Erkenntnistheorie und Dogmatismus

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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So 21. Nov 2004, 20:20 - Beitrag #1

Abgetrennt aus Kommentare zu "Wachsäpfel" (Padreic)

Du mit deiner "Erkenntnis"... was können wir denn schon wirklich sicher wissen? "Wissen" bezeichnet doch "nur" Vorstellungen denen wir uns sicher sind und die unserem Denksystem als widerspruchsfrei gelten. Deine Ansicht von Erkenntnis ist seit langen überholt, verabschiede dich mal von dieser antiquierten Sichtweise. Es geht nicht um "Erkenntnis" sondern um sinnvolle gedankliche Konstrukte.

Padreic
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So 21. Nov 2004, 21:50 - Beitrag #2

@Maurice
Genauso könnte ich deine Erkenntnistheorie für antiquiert halten, ist sie doch bloß ein ein wenig auf Glanz gebrachter Hume (so wie Carnap, Russel etc. es sind). Die Phänomenologie, der ich nahe stehe, ist dagegen eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts. Deine Verabsolutierung des Empirismus und dass du alles andere als überholt betrachtest, erinnert mich doch sehr an an typische Charakteristika einer kritischen Philosophie, die sich ihrer eigenen Voraussetzungen bzw. deren nicht-Offenbarkeit nicht bewusst ist und so eigentlicher Dogmatismus ist.
Ich muss, glaube ich, irgendwann in näherer Zukunft mal den schon länger geplanten Aufsatz über meine erkenntnistheoretische Gegenposition zum ontologischen Sparprogramm schreiben. Nicht, dass ich glaubte, es würde zu einem Konsens oder dergleichen führen, aber wenigstens könnte ich danach eher davon ausgehen, dass du überhaupt weißt, was du da kritisierst.
Hohn war übrigens, zumindest in meinem letzten Post, nicht meine Absicht. Es war mehr eine Art von globalem Kommentar über die Entwicklung der Wachsäpfel bzw. meiner persönlichen Bewertung dieser. Und ich wollte sagen, worin möglicherweise dieser Wandel begründet ist. Viele große Geister haben sich in manchen Punkten von aus ihrer Biographie entstandenen Ressentiments leiten lassen, was nicht heißt, dass sie für die daraus gefolgerten Sätze nicht auch objektiv erscheinende Argumente bringen konnten (auch schon genannter Augustinus). Dass dies nicht zum Positiven war, muss nicht betont werden. Jede andere Motivation als das reine Streben nach Erkenntnis und Wahrheit droht, vom rechten Pfad der Erkenntnis abzugleiten.

Padreic

Maurice
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So 21. Nov 2004, 22:33 - Beitrag #3

Jede andere Motivation als das reine Streben nach Erkenntnis und Wahrheit droht, vom rechten Pfad der Erkenntnis abzugleiten.

Wie schon ausgeführt, ist dieses Ideal, wie du es darstellst, imo Unsinn. Könnten wir ja mal in einem seperaten Thread diskutieren. Wenigstens hier wäre wenigstens ein Member auf meiner Seite. :D
Was war und was falsch ist, bestimmt das wertende Subjekt und kann sich keiner absoluten Wahrheit sicher sein (außer einer Ausnahme), weil seine Urteile auf nicht zu beweisenden Axiomen beruhen. Man könnte sagen "alles kann nur innerhalb der Grenzen eines Systems richtig oder falsch sein".
Ich will auf keinem "Pfad der Erkenntnis" wandern, weil ich nicht glaube, dass es sowas überhaupt gibt. Was ich will, ist ein möglichst nützliches System entwickeln.

Mein Schwerpunkt liegt auf der empiristischen Richtung, aber sie ist auf keinen Fall absolut. Es klang mir, als ob du dies von mir behaupten wolltest, was schlicht falsch ist. Der Mensch ist weder am Anfnag seines Lebens ein unbeschriebenes Blatt, noch dass Erfahrungen alleine einen Schluß ermöglichen, sondern dass dafür auch sehr wohl auch der Verstand von nöten ist. Schon diese Einschränkungen machen mich zu keinen absoluten Empitisten.
Was das ontologisches Sparprogramm angeht, so ist dies wohl die allgemein wissenschaftliche Denkweise des 21. Jahrhunderts.
Ein philosophisches System kommt ohne einem gewissen Dogmatismus nicht aus. Du unterliegst aber einer Kategorienverwechslung, wenn du meinst ich plädiere generell gegen Dogmatismus. Nein du hast mich wohl falsch verstanden. Was die Methodik angeht, so ist so gut wie möglich eine Kontinuität notwendig und nur im Notfall zu korrigieren. Gegen was ich entschieden eintrete ist ein moralischer Dogmatismus.

