Angst vor dem Tod

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Padreic
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Mo 28. Feb 2005, 20:03 - Beitrag #21

@Maurice
Man sollte mit der Induktion vorsichtig sein, wenn man von den eigenen Einstellung auf die anderer Menschen schließen will. Nur weil für dich die Angst vor dem Tod primär und die Angst vor Schmerzen sekundär ist, heißt dass nicht, dass das generell bei allen Menschen so ist. Zumindest bei e-noon und mir ist das nicht der Fall, womit deine These widerlegt ist.

1. Das ist keine Induktion.
2. Widerlegen einzelne Ausnahmen nicht, dass die These im Grunde stimmt.
3. Es muss sich erst noch erweisen, ob ihr wirklich keine Angst vor dem Tod als solchem habt. Ich würde zumindest keine Wette darauf abschließen, dass du ohne Angst wärest, wenn man dir mit der ernsthaften Absicht dich zu töten einen Revolver an die Schläfe hielte.
4. Lässt sich meine Aussage auch noch anders interpretieren, nämlich so, dass es für diesen Thread die Furcht vor dem Sterben weniger relevant ist, weil sie nicht so einzigartig wie die Angst vor dem Tod als solchem ist.

Die Angst vor dem Tod gründet für mich nicht in einer Angst vor dem Unbekannten oder was du sonst nennst, sondern diese Aspekte sind nur die Versuche die instinktive Angst vor dem Tod zu rechtfertigen. Wir brauchen uns aber nicht für unsere genetische Disposition zu rechtfertigen, weil wir auf diese nie einen Einfluss hatten. Mit deinen angeblichen Gründe für die Angst willst du diese nur in Worte fassen, wobei die Angst natürlich nicht dasselbe ist wie ihre Gründe.

Vieles von unserem Handeln und Fühlen basiert auf genetischen Dispositionen. Für unser Leben ist allerdings ein psychologisches Verständnis dieser wichtiger. Insbesondere auch bezüglich der Frage, wie wir uns zu unserem Fühlen verhalten wollen (worauf wir einen Einfluss haben).
Es sind keine angeblichen Gründe, sondern wirkliche, wenn auch abstrahiert. Und gerade daraus kann ich auch ableiten, dass die Angst vor dem Tod nicht in jeder Hinsicht etwas schlechtes ist, sondern auch Erlebnis der Grundqualitäten unseres Daseins.

Padreic

Maurice
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Mo 28. Feb 2005, 20:31 - Beitrag #22

Es sind keine angeblichen Gründe, sondern wirkliche, wenn auch abstrahiert

Wie gesagt imo verwechselst du die Angst mit den Gründen für diese.

dass die Angst vor dem Tod nicht in jeder Hinsicht etwas schlechtes ist

Hat das jemand behauptet?

1. Das ist keine Induktion.
2. Widerlegen einzelne Ausnahmen nicht, dass die These im Grunde stimmt.

Ist es wohl, weil du vom Einzelfall (bzw. von mehreren Einzelfällen) auf eine allgemeine Regel schließst. Man sagt zwar gerne "Ausnahmen bestätigen die Regel", aber hier widerlegt die Ausnahme deine postulierte Regel. Tatsache ist also nicht, dass alle Menschen Angst vor dem Tod haben, sondern dass manche Menschen Angst vor dem Tod haben und andere nicht. Unter der Vorraussetzung, dass wir uns über die Begriffe einig sind und alle die Wahrheit sagen, ist diese Aussage bewiesen.

3. Es muss sich erst noch erweisen, ob ihr wirklich keine Angst vor dem Tod als solchem habt. Ich würde zumindest keine Wette darauf abschließen, dass du ohne Angst wärest, wenn man dir mit der ernsthaften Absicht dich zu töten einen Revolver an die Schläfe hielte.

Natürlich kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich glaube, dass ich in so einer Situation zwar Angst vor möglichen Schmerzen und dem Verbleib von mir geliebter Menschen hätte, aber nicht über den Tod als solchen. Aber selbst wenn ich doch in diesem Augenblick Angst vor dem Tod hätte, gäbe es immer noch Menschen, die keine Angst vor dem Tod besitzen.

