Der Ärger mit dem Begriff "Wirklichkeit"

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
janw
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Di 24. Aug 2004, 15:58 - Beitrag #21

Nicht schlecht argumentiert, BioKom!
Meine Trennung der Begriffe Wirklichkeit und Realität resultiert aus der Erfahrung, daß es in der Natur eine Unzahl an wirksamen Vorgängen gibt, die sich der direkten Beobachtung und Beschreibung entziehen, und daß ein nicht unerheblicher Teil unserer Weltwahrnehmung kulturell beeinflußt ist.
Beispiele:
1. Wie vermehren sich die Pflanzen einer Wiese? Der Schnitt erfolgt während der Blüte, innerhalb der drei Tage Heutrocknung, wieviele Samen reifen da?
Bei Bodenuntersuchungen werden bestimmte Arten so gut wie nie in der Samenbank gefunden, und es kann sehr lange dauern, bis sie eine verarmte Fläche wieder erreichen. Das Modell der ausreichenden Samenreife im Heu und der Safe-Sites als Keimorte ist ein Modell, aber kaum wirklich je real beobachtet worden. Dennoch muß es als hinreichend wirklich angesehen werden, um darauf die Aussage zu stützen, daß der Schnitt während der Blüte die Reproduktion nicht gefährdet, sondern sogar fördert.
2. Kann sich jeder in den Städten der Europäer zurecht finden und jeder im Regenwald?
Nein. Es gibt mehrere Berichte von Indiovertretern, daß sie sich in Städten kaum zurecht finden, schon in einer geraden Straße nicht, weil es an Leitmerkmalen fehlt - und ebenso viele Berichte von Weißen, sich im Wald zu verlaufen, womit kein Indio zu kämpfen hat.
Das heißt: Dieselbe Landschaft hat für Menschen mit unterschiedlicher kultureller Vorprägung unterschiedlichen Informationsgehalt, dieselbe Wirklichkeit stellt für verschiedene Menschen unterschiedliche Realitäten dar.

Rosalie
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Mi 25. Aug 2004, 09:10 - Beitrag #22

Das heißt: Dieselbe Landschaft hat für Menschen mit unterschiedlicher kultureller Vorprägung unterschiedlichen Informationsgehalt, dieselbe Wirklichkeit stellt für verschiedene Menschen unterschiedliche Realitäten dar.
d.h. für Dich ist die Wirklichkeit das objektiv vorgegebene und die Realität ist quasie das, was jeder von der oder wie er die Wirklichkeit wahrnimmt? So hat jeder seine eigene Realität ....

Für mich bedeuted der Begriff real schon ein etwas mehr :)
Gruß Rosalie

Maurice
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Mi 25. Aug 2004, 11:50 - Beitrag #23

Nochmal ein paar Worte zu den Begriffen

Da ich jetzt schon zwei Begriffe eingeführt habe, mache ich den Sack mal zu und führe noch den letzten ein. Also da hatten wir:
Wirklichkeit/Realität = (wirkliche) Welt = Gesamtheit alles Seins
Welt an sich = objektive Welt = die vom Subjekt uninterpretierte Form der Welt
phänomenologische (Sicht der) Welt = subjektive Welt = Welt wie sie das Subjekt wahrnimmt

Ich denke zu den Begriffen muss ich eigentlich nichts mehr sagen. Naja vielleicht doch besser etwas, weil es vielleicht jemanden verwirren könnte, dass ich DREI Begriffe habe um die Welt zu beschreiben, wie sonst meisten üblich nur ZWEI. Die meisten Konzepte verwenden einen Begriffs-Dualismus, wo der eine Begriff "die Welt wie sie wirklich ist" bezeichnet und der andere "die Welt wie sie ein Subjekt wahrnimmt". Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das in Jans Terminologie "Wirklichkeit" und "Realität".
Bei mir sehen die Begriffe etwas anders aus. Während Wirklichkeit und Realität bei mir Synonyme sind (angelehnt an unseren alltäglichen Sprachgebrauch) und das bezeichnen, was er unter Wirklichkeit versteht, so nenne ich das, was er Realität nennt "phänomenologische (Sicht der) Welt".
Ob der Begriff "phän. Welt" wirklich passend ist, weiß ich leider nicht, deshalb wäre mir ein Urteil von einem Fachmann (oder -frau ;)) sehr hilfreich. Die Umschreibungen "Sinneswelt" oder "Welt der Erscheinungen" gefielen mir nicht so gut, weil das eine für mich danach klingt, als würde die Welt eines Subjekts (bei uns vorzugsweise der Mensch) allein aus seinen Sinnen bestehen, also allein aus das was ihm seine Sinne zutragen, aber es gibt ja auch Gedanken und Vorstellungen, die nicht direkt aus den Sinnen hervorgehen, sondern sich die Psyche selbst konstruirt. Der Begriff "Welt der Erscheinungen" verwendete Kant, und wenn ich ihn richtig verstanden habe (oder das so verstehe, wie es für mich klingt), kann ich seine Vorstellung des Verhältnisses von Subjekt und Welt nicht zustimmen, weshalb mir die Umschreibung auch zu vorbelastet war. Leider ist der Begriff "phän. Welt" etwas lang, deshalb das Synonym "subjektive Welt". :D
Ich hoffe die Begriffe sind jetzt verständlich, wenn noch Fragen sind, dann nur zu. ^^