Padreic
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So 21. Nov 2004, 23:22 - Beitrag #4

Was wahr und was falsch ist, bestimmt das wertende Subjekt und kann sich keiner absoluten Wahrheit sicher sein (außer einer Ausnahme), weil seine Urteile auf nicht zu beweisenden Axiomen beruhen. Man könnte sagen "alles kann nur innerhalb der Grenzen eines Systems richtig oder falsch sein".

Letzteres ist sicherlich korrekt. Ein gewisses grundlegendes System unserer Erkenntnis müssen wir voraussetzen. Um feststellen zu können, dass wir zur Erkenntnis gelangt sind, müssen wir erstmal sagen, was Erkenntnis heißt. Letztlich birgt das immer eine gewisse Willkür, da auch meta-systematische Bewertungen von solchen Systemen selbst wieder ein System voraussetzen. Man kann diese Willkür allerdings begrenzen.
Ich würde sogar sagen, dass die Aussage, dass wir selbst existieren, ein System voraussetzt, im Grunde sogar die Aussage, dass überhaupt etwas existiert und nicht vielmehr nichts. Nur ist wohl kinem Menschen ein irgendwie nur halbwegs plausibel erscheinendes System vorstellbar, wo man diese Aussage nicht treffen kann.
Bezüglich der Axiome möchte ich anmerken, dass ich die herkömmliche axiomatische Methode, wie sie auch in der Mathematik Anwendung findet, für die Philosophie für unzureichend halte. Wirklichen Wahrheitswert können wir nur dem zusprechen, was wir auch erleben können. Und wenn wir überhaupt irgendetwas einen Wahrheitswert zuweisen wollen, was für unseren Alltag unabdingbar ist, dann müssen wir das, von dem wir absolut überzeugt sind, was wir als wirklich wahr erleben, auch abstrakt als wahr betrachten. Für meine Erkenntnistheorie ist der Grundquell unseres Erkennens unser Erleben. Ich nenne das "Hermeneutik des Erlebens". Von dort kann man dann weitergehen und vielleicht Aussagen darüber treffen, ob das, was wir als Sinneseindrücke wahrnehmen, überhaupt irgendeine Bedeutung hat.

Dein Empirismus ist von der Form, wie er überhaupt erst vernünftig zu nennen ist. Ein absoluter Empirismus in dem Sinne, dass er die von dir genannten Annahmen leugnet, ist sicherlich Blödsinn. Absolut wollte ich deinen Empirismus eher insofern heißen, als dem Mensch keine Erkenntnis der Außenwelt jenseits der Sinne zubilligst bzw. diese sogar leugnes.
Dass das ontologische Sparprogramm die allgemeine wissenschaftliche Denkweise des 21. Jahrhunderts ist, mag durchaus sein, doch die Philosophie ist in diesem Sinne keine Wissenschaft. Was für die Wissenschaft gut sein mag, muss für sie noch lange nicht gut sein. Gewisse Varianten des ontologischen Sparprogramms sind für die Philosophie sicherlich auch entscheidend, insbesondere, keine nicht die Existenz von etwas zu behaupten, wofür es im grundlegenden System keinerlei Begründung gibt. In extremeren Varianten führt allerdings das ontologische Sparprogramm zum Solipsismus oder zu Varianten, die an Berkely erinnern, also, dass unsere Außenwelt quasi nur aus einem Anderen besteht. Die Existenz einer Außenwelt so, wie sie von uns erlebt wird, zu postulieren, würde ich schon nicht mehr wirklich ein ontologisches Sparprogramm heißen. Es ist schon eine sehr schwerwiegende Annahme, für deren Begründung man einen wesentlich anderen Ansatz wählen muss.
Dass du Dogmatiken in bestimmen Bereichen bekämpfst, sie in anderen aber durchaus gutheißt, kommt mir ein wenig seltsam vor. Letztendlich ersetzt du nur eine Dogmatik gegen eine andere.

Padreic

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Di 23. Nov 2004, 17:39 - Beitrag #5

Jede andere Motivation als das reine Streben nach Erkenntnis und Wahrheit droht, vom rechten Pfad der Erkenntnis abzugleiten


mein Problem hier fängt mit den Begriffen "rein" und "recht" an. Während ich mir "rein" noch zurechtlegen könnte als "unbeeinträchtigt von Nebenabsichten, die das hehre Bild stören könnten" - und nicht glaube, daß es sowas gibt :-) - kann ich mit "recht" wie "rechter Pfad" nicht recht was anfangen :-)

Wer entscheidet, und woduch wird entschieden über die "Rechtheit" eines Pfades?


