War Friedrich Nietzsche abartig?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
dmz
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Do 17. Feb 2005, 23:32 - Beitrag #1

War Friedrich Nietzsche abartig?

Ich zitiere zunaechst aus Fr.Nietzsche's(FN) "Zarathustra":
(Die literarische Kunstfigur des Zarathustra ist mit der Person des FN selbst
in Zusammenhang zu bringen)
-
(1) <Sagte Zarathustra im Gespraech zu dem alten Weibe>
"Alles am Weibe ist ein Raetsel, und alles am Weibe hat eine Loesung:
sie heisst Schwangerschaft.
Der Mann ist fuer das Weib ein Mittel:
der Zweck ist immer das Kind.
Aber was ist das Weib fuer den Mann ?
Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel.
Deshalb will er das Weib als das gefaehrlichste Spielzeug ...

(2) <Antwortete das alte Weib dem Zarathustra>

..."Seltsam ist's: Zarathustra kennt wenig die Weiber,
und doch hat er ueber sie Recht.
Geschieht dies deshalb,
weil beim Weibe kein Ding unmoeglich ist ?
Und nun nimm zum Danke meine kleine Wahrheit ...
<Du gehst zu Frauen? - Vergiss' die Peitsche nicht>"

Dieses Zitat von der Peitsche (letzter Satz), ist seit Generationen
durch die Gesellschaft gegeistert mit der Deutung,
dass der echte Mann die Frau beherrschen muesste:
die Peitsche symbolhaft als Instrument der Herrschaft des Maennlichen ueber das Weibliche.
-
Ich meine, dass diese Deutung nicht richtig sondern eine Umdeutung gewesen ist,
um ein patriarchalisches Gesellschaftsbild geistig zu unterstuetzen.
Wenn also das Zitat <Du gehst zu Frauen? - Vergiss' die Peitsche nicht>
tendenzioes, falsch gedeutet worden ist,
dann die Frage: was hat FN wirklich zum Ausdruck bringen wollen ?
Hatte er letztlich eine verschluesselte Botschaft ueber sich selbst eingeflochten,
indem er das "alte Weib" ueber Zarathustra urteilen liess,
dass dieser beziehungsunfaehig zu Frauen war ?
-----------
(Homosexualitaet, Bi-Sexualitaet, Sadismus, Masochismus,
"platonische Liebe"...)

Trotzki_Rip
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Do 17. Feb 2005, 23:42 - Beitrag #2

Naja vorneweg muss ich erstmal sagen das ich nicht viel Ahnung von Philosophie hab,deshalb halt ich mich auch in der regel diskret aus diesem Bereich zurück.

Aber hierzu kann ich dennoch eine Vermutung anstellen,und zwar : kann es nicht sein das sie das vllt ironisch gemeint hat,und der letzte Satz eine gewisse sarkastische Anspielung auf das Verhältnis zwischen ihm und den Frauen und seine fehlende Erfahrung ist???

Aber wie gesagt ich kenne den Kontext nicht und stelle blos ein Vermutung an


Mfg

Erdwolf
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Fr 18. Feb 2005, 00:26 - Beitrag #3

Das hier hat wohl weniger mit Philosophie zu tun als mit ... tja, mit was eigentlich??

Ich kann beim Besten willen nicht nachvollziehen, wieso du "kennt wenig die Weiber" als Attestierung der Beziehungsunfähigkeit interpretierst.

Noch weniger, was das mit dem reißerisch-sinnfreien Titel deines Threads zu tun haben soll und zu was die zusammenhanglose Aufzählung am Ende deines Beitrags gedacht ist.

Ipsissimus
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Fr 18. Feb 2005, 00:44 - Beitrag #4

es gab da eine Frau, Lou Salomé, eine Russin, eine nach den Photos zu urteilen auch nach heutigen Schönheitsidealen wunderschöne Frau

Nietzsche hatte sich 1882 infolge seiner Augenprobleme schon aus seiner Professur verabschiedet, war nach Italien gezogen, er war von seinen vormaligen Freunden isoliert, der Bruch mit Wagner längst vollzogen, als er sie im März 1882 in Rom kennelernte und sofort hin und weg war - genau wie sein einziger verbliebener Freund, Paul Rée, den er in einem Anflug von Idiotie sogar noch bat, bei ihr für ihn, Nietzsche, um ihre Hand anzuhalten. Rée hat sie später selbst geheiratet.