Zu Beginn habe ich mich ja auch um einen Dualismus der Begriffe bemüht, habe dann aber gemerkt, dass ich mit nur zwei Begriffen nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis komme, was die Frage mit dem umfallenden Baum und den Tönen angeht.

Der Thread war ja eigentlich nur dazu gedacht die Begriffe zu definieren, über Erkenntnistheorie im allgemeinen sollte es eigentlich nicht gehen. Da die Tendenz dazu imo aber erkennbar ist, frage ich, ob wir hier nun auch eine allgemeine Diskussion starten wollen, oder dazu besser einen eigenen Thread aufmachen. Ehrlich gesagt wäre mir zweite Option lieber. Das Problem, was ich bei einer solchen Diskussion allerdings sehe, ist, dass wir scheinbar alle in etwa die gleichen Vorstellungen haben, aber nicht die gleichen Wörter benutzen. ^^*

janw
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Mi 25. Aug 2004, 12:31 - Beitrag #24

Rosalie: Es ist etwas wie die Frage nach dem halb vollen oder halb leeren Glas. Über einen großen Teil unserer Anschauung von der Welt würden wir uns wahrscheinlich einig sein, die Unterschiede dessen was wir für real halten, dürften so groß nicht sein. Die Frage wäre eher, wie wichtig uns die Unterschiede sind.

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Mi 25. Aug 2004, 13:26 - Beitrag #25

Die Unterschiede haben teils drastische Folgen. Musterbeispiel sind wohl Moralsysteme, die auf die Existenz eines Gottes gründen. Glaubt man nicht an diesen, so besitzt auch das System keine Grundlage.

In den meisten Punkten herrscht aber allgemeine Übereinkunft, sonst hätte man ständig Verständigungsprobleme. Das unsere Kommunikation für gewöhnlich von den Begriffen her weitgehenst reibungslos von statten geht, liegt daran, dass wir mit und über einfachen Begriffen sprechen.

Da Jan nicht auf meien Frage eingegangen ist, wegen einem Extra-Thread, werde ich ihn (voraussichtlich heute Abend) einfach mal aufmachen. Vorausgesetzt wir haben und bis dahin auf die Begriffe geeinigt, weil es zu Verwirrung kommen sollte, wenn der eine das Wort "Realität" so und der andere anders benutzen wird. ^^*

janw
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Mi 25. Aug 2004, 14:07 - Beitrag #26

Achso, Maurice, Deine Frage:
Ja, ein Extra-thread wäre gut. Was die Begrifflichkeiten betrifft, nehmen wir doch meine :P

Was die Unterschiede betrifft, rosalie und ich glauben ja beide an Gott :)
Aber sei beruhigt, Maurice, die Erde ist für uns keine Scheibe ;)

Maurice
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Mi 25. Aug 2004, 21:13 - Beitrag #27

Ja das mit dne Begriffen ist jetzt so ein Problem. Jeder wird wohl seine Begriffe benutzen wollen, bzw. wollen dass seine Begriffe benutzt werden. Wenn sich ein paar mehr User für eine solche Diskussion im voraus interessiert zeigen würden, könnte man auch abstimmen. Aber wer würde bei dieser Diskussion schon sicher mitmachen, außer dir und mir? :confused:

Maurice
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Fr 5. Nov 2004, 19:14 - Beitrag #28

Können wir Aussagen über die objektive Welt machen?

