Die Verwerfung der Begriffe "Egoismus" und "Altruismus"

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Maurice
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Sa 4. Dez 2004, 12:00 - Beitrag #1

Die Verwerfung der Begriffe "Egoismus" und "Altruismus"

Einige werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass ich in einem Thread mal den Begriff Altruismus kritierte. Nachdem ich gesehen hatte, dass der Begriff keinen Sinn macht, wenn man "selbstloses Handeln" als ein absolutes fordert, unternahm ich den Versuch die Definition etwas weicher zu wählen, was auch kein Problem war. Demnach war Altruismus dasjenige Verhalten, bei dem ein Subjekt für das Wohl eines anderen (oder mehrerer) handelt, ohne dabei an sich in Form von Macht oder materiellen Nutzen zu denken. Man hilft des helfens wegen. Unter dem Begriff Egoismus stellen wir uns wohl in etwa alle dasselbe vor, nämlich ein Handeln, bei dem das Subjekt nur für seinen eigenen Vorteil handelt.
Nach weiteren Reflektionen über die Begriffe, bin ich zu einem Standpunkt gekommen, der wohl noch ungewöhnlicher ist, als der oben genannte Ausgangspunkt. Mir liegen die Gedanken im Moment nur als Notiz vor, deshalb seht über die möglichen Mängel in Form der folgenenden Zeilen gütig hinweg. ;)

-------------------------

A = Subjekt
B = anderes Subjekt
I = Interesse

Wenn I(A)=A
dann bezeichnet man dies für gewöhnlich als "Egoismus".

Wenn I(A)=B
dann bezeichnet man dies für gewöhnlich als "Altruismus".

Warum ist nun das eine moralisch besser, als das andere?
Beides mal verfolgt A nur seine Interessen!
Denken wir einen Moment nach und fragen uns, ob wir jemals etwas anderes tun, taten und ja auch je tun werden, als zu versuchen unsere Interessen zu verwirklichen? Die Antwort lautet nein, denn alles was wir tun, tun wir, weil es für uns in irgendeiner Weise von Interesse ist. Wir tun nichts, was gegen all unsere Interessen verstoßen würde. Es kann der Fall sein, dass sich Interessen in einem Spannungsverhältnis gegenüberstehen und wir uns entscheiden müssen, welchem Interesse wir nachgehen.
Für die meisten wird das wohl merkwürdig wirken, so würde man intuitiv jemanden als Egoisten bezeichnen, von dem man sagt er handle nur nach seinen Interessen. Darin liegt aber ein Irrtum. Wenn es mein Interesse ist mich für alte und kranke Menschen einzusetzen oder für Tier- und Umweltschutz, wer würde dies dann als egoistisch bezeichnen? Aber auch ein solches Verhalten, ist nichts anderes, als der Versuch der Verwirklichung der eigenen Interessen.
Wenn nun alles nur nur deshalb getan wird, weil es dem eigenen Interesse entspricht, warum sollte dann das eine moralisch besser sein, als das andere? Ist nun jede Handlung egoistisch? Macht es Sinn jeden Menschen als Egoisten zu bezeichnen und ihn mit diesem Wort zu rügen?
Ich sage nein. "Egoismus" und "Altruimus" sind als moralische Begriffe entlarvt und werden als Bewertungskriterien verworfen. Man kann auf Grund dieser gerade genannten Sichtweise davon sprechen, dass die Interessen eines Subjekts sich selbst oder jemand anderes als Objekt haben, dies impliziert aber noch nicht automatisch einer Wertung, wie es bei den Begriffen "Egoismus" und "Altruismus" der Fall ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass überhaupt keine Wertungen mehr möglich sind. Wir bewerten nämlich die Dinge immer nach der Frage, wie wir unserer Interessen verwirklichen können, oder präziser ausgedrückt:
Was ist mir von Nutzen, um meine Interessen zu verwirklichen?