Lou war nicht begeistert, die zunächst recht intensive Freundschaft endete abrupt im November 1882 und trieb Friedrich in ziemliche Depression - im Februar 1883 entsteht der erste Teil des Zarathustra in Rapallo, bis 1885 die weiteren Teile.

Es ist nicht gänzlich abwegig, zu vermuten, daß Nietzsche nicht mehr in der Lage war, philosophische Reflektion und ein psychologisch problemlos erklärbares "Sich freischreiben" sauber zu trennen. Beweisbar ist hingegen praktisch nichts, da es kaum Autographe darüber gibt.


Die Frage, ob Nietzsche "abartig" war, empfinde ich übrigens als ... ja, als was wohl?

Er ist eine tragische Gestalt, hat das Richtige zu einem Zeitpunkt gesehen, zu dem die Zeit für ihn noch 150 Jahre lang nicht reif sein wird ...

Milena
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Fr 18. Feb 2005, 08:40 - Beitrag #5

....Jedermann trägt ein Bild des Weibes von der Mutter her in sich:davon wird er bestimmt, die Weiber überhaupt zu verehren oder sie geringzuschätzen oder gegen sie im Allgemeinen gleichgültig zu sein.....
Ein geschichtlich bedingtes,unter männlicher Herrschaft entstandenes, pratriarchalisch deformiertes Frauenbild-mit der daraus zwangsläufig resultierenden spezifischen Rollenverteilung-wird allem Weiblichen als wesentlich-naturhaft zugeschrieben und damit verewigt;die Deformation erscheint als eigentliche Form.
und wenn aus dem schwachen, hilflosen Vögelchen Weib plötzlich eine begehrlich-begierige,angsteinflössende Bestie wird, so ist diese merkwürdige Widersprüchlichkeit in Nietzsches phantastischem Frauenbild wohl immer noch Ausdruck und Widerschein jener nichtüberwundenen Irritation, die ihren Ursprung hat in seinen Kindheits-undJugenderfahrungen mit der Naumburger Welt der Mutter:
dort ist ihm das Weibliche ja stets nur entgegengetreten in seiner mütterlichen Funktion als pädagogische,schulmeisterliche Instanz jenseits aller Geschlechtlichkeit. Um so grösser aber musste bei ihm das Knaben-ERschrecken darüber sein, dass hinter der erotisch sich abwehrend verhaltenden ,kalten Mutter immer die Frau als Sexualwesen verborgen war,ein Sachverhalt, den man vor ihm verschleiern und verdecken wollte, der aber gerade durch dieses Verschweigen zu Angst, Unsicherheit,Vermeidung und Hass führen musste.
Offensichtlich ist, dass in Nietzsches Sexualgeschichte eine solche Konfliktlösung nicht stattgefunden hat und er als Mann noch immer pubertäre Kämpfe mit dem nichtbewältigten Mutterbild der Frau ausmacht.
schreibt er selbst:
" ich weiss dies längst:menschen von der Art, wie meine Mutter und Schwester müssen meine natürlichen Feinde sein-daran ist nichts zu ändern:der Grund liegt im Wesen aller Dinge.Es verdirbt mir die Luft,unter solchen Menschen zu sein und ich habe viel Selbstüberwindung nötig.
....Wie sehr ich meine Mutter hasse! Ich hasse sie für alles, was sie mir angetan hat,für ihre Eigensucht und dafür, dass alles nach ihrer Nase tanzen musste. Ich könnte heulen, ich fühle mich scheusslich, der Hass wird stärker und immer stärker, wenn ich daran denke, was mir alles passiert ist, und ich spüre es -ich will sie schon lange umbringen."
@ipsi:auch er selbst erkannte:`wer weiss wie viele Generationen erst vorüber gehen müssen, um einige Menschen hervorzubringen, die es in seiner ganzen Tiefe nachfühlen, WAS ich getan habe!`

dmz
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Fr 18. Feb 2005, 14:13 - Beitrag #6

Zitat von Trotzki_Rep:... kann es nicht sein das sie das vllt ironisch gemeint hat,und der letzte Satz eine gewisse sarkastische Anspielung auf das Verhältnis zwischen ihm und den Frauen und seine fehlende Erfahrung ist ?