Ich habe mir in letzter Zeit wieder ein paar Gedanken über Erkenntnistheorie gemacht und belebe deshalb diesen Thread wieder. Man könnte auch einen neuen Thread dazu aufmachen, aber da dieser doch das Thema behandelt, poste ich erstmal hier rein. Wie immer kann ein Mod den Post hier zu einem neuen Thread umfunktionieren und auf den alten Thread verweisen, wenn er dies für sinnvoll hält. :)

Zuersteinmal möchte ich, dass die folgende Diskussion wenn möglich auf Basis meiner Terminologie stattfindet. Das soll nicht anmaßend sein, aber wenn jeder mit seinen eigenen Begriffen hantiert, die sich von dem des anderen unterscheiden, haben wir Chaos. Kritik zu meiner Terminologie, ist natürlich möglich, aber ich bitte doch über den Sachverhalt der über die reine Begrifffrage hinausgeht, doch diese zu verwenden. Ich danke für euer Verständnis. ;)

Ich hatte oben meine Begriffe zwar schon weitgehenst erläutert, dennoch erwähne ich sie noch einmal kurz:
Wirklichkeit/Realität = Gesamheit alles Seins
objektive Welt = Gesamtheit der Dinge an sich
Dinge an sich = die uninterpretierte Form der Dinge
subjektive Welt = die Welt, so wie sie ein Subjekt wahrnimmt

Ich hoffe ich habe jetzt nichts vergessen.

Maurice
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Fr 5. Nov 2004, 19:23 - Beitrag #29

Mist warum hat der das denn jetzt schon gepostet, ich hatte doch nur auf Enter gedrückt und ich wollte doch noch eien Skizze anhängen. Sorry jetzt wird es ein Post mehr als geplant, seht es nicht als Spam an. ^^*
Hier also eine kleine Illustration zu meinen Begriffen:

Maurice
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Fr 5. Nov 2004, 20:43 - Beitrag #30

"objektiv" = "meta-subjektiv"?

So nun zu meinem eigentlichen Problem:
Wir wissen alle, dass 100% sicheres Wissen nicht möglich ist, weil wir auf unbeweisbare Axiome aufbauen. Ich habe überlegt, von was wir im Alltag ob bewusst oder unbewusst (die allermeisten wohl letzteres) aus Grundannahmen ausgehen:
1. Ich bin ein andauerndes denkendes Wesen
2. Es gibt zu meinen Vorstellungen von mir unabhängige Dinge
3. Meine Vorstellungen beziehen sich auf solche Dinge

Das einzige, was man als sicheres Wissen bezeichnen kann ist, dass die wahrgenommenen Gedanken in diesem Moment existieren. Ich hoffe es entbrennt nicht schon über diese Grundlage eine heftige Diskussion. ;)

Nun meine Frage: Können wir überhaupt Aussagen über die Welt an sich machen?
Jede Aussage über die Welt an sich, wäre eine Interpretation der Informationen, die uns gegeben sind und somit nicht die Welt an sich, die ja die uninterpretierte Form ist.
Nach dem wissenschaftlichen Essentialismus sind die sekundären Qualitäten der Dinge rein subjektiv, also z.B. Farbe, Geruch usw. Man könnte also sagen, dass es an sich keine Geräuche, sondern nur Schallwellen gibt, die wir interpretieren oder die Dinge an sich keine Farbe haben und diese nur unsere Interpreation der Lichtwellen sind, die auf unser Auge trifft. Doch sind die primären, scheinbar sicheren Qualitäten der Dinge nicht auch schon eine Interpretation? Was hinter unseren Eindrucken steckt ist ein Haufen Elementarteilchen, die in irgendeiner Form interagieren, aber ist selbst diese Sicht doch shcon wieder Interpretation, oder? Wir nehmen aber die Dinge nicht einfach so, wie sie uns erscheinen, zumindest die Menschen nicht, die über ihre phänomenologische Sicht hinausdenken. So eben kam es ja auch zu soetwas wie dem wissenschaftlichen Essentialismus. Aber sagt dieser wirklich etwas über die Welt an sich aus? Wir schaffen Konzepte, die sich von unseren alltäglichen Sicht abheben und die Dinge abstraieren und ordnen, und schaffen damit eine Sicht der Welt, die sich von unserer rein subjektiven unterscheidet. Ist dies aber Erkenntnis über die Welt an sich? Sind solche Konzepte wirklich objektiv, aber nicht einfach nur "meta-subjektiv"? Ich hoffe diese Bezeichnung ist nicht komplett daneben, mir viel diese Formulierung eben nur so ein.
Inwieweit kann bzw. sollte man also von Wissen über die Welt an sich sprechen? Und wenn man dies nicht kann, ist das überhaupt tragisch?
Anmerkung: Dass wir uns meistens über die Dinge die wir sehen, hören und riechen einig sind, ist kein Beweis dafür, dass wir die Welt an sich erkennen, sondern nur, dass unser subjektives Empfinden allen Anschein nach sehr ähnlich zu sein scheint.)