---------------------

Auf folgenen Seiten meines Notizblocks stehen Aufzeichnungen über das Verhältnis von Nutzen und Interesse, bei denen ich aber vorher noch etwas überlegen muss, wie ich nun das genaue Verhältnis darstelle. Dazu kann in absehbarer Zukunft auf Grundlage des vorangegangenen Beitrags, weitere Ausführungen folgen. :)

Feuerkopf
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Sa 4. Dez 2004, 12:33 - Beitrag #2

Ich glaube, Du hast die Begriffe zu stark reduziert.
Egoismus und Altruismus sind keine Persönlichkeitsziele als solche, sondern beschreiben das Verhalten anderen gegenüber und dessen Auswirkungen.

Egoismus, also das Handeln nur um der eigenen Nutzenmehrung willen, muss zwangsläufig nachteilige Auswirkungen auf andere haben, weil die Menge des zu verteilenden Gutes endlich ist.

Unter "Gut" verstehe ich jetzt mal alles, was ICH anstreben könnte: Macht, Geld, Ansehen etc. pp.

Altruismus, also das Handeln ohne das Bestreben der eigenen Nutzenmehrung, hat Vorteile für andere, denn ihr "Gut", wie z. B. Erhaltung von Leben und Gesundheit, finanzielles Überleben etc. pp. wird gemehrt, allerdings im Normalfall nicht über das Maß des Notwendigen hinaus.

Altruismus kann für den altruistisch Handelnden durchaus von Nachteil sein, denn seine Gesundheit, sein Leben, seine Absicherung kann zur Disposition gestellt werden.

Das ist ins Unreine geschrieben, aber - wie ich hoffe - eine ergänzende Sichtweise.

Maurice
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Sa 4. Dez 2004, 12:45 - Beitrag #3

Vergiss dabei nicht, dass egoistisches Handeln jemanden genauso von Nachteil sein kann. Ja Egoismus kann jemanden sogar noch von viel größeren Nachteil sein, als solches, was man als altruistisch bezeichne. Denke ich immer nur kurzsichtig an mich und nutze andere ständig aus, so werde ich mir keine Freunde, aber viele Gegner machen. Dieser Umstand kann druchaus von deutlich größeren Nachteil sein, als wenn ich ab und zu auch anderen helfe und ihnen etwas von meinen Gütern abgebe. In einem anderen Thread bezeichnete ich dies auch als "Altruismus aus Egoismus".

Wenn jemand ein höheres Interesse vom Nutzen eines anderen hat, als von sich selbst, dann handeln er dennoch nur nach seinem Interesse. Wo liegt denn nun an sich der qualitative Unterschied, ob jemand sich selbst oder jemand anderes von Nutzen hat?
Und ist es denn weniger moralisch gut, wenn jemand seine Familie (und damit sich selbst eingeschlossen) als ein höheres Interesse hat, als die ganze Nachbarschaft zusammen?

Feuerkopf
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Sa 4. Dez 2004, 13:31 - Beitrag #4

Es hat wirklich was mit der Grunddefinition der beiden Begriffe zu tun.
Mir ist jetzt nicht präsent, wie die philosophische Definition lautet, und man möge mir vergeben: Ich habe auch gerade keine Zeit, die anderen Threads nachzulesen.
Hier ist die psychologische Erläuterung:

Egoismus und Altruismus sind einander gegenübergesetzt.

Egoismus ist die Grundüberzeugung, alles Verhalten diene der Verwirklichung und Wahrung eigener Interessen.

Altruismus ist die Bezeichnung für eine durch Selbstlosigkeit und Hilfsbereitschaft ausgezeichnete Einstellung gegenüber Mitmenschen.

Beides sind EINSTELLUNGEN.

Eine Einstellung ist die allgemeine, umfassende Bezeichnung für psychophysische Bereitschaftszustände, die - durch Erfährung- geprägt - einen richtenden und dynamisierenden Einfluss auf das Verhalten ausüben.
(Wörterbuch Psychologie)

Somit wäre, wenn ich das richtig verstehe, Deine eingangs entwickelte Theorie eine rein dem Egoismus entsprungene, da sie die Interessenwahrung in beiden Fällen zur Maxime macht.

