German Disease

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Scuba
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Di 15. Mär 2005, 21:55 - Beitrag #1

German Disease

Eine puplizistisch aufbereitete Untersuchung von Max A. Höfer (Wirtschaftswissenschaftler, Politologe) unter mehr als 2.000 einflußreichen Persönlichkeiten Deutschlands hat anhand von Zitationshäufikeiten in Zeitungen, Zeitschriften und Internet den individuellen Einfluß auf die öffentlichen Debatten in Deutschland untersucht.

Aufgenommen wurde "wer eine wichtige öffentliche Debatte durch eigene Erkenntnisse oder Stellungnahmen ausgelöst oder wesentlich mitbestimmt hat" (Herausgerechnet wurden die bekannten Politiker, die sowieso ständig mitmischen, aber i.d. R. nur Ideen anderer aufgreifen)

Erschreckendes Ergebnis: Selbst bei Themen, die hohe Fachkompetenz erfordern, werden nicht die Fach-, sondern die Medienprofis befragt und beachtet.

Wobei diese Medienprofis durchwegs von 'professionellen Rückblickern' (IMHO: das nervt mich tatsächlich auch ungemein persönlich, daß der 2. Weltkrieg in den Medien scheinbar jedes Jahr näher rückt) und 'intellektuellen Kritik-Kasten' geprägt sind. Voran Günter Grass, Wim Wenders oder Hans Magnus Enzensberger.

Unter den '100 Meisterdenkern' Deutschlands sind 23 Schriftsteller, 18 Publizisten, 24 Theater und Filmemacher (Insges 65% !), aber nur 4% Ökonomen. Naturwissenschaftler haben ganz wenig zu sagen.

FAzit:

Die öffentlichen Debatten, die Stimmung in der Gesellschaft bestimmen geisteswissenschaftliche Persönlichkeiten, die meist miesepetern, statt zuversichtlich nach vorne zu blicken und Anstöße zur Überwindung der (geistigen) Krise zu geben.

Zitat: "Die Geste des Leidens ist eine Distanzierung von der kollektiven Täterschaft der Elterngeneration" - Eine fundamentale Spielregel und Attitüde, die von unseren Meinungsmachern ausgiebig gepflegt wird.

Monostratos
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Di 15. Mär 2005, 22:13 - Beitrag #2

Ich weiss irgendwie nicht, was ich damit jetzt anfangen kann/soll...


(Herausgerechnet wurden die bekannten Politiker, die sowieso ständig mitmischen, aber i.d. R. nur Ideen anderer aufgreifen)
Achja...
Kein Wunder, dass dann ein Großteil der Übriggebliebenen Literaten sind. Was ist eigentlich mit den restlichen 31% der "Meisterdenker"? Gibt es Links zur Studie?

Nun, dass Schriftsteller und Co sich wortgewandter und wortgewaltiger zu Themen wie der Flutkatastrophe, Kriegen ect äussern, ist nicht verwunderlich, schliesslich "fragt man einfach keinen Ökonomen danach". Die Meinung eines Ökonomen zu nicht-ökonomischen Themen ist... uninteressant (imo), wenn ich das so flapsig sagen darf.

Zitat: "Die Geste des Leidens ist eine Distanzierung von der kollektiven Täterschaft der Elterngeneration" - Eine fundamentale Spielregel und Attitüde, die von unseren Meinungsmachern ausgiebig gepflegt wird.
Naja, um einige Ecken gedacht, mag es etwas mit dem eingangs angesprochenen Thema zu tun haben, aber irgendwie scheint es mir, als ob Du mit dem Zaunpfahl für ein anderes Thema winkst. Pessimismus oder Lamorjanz hat nicht unbedingt etwas mit dem "Leiden(sgeste) zur Distanzierung von der (In meinem Fall: Ur-)Elterngeneration zu tun...

