsalternative gegenüber den anderen noch aus, so dass man sie wählt und so handelt? Lustigerweise hätte dann der Nihilismus ja auch keinen Wert oder wäre nichts anderem vorzuziehen.
Letztlich kann man ohne Wert nicht handeln und man kann nicht nicht-handeln, da selbst Nichstun in diesem Kontext Handeln ist. Zu behaupten, keine Werte zu haben, sehe ich so eher als die Feigheit, sich seine implizit in seinen Handlungen enthaltenen Werte einzugestehen, oder als Arroganz, seine Handlungsmotivationen nicht als Werte zu betrachten.
Der Sinn von Werten an sich ist nicht, zu verhindern, dass Menschen sich abnorm verhalten, sondern, dass sie überhaupt ein Ziel haben (jedes Ziel wird nur Ziel durch Wertung).

Insgesamt kommt es mir so vor, als ob du ein wenig zu viel Nietzsche gelesen hättest...sicher haben Werte (bzw. deren Verbreitung und Schaffung) auch immer wieder den Zweck von Machterhalt und Privilegienbeschaffung gehabt. Allerdings ihre Rolle in der Geschichte der Menschheit bloß darauf zu reduzieren, halte ich für arg zu kurz gegriffen. Altruistische oder semi-altruistische Motivationen, scheinst du ja auszuschließen. Dem Nazarener z. B. wird man wohl kaum die Motivation des Machterhalts unterstellen können.
Übrigens muss zum Wunsch nach Zementierung nach Macht, Macht wiederum einen Wert darstellen.

Padreic

Ipsissimus
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Sa 30. Okt 2004, 16:38 - Beitrag #18

lange ehe Menschen damit konfrontiert sind, daß es Werte gibt, sind sie mit einem viel elementareren Sachverhalt konfrontiert: daß ihr Tun Konsequenzen hat und daß selbst Nichtstun ein Tun mit eigenen Konsequenzen ist.

Das kann mensch begreifen, ohne jemals etwas von Werten gehört zu haben. Der Rest ist Unlustminimierung und Lustmaximierung nach bestem Vermögen. Zu diesem Minimierungs-/Maximierungsprozess gehört auch, die Abhängigkeit des eigenen Befindens von den (verbalen oder tätigen) Rückmeldungen anderer Menschen korrekt einschätzen zu lernen und antizipierend in sein eigenes Handeln einzubeziehen.

All das kommt völlig ohne Werte aus und verlangt lediglich einen wachen Verstand, der begreift, was sich da vor seiner Nase abspielt, ohne sich von all den vielen schönen Proklamationen blenden zu lassen.

Du kannst natürlich Unlustvermeidung und Lustmaximierung als Werte ansehen, aber nach meinem Dafürhalten würde diese Charakterisierung ihnen inhaltlich nicht gerecht, da sie auf viel tiefergehender Basis als der Intellekt arbeiten.

Der "Wert" eines "wachen", also geistig beweglichen Nihilismus - ich anerkenne, daß es auch einen "dumpfen" Nihilismus geben mag - besteht darin, daß die Menschen, die zu ihm gefunden haben, sich der Werte, die ihnen überall abverlangt werden, bedienen können, ihnen aber nicht unterliegen. Das mag auf zynische Naturen hinweisen :-) ich halte jedoch dafür, daß sehr viel zynischer ein Umgang mit Werten ist, der sie andern abverlangt, ihnen selbst aber gleichgültig gegenübersteht. Die Nihilisten, die ich kennenlernen durfte, haben niemals die Einhaltung von Werten von anderen Menschen verlangt, ein mir sehr sympathischer Zug - und keiner von ihnen ist ein Amokläufer geworden :-)


"Zu behaupten, keine Werte zu haben, sehe ich so eher als die Feigheit, sich seine implizit in seinen Handlungen enthaltenen Werte einzugestehen, oder als Arroganz, seine Handlungsmotivationen nicht als Werte zu betrachten."

mag sein; eher wahrscheinlich erscheint mir, daß es sich hier um ein Mißverständnis zwischen dir und mir handelt. Nochmal, ich behaupte nicht, daß es keine Werte gibt; ich sehe ja, daß es "Etwasse" gibt, die von Menschen als "Werte" gehandhabt werden. Ich bestreite lediglich, daß IRGENDEIN Sachverhalt ein "Wert an sich" ist. Werte werden Werte dadurch, daß sie als solche mit Macht abverlangt werden. Nichts, was du mir als Wert präsentieren könntest, würde mich jemals von sich aus, absolut unabweisbar und evident bei der Gurgel packen und mich zwingen, es inhaltlich als Wert anzuerkennen - und dasselbe bei ALLEN anderen Menschen leisten würde. "Wert" und die Macht zu seiner Durchsetzung sind untrennbar verbunden.

"Der Sinn von Werten an sich ist nicht, zu verhindern, dass Menschen sich abnorm verhalten, sondern, dass sie überhaupt ein Ziel haben (jedes Ziel wird nur Ziel durch Wertung)."