Maurice
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Sa 4. Dez 2004, 13:44 - Beitrag #5

Es geht hier nicht um philosophische Definitionen, es reicht wohl völlig, wenn wir unsere Definiton der Begriffe nehmen, die sich wohl kaum markant unterscheiden sollten. :)

Egoismus ist die Grundüberzeugung, alles Verhalten diene der Verwirklichung und Wahrung eigener Interessen.

Handeln wir jemals gegen all unsere Interessen? Nenn mir ein Beispiel indem jemand in keinster Weise versucht seine Interessen zu verwirklichen.
Ich sage dir das gibt es nicht. Demnach müssten wir alle egoistisch sein, selbst wenn wir altruistsich handeln würden, wären wir im sleben Moment ebenfalls egoistisch. Egoismus und Altruismus sind aber ein Gegensatzpaar, entweder ist eine Handlung egoistsich oder altruistisch. Da man aber IMMER nur nach seinen eigenen Interessen handelt, machen die Begriffe imo keinen Sinn mehr, wenn man Egoismus so definiert, wie du es tust und wie ich es wohl allgemein getan wird.

Padreic
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Sa 4. Dez 2004, 16:00 - Beitrag #6

Mir scheint der Gedankengang alles andere als merkwürdig. Ich denke, es ist einer, zu dem man quasi zwangsläufig kommt. Und er wurde in diesem Forum garantiert schon einmal in der ein oder anderen Form dargestellt.

Es bleibt die Frage, ob wir, wenn wir jemandem helfen, damit primär unser Interesse, ihm zu helfen, verwirklichen wollen, oder ihm primär helfen wollen. Der Unterschied klingt minimal, wenn überhaupt vorhanden, ist IMHO jedoch entscheidend.
Desweiteren sollte man sich fragen, warum man überhaupt bestimmte Interessen hat. Wenn man glücklich ist, wenn man jemand anderem hilft, dann kann man leicht sagen, dass man dem anderen nur hilft, weil man dann glücklich ist. Nur ist es, denke ich, zu kurz gegriffen, die Frage, warum man da glücklich ist, bei der Untersuchung der Frage, ob alles Verhalten letztendlich egoistisch ist (und diese These vertritt man ja gerade durch die fehldende Unterscheidung von Egoismus und Altruismus), auszuklammern.

Padreic

Maurice
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Sa 4. Dez 2004, 16:33 - Beitrag #7

Es bleibt die Frage, ob wir, wenn wir jemandem helfen, damit primär unser Interesse, ihm zu helfen, verwirklichen wollen, oder ihm primär helfen wollen.

Wenn wir es phänomenologisch betrachten, so kann es durchaus vorkommen, dass wir jemanden helfen wollen, ohne in dem Augenblick daran zu denken, dass es unser Interesse ist ihm zu helfen. Epistemisch kann also der reine Gedanke des Helfens vor der Erkenntnis sein, dass es mein Interesse ist zu helfen. Aus ontoligischer Sicht bestreite ich dies aber. Ich bin der Ansicht, dass es kein helfen wollen gibt, dass sich über das Interesse des helfen wollens erhebt, weil eben das Interesse gleich dem Wunsch ist. Ich glaube daher nicht, dass deine Unterscheidung wirklich eine reale Unterscheidung ist.

Das der Gedanke inhaltlich in irgendeiner Form schon dargstellt wurde will ich nicht bezweifeln, doch kann ich mich nicht erinnern, dass er hier schon mal in dieser Form dargestellt wurde. Es geht mir nicht darum zu sagen, dass jede Handlung egoistisch ist, sondern dass der Begriff Egoismus aus kritischer Sicht Unsinn ist. Kein zu unterschätzender Unterschied, weil man mit diesem Schritt moralischen Balast abwirft und den Sachverhalt neutraler betrachtet.

Desweiteren sollte man sich fragen, warum man überhaupt bestimmte Interessen hat.

