Die Bewertung spielt hier ja auch keine Rolle, es soll allein darum gehen, auch anderen mein Essay verfügbar zu machen, in der Hoffnung, dass dieses ihnen von Nutzen sein möge. Ich versuche mich kurz zu fassen und wünsche viel Freude beim lesen.

PS: Auch wie in dem anderen Essay-Thread gilt hier, dass der Thread für die Präsentation der Essays und nicht zur Diskussion über diese dienen soll. Falls Diskussionsbedarf besteht, bitte dazu einen eigenen Thread aufmachen.
PPS: Der vorgegebene Rahmen des Essays betrug 3-4 Seiten und die Aufgabe war es, die zu beginn gestellte Frage aus Russells Sicht zu beantworten.
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"Hunde hören Töne, die für das menschliche Ohr zu hoch sind. Könnte es Töne geben, die für jegliche Lebewesen zu hoch sind?" - J. Rosenberg, "Philosophieren"
Eine Frage die sich die meisten Menschen so oder so ähnlich schon mindestens einmal gestellt haben. Die Frage ist eindeutig, die Antwort aber nicht sofort ersichtlich. Wie die Antwort des Philosophen Russells auf diese Frage lautet, werde ich in folgendem Essay versuchen zusammenzufassen. Zuerst werde ich darstellen, wie Russell an den Sachverhalt herangeht,
danach seinen Standpunkt über das Verhältnis von Subjekt und Welt wiedergeben, um dann eine Antwort auf die Ausgangsfrage geben zu können.
Die Ausgangsfrage bei Russell ist, was wir wissen können. Er stellt gleich zu Beginn fest, dass viele Dinge, die uns für gewöhnlich eindeutig erscheinen, bei kritischer Hinterfragung Zweifel aufkommen lassen. Als Beispiel nimmt er einen Tisch und prüft diesen auf seine Eigenschaften. Er bemerkt, dass die Farbe des Tisches nicht an jeder Stelle gleich aussieht und je nach Blickwinkel und Lichteinfall variiert. Für gewöhnlich meinen wir, dass der Tisch eine Farbe hätte, aber da der Tisch uns in seinem Äußeren wechselhaft erscheint, muss dieses Urteil wohl falsch sein. Welche der Farben, die wir sehen, ist nun die wirkliche Farbe des Tisches? Russell antwortet, dass es keinen Grund gibt, eine der Farben für die "wirklichere" des Tisches zu halten, als eine der anderen. Da die Farbe des Tisches nicht eindeutig ist, kann diese nichts sein, was dem Tisch an sich innewohnt, sondern wird durch den Tisch, die Beleuchtung und den Beobachter für letzteren bestimmt. Daraus folgert Russell, dass wir leugnen müssen, dass der Tisch an sich irgendeine bestimmte Farbe hat. Ein ähnliches Problem tritt auf, wenn man die Oberfläche des Tisches untersucht. Wir meinen, die Oberfläche sei glatt und eben, aber unter einem Mikroskop entdecken wir Unebenheiten. Umso stärker dabei das Mikroskop ist, umso stärker sind auch die Unebenheiten. Welche Sicht des Tisches ist nun die richtige? Russell bringt in seinem Buch noch andere Beispiele, aber ich denke, dass diese beiden von mir genannten ausreichen sollten, um die Problematik deutlich zu machen.
Was wir also wahrnehmen, schlussfolgert Russell, ist nicht der wirkliche Tisch. Die Vorstellung des Tisches in unserem Kopf ist nicht dasselbe wie der wirkliche Tisch. Dieser ist uns nicht unmittelbar bekannt, sondern kann wenn überhaupt nur aus unseren Beobachtungen erschlossen werden. Gibt es nun überhaupt einen wirklichen Tisch und wenn ja wie ist sein wahres Wesen? Um die Frage zu beantworten, führt Russell ein paar Begriffe ein, deren Definition ich der Einfachheit halber hier zitiere:
Als "Sinnesdaten" wollen wir die Dinge bezeichnen, die uns unmittelbar in der Wahrnehmung gegeben sind: z.B. Farben, Geräusche, Gerüche, Härten, Rauheiten usf. Als "Empfindung" wollen wir das Erlebnis bezeichnen, das wir haben, wenn wir diese Dinge unmittelbar wahrnehmen. So haben wir immer, wenn wir eine Farbe sehen, eine Empfindung dieser bestimmten Farbe, aber die Farbe selbst ist ein Sinnesdatum und keine Empfindung. Die Farbe ist das, was wir unmittelbar wahrnehmen, und das unmittelbare Wahrnehmen selbst ist die Empfindung. (…) Den wirklichen Tisch - wenn es ihn gibt - wollen wir "materiellen Gegenstand" nennen. Wir haben somit die Beziehung zwischen Sinnesdaten und materiellen Gegenständen zu betrachten. Die Gesamtheit aller materiellen Gegenstände nennt man "Materie".
