Philosophischer Smalltalk

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Fr 18. Mär 2005, 18:46 - Beitrag #141

Nein, gerade darum ging es nicht. Maurice hat behauptet, dass jeder, der Naturwissenschaft betreibt, Philosophie betreibt, und damit alle Naturwissenschaften nur Unterbereiche der Philosophie, "naturwissenschaftliche Philosophie" eben, seien.
Dass der Naturwissenschaft Axiome zugrundeliegen, ist etwas völlig anderes. Und Axiome an sich sind auch nichts philosophisches. Philosophisch ist erst das Hinterfragen dieser Axiome und ihr Abwägen gegen andere, und das tut nicht die Mathematik, sondern die Metamathematik; nicht die Physik, sondern die Metaphysik.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Fr 18. Mär 2005, 19:06 - Beitrag #142

Ob man Metaphysik als Hinterfragung der Physik bezeichnen sollte? Mein Philosophielexikon sagt folgendes:
"Philosophische Grunddisziplin, die nach den letzten Fundamenten und allgemeinsten Strukturen der Wirklichkeit fragt und damit eine Univeralität für sich beansprucht, die alle Einzeldisziplinen unter sich begreift. Traditionell unterscheidet man die allgemeine Metaphysik als Ontologie von der speziellen Metaphysik, die sich in rationale Theologie als Lehre von Gott, rationale Psychologie als Lehre von der Seele sowie rationale Kosmoslogie als Lehre vom Aufbau der Welt gleidert."

Ich selbst benutzte Metaphysik immer im zweiten Sinne mit Schwerpunkt auf dem theologischen Aspekt. Ich habe schon verschiedene Definitionen von Metaphysik gehört, wobei bei manchen die Ontologie mit drin ist und bei anderen nicht.

Unser Problem ist folgendes: Wir haben verschiedene Definitionen von Philosophie. Dabei sind wir uns wohl einig, dass das Wort "Philosophie" an sich keine Bedeutung hat und erst das Subjekt ihm Bedeutung zuschreiben kann. Daraus folgt, dass keiner unserer Definitionen an sich wahrer ist, als die des anderen. Es macht daher keinen Sinn sich zu streiten, welche der beiden Definitionen die richtige sei.
Traitor nach deiner Definition sind die Naturwissenschaften unabhängig von der Philosophie und machen keine philosophischen Aussagen. Diese Auffassung ist nicht mit meiner Sicht kompatibel, aber ich glaube sie zu verstehen und akzeptere sie deswegen.
Nach meiner Definition sind Naturwissenschaften nicht unabhängig von der Philosophie und tätigen implizit philosophische Aussagen. Weil mir meine Definition besser gefällt, bleibe ich bei dieser.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Fr 18. Mär 2005, 22:42 - Beitrag #143

Philosophie bedeutet "Liebe zur Weisheit", und es gilt in ihr, frei nach meinem Lexikon zitiert, der Grundatz, daß nichts, was einer geistigen Orientierung dienlich ist, einem philosophischen Diskurs entzogen werden kann und soll.
In diesem Sinne ist die Philosophie voraussetzungslos, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die auf grundlegenden Axiomen aufbauen.

Maurice, ich würde es mal mit folgendem Bild vergleichen:
Stell Dir vor, Du lebst in einem engen Tal. Du hast dort Wiesen und Weiden, auf denen jahraus, jahrein deine Kühe grasen, einen Bach, dessen Wasser du trinkst, und der Wald an den Hängen liefert Dir das Holz zum bauen und heizen.
Diese Konstanten sind Deine Axiome, Du kannst Dein Leben und die dazu nötigen Handlungen auf ihnen aufbauen und gut damit leben, der durch die Hänge und die beiden Schluchten oberhalb und unterhalb Deines lieblichen Talabschnittes begrenzte Bereich ist Deine Welt.
Es braucht Dich nicht zu interessieren, ob jenseits der Hänge ein weiteres Tal kommt, ob der Bach irgendwo und von wo herkommt und wohin er fließt.
So kann man durchaus ein Leben lang Naturwissenschaft treiben, ohne zu fragen, ob es eine Welt jenseits des Definitionsbereiches der Axiome gibt, Du brauchst Dir noch nicht einmal bewußt zu werden, daß Deine Axiome einen begrenzten Gültigkeitsbereich haben.