Ipsissimus
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Fr 5. Nov 2004, 21:08 - Beitrag #31

nebenbei: was ist ein Gedanke? Ist der Gedanke eines Einhorns, dessen Existenz ich denke und von dem ich denke, daß es diesen Gedanken denkt, ein echter Gedanke?

Wirklichkeit/Realität = Gesamheit alles Seins
objektive Welt = Gesamtheit der Dinge an sich
Dinge an sich = die uninterpretierte Form der Dinge
subjektive Welt = die Welt, so wie sie ein Subjekt wahrnimmt


ob es nach dieser Definition eine Wirklichkeit/Realität und eine objektive Welt gibt, entzieht sich der Verifikation und der Fasifikation, da erst in der dritten Stufe eine Interaktion stattfindet, die für Menschen zugänglich ist. Ich könnte auch sagen, daß die beiden ersten zwei Stufen einer Gottesannahme entsprechen, oder daß sie transzendent hinsichtlich unserer Wahrnehmung sind.

Die dritte Stufe deiner Definition/Begriffsbestimmung entspricht mit etwas guten Willen dem, wie ich "Wirklichkeit" definiere: "Wirklichkeit ist die Summe aller Beschreibungen". Damit ist zugleich ausgedrückt, daß ich die philosophische Existenzfrage in gewisser Weise für gegenstandslos halte (und damit auch alle Annahmen, die Existenz erklären sollen, sei es die Gottesannahme oder der Materialismus nach Maurice :-))

Die Welt ist eine Bewußtseinskonvention

Kacktus
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Fr 5. Nov 2004, 23:49 - Beitrag #32

Ich weiß nicht ob dieses Lösungsangebot adäquat ist, aber der Gedanke ist mir spontan gekommen, als ich Maurices Post gelesen habe.

Inwieweit kann bzw. sollte man also von Wissen über die Welt an sich sprechen?


Eine Sache steht doch sicherlich fest: Einflüsse aus der Außenwelt (objektive Wirklichkeit außerhalb des Subjekts) erzeugen eine Wirkung am/im Subjekt. Aufgrunddessen kann man schonmal eine "Aktivität" der Außenwelt postulieren, d.h. sozusagen das Vorhandensein einer gewissen "Energie" (ob nun Teilchenbewegung oder sonstwas kann ja angezweifelt werden)
Als nächstet könnte man noch in der verursachten Wirkung differenzieren: Das Subjekt emfängt nicht nur eine Art von Signalen sondern eine breite Palette (Wärme, Kälte,Geräusche,etc.). Rückschließend kann man sagen, dass diese universelle Energie in verschiedenen Formen auftritt oder fluktuiert.

Diese Vorgehensweise würde also eine Beschreibung der "Welt an sich" über ihre Wirkung. Wenn man keine Aussagen über ihre eigentliche Beschaffenheit treffen kann so kann man doch zumindest sagen, dass sie in ihrer Wirkung differenziert ist.

War das jetzt zu konfus bzw. ist es überhaupt schlüssig? ^^*

janw
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Sa 6. Nov 2004, 02:23 - Beitrag #33

Dann will ich auch mal wieder etwas gehaltvolles produzieren ;)

Nein, Kacktus, konfus war das nicht, sondern eine recht gute Beschreibung der Beziehung zwischen der Welt und uns als wahrnehmende Wesen. Ob die Welt aktiv ist und sendet, kann man so sehen, denn letztlich nehmen wir die Welt in Form von aus Sinneseindrücken abgeleiteten Signalen wahr.

Was mir aber in den Modellen von Maurice und Ipsissimus fehlt, ist eine schlüssige Erklärung der Anteile der Welt, welche sich unserer direkten Wahrnehmung entziehen.
Nach meiner Diktion (s.weiter oben) handelt es sich hierbei um jenen Teil der Wirklichkeit, der nicht zur Realität gehört.

Der Wald hört nicht auf zu existieren, wenn ich ihn verlasse, stelle ich dort eine Videokamera auf, so kann ich das Geschehen auch zu dieser Zeit nachträglich verfolgen, ob ich dies tue oder nicht, es hat aber stattgefunden.