Darauf werde ich bald hoffentlich näher eingehen können. Nur soviel vorneweg ohne jetzt schon darüber zu diskutieren.
Es gibt meienr Ansicht nach Prinzipen, wie Mut, Ehrlichkeit, Treue, Stärke usw. die alle einem Meta-Prinzip unterliegen, welcher der Nutzen ist. Jeder Mensch hat ebenfalls Interessen die verschiedenster Art sein können, z.B. Reichtum, Familie, beruflicher Erfolg usw., welche alle dem Meta-Interesse des Glücks unterliegen. Wir tun alle Handlungen nur, weil wir bewusst oder unbewusst meinen, dass sie uns zu Glück verhelfen. Woher stammt nun das Kriterium Glück? Epistemtisch steht es an der Spitze unseres Denkens, ontologisch hingegen steht über dem Streben nach Glück die Triebe. Das Erfüllen unserer Triebe beschert uns Glücksgefühle. Dabei lässt sich die Kategorie Triebe nicht allein auf Selbst- und Arterhaltung reduzieren, weil zwar diese an der Spitze stehen, aber sich in Sub-Trieben differenzierter untergliedern.
Ok jetzt habe ich doch mehr dazu gesagt, aber ich arbeite noch an der Konzepton und Formulierung, weshalb ich über den Teil gerne noch nicht diskutieren würde. ^^

Rosalie
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Sa 4. Dez 2004, 17:02 - Beitrag #8

.. die alle einem Meta-Prinzip unterliegen, welcher der Nutzen ist. Wir tun alle Handlungen nur, weil wir bewusst oder unbewusst meinen, dass sie uns zu Glück verhelfen.
das kann sicherlich sein. Nur für jeden Menschen bedeutet von Nutzen sein und Glück etwas anderes. Letztendlich hängt es nicht mit dem persönlichen Sinn oder Ziel meines Lebens oder wenn ein solcher nicht vorhanden, mit kurzfristig zu erreichenden Zielen zusammen?


zu dem Punkt, das letztendlich alles Egoismus ist und immer ein eigenes Interesse - wenn auch unbewußt - damit verknöpft sei: es gibt Fälle, in denen eine schwangere Frau ihr Leben für das Leben ihres ungeborenen Kindes geopfert hat, damit dieses die Möglichkeit zu Leben hat. Wo ist da ein eigenes Interesse? Man kann hier nicht mal argumentieren, sie hat ihrem Kind nur aus dem Grund geholfen, damit sie es nicht verliert und somit nicht traurig ist (was natürlich Schwachsinn ist :D ). Und jetzt komme bitte nicht mit dem Arterhaltungstrieb ... dieses Beispiel fiel mir spontan ein, es gibt bestimmt noch viele andere ...

Maurice
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Sa 4. Dez 2004, 17:16 - Beitrag #9

Nur für jeden Menschen bedeutet von Nutzen sein und Glück etwas anderes. Letztendlich hängt es nicht mit dem persönlichen Sinn oder Ziel meines Lebens oder wenn ein solcher nicht vorhanden, mit kurzfristig zu erreichenden Zielen zusammen?

Imo vollkommen korrekt. Menschen haben verschiedene Interessen, die sich auch gegenseitig im Weg stehen können, deshalb kommt es zu Konflikten.

zu dem Punkt, das letztendlich alles Egoismus ist und immer ein eigenes Interesse - wenn auch unbewußt - damit verknöpft sei

Rosalie du scheinst den entscheidenden Punkt nicht verstanden zu haben. Ich sage NICHT dass alles Egoismus ist, sondern dass der Begriff Unsinn ist. Für mich gibt es nach diesem Interessen-Modell keinen Egoismus, sondern nur der Wunsch die eigenen Interessen zu verwirklichen, was nicht mit Egoismus gleichzusetzen ist, was ich hoffentlich an den genannten Beispielen klar machen konnte.

es gibt Fälle, in denen eine schwangere Frau ihr Leben für das Leben ihres ungeborenen Kindes geopfert hat, damit dieses die Möglichkeit zu Leben hat. Wo ist da ein eigenes Interesse?