Du kannst aber durchaus irgendwann merken, daß der Bach zeitweise viel Wasser liefert, und dann irgendwann in einem Jahr fast versiegt. Dann wirst Du vielleicht merken, daß der Bach von irgendwo kommt, wohin Du nicht gelangen kannst. Die Schlucht, aus der das Wasser kommt, machst Du Dir nun zum Sitz der großen Gottheit, der Du nun Opfer bringst, auf daß immer Wasser fließen möge. Und siehe da, das Wasser fließt immer ausreichend, weil eine so großen Dürre so nur alle 500 Jahre auftritt.
Bingo, Du hast eine primitive Religion entwickelt.

Damit gibt es jetzt Axiome, die scheinbar grundständiger sind, als Deine bisherigen, aber dies gilt nur für den Bach. Du hast jetzt mit der Religion eine Philosophie über das Wesen des Baches entwickelt, in dem Du ihn für göttlich bedingt ansiehst. Die Wiesen, der Wald, die Kühe "sind" aber nach wie vor nur, ob sie die einzigen auf der Welt sind oder ob außerhalb Deines Betrachtungsraumes noch mehr davon vorkommen, fragst du Dich nicht.
Bis zu dem Tag, wo du findest, Du möchtest gerne mal einen anderen Blick auf deine Welt werfen, sehen, wie sie zusammenhängt, und Du den Berg hinauf gehst.
Erst da fängst Du an, philosophisch zu denken, und Du kannst durchaus vom Gipfel des Berges sehen, daß es außerhalb Deines Tales so weiter geht, das nächste Tal, dann wieder ein Berghang..., und sagen, daß du Dich in Deiner kleinen Welt eigentlich am wohlsten fühlst.
Du kannst aber auch beschließen, in das nächste Tal hinab zu steigen, und siehst dort, daß dort die Wiesen gemäht werden und Kühe aus großen Ställen muhen. Die Hänge sind aber ebenso wie bei Dir mit Wald bestanden, und im Tal fließt ein Bach. Man kann also genausogut die Kühe im Stall halten und dort füttern. Man muß dann aber die Wiese mähen und das Gras trocknen.
Deine Lebensweise hat also bestimmte Bedingungen, wie Dir jetzt klar wird, Deine Axiome sind teilweise begrenzt. Die Erkenntnis der Bedingheit Deiner Grundlagen ist eine philosophische Erkenntnis. Du brauchst sie aber nicht zum täglichen Leben, solange Du Dich immer im Definitionsbereich Deiner Axiome bewegst.
Du kannst also weiterhin leben, ohne Philosophie zu treiben.

Und die Metaphysik?
Die allgemeine Metaphysik in Deinem Sinne liefert die Erkenntnis, daß es jenseits Deiner Welt noch eine andere gibt, oder Deine Welt Teil eines größeren Ganzen ist.
Die spezielle Metaphysik in Deinem Sinne fragt jetzt nach dem Sein dessen, was außerhalb Deiner Welt ist, die theologische kommt dabei zur Erkenntnis des Gottes in der Schlucht und die kosmologische stellt Deine Welt in den Zusammenhang des großen Ganzen und fragt nach dem Sein des großen Ganzen und Deiner Stellung darin.
Für Dein tägliches Leben, gewissermaßen die Physik, ist all das unerheblich.. Wenn Du nur die Kühe auf die Weide treibst, sie melkst, für Kälber sorgst, im Wald Holz schlägst und trocknest, wirst Du immer Milch haben und Käse, wenn du diesen herstellen kannst, gelegentlich Fleisch und Pelze und im Winter nicht frieren.
Ganz ohne Philosophie.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Sa 19. Mär 2005, 00:07 - Beitrag #144

Tja Jan nur ist ein Haken an deinem Märchen, dass die Axiome nicht schon immer in der Werlt waren wie die Wiese und der Bach, sondern Produkte des menschlichen Geistes sind.