Ipsissimus
Dämmerung
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Di 15. Mär 2005, 22:26 - Beitrag #3

oh, ich freue mich schon auf den Tag, an dem in Deutschland die Ökonomen, unterstützt von streng positiv denkenden Ingenieuren, Informatikern und Naturwissenschaftlern das uneingeschränkte und von Geisteswissenschaftlern und Künstlern - soweit letztere nicht in Hitparaden oder Veranstaltungen der Deutschen Volksmusik auftreten - ungestörte Sagen haben. An diesem wunderbaren Tag werden in Deutschland endlich 100 Prozent aller Menschen Arbeit haben ... zu Essen oder gar Luxus wie ne Literbombe Aldiwein werden sie zwar nicht mehr haben, weil man Arbeit nicht essen kann, woran die Ökonomen, die einen Euro als Almosen für Scheissarbeit für Bezahlung halten, irgendwie nicht gedacht haben, aber weil all die jungen, frischen, unverzagten und mental gut draufen Leute endlich alle so positiv gestimmt sind vor Freude, merkt das dann ja auch keiner.

Und so ein Miesepeter wie ich ... na ja, ich bin halt nur ein Miesepeter

Traitor
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Di 15. Mär 2005, 23:43 - Beitrag #4

Wie Mono sagt, ist bei einer derartigen Untersuchung nichts anderes zu erwarten. Publizisten und Artverwandte beschäftigen sich eben primär damit, Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen, während Wissenschaftler sich eben mit ihrem Fach beschäftigen. Auch echte Geisteswissenschaftler wie Germanisten oder nicht-Fernseh-Philosophen werden kaum unter den "Meisterdenkern" (besser: "Meisterkommunizierer") gewesen sein.
Fraglich sind auch diverse Methodiken der Studie - was gilt als "wichtige Debatte"? Ich kann mich spontan an keine von mir als solche betrachtete erinnern, mit der Wim Wenders irgendetwas zu tun gehabt hätte.
Wo sich mehr zu dieser Studie lesen lässt, würde mich auch interessieren.

Und Ipsissimus' Polemik kann ich mich diesmal zu einem großten Teil anschließen ;)

Feuerkopf
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Mi 16. Mär 2005, 00:18 - Beitrag #5

Fazit:
Es wird zuviel geredet, aber zu wenig gesagt.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der alles totgequatscht wird. Wenn ich allein an dieses Theater um den "Krisengipfel" von Schröder, Stoiber und Merkel denke, und an die viele heiße Luft, die schon im Vorfeld produziert wurde, verliere ich immer mehr die Lust, diesen Leuten überhaupt noch zuzuhören.

Ipsi,
ich wette, das hat System. Wenn sie uns endlich komplett zugeschwallt haben, können sie schalten und walten, wie sie wollen, denn wir haben es endgültig aufgegeben.

Schließe mich Deiner Polemik an!

Feuerkopf
Miesepetra :cool:

Ipsissimus
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Mi 16. Mär 2005, 09:36 - Beitrag #6

trotz der Zustimmung möchte ich darauf hinweisen, daß meine Polemik nicht nur polemisch gemeint war. Eine Aussage wie "Arbeit kann man nicht essen" enthält durchaus auch eine ernstgemeite Kritik an Tendenzen der derzeitigen Arbeitsmarktdebatte. Das Problem ist nicht gelöst, wenn alle arbeitsfähigen Menschen Arbeit haben, es ist erst gelöst, wenn sie für diese Arbeit auch angemessen entlohnt werden. Bei der gegenwärtigen Debatte könnte mensch leicht den EIndruck gewinnen, Arbeit sei Selbstzweck

Feuerkopf
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Mi 16. Mär 2005, 11:10 - Beitrag #7

Isissimus,
sei versichert, dass dieser Gedankengang auch genau so von mir verstanden wurde.

Jetzt jubeln alle dem "Großen Horst" (Köhler) zu, der angeblich eine wichtige Rede gehalten hat. Er mag ja ein netter Kerl sein und auch Ahnung vom Metier haben, aber sooo einfach ist es denn doch nicht.
Mir fehlte der Satz "Wenn die Leute nicht verdienen, können sie auch nicht konsumieren.", der den Unternehmern ins Stammbuch geschrieben werden sollte, denn wenn der letzte Arbeitsplatz in Billiglohnländer transferiert wurde, werden sie feststellen, dass man von 5 € Stundenlohn keinen Golf oder Astra kaufen kann.