Padreic
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Mo 28. Feb 2005, 22:23 - Beitrag #23

Wie gesagt imo verwechselst du die Angst mit den Gründen für diese.

Angst ist erstmal nur Angst. 'Angst vor dem Tod' ist auch schon eine (finale) Grundangabe, weniger eine Kennzeichnung der gefühlten Angst selbst. Mich interessiert das ganze Psychische, das mit dieser Angst in Verbindung steht.

Ist es wohl, weil du vom Einzelfall (bzw. von mehreren Einzelfällen) auf eine allgemeine Regel schließst. Man sagt zwar gerne "Ausnahmen bestätigen die Regel", aber hier widerlegt die Ausnahme deine postulierte Regel. Tatsache ist also nicht, dass alle Menschen Angst vor dem Tod haben, sondern dass manche Menschen Angst vor dem Tod haben und andere nicht. Unter der Vorraussetzung, dass wir uns über die Begriffe einig sind und alle die Wahrheit sagen, ist diese Aussage bewiesen.

Der Begriff Induktion ist mir in diesem Kontext nur als der Schluss von mehreren Einzelfällen auf das Allgemeine bekannt. In diesem Fall ist es aber eher eine Art von Analogieschluss, da ich, wenn ich eines anderen Bewusstsein verstehen will, dazu die Kategorien anwenden muss, die ich von meinem eigenen Bewusstsein kenne.
Psychologische Aussagen postulieren niemals völlige Allgemeingültigkeit. Und es mag an meiner beschränkten Vorstellungskraft liegen, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass es mehr als ein paar wenige Ausnahmen sind, die nicht einmal eine latente Angst vor dem Tod als solchem haben.

Natürlich kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich glaube, dass ich in so einer Situation zwar Angst vor möglichen Schmerzen und dem Verbleib von mir geliebter Menschen hätte, aber nicht über den Tod als solchen.

"No young man believes that he shall ever die." hat mal jemand gesagt. Nunja, aber ich will nicht bestreiten, dass die Möglichkeit besteht, dass diese Dinge bei dir anders liegen. [auch wenn es sicherlich nicht so ist, dass man über sich selbst die Wahrheit sagen muss, wenn man nicht lügt]

Padreic

e-noon
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Mo 28. Feb 2005, 22:54 - Beitrag #24

auch wenn es sicherlich nicht so ist, dass man über sich selbst die Wahrheit sagen muss, wenn man nicht lügt
Das soll doch wohl nicht heißen, dass Maurice nur glaubt, keine Angst vor dem Tod zu haben, während sich die Todesangst nur in einem verwinkelten Teil seiner Psyche verkrochen hat? ;)
Ich denke, es ist schon möglich, durch das Nachdenken über den Tod einen Großteil der Angst oder die komplette Angst zu überwinden. Bei mir war es allerdings so, dass ich (nachdem ich aufgehört habe, an ein Weiterleben nach dem Tode zu glauben) keine Angst vor dem Tod empfunden habe, eher im Gegenteil, besonders, wenn ich deprimiert war. Ich will nicht behaupten, dass ich keine Angst hätte, während ich in Lebensgefahr bin, aber um diese eher instinkthafte, plötzliche Panik soll es hier nicht gehen - eher um die grundsätzliche Haltung gegenüber dem Bewusstsein der eigenen Endlichkeit.
Die Angst oder zumindest ein gewisses Unbehagen gegenüber dem Tod, das sich mittlerweile eingestellt hat, habe ich nicht, weil ich Angst vor dem Tod selbst hätte (vor Nichts brauche ich wohl nicht groß Angst zu haben ^^), sondern weil mir die Vorstellung, dass ich Menschen, die ich liebe, zurücklassen muss, nicht gefällt.

Auch vor dem Sterbevorgang habe ich etwas Angst, wobei die Angst vor Schmerzen (physisch und psychisch) hier primär ist.