Philosophie bedeutet "Liebe zur Weisheit", und es gilt in ihr, frei nach meinem Lexikon zitiert, der Grundatz, daß nichts, was einer geistigen Orientierung dienlich ist, einem philosophischen Diskurs entzogen werden kann und soll.

Woraus folgen würde, dass sich auch die Naturwissenschaft nicht entziehen kann und soll, weshalb sie nicht unabhängig von dieser sein könnte.

In diesem Sinne ist die Philosophie voraussetzungslos, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die auf grundlegenden Axiomen aufbauen.

Und diese Axiome sind philosophischer Natur, weil sie aus der Philosophie entsprungen sind.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Sa 19. Mär 2005, 02:13 - Beitrag #145

Maurice, die Axiome der Mathematik sind letztlich a priori existent und mußten nur vom menschlichen Geist entdeckt werden.

Philosophie bedeutet "Liebe zur Weisheit", und es gilt in ihr, frei nach meinem Lexikon zitiert, der Grundatz, daß nichts, was einer geistigen Orientierung dienlich ist, einem philosophischen Diskurs entzogen werden kann und soll.
In diesem Sinne ist die Philosophie voraussetzungslos, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die auf grundlegenden Axiomen aufbauen.


Die Naturwissenschaft ist sicher einem philosophischen Diskurs zugänglich, und es ist sinnvoll, sich in philosophischer Hinsicht Gedanken über sie zu machen.
ABER: Man kann sehr wohl Naturwissenschaft treiben, ohne diesen philosophischen Diskurs zu führen oder philosophisch darüber nachzudenken.
Das ist ja genau das, was ich mit der Geschichte sagen wollte: Die Wiesen, die Kühe, der Bach, der Wald "sind" einfach "da", die Basis Deines Lebens, Deiner Naturwissenschaft. Du kannst das Gesetz erkennen, daß die Kühe Gras fressen und Milch geben und daß gewissermaßen gilt: je mehr Gras, desto mehr Milch.
Dazu brauchst Du aber weder zu wissen, wie das Gras ist, die Kühe und die Milch und ob womöglich dieses Gesetz nur in Deinem Tal gilt.
Diese Fragen sind aber die philosophischen Fragen, die nach dem Sein, und die, ob jenseits Deiner Welt überhaupt etwas anderes sein könnte.

Dein Leben, die Naturwissenschaft, basiert auf Axiomen, Grundvoraussetzungen, die a priori existent sind und nur vom analytischen Geist des Menschen entdeckt werden müssen, die Philosophie ist dagegen voraussetzungslos, also sozusagen unterhalb oder jenseits der Axiome und ohne Bedeutung für Dein Leben, die Naturwissenschaft.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Sa 19. Mär 2005, 11:01 - Beitrag #146

Maurice, die Axiome der Mathematik sind letztlich a priori existent und mußten nur vom menschlichen Geist entdeckt werden.

Du sagst das so, asl sei es eine selbstverständliche Tatsache, aber über diesen Punkt gibt es verschiedene Ansichten. Wenn du deine Argumentation auf diese Aussage aufbaust, dann gilt deine Argumentation natürlich nicht für denjenigen, der in diesem Punkt einen anderen Standpunkt vertritt.

Du hattest zuvor noch gesagt, dass "nichts, was einer geistigen Orientierung dienlich ist, einem philosophischen Diskurs entzogen werden kann und soll", d.h. sich auch die Naturwissenschaft nicht der Philosophie entziehen kann und etwas was sich dieser nicht entziehen kann, demnach nicht von ihr unabhängig sein kann. Wenn du dieser Folgerung nicht zustimmt, musst du deine vorangegangene Aussage ändern.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Sa 19. Mär 2005, 15:29 - Beitrag #147

Maurice schrieb:
Du hattest zuvor noch gesagt, dass "nichts, was einer geistigen Orientierung dienlich ist, einem philosophischen Diskurs entzogen werden kann und soll", d.h. sich auch die Naturwissenschaft nicht der Philosophie entziehen kann und etwas was sich dieser nicht entziehen kann, demnach nicht von ihr unabhängig sein kann. Wenn du dieser Folgerung nicht zustimmt, musst du deine vorangegangene Aussage ändern.