... durchaus nachvollziehbar ...
Vielleicht ist das Zitat <Du gehst zu Frauen? - Vergiss' die Peitsche nicht>"
fuer jede Art von Interpretation offen ...
-
Zitat von Erdwolf:Das hier hat wohl weniger mit Philosophie zu tun als mit ... tja, mit was eigentlich??

Mit Sozial-Philolosophie ...
- ansonsten verweise ich auf die anderen Beitraege und auf den Begriff "Innovative Philosophie"...
Die Aufzaehlung am Ende meines Beitrages unter dem Spiegelstrich sind Stichworte,
die ich im Zusammenhang mit dem Begriff "Abartigkeit" als neutralen Vermerk
angehaengt habe]Die Frage, ob Nietzsche "abartig" war, empfinde ich übrigens als ... ja, als was wohl?[/quote]
Zunaechst danke fuer die ausfuehrlichen Inhalte.
Einiges ist mir bekannt gewesen, weiteres habe ich dazugelernt.
Den Begriff "abartig" halte ich uebrigens fuer nicht so problematisch,
wie er offensichtlich dem obigen Zitat entsprechend empfunden worden ist;
denn dieser Begriff korrespondiert auch mit dem Begiff "Kranksein",
auch wenn es sich dabei um eine Tragoedie handelt.
-
@Milena
Danke fuer den themen-bezogenen Beitrag.
Die Inhalte sind mir weitgehend neu gewesen, was die Details angeht.
:::
Meines Wissens kam FN aus einem pietistischen Pfarr-/Elternhaus.
Ich sehe daher den Zusammenhang, dass religioes fundiertes Erziehungsgebaren
zu einer gestoerten Persoenlichkeitsentwicklung beitragen kann,
soweit sich die zu erziehende Person vereinnahmen laesst
und sich nicht zur Wehr setzen kann.
-
Bei meinen Recherchen bin noch auf folgendes gestossen:
<Du gehst zu Frauen? - Vergiss' die Peitsche nicht>
Dieser Ausspruch bezieht sich mit Sicherheit auf ein Photo[s.PS:],
auf dem FN und Paul Rée vor einen Wagen gespannt sind
und angetrieben werden von Lou Salomé mit der Peitsche.
-
PS: Da die vorige URL offensichtlich nicht funktioniert -
Korrektur fuer Bildnachweis 18/02/2005, ca19.50h :
http://www.nietzsche.de/in_d_bilder.htm
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- (2.2) Cursor ueber Bild oben rechts > Vergroesserung

Ipsissimus
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Fr 18. Feb 2005, 14:55 - Beitrag #7

das Bild wird nicht angezeigt, dmz, ist aber wohl das bekannte Arrangement.

Der Begriff "abartig" ist hochgradig diffamierend; ich glaube nicht, daß es irgendeinen nichtdiffamierenden Kontext dafür gibt.


Interferenzen zwischen mediierten Menschenbildern und den realen Menschen, die einfach nicht daran denken, so zu sein, wie sie gemäß des Bildes sein sollten, gibt es häufig. Die Stärke der Notwendigkeit der Befreiung von solch einem Bild hängt sicher mit dem Ausmaß der vorherigen Verinnerlichung des Bildes zusammen - will sagen, Nietzsche hat es wohl versäumt, sich mit seiner realen Mutter in angemessener Weise auseinanderzusetzen und hat stattdessen versucht, einen Bezug zwischen dieser realen Mutter und dem Bild herzustellen, woran er letztlich scheiterte, wie so viele. Diese "kalte" Frau war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einfach nur eine Frau wie viele andere - anders ist lediglich die Überhöhung ihrer Eigeschaften, die Nietzsche ihr infolge innerer Notwendigkeiten wohl zukommen ließ.