Der Umgang mit dem Thema Tod ist imo immer auch kulturell bedingt; die Kultur bzw. das Volk, von dem ich gesprochen habe, kenne ich nur aus einer Dokumentation. Dabei ging es um einen Stamm im Regenwald (keine Garantie für die genauen Daten), bei denen es als Schande gilt, ein gewisses (junges) Alter zu überschreiten, und die bewusst Drogen einnehmen, die den Tod wesentlich beschleunigen.
Diese Menschen haben keine Angst vor dem Tod, wie auch viele, die an ein positives Weiterleben nach dem Tod glauben und glaubten und regelrecht darauf hin arbeiteten, sogar eine lebensfeindliche Einstellung entwickelten und das Leben hier auf Erden nur als unangenehme Zwischenstation ansahen.

Ich finde aber, dass die Angst vor dem Tod notwendig oder zumindest sehr hilfreich ist, das Leben zu genießen und, wie Feuerkopf gesagt hat, in der Gegenwart zu leben, wenn man es schafft, sich vernünftig mit ihr außeinanderzusetzen.

Ipsissimus
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Mo 28. Feb 2005, 23:48 - Beitrag #25

ich denke, die Art wie jemensch mit dem Gedanken an den eigenen Tod umgeht, ist immer höchst individuell und jeder Verweis auf allgemeine angebliche Prämissen, z.B. kultureller Natur, eine Ausflucht, um sich der Frage nicht wirklich zu stellen :-)

ich komme aufgrund dieses und vieler anderer Threads hier zunehmend zu dem Eindruck, daß hier viele junge Menschen posten, die ihre Antworten noch oft ändern werden, ehe sie ihre Antworten gefunden haben :-)

aleanjre
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Di 1. Mär 2005, 00:08 - Beitrag #26

Ich habe in meiner aktiven Berufszeit viele Menschen sterben sehen, Tote versorgt. Jeder Tod ist etwas einzigartiges, obwohl es rein technisch gesehen ja immer gleich ist - die Organe versagen, Exitus. Trotzdem war es so unterschiedlich. Manche sind ganz friedlich gegangen. Buchstäblich abends ins Bett und morgens nicht mehr aufgestanden. Andere waren tot, bevor sie verstanden hatten, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist: aufgestanden, Herzversagen, Ende. Viele starben im Delirium unter starken Schmerzmitteln, wußten also nicht bewußt, was mit ihnen geschah, und doch war ihnen in den letzten Minuten vor dem Tod eine Aura anzumerken, Unruhe, vielleicht auch Angst. Schwer zu sagen. Manche haben gekämpft, einige sind absolut würdelos verreckt, andere im Kreise ihrer Liebsten in friedvoller Atmosphäre ruhig entschlummert. Manche haben wir tot im Bett gefunden, und sie waren allein in ihren letzten Minuten.
Ich habe das Gesicht des Todes also schon viele Male gesehen, und einige Dinge weiß ich für mich persönlich genau:
Angst vor Schmerz hab ich nicht. Ich habe zwei Kindern ins Leben geholfen und es überstanden, also werde ich auch meinen eigenen Todesweg überstehen. Ich habe Angst davor, beim Sterben allein zu sein, wenn es ein längerer Marsch sein sollte. Es müssen nicht unbedingt meine Liebsten sein, die um mich sitzen, vielleicht will ich dann gar nicht, dass sie sehen wie ich leide. Aber ich will jemanden bei mir haben, und wenn es nur eine verängstigte Schwesternschülerin ist, die fremd und hilflos neben mir sitzt, weil es ihr gesagt wurde.
Ich weiß, dass ich mir für meine Familie wünsche, dass es kein Sekundentod wird. Mag es für denjenigen, der geht, eine angenehme Sache sein, im Vollbesitz der Kraft im Schlaf zu entfliehen, für die Familie ist es ein grausamer Schock. Abschied nehmen, lange versäumtes ganz schnell noch sagen können.
Soviel zum sterben.
Der Tod selbst - auch ich fürchte die Ungewissheit. Aber nicht sehr. Es ist quasi eine aufgeschobene Angst, denn ich bin so sehr mit dem Leben beschäftigt, dass der Tod - dieser endgültige Abschied - für mich nichts als eine Frage ist, die mir später einmal beantwortet wird. Ich weiß, wie ein toter Körper aussieht. Fremdartig. Nie würde ich einen Menschen, der vor einer Minute verstorben ist, mit jemanden verwechseln, der tief schläft. Es ist kein Wunder, das man glaubt, dass die Seele den Körper verlässt. Mag es ein bis ins Detail erklärbarer biochemischer Vorgang sein, der ein totes Gesicht so verfremdet, es ist ein erschütternder Anblick. Das Wissen, dass ich selbst eines Tages so daliegen werde, ist abstrakt.