Nein, Maurice, dann verstehst Du mich IMHO, wenn nicht objektiv, falsch.
Der Diskurs bedeutet eine Betrachtung einer Sache, ein Nachdenken über sie. Die Sache ist präexistent und im Falle der Naturgesetze wohl auch immer, zumindest bis zu ihrer wissenschaftlichen Widerlegung. Sie ändert sich nicht dadurch, daß wir sie betrachten.
Der Baum draußen steht dort schon lange. Ich kann jetzt auf die Idee kommen, ihn zu untersuchen. Ich besehe mir seine Rinde, seine Blätter, messe den Stammumfang und die Höhe, usw. Wird der Baum von mir abhängig? Nein.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Sa 19. Mär 2005, 16:54 - Beitrag #148

Zitat von janw:Die Sache ist präexistent und im Falle der Naturgesetze wohl auch immer, zumindest bis zu ihrer wissenschaftlichen Widerlegung. Sie ändert sich nicht dadurch, daß wir sie betrachten.
Der Baum draußen steht dort schon lange. Ich kann jetzt auf die Idee kommen, ihn zu untersuchen. Ich besehe mir seine Rinde, seine Blätter, messe den Stammumfang und die Höhe, usw. Wird der Baum von mir abhängig? Nein.

Dem stimme ich dir zwar zu, aber nur weil wir hier den gleichen philosophischen Standpunkt vertreten. Es gibt auch die Möglichkeit diesen zu verneinen, was in der Geschichte schon getan wurde. Daraus folgt, dass unsere Sicht der Dinge nicht selbstverständlich ist.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Sa 19. Mär 2005, 17:59 - Beitrag #149

Au weia, was habe ich falsch gemacht, daß ich offenbar zu Pad im Widerspruche mich befinde? ;)
Der Baum, Maurice, ist nur eine Metapher, wie der Wald, die Wiesen und die Kühe welche sind in der Geschichte, für die Axiome der Naturwissenschaften.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Sa 19. Mär 2005, 18:15 - Beitrag #150

Drück dich doch eindeutig aus. :rolleyes:
Ich dachte du sprachst im letzten Post von einem realen Baum. Wäre dies der Fall gewesen, siehe meinen Post.
Da du dich aber wieder auf deine Metapher bezogst:
Wenn ich dich richtig verstanden habe, sind für dich die Axiome der Naturwisschaft schon immer da und existieren vor dem Menschen. Das sehe ich so nicht, weil ich die Axiome als Produkte des menschlichen Verstandes ansehe. Die Axiome existieren also erst, seitdem sie Menschen denken.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Sa 19. Mär 2005, 19:01 - Beitrag #151

Nun, die grundlegenden Axiome der Mathematik sind wohl erst durch den Menschen gefunden worden, ebenso die Naturgesetze. Gefunden, wohlgemerkt, denn da waren sie schon vorher.

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Sa 19. Mär 2005, 19:39 - Beitrag #152

Die Naturgesetze imo ja, die Axiome der Mathematik nein.
Du scheinst im Gegensatz zu mir einen Zahlenrealismus anzunehmen. Deine Sicht als die unzweifelbar richtige zu bezeichnen wäre genauso falsch, als wenn ich das bei meiner machen würde. Meine Sicht ist für mich plausibler und evidenter und kohärent zu meinen anderen Ansichten. Das wird bei dir wohl auch der Fall sein mit deinen Annahmen und deinem System.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Sa 19. Mär 2005, 20:06 - Beitrag #153

Ein bisschen, aber nicht völlig off-topic: wie definiert man Axiome? Ist die Behauptung, dass etwas so ist, das Axiom, oder die Tatsache, dass etwas so ist?
Wenn man davon ausgeht, dass ein Axiom nicht eine vom Menschen gefundene bzw. erkannte Tatsache, sondern eine erst formulierte Behauptung ist, kann es die Axiome wohl nicht vor dem Menschen gegeben haben bzw. unabhängig von ihm geben, womit auch die Kühe (Baum, Wiesen, Wald) keine Analogie zu Axiomen mehr darstellen würden :)

Vorherige

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste

cron