Fallbeispieldiskussion Sterbehilfe

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.

Halten Sie das Verhalten das Arztes eher für richtig oder falsch?

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Rosalie
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So 5. Dez 2004, 00:04 - Beitrag #21

@Maurice
Müsstest du auf Grund dieses Sachverhalts nicht dem Verhalten des Arztes zustimmen, oder habe ich den einen Teil deines Postes missverstanden
der zweite Teil meines Satzes bezog sich auf medikamentöse- oder Aparatemedizin die das Leben und Leiden der betreffenden nur unnötig verlängern. Inhaltlich kann ich aleanjre weitgehend zustimmen. Wenn durch schmerzlindernde Medikamte die "Leidenszeit" verkürzt wird - o.k., aber eine Injektion um den Übergang zu erleichtern? Menschlich sehr, sehr verständlich!! Aber weiß ich denn, was dieser Mensch (und ich war bei einem Sterbenden dabei, die bekommen viel mehr mit, als man vermutet!) noch in diesem Leben klären will, was er vielleicht für einen innerlichen Kampf kämpft. Ich denke, wenn die Todesstunde naherückt, denkt doch jeder daran ... was ist, wenn es einen Gott gibt, wenn ich ihm jetzt gleich gegenüberstehe...

Vielleicht läßt ein Sterbender sein Leben revue passieren, macht sich Gedanken über Versäumtes ... vielleicht betet er ... weiß ich das ...??? Habe ich ein Recht, dieses - und wenn es nur Sekunden sein sollten - die für seine Entscheidungsfindung vielleicht unendlich wertvoll sind - bewußt abzukürzen?

aleanjre
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So 5. Dez 2004, 00:20 - Beitrag #22

Rosalie, ich habe reihenweise Menschen sterben sehen. Auf die verschiedensten Weisen. Viele gingen im weitesten Sinne friedlich. Medikamente nahmen den Schmerz, die Organe versagten nacheinander, einige Stunden Übergang, und dann war es vorbei. Viele von diesen durften dies mit Familienangehörigen erleben, ich habe da ganz ergreifende Erinnerungen von menschenwürdigem Verhalten.
KEIN Arzt auf dieser Welt wäre auf die Idee gekommen, in diesen Prozess irgendwie einzugreifen. Auch dann nicht, wenn die letzten ein, zwei Minuten etwas schwieriger waren - mühsame Schnappatmung, immer größere Atemaussetzer.
Andere sind einsam gestorben, nur von Krankenschwestern umgeben.

Aber manchmal kommt der Tod auf extrem gewalttätigen Füßen. Ich weiß von einer Frau (nicht persönlich miterlebt), die schreiend verreckt ist. Gebärmutterhalskrebs, Metastasen von Kopf bis Fuß, offene Tumorausbrüche. Man konnte kaum soviel Morphium in sie hineinpumpen wie sie tatsächlich brauchte, (es waren Unmengen, die sie bekam) und die intravenöse Spritze am Ende war dann Erlösung von unmenschlicher Folter.
Oder ein schwerkranker alter Mann, eigentlich bettlägrig, ebenfalls nur noch eine Lebenserwartung von wenigen Tagen. Er erlitt einen dramatischen Schlaganfall, die Aura dieses Geschehens oder was auch immer hatte ihn auf die Füße getrieben. Er wurde sterbend gefunden, krampfend vor Schmerz auf dem Boden liegend, nicht mehr ansprechbar, jenseits jeder Rettung. Auf der Intensivstation hätte man ihn mit allen Finessen der MEdizin traktiert, vielleicht noch zwei, drei Stunden herausgeholt. Diese Qual wurde ihm erspart, und ich glaube nicht, dass dies eine fragwürdige Tat war.

janw
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So 5. Dez 2004, 01:04 - Beitrag #23

Maurice, die Einstufung in ein Schema von gut und schlecht ist in diesem Sinne eine Entscheidung aufgrund eines ethischen Bewertungssystems.
Mit meinem Bezug auf die recht universelle Gültigkeit der kritischen Bewertung der Tötung habe ich mich auf dieses allgemeine kulturübergreifende ethische Fundament gestellt. Sicher hätte ich mich auch auf das christliche Wertefundament stellen können, aber das hätte nichts wirklich neues gebracht, zumal das universelle Bewertungssystem letztlich auch transzendental begründet wird - der Lebenspositivismus ist soetwas wie der gemeinsame Nenner aller Religionen.
Bei solchen recht allgemein gehaltenen Fallbeispielen kann ich nicht zu einer deutlich anderen Aussage kommen, im Unterschied zu aleanjres konkreten Beispielen. In den von ihr geschilderten Fällen haben die Ärzte völlig richtig gehandelt.
Für die Gabe einer letalen Dosis gibt sie folgende Kriterien:

Sichtbar letaler Zustand - Schnappatmung etc. - Schmerzen - der Arzt erkennt, dass sie innerhalb der nächsten Minuten sterben wird. Sie leidet aber, schafft den Übergang nicht, ist noch bei Bewußtsein.
In solchen Situationen hab ich mehrmals miterlebt, wie ein Arzt ganz schnell Morphium i.v. gespritzt hat, und der Patient innerhalb von wenigen Sekunden von seinem Leid erlöst war.