Milena
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Fr 18. Feb 2005, 15:42 - Beitrag #8

...ich würde seine Mutter jetzt nicht in Schutz nehmen wollen, und sie als eine kalte Frau, wie viele andere sehen wollen....schliesslich sind es gravierende Folgen die daraus resultieren, als Kind von einer kalten Mutter erzogen zu werden, die die Liebe des Kindes absolut unfähig ist zu erwidern, nicht in der Lage ist,das Kind in den Arm zu nehmen oder es zu streicheln und zu trösten
fähig ist.....
und wenn dies dem jungen Nietzsche widerfahren ist, dann glaube ich nicht
...`um eine Erhöhung ihrer Eigenschaften``.....
sondern es war schlichtweg Fakt und wenn sich daraus ein Mutterhass und
eine Frauenfeindlichkeit entwickelt und begründet, absolut verständlich in meinen Augen......

Ipsissimus
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Fr 18. Feb 2005, 17:04 - Beitrag #9

ich möchte damit nur zu bedenken geben, daß wir die Geschichte lediglich aus der Perspektive Nietzsches kennen. Menschen reagieren unter gleichen Belastungen unterschiedlich - worunter der eine zusammenbricht, bemerkt der andere oft gar nicht. Daß Nietzsche seine Mutter so empfunden hat, bestreite ich gar nicht; doch daß Kinder "objektive" Bilder von ihren Eltern haben, bestreite ich sehr wohl

Milena
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Fr 18. Feb 2005, 17:41 - Beitrag #10

@Ipsi:eine andere Perspektive..:Franziska Nietzsche holt,gegen den Rat der Ärzte, den Sohn bald ganz nach Naumburg zurück.
Sie pflegt ihn bis zu ihrem Tod:zärtlich und liebevoll-so,als müsse sie,im unbewussten Eingeständnis einer Lebensschuld, dem Sohn all das mit um so grösserer Hingabe schenken,was sie ihm in der Kindheit verweigert hatte......
....``unter gleichen Belastungen reagieren Menschen unterschiedlich``.....
schon klar.....und sie reagieren dementsprechend.....und wenn ein Kind keine Mutterliebe bekommen hat und darunter zusammenbricht, dann soll ein anderes Kind unter gleichen Umständen gar nichts davon bemerkt haben...???? das verstehe ich jetzt nicht, wie das denn gehen sollte..............
...der junge Nietzsche entwickelt schon früh ein System von Flucht- und Ausweichmanövern;er zieht sich in irgendwelche Einsamkeit zurück.
Er praktiziert eine Art von Spaltung der Persönlichkeit:
nach aussen stellt er sich dar als folgsames und angepasstes Kind, dass der mütterlichen Autorität gehorsam unterworfen ist-
nach innen aber schafft er sich eine sorgsam gehütete, gerade auch vor der Mutter ängstlich verborgene kleine Privatwelt, in der er alle Kritik, allen
Zorn, alle Unlust in einem Akt der Kommunikation mit sich selbst zu verarbeiten sucht........

dmz
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Fr 18. Feb 2005, 23:54 - Beitrag #11

Zitat von Ipsissimus:...das Bild wird nicht angezeigt...

Entschuldigung! Habe Korrektur meines Beitrages oben (17./18.02) vorgenommen
und bedanke mich fuer den Hinweis. Soll nicht wieder vorkommen.
-
Zitat von Ipsissimus:Der Begriff "abartig" ist hochgradig diffamierend...

Der Begriff "abartig" ist m.E. nicht diffamierend, wenn er psychologisch begruendet ist,
wenn der Zustand (krankhafter) seelischer Störung vorliegt.
Die Beitraege von 'Milena' beschreiben deutlich Details,
unter deren Zeichen das Leben des FN von vornherein verlaufen war.
:::
Mit der Auffassung eines Psychologen kann man da schon
von spezifischen Persönlichkeits- und Sexualstörungen sprechen.
Und Sexualstoerungen werden auch mit den von mir oben genannten
Stichworten "Sexismus, Homosexualitaet, Bi-Sexualitaet, Sadismus, Masochismus,
platonische Liebe..." in Verbindung gebracht.
:::
Zu dem Empfinden einer gewissen "Abartigkeit" neigt aber auch eine Gesellschaft,
wenn etwa ihre ethischen Werte oder die zeitgemaesse Ordnung ersatzlos in Frage gestellt werden.
Das war doch so mit dem Modell vom Uebermenschen; dem Nihilismus, dessen Ueberwindung
konzeptionell nicht gelingen wollte; jener Belustigung ueber die bestehende Gesellschaft:
den nutzlosen Tugenden, dem tollen Menschen mit seinem Gottesbegriff.
Als abartig wurden Sammlungen witziger autobiographischer Geschichten und Artikel
bisweilen in der Vergangenheit empfunden (Maske'Zarathustra').
:::
Also: Ich bleibe bei der Wortwahl: "War FN abartig ? "
Das Fragezeichen laesst erforderlichenfalls genuegend Relativierung zu.
Dennoch neige ich eher dazu, ihn nicht davon 'freizusprechen',
in Anbetracht der Geisteshaltung seiner Zeit und seines bedauerlichen Schicksals.