Gleichfalls können wir aus Funden Teile der Vergangenheit rekonstruieren. Wir wissen: auch bevor es Menschen gab, gab es Leben und irgendwann die Dinosaurier. Aus den gleichaltrigen Ablagerungen wissen wir auch ungefähr, in welcher Landschaft sie lebten, welche Pflanzen dort wuchsen.
Dieses Bild ist gleichwohl Stückwerk, so selektiv wie die Funde die wir auswerten können.
Wir gewinnen also ein uns eigenes Bild von jener Zeit, das ich als unsere diesbezügliche Realität bezeichnen würde, von einer Wirklichkeit, die uns in vollem Umfang nicht zugänglich ist.

@Maurice: Der Begriff des Dings an sich ist mir auch als "Archetyp" oder Grundform geläufig, etwa in der Frage, was macht für uns eine Tasse zur Tasse? Siehst Du das anders?

Maurice
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Sa 6. Nov 2004, 11:20 - Beitrag #34

@Jan:
Der Wald hört nicht auf zu existieren, wenn ich ihn verlasse

Das ist ja auch keine Behauptung oder Folgerung aus meinem Modell, denn es geht ja von einer von uns unabhängigen Welt aus.

eine schlüssige Erklärung der Anteile der Welt, welche sich unserer direkten Wahrnehmung entziehen

Wir werden, wenn wir wissenschaftliche denken, nicht einfach willkürlich Dinge erfinden, sondern unser Denksystem erweitern, wenn wir Grund zum Anlass haben. Wenn man "unsichtbare Kräfte" vermutet, so kann man sich fragen, ob da nicht etwas ist, was diese bewirken. Bleiben wir auf der wissenschaftlichen rationalen Ebene, so werden wir soetwas nicht mit Gott, sondern versuchen mit Teilchen oder Energie zu erklären. Radioaktivität z.B. können wir mit dem Auge nicht sehen, haben dieses Konzept aber auf Grund unserer Erfahrungen erstellt um Phänomene erklären zu können.
Die Frage ist nun, ob ein solches Konzept, z.B. das von Radioaktivität eine Erkenntnis über die Welt an sich ist, oder nur "meta-subjektiver" Natur, indem wir unsere subjekte Wahrnehmung abstraieren.
Da noch niemand was gegen "meta-subjektiv" gesagt hat, scheint der Begriff soweit ok zu sein. ^^

Der Begriff des Dings an sich ist mir auch als "Archetyp" oder Grundform geläufig, etwa in der Frage, was macht für uns eine Tasse zur Tasse?

Den Begriff "Ding an sich" habe ich von Kant.
Es geht nicht darum, was die Tasse zur Tasse macht, sondern wie die Tasse "an sich" ist. Einer unserer Ansichten ist z.B. dass die Tasse an sich keine Farbe haben und unser Eindruck der Farbe der Tasse nur eine Interpretation der Lichtwellen ist.
Die Frage ist, ob aber nicht nur die sekundären, sondern auch die primären Qualitäten der Dinge nur von uns interpretierte Wahrnehmung und nicht dem Ding an sich ist. Sprich ist, die Tasse die ich vor mir sehe wirklich ein festes in sich geschlossenes, konstantes und rundes Objekt, oder erscheint dies mir alles nur so. Ja ich scheine keine Zweifel an ihrer Form zu haben, aber dies scheint es einem auch bei der Farbe, wenn man es nicht besser weiß. Gibt es also an sich überhaupt dieses Objekt "Tasse" oder ist es nur von unserem Denken konstruiert? Damit meine ich nicht den Begriff "Tasse", sondern das Ding, was wir uns hinter diesem Wort vorstellen.


@Kacktus:
Eine Sache steht doch sicherlich fest: Einflüsse aus der Außenwelt (objektive Wirklichkeit außerhalb des Subjekts) erzeugen eine Wirkung am/im Subjekt

1. Kritisch betrachtet ist das eben nicht sicher, sondern ein Axiom.
2. Erzeugen die Einflüsse der Außenwelt keine Wirklichkeit im Subjekt, sondern nachdem das Subjekt diese Einflüsse geordnet hat, eine subjektive Sicht der Welt oder eine Vorstellung der Wirklichkeit.
Ich bin jetzt einfach so dreist und bleibe hier bei meiner Terminologie, sonst kommen wir eben so dieser Begriffskonfusion, die sich hier schon andeutet. Was du meinst wird wohl richtig sein, aber nicht auf Grundlage meiner Terminologie. ;)