Sicher ist aber: wer sich nicht mit diesem Thema auseinandersetzt, voller Furcht jede Erwähnung vom Tod von sich weist, der wird sehr leiden an eben dieser Angst.

Feuerkopf
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Di 1. Mär 2005, 01:03 - Beitrag #27

Man mag mich für morbid halten, aber ich habe schon seit Jahren genaue Vorstellungen, was NACH meinem Tod passieren soll. Ich kenne den Friedhof, auf dem ich unter die Erde gebracht werde; er ist zu jeder Jahreszeit schön, er ist alt, er ist belebt, mitten in der Stadt. Wer mein Grab besucht, wird sich in einer guten Atmosphäre wiederfinden.
Dann bestehe ich auf einer "anständigen" Beerdigung. Ich wünsche mir einen guten Redner, nichts kirchliches. Und ich will unbedingt einen Gospelchor. Die Leute sollen Rotz und Wasser heulen bei der Trauerfeier! Anschließend muss es Kaffee und Kuchen geben und einen anständigen Schnaps. Wehe, es gibt kein Gelächter, irgendwann! Ich schwöre, ich steh glatt auf und spuke!
Zur Urnenbeisetzung brauchen nur die engsten Angehörigen zu kommen.

Wenn nichts ist, nach dem Tod, dann ist das okay. Ich werde wieder Bestandteil der Natur, eine gute Vorstellung.
Wenn etwas folgt, so wünsche ich mir inständig, dass ich diejenigen wiederfinde, die ich geliebt habe. Auch hätte ich gern Antworten auf alle meine Fragen.
Eines möchte ich nicht: Wiedergeboren werden.

Danke, Alea, für die ausführlichen Beschreibungen. Ich habe schon Menschen gesehen, die an der Schwelle zum Tod standen, aber noch nie einen Toten.
Sterbende haben tatsächlich etwas Besonderes, Fremdes.

Milena
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Di 1. Mär 2005, 08:00 - Beitrag #28

ich habe den Tod auch gesehen, gespürt, gefühlt, dass er da ist, einen wahrhaftig umgibt, als ich in Augen geschaut habe, in Kinderaugen.
Kinder haben mich angeschaut, die ganz genau wussten um was es ging.
Auf der Krebsstation ist der Tod allgegenwärtig, in jeder Stunde, in jeder Sekunde, und du schaust einfach nur zu, hilflos, wie mensch nur sein kann, wenn der Tod hereinspaziert und dir den Rücken zukehrt und du schaust nur zu, wie Mütter mit ihren Kindern die Station verlassen, um dem Tod zu begegnen, endgültig.
Und die Kinder sind wahrlich kleine Helden, allwissend und stark, so dass du keine Angst bei ihnen ausmachen kannst, keine Angst vor dem was noch kommt,
und die Eltern, die haben nicht wirklich angst, vor nichts mehr, denn die sind bereits gestorben, innerlich ausgelaugt, eigentlich wie tot.
und weisst du was, die ganze Geschichte mit der Angst vor dem Tod, von aussen betrachtet ist einfach nur traurig.

e-noon
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Di 1. Mär 2005, 17:18 - Beitrag #29

Ich musste heute noch in der Schule über das Thema nachdenken, und habe bemerkt dass ich schon Angst vor dem Tod habe, allerdings nicht vor meinem. Das Bewusstsein, dass man irgendwann eben einmal tot ist und dann nichts mehr mitbekommt, ist nicht schön, aber warum sollte man Angst vor diesem Zustand haben?
Angst habe ich davor, geliebte Menschen zu verlieren, weil ich mir nicht vorstellen kann, sie nie wieder zu sehen, ich meine nie wieder.
Aber die Option, jederzeit das eigene Leben beenden zu können, wenn es einem nicht gefällt, finde ich ebenso sympathisch wie den Zwang, überhaupt irgendwann einmal sterben zu können. Mein Problem wäre eher das sterben müssen, dass man nicht die Wahl hat, ob man nicht lieber noch eine Weile leben wolle, sondern eben gezwungener maßen seine Existenz beendet.