e-noon
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Sa 19. Feb 2005, 00:12 - Beitrag #12

Gegen Ende seines Lebens zumindest hat er sich nicht mehr normal verhalten, war also in diesem Sinne abartig, ohne damit jetzt pervers zu meinen; dafür weiß ich nicht genug über ihn.
Laut einer Definition gehört auch zB. Oralsex zu den Abartigkeiten, und das würde ich nicht unbedingt als diffamierend ansehen. Generell wird etwas erst dann diffamierend, wenn es in diffamierender Absicht ausgesprochen oder als solche aufgenommen wird.

Ipsissimus
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Sa 19. Feb 2005, 01:55 - Beitrag #13

Nietzsche war krank; aufgrund einer Syphilis, die gegen Ende seines Lebens Stadium 3 erreichte, so sehr, daß seine kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten bis zur Unbrauchbarkeit degenerierten.

Ich verstehe euch nicht. Seit ihr so auf Ordnung und Staat, und "gut ist, was die Mehrheit für gut hält", und Ähnliches eingeschworen, daß ihr deviantes Verhalten jeder Art für abartig haltet? "Abartig" ist in jedem Kontext, außer vielleicht in der Satire, eine moralisch/psychische Bankrotterklärung - der/die so Bezeichnete ist aufgrund eigener Schuld nicht mehr wert, Mensch genannt, als Mensch aufgefaßt zu werden.

Ich will gerne zugeben, daß Sprachempfinden eine uneinheitliche Geschichte ist, die sich schlecht in Regeln zwingen läßt. Aber aus Begriffen, die explizite Schimpfworte sind, eine Art "objektive" Kategorisierung ableiten zu wollen ... Kopf schüttel. Genauso gut kann ich behaupten, wenn ich jemanden als "Arschloch" bezeichne, brauche sich der Betreffende nicht auzuregen, weil ich ja nur exakt wiedergebe, was er meiner Meinung nach ist.


Franziska Nietzsche holt,gegen den Rat der Ärzte, den Sohn bald ganz nach Naumburg zurück.
Sie pflegt ihn bis zu ihrem Tod:zärtlich und liebevoll-so,als müsse sie,im unbewussten Eingeständnis einer Lebensschuld, dem Sohn all das mit um so grösserer Hingabe schenken,was sie ihm in der Kindheit verweigert hatte......


Nun ja, der erste Punkt besagt exakt nichts. Damals hatten die Ärzte keinerlei Möglichkeiten, Siphylis zu heilen oder in ihrem Verlauf zu beeinflussen - ob er da oder dort dahinvegetierte, blieb sich gleich - vielleich war man damals mit der Abschiebung unliebsamer Angehöriger ins Sterbekrankenhaus noch nicht so schnell bei der Hand wie heute.

Der zweite Punk ist immerhin ein Indiz, mehr nicht. Kann sein, muss nicht sein. Wir wissen es nicht. Nach meiner Erfahrung werden harte Menschen nur immer härter.

und wenn ein Kind keine Mutterliebe bekommen hat und darunter zusammenbricht, dann soll ein anderes Kind unter gleichen Umständen gar nichts davon bemerkt haben...???? das verstehe ich jetzt nicht, wie das denn gehen sollte..


nun, in meiner Kindheit wurde noch geprügelt, um zu erziehen (nicht daß es heute anders wäre, man spricht nur pietätvoller darüber). Dieses didaktische Verfahren ist bei mir äußerst schlecht angekommen ... bei anderen Kids, aus meinem kindlichen Freundeskreis wurde teilweise erheblich heftiger geprügelt, ohne daß auch nur annäherungsweise vergleichbare Konsequenzen auftauchten.