Das eigene Interesse der Frau war das Leben des Kindes. Das Interesse, dass das Kind leben soll, war stärker als das Interesse am eigenen Leben, weshalb sie sich für das Kind geopfert hat.
ich weiß nicht, warum dieses Beispiel nicht in mein Modell passen sollte.

Was die ganze Triebgeschichte angeht, so muss ich mir über deren Ontologie auch erst noch genauer Gedanken machen. Spontan kam ich auf zwei Grundtriebe und vier Sub-Triebe. Aber wie gesagt, darüber muss ich mir erst noch ausführlicher Gedanken machen.

Rosalie
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Sa 4. Dez 2004, 23:39 - Beitrag #10

Rosalie du scheinst den entscheidenden Punkt nicht verstanden zu haben. Ich sage NICHT dass alles Egoismus ist, sondern dass der Begriff Unsinn ist. Für mich gibt es nach diesem Interessen-Modell keinen Egoismus,
sorry, das habe ich wohl falsch formuliert (soll vorkommen) . Aber wenn der Mensch eben nur seine eigenen Interessen verwirklichen will, das bezeichnete ich mit dem Begriff Egoismus.

Das eigene Interesse der Frau war das Leben des Kindes. Das Interesse, dass das Kind leben soll, war stärker als das Interesse am eigenen Leben, weshalb sie sich für das Kind geopfert hat.
ja, korrekt. Aber dieses Interesse am Leben des Kindes, ist doch ein Interesse, dass dem Erhalt ihres eigenen Lebens entgegenspricht? Ihr eigenes Interesse gilt nicht ihrer Person, sondern einer anderen. Also ... ich denke, irgendwo meinen wir (vielleicht?) dasselbe ... Egoismus ist, wenn mein eigenes Interesse meiner eigenen Person gilt und Altruismus ist, wenn mein eigenes Interesse einer anderen Person gilt. Gehst Du damit konform? :)

Maurice
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So 5. Dez 2004, 00:15 - Beitrag #11

Original geschrieben von Rosalie
Aber wenn der Mensch eben nur seine eigenen Interessen verwirklichen will, das bezeichnete ich mit dem Begriff Egoismus.

Egoismus ist, wenn mein eigenes Interesse meiner eigenen Person gilt und Altruismus ist, wenn mein eigenes Interesse einer anderen Person gilt.

Widersprichst du dir damit nicht? Das sind doch zwei unterscheidliche Definitionen von "Egoismus". Welche vertrittst du nun?

Aber dieses Interesse am Leben des Kindes, ist doch ein Interesse, dass dem Erhalt ihres eigenen Lebens entgegenspricht?

Das schon, aber wo widerspricht das meinem Modell? Wo behaupte ich, dass der Selbsterhaltungstrieb ein unveräußerliches Interesse sein, was über jedem anderen stehen muss? Imo kann sehr wohl ein anderes Interesse über dem Interesse der Selbsterhaltungung stehen. Ich habe bereits gesagt, dass eine Person mehrere Interessen haben kann, die durchaus im Konflikt stehen können und er letztlich das Interesse verfolgt, das am stärkstens ist.

Egoismus ist, wenn mein eigenes Interesse meiner eigenen Person gilt und Altruismus ist, wenn mein eigenes Interesse einer anderen Person gilt. Gehst Du damit konform?

Wie schon gesagt, ich möchte die Begriffe vermeiden. Stimmst du mir zu, dass die Begriffe moralisch sind und immer durch eine Bewertung gefärbt sind? Man kann die Wörter natürlich immer so definieren, wie man will, aber wenn ich sie so definiere wie du, dann bekomme ich nicht die Färbung weg, die ihnen anhaftet. Ich würde deshalb von selbstgerichteten und fremdgerichteten Interessen sprechen, was an sich keine Wertung beinhaltet.