@Ipsi:
Ist der Gedanke eines Einhorns, dessen Existenz

Hast du den Thread vollständig gelesen? Ich glaube nämlich diese Frage schon vorher beantwortet zu haben und zumindest für mich klingt sie stimmig.

ob es nach dieser Definition eine Wirklichkeit/Realität und eine objektive Welt gibt, entzieht sich der Verifikation und der Fasifikation

Man kann es auch kompliziert ausdrücken. ;)
Aber das sage ich ja auch, weshalbt es imo ein Axiom ist, anzunehmen, dass es von uns unabhängig eine Welt gibt.

janw
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Sa 6. Nov 2004, 12:18 - Beitrag #35

Maurice, die Sache mit dem Wald sollte nur ausdrücken, daß es eben einen von uns unabhängigen Weltanteil gibt, nach meiner Diktion sozusagen nicht-Realität, nach Deiner Diktion eine eigenständige von uns unabhängige Welt.
Soweit also geklärt.

Mit der schlüssigen Erklärung... meinte ich eher eine nachvollziehbare Bezeichnung, Einordnung.
Du stellst in Deinem Modell Wirklichkeit und Realität durch einen / auf eine Stufe, obwohl diese Begriffe durchaus unterschiedliches bezeichnen.
Für mich ist die Wirklichkeit sozusagen die Gesamtheit alles Wirkenden, wobei die Tatsache der Wirkung mit dem Sein untrennbar verbunden ist, nichts ist, das nicht wirkt.
Nur ein kleiner Teil der Wirkungen gelangt uns aber zur Wahrnehmung oder gar zu Bewußtsein. Und da muß ich gar nicht einmal Gott bemühen... :P

Bei der Tasse: d´accord! :)

Zu dem was Du ad Kacktum schreibst: Er schreibt "Wirkung am /im Subjekt", Du aber "Wirklichkeit im Subjekt", das ist ein feiner Unterschied, und hier stimme ich Kacktus weiter zu.

Zu dem ad Ipsissimum: Also daß auf Novaja Semlja gerade Eisbären zum Winterschlaf ansetzen, ist ein Axiom...und daß der apfelbaum in meinem Garten steht gerade, auch...interessant :shy:

Maurice
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Sa 6. Nov 2004, 12:43 - Beitrag #36

Du stellst in Deinem Modell Wirklichkeit und Realität durch einen / auf eine Stufe, obwohl diese Begriffe durchaus unterschiedliches bezeichnen.

Hallo Jan, wann lebst du? Das Thema hatten wir doch schon längst. Du definierst die Begriffe anders als ich, das wissen wir beide. Deine Behauptung deine Definition der Wörter sei richtiger als meine ist Unsinn, denn es ist an sich egal, ob ich z.B. ein Tier "Hund" oder "dog" nenne. Das eine Wort ist nicht richtiger als das andere.
Die Begriffe Wirklichkeit und Realität beschreiben nicht an sich etwas unterscheidliches, sondern nur auf Grund deiner Definition.

Ist es denn so schwer jetzt einfach mal die vorgegebene Terminologie zu verwenden? Es macht doch keinen Sinn, jetzt unendlich und unnötigerweise zu diskutieren ob wir einen Sachverhalt nun "Realität" oder "subjektive Welt" nennen.

@Kacktus Post: Hmm ja ... da habe ich wohl Unsinn verzapft, versteh ich jetzt selbst nicht mehr meine Reaktion. Sorry. ^^*
Wahrscheinlich habe ich mich in tadelswerter Weise grob verlesen oder ich habe einfach falsch assoziiert, denn du hast recht, dass Wirkung nicht gleich Wirklichkeit ist.

@Ipsis Post: Nein dass draußen ein Baum steht ist kein Axiom, sondern ist eine Ansicht die auf Axiome aufbaut.

Padreic
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Sa 6. Nov 2004, 12:53 - Beitrag #37

@Ipsissimus
"Wirklichkeit ist die Summe aller Beschreibungen". Damit ist zugleich ausgedrückt, daß ich die philosophische Existenzfrage in gewisser Weise für gegenstandslos halte

Dass es Beschreibbares unabhängig von Beschreibungen gibt, ist durch die Existenz des Beschreibenden, sprich des Subjekts, gesichert. Die Frage, ob es mich (zumindest im Sinne von meinem Bewusstsein) objektiv gibt, halte ich für positiv beantwortbar und somit für nicht gegenstandslos. So lange man eine objektive Welt nicht per definitionem ausschließt, halte ich so die Frage nach ihr nicht nur für verifizierbar, sondern auch für verifiziert von jedem einzelnen Subjekt.