*Polemikmodus aus*

Traitor
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Mi 16. Mär 2005, 12:26 - Beitrag #8

Eine gute, zustimmungswürdige Polemik enthält immer einen (nur zu) wahren Kern.

Was an Köhlers Rede so weltbewegend sein soll, erschließt sich mir nicht. Er spricht mal wieder aus, was alle längst wissen, und hören wird auf ihn niemand. Da hätte das "Gipfeltreffen" an sich mehr Potential, das aber unter Garantie nicht genutzt werden wird.

janw
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Mi 16. Mär 2005, 13:03 - Beitrag #9

Nun ja, ganz verallgemeinert finde ich es vorrangig sehr bedenklich, daß durch die ganze Debatte, wenn nicht sogar als schleichender kulturkolonialistischer Prozeß seit etwa 25 Jahren, die gesellschaftlichen Paradigmen vertauscht werden.
Der Staat ist dazu da, das Miteinander der Gesellschaftsmitglieder soweit zu regeln, daß diese gedeihlich und zukunftsträchtig miteinander zurecht kommen können und gewisse existentielle Grundrisiken abgesichert sind. Letzteres wird von manchen bestritten, für mich ist es aber essentiell.
Wie auch immer, Wirtschaft ist in diesem System dazu da, das Geld als Handelsvergleichswert im Umlauf zu halten und wichtige Güter zu produzieren. Wirtschaft hat also eine dienende Funktion und darf in ihrwr Ausgestaltung nicht essentiellen Belangen der Gesellschaft zuwider laufen.

Heute wird hingegen der Versuch unternommen, die Gesellschaft und den Staat als Diener der Wirtschaft zu etablieren. Das ist aber alles andere als zukunftsträchtig und gesellschaftsverträglich.

Aber zurück zum Thema:
Die Studie, wie schlecht sie auch immer hier rezipiert sei, bringt für mich das Ergebnis, das ich gefühlt schon lange habe und das letztlich auch kaum anders zu erwarten ist.
Publizistik hat den Anspruch, die gesellschaftliche Realität zu beschreiben und in den Medien wiederzugeben. Daß sie sich dabei von den eigenen Mechanismen der Medien einschließlich der Werbung leiten läßt, ist Ausdruck der Wirksamkeit von Werbung und des Tunnelblickes, den jedes Mitglied eines Systems zwanglläufig bekommt. Alle gesellschaftlichen Systeme neigen hinsichtlich ihrer Rezeption zur Selbstreferentialität, und so werden die medial selektiv ausschließlich wiedergegebenen Prognosen medialer Skeptiker sich im Sinne einer selffulfilling prophecy in einem von Skepsis gezeichneten Bild der Realität ausdrücken.

Letztlich verfügt z.B. die Wissenschaft über sehr gutes Potential zur Erforschung und Entwicklung von Neuereungen, verkauft aber ihre Arbeit nicht adäquat medienverwertbar. Damit fällt sie durch das Raster der Wahrnehmung der Publizisten, im Gegensatz zu irgendwelchen Fachhochschulen in Minnesotas Maisfeldern, die kaum besseres produzieren, aber besser die Werbetrommel rühren.

Scuba
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Mi 16. Mär 2005, 20:40 - Beitrag #10

Euere Bedenken treffen zum Teil zu:

Diese Studie habe ich den 'Fuchs-Briefen' entnommen (Der Verfasser ist u.a. auch regelm. Mitarbeiter des Veralges). Der Verlag für "Unternehmer und vermögende Kapitalanleger"
Fuchsbriefe

Mir ging es darum eine Diskussion über den 'wahren Kern' anzustoßen: Wir beschäftigen uns vielleicht zu sehr (und typisch deutsch: gründlich) mit uns selbst, bzw. reduzieren uns auf unsere (nationalen, geschichtlichen) Fehler, obwohl keiner der Meinungsmacher überhaupt diese Fehler selber gemacht hat (so eine Art vorauseilender Gehorsam also: "Man könnte ja in Zukunft wieder...") Andere Nationen sehen das wesentlich lockerer (wenn man sowas überhaupt verallgemeinern kann) und gestalten politisch aktiv ihre Präferenzen.