Angst vor dem Sterben, bzw. nur vor den Schmerzen habe ich auch, Angst vor einem unnatürlichen Tod, auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass ich einmal zu Tode gefoltert werde oder so ^^* Die Vorstellung gefällt mir zumindest am wenigsten; am liebsten würde ich, wie alea das geschildert hat, Zeit haben, mich zu verabschieden (am besten nicht nur ein paar Minute, sondern ein paar Wochen/Monate...), und wenn möglich im Kreise meiner Lieben einschlafen. Wenn sie und ich es dann möchten, natürlich, jemanden ans Sterbebett zu zwingen, fände ich unmenschlich.

@Ipsi: Bist du sicher, dass man nur versucht, der Frage auszuweichen, wenn man nach kulturellen oder genetischen Gründen sucht? Manchmal hilft es mehr, eine Emotion im Gesamtzusammenhang zu betrachten und nicht nur die Auslöser, sondern auch die Ursachen und zugrundeliegenden Vorgänge zu untersuchen :) Wenn man sich nur auf den persönlichen, rein psychischen Aspekt der Frage beschränkt, übersieht man vielleicht etwas Wichtiges, denn Angst muss nicht unbedingt rein persönliche Ursachen haben.

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Di 1. Mär 2005, 21:47 - Beitrag #30

Kinder haben einen anderen Zugang zu dem Thema Tod. Sie können erst mit etwa 5 Jahren sicher zwischen gestern, heute und morgen unterscheiden, es kann bis zum 7. Lebensjahr dauern, bis sie wirklich sinnlich begriffen haben, was vergangen ist und was noch kommt. Erst dann sind sie in der Lage, sich unter "für immer" und "niemals mehr" etwas vorzustellen. Ein bisschen was. Trotzdem bleibt der Tod ein abstraktes, faszinierendes Mysterium. Ein Kind kann man damit trösten, dass man ihm sagt: Du gehst in den Himmel (irgendein Äquivalent).

Es ist also nicht die Angst vor dem Tod, die die Kinder, die sterben müssen, heldenhaft bestehen. Sondern die Angst vor dem Sterben. Und die Kraft, mit der sie Schmerzen ertragen. Und das Leid ihrer Eltern. Selbst die mutigsten Eltern können in dieser Situation nicht ihr eigenes Leid von dem Kind fernhalten, eine Last, die die Kleinen mitzutragen haben.

Erst mit etwa 12 (manche schon früher, andere später) ist eine Geschichte, das nach dem Sterben etwas Gutes auf sie wartet, nicht mehr bedingungsloser Trost. Es wird hinterfragt, und das Wissen um die Ungewissheit kommt dazu. Es ist am schwersten, wenn Pubertierende im Sterben liegen - der kraftvolle, von nichts getrübte Glaube der Kindheit ist dahin, aber um ein eigenes Glaubensbild aufzubauen mag die Zeit und die Kraft fehlen. Teenager zwischen 12 - 15 trifft es am härtesten. Sie rebellieren oder sind sehr, sehr depressiv, wütend oder resigniert, manchmal auch alles zugleich, und man kann ihnen nur schwer helfen.

Für die Eltern, die Familie, und auch Freunde ist es grausam, einen geliebten Menschen gehen zu lassen. Das meine Kinder oder mein Mann sterben könnten, ist meine größte Angst.

Ipsissimus
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Di 1. Mär 2005, 22:41 - Beitrag #31

OT
Kommt ein reicher Mann zu einem Zenmeister, der für seine herausragende Handschrift bekannt ist und bestellt eine Kalligraphie mit einem Segen für seine Familie. Nach ein paar Tagen erhält er das Bestellte und liest darauf geschrieben

"Vater stirbt, Sohn stirbt, Enkel stirbt."