Nietzsche wurde mit einiger Sicherheit nicht in der Weise verpäppelt, die heute als Erziehung gilt, man kann daher u.U. davon ausgehen, daß seine Kindheit "hart" war. Daß sie "härter" war als die Kindheit unzähliger seiner Lebensgenossen, sei dahingestellt; daß er sie härter empfunden hat, ist sicher, daß sie härter war, bleibt Spekulation.

Alice Miller gibt in "Das Drama des begabten Kindes" übrigens eine sehr überzeugende Erklärung für dieses Phänomen. Ihre Schrift ist eine flammende Verteidigung und Apologetik aller Kinder, die aufgrund ihrer Begabung unter herkömmlichen Erziehungs- und Ausbildungsmethoden zu leiden haben; ich lese es imme wieder gerne, wenn mich der Zorn über meine Kindheit überfällt, was auch heute noch hin und wieder passiert. Aber sie macht letztlich und unfreiwillig nur deutlich, daß diese Kinder NICHT schlechter behandelt werden, als irgendein anderes, nicht so begabtes Kind auch - nur genauso, und daß diese Behandlung bei diesen Kindern auf einen anderen Boden fällt als bei allen anderen.

janw
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Sa 19. Feb 2005, 03:11 - Beitrag #14

Was die Bezeichnung "abartig" betrifft, stimme ich Ipsi klar zu, diese Bezeichnung ist im gängigen Sprachgebrauch klar negativ und entwertende gefärbt. Allein, das Problem: Mir fällt seit dem ersten Lesen im thread kein besserer Titel ein, der die aufgeworfene Frage ähnlich prägnant widergeben würde.
Letztlich geht es um seine sexuelle Orientierung, und da sind alle Begriffe zur Kategorisierung schwierig.
Stellt sich mir die Frage, ob die Frage anhand einer einzigen Texttzeile aus einem zigbändigen Oeuvre überhaupt sinnvoll zu diskutieren ist, oder ob sich da nicht in eine falsche Richtung heillos verrannt wird.

Aus damaliger Sicht kann man vielleicht unter Umständen möglicherweise eine sexuell nicht allgemein normkonforme Orientierung postulieren, oder besser: könnte, wenn man mehr Material dazu sichten würde, als nur die eine Zeile.
Aber letztlich, was tuts, und was tut eine allein historisch zu nennede Kategorisierung zur heutigen Sache?
Ob mans mag oder nicht, die sexuelle Orientierung ist heute frei, so lange dabei Schutzbedürftige nicht ausgenutzt werden.

Das einzige was erreicht würde, ist, daß das Werk als ganzes in Miskredit käme.

Milena
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Sa 19. Feb 2005, 12:31 - Beitrag #15

@Ipsi:ich glaube wir verrennen uns da in etwas.....
ich verstehe nicht,was eine kalte Mutterliebe nun mit Verprügeln zu tun hat und dass es dabei,sollte es tatsächlich so gewesen sein,keinerlei vergleichsweise Konsequenzen bei manch anderen Kindern hinterlassen könnte.....
aber ich denke, dass hat jetzt mit dem eigentlichen Nietzschebeitrag nichts mehr zu tun.......
(smiley)

Rosalie
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Sa 19. Feb 2005, 15:16 - Beitrag #16

Aber sie macht letztlich und unfreiwillig nur deutlich, daß diese Kinder NICHT schlechter behandelt werden, als irgendein anderes, nicht so begabtes Kind auch - nur genauso, und daß diese Behandlung bei diesen Kindern auf einen anderen Boden fällt als bei allen anderen


:pro: gerade hochbegabte Kinder sind wesentlich sensibler als ein "Durchschnittkind". Sie nehmen ihre Umwelt ganz anders wahr, reflektieren wesentlich mehr .... Ein Erziehungstil der bei den meisten keinen Schaden anrichten würde, kann bei so einem Kind ein Trauma mit lebenslangen Handicap auslösen ....