@Maurice
Ein paar Fragen bzw. Anmerkungen zu deinen Begriffsdefinitionen:
(i) Verstehe ich dich recht, dass etwas, das wir uns nur vorstellen, für dich Teil des Seins, aber nicht Teil des An-Sichs ist?
(ii) Ich halte, wie janw, die Identifizierung von Realität und Wirklichkeit für unnötig ungenau. Es sind mehr Stufen zu unterscheiden, als du in deinem Modell aufführst. Mir würden da spontan einfallen:

1. das komplette an sich und für sich in dem Sinne, dass nicht ontologisch von einem Bewusstsein abhängt.
2a) der Teil des An-Sichs, der meine Wahrnehmung evoziert
2b) die Gesamtheit alles bei irgendeinem Subjekt Wahrnehmungen evozierenden An-Sichs
3a) das Produkt meiner Wahrnehmung, d.h. das Interpretierte, was in mein Bewusstsein gelangt
3b) die Gesamtheit aller interpretierten Wahrnehmungen aller Subjekte
4a) die Gesamtheit meiner Bewusstseinsinhalte
4b) die Gesamtheit aller Bewusstseinsinhalte aller Subjekte
5a) die Gesamtheit meiner Bewusstseinsinhalte, die ich für real bzw. als Abbild einer Wirklichkeit postuliere
5b) die Gesamtheit aller Bewusstseinsinhalte, die das jeweilige Subjekt als real bzw. Abbild einer Wirklichkeit postuliert
6. Alles Sein. D.h. alles an sich, alle Bewusstseinsinhalte und alles, was da sonst noch so kreucht und fleucht.

(vorläufige) Benennungsvorschläge:
1. Realität
2a) meine Wirklichkeit
2b) Wirklichkeit
3a) meine Wahrnehmung
3b) intersubjektive Wahrnehmung
4a) mein Bewusstsein
4b) intersubjektives Bewusstsein
5a) meine Welt
5b) intersubjektive Welt
6. Welt

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Sa 6. Nov 2004, 13:11 - Beitrag #38

ich kann nicht gänzlich leugnen, daß ich die buddhistische Sicht der Dinge favorisiere, wonach es sich um eine sich selbsterhaltende Illusion handelt. Da dieses Konzept aber rechtwinklig zu allem steht, was in westlicher Kultur und Zivilisation als denkbar und logisch konsistent gelten darf, ist deine Kritik, Padreic, auf dem Hintergrund der westlichen Kulturüberlegenheit, die in einem anderen Thread hier festgestellt wurde, durchaus berechtigt.

Nicht umsonst bist du allerdings auch nicht auf meinen letzten Satz eingegangen, wonach die Welt eine Bewußtseinskonvention ist :-) die westliche wissenschaftliche Sich ist aus meiner Sicht nur EIN Konzept der Beschreibung der Wirklichkeit, ein Konzept, das hier im Moment allerdings absolut und als absolute Basis gesetzt wird, eine Setzung, die ich nicht teile.

Maurice
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Sa 6. Nov 2004, 13:30 - Beitrag #39

Warum wollt ihr ständig Wirklichkeit und Realität unterschiedlich definieren? Warum ich die beiden Wörter gleichsetze habe ich schon begründet, eure Begründung steht aus.
Pad dir ist schon klar, dass (wenn ich dich richtig verstanden habe) du die beiden Begriffe umgekehrt zu Jan definierst? ;)
Ich hatte zwar vorher in kein Lexikon geschaut und habe meine Terminologie von mir aus gewählt, aber jetzt habe ich doch mal in mein Philosophie-Lexikon von Brockhaus nachgeschlagen, was da zu "Realität" steht:
Realität, allgemein meist "Wirklichkeit" im Sinne der Summe alles Vorhandenen, tatsächlichlich Gegebenen, Gegenständlichen (Objektiven) im Unterschied zum lediglich Gedachten oder Vorgestellten.
Auch hier wird keine Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen gemacht. Wie jetzt schon bestimmt 100 Mal betont, aber weil das wohl immer wieder nochmal sein muss:
Es gibt keine Bedeutungen der Wörter an sich.
Sie werden erst durch den, der sie definiert konstituiert. Also gewöhnt euch ab zu sagen, dass eine Definition an sich richtiger sei als eine andere. Ich kann die Wirklichkeit auch "Hund", einen Baum "Auto" und ein Fenster "Tasse" nennen und würde dann sagen, dass das Auto vor meiner Tasse mir hundisch erscheint und das wäre nicht richtiger oder falscher an sich als würde ich sagen, dass der Baum vor meinem Fenster mir wirklich erscheint.