Er ist furchtbar wütend, und schreit den Zenmeister an, ob der ihn verspotten wolle. Doch der verweist ihn darauf, daß es doch in der Natur des Menschen liege, sterben zu müssen, und daß es der größte Segen für eine Familie sei, wenn dies in der natürlichen Reihenfolge geschieht.
OT aus

Wie können Kinder, die noch keine Auffassung vom Tod haben, eine Aufassung vom Sterben haben, Alea? Wenn ihnen das erstere unbegreiflich ist, bleibt das letztere doch bedeutungslos, oder sehe ich das falsch? Aber ich halte ohnehin dafür, daß es über das "begreifende" Verständnis hinaus noch immer eine Art "kreatürliches" Verständnis gibt - auch Tiere "verstehen" den Tod nicht, aber sie ziehen sich zurück, um ihm zu begegnen, wenn sie noch die Möglichkeit haben, "wissen" also in bestimmter Weise, was ihnen bevorsteht.

Und - verzeih, wenn ich dich darauf aufmerksam mache - sie werden sterben - das steht nicht wirklich zur Debatte. Sei froh, wenn es nach deinem eigenen Tod geschieht.



e-noon, es mag so scheinen, daß mensch dem "Warum" der Todesangst nahekommen kann, indem es ihre Erscheinungsformen und deren Varianzen untersucht. Falls dich an dieser Frage wirklich nur der überpersönliche Anteil interessiert, mag das auch schon ausreichen - dem persönlichen Anteil, der Frage nach dem Warum DEINER Todesangst kommst du damit nicht auf die Spur, weil für dein EMPFINDEN deine Todesangst nicht in allgemeinen Prinzipien oder Statistiken aufgeht, sondern das Besondere bleibt, welches darin besteht, daß DU es empfindest und eben nicht die Hunderttausend anderen, die zeitgleich mit dir ihr Analogon empfinden mögen.

Padreic
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Di 1. Mär 2005, 22:57 - Beitrag #32

@e-noon
Ich will nicht behaupten, dass ich keine Angst hätte, während ich in Lebensgefahr bin, aber um diese eher instinkthafte, plötzliche Panik soll es hier nicht gehen - eher um die grundsätzliche Haltung gegenüber dem Bewusstsein der eigenen Endlichkeit.

In einer "grundsätzlichen Position" ist man ja auch nicht mit dem Tode konfrontiert. Man mag sich intellektuell mit dem Tod auseinandersetzen und keine Angst verspüren. Warum sollte man auch, es ist ja wie Maurice und Epikur gesagt haben...aber wenn man ihn existentiell erfährt, wie beispielsweise in einer Situation von Todesbedrohung ist es doch noch etwas anderes.

Es ist ja nicht so, dass ich den ganzen Tag mit Angst vor dem Tod herumlaufen würde....ich weiß nur, dass ich ganz sicher nicht sterben will und deshalb eine scheiß Angst hätte, würde mir einmal der Tod begegnen. Und bei der erlebten Vorstellung, jetzt im Schlaf zu sterben, verspüre ich auch Angst...

Angst habe ich davor, geliebte Menschen zu verlieren, weil ich mir nicht vorstellen kann, sie nie wieder zu sehen, ich meine nie wieder.

Wenn du selbst tot bist, siehst du keinen einzige deiner geliebten Menschen jemals wieder.

Aber die Option, jederzeit das eigene Leben beenden zu können, wenn es einem nicht gefällt, finde ich ebenso sympathisch wie den Zwang, überhaupt irgendwann einmal sterben zu können.

Ob man es kann und wie sympathisch es einem in dem Moment ist, erweist sich erst, wenn man es versucht. Der Grund, warum sich viele Menschen, die Suizid begehen, mit "weichen" Methoden (also Schlaftabletten und ähnlichem) umbringen, ist wohl auch, dass sie sich da nicht so extrem mit ihrem eigenen Tod konfrontieren müssen.

Bist du sicher, dass man nur versucht, der Frage auszuweichen, wenn man nach kulturellen oder genetischen Gründen sucht? Manchmal hilft es mehr, eine Emotion im Gesamtzusammenhang zu betrachten und nicht nur die Auslöser, sondern auch die Ursachen und zugrundeliegenden Vorgänge zu untersuchen Wenn man sich nur auf den persönlichen, rein psychischen Aspekt der Frage beschränkt, übersieht man vielleicht etwas Wichtiges, denn Angst muss nicht unbedingt rein persönliche Ursachen haben.

Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man auch kulturelle und genetische Ursachen mit in die Untersuchung einbezieht oder wenn man die Untersuchung der Gründe mit der Angabe ihrer für abgeschlossen erklärt.
Und trotz aller kultureller und genetischer Ursachen hat die Angst vor dem Tod rein persönliche Gründe, denn egal, was für kulturelle und genetische Einflüsse die Persönlichkeit geprägt haben, nun ist es die Persönlichkeit, die sich für die Angst verantwortlich zeigt.

Padreic

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Di 1. Mär 2005, 23:04 - Beitrag #33

Wenn du selbst tot bist, siehst du keinen einzige deiner geliebten Menschen jemals wieder.


e-noon meinte die Angst, einen geliebten Menschen nie wieder zu sehen.

Anmerkung:
Viele versuchen es mit Schlaftabletten, weil sie denken, dass sei so eine harmlose und nette Sache. Einschlafen und weg. Es ist aber eine ganz besonders hässliche und schmerzhafte Angelegenheit: der Körper wehrt sich gegen das Gift, versucht es durch alle Körperöffnungen los zu werden (sorry ;) ), man leidet an Krämpfen, Schmerzen, fürchterlichen Halluzinationen - und wenn man dann noch zuwenig Gift genommen hat, überlebt man, oder es dauert zu lange, man wird gefunden...
Off-topic Ende.

Milena
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Mi 2. Mär 2005, 11:19 - Beitrag #34

aleanjre, die Angst, die Du beschreibst, um Deine Familie, ist eine natürlich gesunde Form von Angst, die ich auch so noch hatte vor 13 Jahren,
eine ganz andere Qualität bekommt es, wenn du neben deinem Kind sitzt und es dir Fragen bezüglich Himmel und dem lieben Gott stellt und du in dich hineinlachst und glaubst einen kleinen Theologen an deiner Seite
zu haben und ein paar Tage später bleibt dir das Lachen im Halse stecken, weil du jetzt neben deinem Kind sitzt, das
vollgestopft mit Zytostatika und Morphium im Bett liegt und
der Arzt sich über dein Kind beugt und es fragt, ob es weiss, dass es sehr
krank ist und vielleicht sterben wird und du siehst hinter einem Tränenschleier nur ein ruhiges, allwissendes Kopfnicken eines sechs Jahre alten Kindes und die Uhr des Lebens dreht sich weiter und eine stetige Angst vor dem Tod ist dein ständiger Begleiter geworden..
und ich spüre den Unterschied
in den postings hier, wer die Angst vor dem Tod aus weiter Ferne erlebt hat
und wer dieser Angst bereits die Hand gereicht hat,
von dem her, mach dir nicht unnötige Sorgen...
ist nicht böse gemeint!

aleanjre
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Mi 2. Mär 2005, 11:56 - Beitrag #35

Wie ist es geworden, mit deinem Kind? Gerne auch per PN, wenn du darüber reden möchtest, wenn nicht, ist auch okay.

Angst um mein eigenes Leben hatte ich bereits, begründete Todesangst, zweimal. Angst um meine Liebsten bis jetzt nur die normale Sorte, die jede Mutter hat, die Angst, die schnell geheilt ist, denn der Fieberkrampf geht vorbei, und das Auto, vor das das Kind gesprungen ist konnte rechtzeitig bremsen... und so mag es auch bleiben, hoffe ich fromm.

Ipsissimus: Das meine Kinder sterben werden, weiß ich, ich hoffe eben auf die normale Reihenfolge in dieser Sache. ;)
Der Tod ist ein Abstraktum, das auch wir Erwachsene nicht begreifen, wir haben kein Wissen darüber, wie es dann sein wird. Das Sterben hingegen ist das Beenden des Lebens, und das kann ein Kind durchaus begreifen.

Milena
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Mi 2. Mär 2005, 12:13 - Beitrag #36

ja, aleanjre, man sollte das Kind nicht unterschätzen in dem Gespür und dem kindlichen Wissen der Vergänglichkeit und der Endlichkeit.
auch ich trage die grösste Hoffnung in mir, dass das Ableben in´der
gewünschten Reihenfolge des Lebens abläuft, denn was wäre Mensch ohne
Hoffnung.
danke,alea, dem Sohnemann gehts den Umständen entsprechend, wie es
einem jungen Menschen eben so geht, der um eine tödliche Krankheit weiss,
die in seinem Körper still vor sich hin schlummert..