Rosalie
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So 5. Dez 2004, 23:53 - Beitrag #12

Widersprichst du dir damit nicht? Das sind doch zwei unterscheidliche Definitionen von "Egoismus". Welche vertrittst du nun?
dies - der erste Satz - sollte nicht als Definition gemeint sein, sondern den vorherigen, "falsch formulierten" Post erklären. Korrekt - wie ich es sehe - ist der zweite. Natürlich ist mit den beiden Begriffen eine moralische Wertung gegeben. Wenn Du diese alle über Bord wirfst und quasi bei Punkt 0 beginnst - denn Werte sind ja kulturell gewachsen - ist Deine Definition o.k.

Ipsissimus
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Mo 6. Dez 2004, 10:31 - Beitrag #13

nach meinem Dafürhalten ist ein Mensch - jeder Mensch - charakterisierbar als "Potential aller Möglichkeiten". Soll heißen: unter geeigneten Umständen ist jeder Mensch zu jedem Verhalten fähig, von der äußersten Bestialität bis zur äußersten Selbstaufopferung.

Dieses Total wird in Schach gehalten durch Selektion der üblicherweise verwirklichten Möglichkeiten, also jener Möglichkeiten, die in ihrer Gesamtheit das wiedererkennbare Persönlichkeitsmuster eines Menschen ergeben.

"Selektion" wiederum behaupet eine Mischform von unbewußten und bewußten Motiv-Anteilen für bewußtes Handeln. Vieles von dem, was ich tagtäglich tue, erfolgt augrund unbewußter Motivlagen, basierend auf Erfahrung, Sozialisation, allgemeinem Weltwissen. Davon abgehoben sind die wenigen Momente vorsätzlicher, bewußter Entscheidung (ich lasse mal Berufsleben außen vor, da dort natürlich abhängig von der Position sehr viel mehr bewußte Entscheidungen getroffen werden).

Wenn das bisher Gesagte als Grundlage genommen werden kann, stellt sich die Frage, welchen Sinn vor einem solchen Hintergrund die Charakterisierung menschlichen Handelns nach "egoistisch" und "altruistisch" haben soll, vor allem, wenn die weitergehende Konnotation "egoistisch = böse, altruistisch = gut" mitbedacht wird.

Der diffamierende Charakter der Zuweisung "Egoist" dient im wesentlichen dazu, Willfährigkeit einzufordern, ohne eine explizite Forderung auszusprechen, die zurückgewiesen werden könnte. Im Rahmen allgemeinen Weltwissens wird Menschen auch ein Set an Verhaltensmustern vermittelt, die gesellschaftlich als unerwünscht gelten - die Zuweisung "Egoist" kann auf dieses Grundwissen aubauen, analog die Zuweisung "Altruist".

Bei beiden handelt es sich also wesentlich um einen "Agenten des Feindes im eigenen Herzen". MIR sollen MEINE UREIGENSTEN Motivlagen suspekt gemacht werden, indem mein Tun und Lassen nach gesellschaftlicher Notwendigkeit moralisch charakterisiert - und das heißt: diffamiert wird.

Es kommt für viele Menschen - hoffentlich - ein Zeitpunkt, da sie derartigen Charakterisierungen gegenüber in äußertem Gleichmut tun, was sie für sich selbst für angemessen halten - und man kann nur wünschen, daß ihre Angemessenheiten nicht auf verinnerlichten gesellschaftlichen Normen basieren, sondern freier sind.

Feuerkopf
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Mo 6. Dez 2004, 16:59 - Beitrag #14

Mir fällt gerade ein, dass die Negierung echten Altruismus' ihre Quelle in der christlichen Erziehung hat. Wenn ich jemandem unterstelle, dass er nur gut zu anderen ist, weil er eigentlich seinen eigenen Zielen dient, so ist er immer selbstgerecht und keineswegs selbstlos.
So hat man auch ein permanent schlechtes Gewissen, statt Freude an selbstlosem Tun zu entwickeln.