Was deine Frage angehen: Mein Schaubild ist doch eindeutig, oder?

Auf deine Feineinteilung will ich jetzt nicht eingehen, denn wir sollten vom Groben ins Feine übergehen und nicht einfach einen plötzlichen Sprung machen. Erweitern wir die Terminologie also lieber schrittweise.

Padreic
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Sa 6. Nov 2004, 14:10 - Beitrag #40

@Maurice
Es ist nicht Zweck, sondern Mittel, Realität und Wirklichkeit anders zu definieren. Es mag nützlich zu sein, für unterschiedliche Dinge unterschiedliche Begriffe zu benutzen. Es spricht bis auf etwaige kommunikative Probleme wenig dagegen, eine Kastanie Eiche und eine Eiche Kastanie zu nennen, aber beide Begriffe synonym zu verwenden, halte ich für durchaus unpraktisch. Eine Differenziertheit der Begriffe erleichtert eine Differenziertheit des Denkens, deren Nutzen auch du wohl kaum bestreiten willst.
Zweck dieses Threads ist, wenn ich dich recht verstehe, möglichst geeignete Begriffe für die Problematik rund um Existenz und Wirklichkeit zu finden. Einfach eine recht grobe Begriffsbildung als Norm zu postulieren, führt dabei selbstverständlich nicht weiter.
Du musst nicht immer wieder betonen, dass die Lautkombinationen, die wir Gegenständen unserer Vorstellung beilegen, nicht in den Dingen an sich liegen. Das dürfte jedem denkenden Menschen hier klar sein; wir sind nicht so dumm, wie du vielleicht glaubst. Wenn ich hier irgendwo gesagt habe, dass meine Begriffsbildung die richtigere ist, dann mögest du mich drauf hinweisen. [Ich halte es übrigens für eine Diskussionunkultur, so lange etwas in andere Postings hineinzuinterpretieren, bis sie bestimmte "Vergehen" enthalten. In dubito pro reo.]
Das heißt aber noch lange nicht, dass es nicht bessere und schlechtere Terminologie gibt. Wesentliche Bedingungen für eine gute Terminologie sind meiner Meinung nach, dass man sich in ihr präzise, differenziert, umfassend und kurz ausdrücken kann, dass in ihr ähnliche Begriffe ähnliche Bedeutungen haben und dass sie nicht allzu sehr von Alltagssprache. Bezüglich der ersten Bedingung halte ich deine Terminologie für unzureichend, wie schon ausgeführt.
Ein philosophisches Wörterbuch ist übrigens nicht verbindlich. Verbindlich sind allein Sprachkonventionen, auf die man sich einigt. Und wenn man bessere findet als das philosophische Wörterbuch sie hat, um so besser.

Auf deine Feineinteilung will ich jetzt nicht eingehen, denn wir sollten vom Groben ins Feine übergehen und nicht einfach einen plötzlichen Sprung machen. Erweitern wir die Terminologie also lieber schrittweise.

Ich verstehe zwar nicht ganz, warum, aber du kannst meinetwegen die Terminologie auch schrittweise erweitern, wenn du es denn überhaupt tust. Du könntest beispielsweise auch auf meinen Vorschlag schrittweise eingehen...

@Ipsissimus
Ich muss zugeben, mich bisher nur unzureichend mit der buddhistisch-östlichen Denkweise auseinandergesetzt zu haben. Dass sie in so manchem Punkt fundamental verschieden sein muss, ist mir aber schon das eine oder andere Mal begegnet. Deswegen kann vermutlich auch keine simple Diskussion in einem Forum die Unterschiede zwischen westlicher und buddhistischer Anschauung überbrücken oder sie auch nur völlig verständlich machen. Leider.

Edit: @Maurice: Achso, bevor ich es vergesse. Meine vertauschende Benennung von Wirklichkeit und Realität gegenüber janw ist keine wesentliche Sache und würde mich auch ohne Probleme seiner Terminologie anpassen. Ich fand es nur irgendwie natürlicher, dass, was auf mich wirkt, die Wirklichkeit zu nennen.

Padreic

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