Feuerkopf
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Mi 2. Mär 2005, 16:09 - Beitrag #37

Ich kann mich gut erinnern, dass ich mit meinen Kindern auf unserem schönen alten Friedhof spazieren ging und dabei fast 100 Jahre alte Kindergräber fanden. Meine Kinder - damals knapp im Grundschulalter - waren höchst erstaunt, dass auch Kinder sterben können. Wir haben gemeinsam überlegt, wie das passiert sein konnte: Unfall, Krankheit. Drei kleine Geschwister liegen dort auf dem Friedhof, gestorben innerhalb einer Woche, vermutlich bei einer Diphterie-Epidemie in den 20er Jahren. Es gibt auch neue Kindergräber dort, geschmückt mit Spielzeug und wunderschönen Grabsteinen. So haben unsere Kinder gelernt, dass Tod allgegenwärtig ist. Später hatten wir Sittiche, Hamster und Mäuse, die irgendwann verstarben und im Garten beerdigt wurden. So bekamen sie eine Vorstellung davon, was Sterben bedeutet. Als dann irgendwann ein Onkel starb, gingen sie zum ersten Mal mit zu einer Beerdigung.
Wir haben in unserer Familie das große Glück, dass niemand vor seiner Zeit gehen musste.

Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber waren Sterben und Tod noch im letzten Jahrhundert tatsächlich viel mehr ins familiäre Leben eingebunden?
Heute geben wir alles in professionelle Hände ab, sind weit entfernt davon, das Lebensende als Bestandteil des Daseins zu verstehen.

Ipsissimus
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Mi 2. Mär 2005, 16:30 - Beitrag #38

die Umstellung kam im Gefolge der industriellen Revolution. Die Großfamilien waren vorher villeicht auch schon nicht mehr so stabil wie im Mittelalter, aber die IR hat den Familienverbänden den Rest gegeben.

Nightlight
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So 6. Mär 2005, 20:14 - Beitrag #39

Hm, das der Tod das Ende ist, ist die Frage der Fachwelt.
Ich erinnere mich ….. wühl ….. noch etwas an den Artikel, wo es darum ging, dass sich Menschen nach dem Tod vom Körper trennen. Sehr Interessant. Natürlich sind diese Menschen nur kurze Zeit Tod gewesen und dann reanimiert worden. Der Fakt jedoch ist, dass sie behaupten, alles von oben gesehen zu haben, was im OP bzw. Krankenwagen passiert ist. Ich bin jetzt mal auf die Versuche gespannt, wo Pincodes auf dem Boden sind, von denen die Verstorbenen, die zurückkommen, dann vielleicht berichten werden oder nicht.

Ipsissimus
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Mo 7. Mär 2005, 10:04 - Beitrag #40

das der Tod das Ende ist, ist die Frage der Fachwelt


wohl weniger die Frage der Fachwelt als vielmehr einschlägig interessierter Menschen, z.B. gläubiger Menschen. "Die Fachwelt" interessiert sich da, wo sie nicht religiösen Vorstellungen sich verpflichtet fühlt, so gut wie gar nicht für das Totsein von Menschen, außer vielleicht im Bereich der forensischen Medizin - und die interessieren sich mit Sicherheit nicht für die Frage, ob in einer Leiche noch Bewußtsein übriggeblieben ist, oder ob eine Seele als Bewußtseinsträger irgendwo herumflattert.

Die von dir angeführten Nahtod-Erlebnisse lassen sich auch ohne Transzendenz erklären, zumindest plausibel machen. Ihnen allen ist übrigens auch gemeinsam, daß sie noch NIE von Menschen berichtet wurden, bei denen schon die sicheren Todeszeichen aufgetreten sind, sondern immer nur bei Menschen, bei denen der Status - tot oder lebendig - in Umgangssprache nicht eindeutig zu formulieren war (was soviel besagt, daß es medizinisch zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel darüber gab, daß diese Menschen noch leben).

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