Maurice
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Mo 6. Dez 2004, 20:07 - Beitrag #15

@Feuerkopf: Wenn man sagt, dass das Handeln nach den eigenen Interessen egoistisch ist und dies schlecht ist und man anderen nur hilft, weil es dem eigenen Interesse entspricht, dann müssten wir uns absurderweise schlecht deswegen fühlen. Ohne die von uns gefärbten Begriffe "egoistisch" und "altruistisch" fällt dieses Paradoxon weg.
Angemerkt dabei sei aber, dass daraus nicht resultiert, dass man selbstgerichtetes und fremdgerichtetes Verhalten nicht mehr bewerten kann. Man kann diese Verhaltensweisen durchaus noch als gut oder schlecht bewerten, dies aber auf Grund des vorliegenden Kontextes und nicht aus sturen Prinzip. Die Bewertung ist deshalb imo deutlich differenzierter.

@Rosalie: Du hast mir aber noch nicht auf meinen Einwand geantwortet, dass dein Beispiel von der Frau und dem Baby sehr wohl in mein Modell passt. ;)

Rosalie
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Di 7. Dez 2004, 00:03 - Beitrag #16

Maurice ich sprach von Arterhaltung, Du von Selbsterhaltung. Das die verschiedenen Interessen welche eine Person vertritt u.U. miteinander in Konflikt geraten können und dann "das Stärkere" die Oberhand gewinnt ... ist o.k. Und in meinem fiktiven Fall trägt eben das reine selbstlose Handeln den Sieg davon. Eigenes Interesse??

Sicher sagst Du jetzt, ihr eigenes Interesse ist das Weiterleben des Babys. Ja, aber dies hat doch nichts mehr mit ihrer eigenen Person zu tun. Wenn Du eigenes Interesse als eigenen Willen definierst, dann kann ich Dir voll zustimmen. Aber denkt man (bei eig. Inter.) nicht normalerweise an ein in irgendeiner Form für die entscheidende Person gewinnbringendes Handeln?

Ipsissimus
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Di 7. Dez 2004, 10:06 - Beitrag #17

Arterhaltung ist eine intellektuelle Proklamation, Selbsterhaltung ein Primärtrieb. Beides zeigt sich schon darin, daß "Arterhaltungsaktionen" (hat schon mal jemand was mit dem Vorsatz gemacht, die Art zu erhalten?) nahezu beliebig manipulierbar sind während Selbsterhaltungsaktionen nur mit großer Mühe unterdrückt werden können

Feuerkopf
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Di 7. Dez 2004, 10:37 - Beitrag #18

Zwischenfrage

Öhm...ist unser Sexualtrieb nicht primär da, unsere Art zu erhalten?

Ipsissimus
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Di 7. Dez 2004, 10:55 - Beitrag #19

unsere Sexualität ist für gar nichts da :-)

Finalitäten der Natur festzustellen ist eine Funktion menschlichen Verstandes und vielleicht ein Bedürfnis menschlicher Mentalität; die Finalitäten selbst sind keine natürliche Größen. Tiere kopulieren nicht um die Art zu erhalten oder um Kinder zu bekommen, sondern weil es die Männchen so schön juckt; und nur die Arten haben überlebt, bei denen die Weibchen lange genug still halten, bis sich die Männchen lange genug gekratzt haben - verzeih diese entdramatisierte Dastellungsweise :-) daraus eine Finalität zu konstruieren, bleibt menschlichem Intellekt vorbehalten - und außerhalb des menschlichen Intellektes "weiß" "die Natur" auch nichts davon, daß sie final sein soll :-)

Feuerkopf
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Di 7. Dez 2004, 14:44 - Beitrag #20

Ausflug in die Fortpflanzung

Nee, Ipsissimus,
das ist etwas, was ich Dir ganz und gar nicht abnehme.
Fortpflanzung ist DIE zentrale Bestimmung in der Natur, ganz gleich, ob im Tier- oder Pflanzenreich und es sind nicht ohne Grund so ausgeklügelte Techniken entwickelt worden, wenn es nur um die profane Beseitigung des Juckreizes bei den Kerlen ginge. ;) Das könnten die nämlich viel unkomplizierter haben, nämlich in der Verfeinerung von Selbstbefriedigungstechniken. Es wären dann keine Kämpfe um die Weibchen nötig, keine Verteidigung der Nachkommen, wenn das alles wurscht wäre.

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