In so gelagerten Fällen wäre die Gabe der tödlichen Dosis Morphium richtig.

Maurice
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So 5. Dez 2004, 01:14 - Beitrag #24

Dass in jeden (uns bekannten) Gesellschaften ein Lebenspositivismus herrscht liegt imo nicht daran, dass es ein transzendentaler Wert ist, sondern ein in unseren Genen grundliegender.
Aber wenn wir das weiter diskutieren, werden wir wohl ot.
Ich wollte mit meiner Anmerkung betonen, dass die Einstellung zu Leben und Tod sich in verschiedenen Kulturen deutlich unterscheiden kann. Nicht jede Kultur hat dieselbe Einstellung zum Leben wie wir, es gibt auch welche, die moralische Tötungen von Menschen haben.

janw
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So 5. Dez 2004, 16:55 - Beitrag #25

Die Beiträge zur Frage der Bewertung des Lebens in anderen Religionen und Kulturen habe ich mal in einen eigenen thread abgetrennt.

Ipsissimus
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Mo 6. Dez 2004, 12:40 - Beitrag #26

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"Tod", als das Wissen um das Ende des eigenen biologischen Daseins, ist die sicherste aller Gewißheiten, die Menschen haben können und beinahe die einzige, die hält, was sie verspricht. Insofern ist der Sterbeprozess - sofern vorhanden - die intimste und vorhersehbarste Erfahrung, die ein Mensch machen kann. Es ist nach meinem Dafürhalten eine indiskutable Anmaßung, mit diesem Sterbeprozess anders zu verfahren, als der/die Sterbende selbst es wünscht.

Aus der Schwierigkeit, das exakte Wünschen eines Sterbenden zu ermitteln, folgt nicht, daß das Leben des Sterbenden um jeden Preis und gegen seine Bekundung erhalten werden muss, damit Arzt/Ärztin ihrem Eid gerecht werden. Für mich geht das so weit, daß ich darin ein Qualitätsmerkmal der Ärztlichkeit sehe: meine erste Frage ist, ob der Arzt / die Ärztin gegen ihren Eid bereit sind, mein Leben auf meinen Wunsch hin zu beenden. Wenn sie es nicht sind, suche ich andere.

Noch ein Wort zur Exaktheit: das ist überwiegend ein Mittel des Schutzes des Arztes. Bei dieser ganzen Diskussion geht es nicht um das Wollen des Sterbenden, sondern um Rechtssicherheit für den Arzt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Fragen.

aleanjre
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Mo 6. Dez 2004, 12:56 - Beitrag #27

Es ist aber neben aller Rechtssicherheit der Ärzte auch eine Erfahrung derjenigen, die in Hospizen arbeiten, dass der Todeswunsch sterbender Patienten sich in 99% der Fälle schlagartig umkehrt, sobald ihnen kompetent die Schmerzen genommen werden. Absolute Schmerzfreiheit ist Grundvoraussetzung, (neben geistiger Handlungsfähigkeit), sich mit dem Leben befassen zu können statt den Tod herbeizusehnen. Leider ist die Schmerztherapie in Deutschland reichlich verbesserungsbedürftig, um es nett zu formulieren.
Auch in dem genannten Fallbeispiel war von "relativer Besserung" die Rede - also nicht von Schmerzfreiheit, genauso wie die Patientin nur deshalb den Tod wünschte, weil sie die Schmerzen nicht mehr ertragen wollte.

Ipsissimus
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Mo 6. Dez 2004, 13:14 - Beitrag #28

wie du selbst sagst, Alea: wenn - dann :-)

deiner Sicht stimme ich durchaus zu. Nur sehe ich den Vorang der Praxis vor theoretischen Erwägungen. Aus der theoretisch möglichen Schmerzbefreiung, die aber praktisch nicht durchgeführt wird, folgt nicht, daß der Patient in seinem Elend liegengelassen werden muss. Es muß dabei noch nicht einmal unbedingt absolute Shmerzfreiheit sein. Mir würde eine Schmerzreduzierung genügen, wenn mir die Restschmerzen wenigstens noch die Option auf ungestörte Auseinandersetzung mit meinem Leben und Sterben ließen.

Selbstverständlich muss der/die Sterbende auch die Option haben, seine diesbezüglichen Wünsche - seinen subjektiven Notwendigkeiten folgend - auch mehrmals zu ändern, ohne daß ihm dadurch geistige Verwirrtheit unterstellt wird.

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