Was mich persönlich an diesen ständigen "Nabelschaurückwärtsdebatten" nervt: Wir haben alle nur begrenzte Zeit und Energie, die für wichtigere Sachen dringend nötig wäre. Was sich v.a. darin zeigt, daß unser (sozial_marktwirtschaftliches) Wirtschaftssystem, welches über 30 Jahre führend in der Weltwirtschaft war (und z.Zt. immer noch ist!) in eben diesen 30 Jahren fast keinen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen bekommen hat. Stattdessen bekommen die Apologeten des für die globale Ökonomie (=Ökologie) erwiesenermaßen schädlichen (neoliberalen) Systems diese Preise ab.

Mittlerweile dürfte es niemanden mehr wundern, wenn aufgrund ständiger 'falscher Bescheidenheit und Leisetreterei' nur noch 2. Beste Politik gemacht wird, - denn wo und wie werden denn unsere Studenten ausgebildet, die künftig die Volkswirtschaft und lenken und Politik machen sollen (bzw. jetzt schon machen)?

Wie das Karnickel vor der Schlange schaut jeder auf die hohe Arbeitslosigkeit. Dabei gäbe es viele gute Ansätze, wenn nur endlich vielleicht einmal eine Wertedebatte in Gang käme.

Bsp.:
Wieso müssen wir unbedingt ein 'Hightec_Satelliten_Mautsystem' haben, bei dem nur wenige Großkonzerne mit minimalem Mitarbeiterstab fette Gewinne einfahren und zudem sich noch frech politisch von ihren Schadensersatzpflichten freipressen, die jeder mittelständige Unternehmer zahlen muß, wenn er auch nur einen Tag mit seiner Lieferung in Verzug kommt? - Wieso können das nicht wie z.B. in anderen Ländern (auch den USA)
100.000te "normale AN", (die nicht unbedingt studiert haben müssen) in sogen 'Mauthäuschen'. Viele Menschen könnten so mit einer sinnvollen Beschäftigung von der Straße geholt werden.

Es gibt noch viele andere Vorschläge. Globalisierung und Shareholdervalue sind kein Naturgesetz, sondern politisch gewollt. Man kann aber seinen Willen auch mal ändern... (wenn man mal versucht nach vorne zu blicken)

@ Monostratus: Welchen Popanz (Zaunpfahl) versuchst Du hier zu bauen?

Feuerkopf
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Do 17. Mär 2005, 16:32 - Beitrag #11

History repeating

Die freie Wirtschaft
Kurt Tucholsky (1930)

Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf Euren Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.

Ihr sollt alles weiter dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein.
Wir wollen freie Wirtschafter sein!

Wir diktieren die Preise und die Verträge-
Kein Schutzgesetz sei uns im Wege.

Ihr braucht keine Heime für Eure Lungen,
keine Renten und Versicherungen.
Ihr sollt Euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat auch noch Geld zu nehmen!

Ihr sollt nicht mehr zusammenstehen-
Wollt Ihr wohl auseinander gehen!

Ihr sagt: Die Wirtschaft müsse bestehen.
Eine schöne Wirtschaft! Für wen? Für wen?

Das laufende Band, das sich weiterschiebt,
liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.
Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sacht
Eure eigene Kundschaft kaputtgemacht.
Denn Deutschland besteht-
Millionäre sind seltenaus
Arbeitern und Angestellten!

Und Eure Bilanz zeigt mit einem Male
einen Salda mortale.
Während Millionen stempeln gehen.
Die wissen, für wen!


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