Abduktion als von dir vorgeschlagenes Verfahren der Wahl zur Erkenntnisgewinnung - boshaft verkürzt: der Abgleich von Thesen, Fakten und EInsichten anhand von apriori-Zielvorgaben - mag zwar für jemand geeignet sein, der über eine geeignete Wissensbasis verfügt oder zu verfügen glaubt, kaum jedoch für jemand, der den Anspruch hat, sein Wissen möglichst frei von dogmatischen, merkantilen u.ä Zwängen aufzubauen.

Lyx
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Di 23. Nov 2004, 19:03 - Beitrag #6

"Absolute Erkenntnis/Wissen" - falls ein Mensch sowas jemals erreichen kann(ich denke ja, aber das würde nun in die spirituelle Schiene abschweifen) kann nur in der Gegenwart existieren. Wär ansonsten doch auch langweilig wenn alles statisch wär.

- Lyx, der Kater

P.S.: Auch diese Nachricht könnte gleich schon wieder falsch sein(unwarscheinlich aber möglich)

Padreic
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Mi 24. Nov 2004, 16:41 - Beitrag #7

@Ipsissimus
mein Problem hier fängt mit den Begriffen "rein" und "recht" an. Während ich mir "rein" noch zurechtlegen könnte als "unbeeinträchtigt von Nebenabsichten, die das hehre Bild stören könnten" - und nicht glaube, daß es sowas gibt :-) - kann ich mit "recht" wie "rechter Pfad" nicht recht was anfangen :-)

Der Beitrag ist aus dem Smalltalk abgetrennt und da benutze ich die Begriffe noch weniger sorgfältig als hier ;).
Was ich ungefähr sagen wollte, war, dass es umso unwahrscheinlicher ist, dass eine Aussage der Wahrheit entspricht, so mehr sonstige Beweggründe außer dem Streben danach, die Wahrheit zu sagen, hatte. Wenn ich beispielsweise jemanden besonders hasse oder liebe, so mögen sich meine Urteile über ihn vom Objektiveren wegbewegen. Du magst jetzt einwenden, dass diese objektive Erkenntnis so nicht existiert; dagegen möchte ich anwenden, dass meine Aussage mehr auf einer Alltags- denn einer philosophischen Ebene angesiedelt war.
"Rechtheit" ist hier nicht erstmal nicht um moralischen Sinne gemeint.

Wie du deinen letzten Absatz aus meinem Text rausliest, ist mir hingegen noch etwas unklar. Den prinzipiellen Ansatz, den ich meinte, dogmatisch zu heißen, kann, wenn mein Denken in dem Punkt nicht völlig vernagelt ist, nur auf einem Missverständnis beruhen.

Padreic

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Mi 24. Nov 2004, 17:07 - Beitrag #8

gut, vielleicht habe ich in

Und wenn wir überhaupt irgendetwas einen Wahrheitswert zuweisen wollen, was für unseren Alltag unabdingbar ist, dann müssen wir das, von dem wir absolut überzeugt sind, was wir als wirklich wahr erleben, auch abstrakt als wahr betrachten


mehr hineingelesen als von dir intendiert war. Aber wenn wir z.B. vom Handeln Gottes in unserer Wirklichkeit absolut überzeugt sind, müssen wir unserer Interpretationen natürlich beständig diesem Umstand anpassen

Padreic
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Mi 24. Nov 2004, 18:55 - Beitrag #9

@Ipsissimus
Wenn wir aus irgendeinem Grund von dem Dasein Gottes und seinem Wirken in der Realität absolut und auch bei genauer Prüfung noch überzeugt sind, dann müssen wir uns dann in jeder Annahme und jeder Interpretation danach richten. Das ist im Grunde nicht dogmatischer als zusagen, dass vor mir ein Tisch steht.
Aber im Allgemeinen wird die sorgsame Interpretation des Erlebten nicht oder zumindest nicht allzu schnell zum Gottesbegriff kommen. Als erstes werde ich, wenn ich überhaupt etwas erkennen kann, Teile von meinem Wesen erkennen, was ich dann als Schlüssel, als Hinweis zur Erkenntnis dessen, was nicht (oder vielmehr oft auch nicht nur) Teil meines Wesens ist, sprich dessen, was wir Welt nennen, und irgendwann vielleicht auch von Gott.
Letztendlich sind das alles bloß Versuche, für mich Wahrheiten zu finden, die nicht in dogmatischer Weise für andere verbindlich sein wollen. Von einer Erkenntnis kann man zur nächsten zu kommen, aber nicht ohne das Hinterfragen der ersten Erkenntnis fortzusetzen.

Padreic


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