Milena
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Mo 21. Feb 2005, 07:53 - Beitrag #17

...ja so langsam verstehe ich.....es war mir zuvor einfach nicht klar,wie es sein könnte, dass,wenn Gewalt angewendet wurde,egal in welcher Form, es
keinerlei Auswirkungen/Konsequenzen für/auf das Kind gehabt haben sollte,
...aber wo nichts ist,kann auch nichts sein....
und hochbegabte haben vielleicht auch leider die Fähigkeit manches
hineinzuinterpretieren.....aber wenn Nietzsche bereits mit 11jahren seiner
Mutter ängstlich naiv ein Gedicht geschrieben hat,wo er seine Liebe
zu ihr bekundet und natürlich auch hofft die geforderte Liebe ein
wenig zu bekommen.....sie aber niemals in der erhofften Form
bekommen hat,dann ist das natürlich eine deutliche Zurückweisung und
keine phantastische Interpretation eines hochsensiblen Kindes.......

Ipsissimus
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Mo 21. Feb 2005, 10:01 - Beitrag #18

sie aber niemals in der erhofften Form bekommen hat


das ist einer der Punkte, Milena; was, wenn er die Liebe bekommen hat, aber nicht in der erhofften Form? Auch Mütter sind schließlich "nur" Menschen. WER bekommt denn als Kind Liebe in der erhofften Form? Als Kind hast du genau eine Wahl - das, was dir geboten wird, als Liebe zu interpretieren, und die meisten Kinder kommen damit irgendwie klar, zumindest wenn die Risse nicht zu massiv werden. Die anderen sind halt schon etwas früher mit den Rissen im schönen Bild konfrontiert, möglicherweise zu einem Zeitpunkt, zu dem sie diese Risse zwar schon intellektuell wahrnehmen, aber noch nicht emotional ausgleichen können.

aleanjre
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Mo 21. Feb 2005, 11:33 - Beitrag #19

Kinder sind da eigentlich relativ leicht zufrieden zu stellen. Solange man ihnen ein Minimum an Aufmerksamkeit, , Achtung, Respekt und körperliche Nähe bietet, können sie gesund aufwachsen. Natürlich, um "glücklich" zu sein, braucht es noch mehr.
Wer körperliche Gewalt erlebt, wird Verletzungen davontragen. Aber solange das grundsätzliche Minimum an Aufmerksamkeit, Achtung, Respekt und körperliche Nähe gewahrt bleibt, wird keine seelischen Narben erhalten.
Körperliche Gewalt ohne Achtung, Respekt, oder eine zumindest gelegentliche ausgleichende Umarmung die von Liebe zeugt, wird schwere Narben hinterlassen. Aber immer noch hat das Kind die Chance als Mensch aufzuwachsen, wenn auch nicht unbeschädigt. Denn körperliche Gewalt ist auch eine Form der Aufmerksamkeit, wenn auch eine schreckliche. Man wird wahrgenommen, erzeugt eine Reaktion durch seine Anwesenheit.
Wer aber ohne dieses Minimum an Zuneigung aufwächst, niemals umarmt wird, nicht das Gefühl hat erwünscht zu sein, weder Achtung noch Respekt erfährt, nicht als vollwertiger Mensch wahrgenommen wird, nicht einmal Aufmerksamkeit in Form von Gewalt erhält, wie ein unsichtbarer Schatten leben muss, nicht wahrgenommen, nicht anwesend - der wird seelisch sehr, sehr schwer verstümmelt, bis hin zur Lebensunfähigkeit. Selbst wenn diese absolute emotionale Kälte, diese Ausgrenzung als Mensch nur durch die Mutter erfolgt und die Umwelt normal reagiert, ist der Schaden für den Menschen immens.

janw
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Mo 21. Feb 2005, 11:43 - Beitrag #20

Hm, interessant, was Du da ausgegraben hast, Milena :)
Das läßt das Zitat doch in einem anderen Licht erscheinen, vielleicht doch eine Schlüsselszene?
Wer nicht das Gefühl hat geliebt worden zu sein, hat es schwer selbst zu lieben, vielleicht drückt das Zitat soetwas aus...

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