Mag sein, daß das für dich und viele andere Menschen so stimmig ist. Der Sinn von Werten aus meiner Sicht der Dinge besteht darin, andere Menschen auf eine mir genehme Verhaltensweise zu verpflichten ("mir" ersetzt durch "demjenigen, der die Macht hat, seine Werte als verbindlich durchzusetzen")



"Insgesamt kommt es mir so vor, als ob du ein wenig zu viel Nietzsche gelesen hättest..."

:-) das erste Mal, daß mir das als Fehler angerechnet wird; aber tatsächlich gehe ich weit über Nietzsche hinaus - ER verzweifelte ja am Werteverlust und mußte unbedingt neue Werte in die Welt setzen, er war also niemals Nihilist gewesen


"Altruistische oder semi-altruistische Motivationen, scheinst du ja auszuschließen."

die Proklamationen hör ich allenthalben :-) allein, mir fehlt jene Art spezifischer Blindheit, die dazu führen könnte, darauf zu verzichten, die Proklamationen an ihren Erweisen abzugleichen ... und da sieht es für die Proklamationen ziemlich schlecht aus :-)


"Dem Nazarener z. B. wird man wohl kaum die Motivation des Machterhalts unterstellen können."

der Nazarener, soweit es sich um eine real existiert habende Person gehandelt haben sollte, ist völlig irrelevant für das, was seine Nachfolger und Apologeten aus ihm und seinen eventuellen Lehren gemacht haben. Ich weiß nichts über seine Motivationen, da sie nicht bekannt sind. Ich sehe aber, was daraus gemacht wurde und wünschte daher, er wäre etwas vorsichtiger damit gewesen, sich als Wanderprediger zu betätigen. "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", also nicht an ihren Proklamationen :-)

e-noon
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Sa 30. Okt 2004, 18:12 - Beitrag #19

@Ipsissimus:
Ich denke, dass deine Vorstellung von "Wert" eher dem Begriff "gesellschaftliche Normen" entspricht; so wie du darüber urteilst, klingt es eher nach aufgezwungenen Verhaltensregeln oder pervertierten Moralvorstellungen. Die Definition von Werten als Motivation für jegliches menschliche Handeln, als Ziel, wie Padreic schon gesagt hat, erscheint mir jedoch sinnvoller, da mir dafür keine gelungenere Bezeichnung bekannt ist. Letztlich könnte man somit die Werte des Menschen mit den Instinkten der Tiere vergleichen, ohne die sie handlungsunfähig würden.

Padreic
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Sa 30. Okt 2004, 18:39 - Beitrag #20

So wie ich dich verstehe, siehst du, nach meinem Begriff des Wertes, den Nihilismus darin, sich nicht den Werten, die einem die Gesellschaft zu oktroyieren versucht, zu unterwerfen, sondern sich selbst seine Werte zu wählen oder zu schaffen (nicht zu erkennen). Ich schätze, dass du den Hedonismus der Lustmaximierung nicht als den einzig möglichen Weg für einen Nihilisten betrachtest.

Genauso gut wie, dass du über Nietzsche hinausgehst, könnte man sagen, dass Nietzsche über dich hinaus geht, da er ja den Nihilismus als Fehlform betrachtete. Inwieweit er und du Nihilismus als das gleiche erachten, wäre aber eine interessante Frage.
Übrigens sehe ich es nicht wirklich als Fehler an, Nietzsche gelesen zu haben; auch ich fand seine Lektüre bisher immer recht anregend. Allerdings wäre ich immer recht vorsichtig damit, seinen Thesen und Provokationen mehr als Anregungen zu entnehmen. Schon allein, weil ihm zum Schluss eine gewisse Geisteskrankheit sicherlich nicht abzusprechen ist.

Wenn du nicht davon ausgehst, dass sich alles Tun des Menschen auf Macht hin ausrichtest, ist die These, dass Werte allein ob der Macht verbreitet werden, meiner Meinung nach unhaltbar. Da gibt es der Gegenbeispiele häufig.
Man könnte allerdings diese Verbreiter schon als verblendete Opfer des Wert-Macht-Spieles betrachten. Dann wird die Frage schon interessanter, also, wenn sie sich auf jene richtet, die nicht von anderen zu jenem Wert, den sie verbreiten, bekehrt wurden, sondern ihn selbst schufen/erkannten/abwandelten. Da werden konkrete Beispiele für einen Semi-Altruismus schon weniger leicht zu erbringen, besonders, weil es sich um singulärere Fälle handelt, die man zumeist schwer im Einzelnen analysieren kann (wie im Extrembeispiel des Nazareners).

Für diese Betrachtungen ist es vielleicht auch gar nicht so wichtig, was der Menschensohn selbst gesagt hat und was seine Jünger und Nachfolger sagten, denn sowohl als auch wurden ob ihres Glaubens verfolgt, wenn die historischen Zeugnisse auch nur halb wahr sind, und in solch eine Situation begibt man sich nicht aus Machtwillen.

Padreic

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