Wenn wir uns also in der Art der materiellen Gegenstände irren können, könnten wir uns dann auch irren, dass es sie überhaupt gibt? Es wäre möglich, dass wir in einer Wüste stehen und alles, was wir wahrzunehmen glauben, nur Täuschung ist. Eine solche Idee können wir zwar nicht sicher widerlegen, doch haben wir auch keinen Grund dies anzunehmen, weil sie das Gegenteil unserer instinktiven Sicht der Welt ist. Weil es also keinen ernsthaften Grund gibt, an der Existenz der materiellen Objekte zu zweifeln, sondern nur an der Art wie wir sie wahrnehmen, stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen den Sinnesdaten und den materiellen Objekten ist. Ich werde versuchen, dieses Verhältnis an zwei Beispielen zu erläutern:
Wir haben eingesehen, dass wir den Objekten keine sicheren wirklichen Farben zuordnen können, wie gehen wir nun mit den Farbempfindungen um? Betrachten wir noch einmal den Tisch und fragen uns, warum wir meinen der Tisch hätte eine Farbe. Warum sehen wir Farben? Die naturwissenschaftliche Antwort darauf sollten wir alle in der Schulzeit kennen gelernt haben, die wie folgt aussieht: Die Sonne strahlt Photonen auf die Erde, die von den Objekten, die wir sehen, reflektiert werden und auf unsere Netzhaut treffen. Je nachdem welche Wellenlänge die Photonen haben, werden diese von unserem Gehirn als eine andere Farbe interpretiert. Der Tisch hat somit, wie wir schon gesagt haben, an sich keine Farbe, sondern reflektiert die Photonen auf Grund seiner Struktur nur auf eine solche Weise, dass diese bei uns den Eindruck der Farbe erzeugen, welche wir empfinden. Es wäre also falsch, wenn wir z.B. sagen, der Tisch ist braun, wenn wir damit meinen, dass das Braun eine von uns unabhängige Eigenschaft des Tisches wäre. Korrekt müssten wir also sagen, der Tisch ist für uns braun, oder wir sehen den Tisch braun.
Als zweites betrachten wir die Töne, um damit auch wieder zu der Ausgangsfrage zurückzukehren und den Kreis zu schließen. Nehmen wir wieder den Tisch als Objekt unserer Betrachtung. Wir schlagen mit unseren Fingerknöchel auf den Tisch und wir hören ein Geräusch. Unbedacht könnten wir sagen, dass ein Geräusch entsteht, wenn wir auf den Tisch schlagen, doch das stimmt so nicht ganz. Wenn wir auf den Tisch schlagen, entstehen Schallwellen, die, wenn sie auf unser Trommelfell treffen, von unserem Gehirn als bestimmte Töne interpretiert werden. Was also entsteht, wenn wir auf den Tisch schlagen, sind keine Geräusche, sondern erstmal nur Schallwellen, die erst durch unser Gehirn zu Tönen werden. Ein nicht zu unterschätzender Unterschied, wie wir gleich feststellen werden. Bevor ich nun endlich die Ausgangsfrage auflöse, noch ein kleines Beispiel um den Sachverhalt weiter zu verdeutlichen: Wenn im Wald ein Baum umfällt und niemand anwesend war, gab es dann ein Geräusch? Nach der gerade genannten Sicht der Dinge muss die Antwort nein heißen. Wenn der Baum umfällt, entstehen Schallwellen, aber weil sie auf kein Subjekt treffen, werden sie nicht als Töne interpretiert.
Die Ausgangsfrage lautete: Könnte es Töne geben, die für jegliche Lebewesen zu hoch sind? Auf Grund der bisherigen Ausführungen sollte diese Frage nun für jeden ohne weiteres zu beantworten sein. Die Antwort lautet, dass es keine Töne gibt, die von keinem Lebewesen gehört werden können, sondern nur Schallwellen, die kein Tier interpretieren kann. Alle Schallwellen, die interpretiert werden, werden als Töne wahrgenommen.
Dieses Modell wird auch wissenschaftlicher Essentialismus genannt und wurde unter anderem von John Locke vertreten. Demnach sind die Eigenschaften der Objekte in primäre und sekundäre Qualitäten unterteilt. Die primären Qualitäten sind Festigkeit, Ausdehnung und Form, während zu den sekundären Qualitäten Farbe, Geruch, Klang und Geschmack gehören. Die primären Qualitäten besitzen die Objekte an sich, während die sekundären Qualitäten von der Existenz eines Subjekts abhängen, das das Objekt wahrnimmt.
Ich selbst halte diese Sicht der Dinge für vernünftig und einleuchtend. Wir kommen zwar nicht darum herum ein wenig umzudenken, aber stellt dies kein großes Problem dar. Dieses Modell hält sich an ein ontologisches Sparprogramm und versucht es zu vermeiden, unnötig neue Entitäten zu postulieren und entspricht damit unserem modernen wissenschaftlichen Denken, ohne aber dabei empfindlich unserer alltäglichen Sicht zu widersprechen.