Seid ihr im 21. Jahrhundert angekommen?

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Habt ihr euch mit dem Zeitenwechsel arrangiert?

Voll und ganz.
13
57%
Nur partiell.
9
39%
Absolut nicht.
1
4%
 
Abstimmungen insgesamt : 23

Traitor
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Di 29. Mär 2005, 11:08 - Beitrag #1

Seid ihr im 21. Jahrhundert angekommen?

Nein, es geht nicht darum, ob jemand cool, uncool, up to date, voll alt ey oder wai ist.
Die, Frage, die ich stelle: Habt ihr euch inzwischen daran gewöhnt, rein numerisch im 21. Jahrhundert zu leben?
Ist "das letzte Jahrhundert" für euch das 20., nicht mehr das 19.?
Geht für euch gerade der erste "Jahrhundertwinter" des 21. zuende?
Wann ist für euch "die Jahrhundertwende"?

Ich selbst habe mich nur sehr partiell daran gewöhnen können. "das letzte Jahrhundert" ist für mich durchgehend weiterhin das 19., aber immerhin ist "das jetzige Jahrhundert" jetzt das 21. und das 20. halt "das 20.". Recht angenehm ist die Situation bei den Wenden, hier kann man 1900 weiterhin als "Jahrhundertwende" bezeichnen und 2000 als "Jahrtausendwende"; das arme Jahr 1000 verliert damit zwar seinen Status, wird aber auch glücklicherweise nicht so häufig gebraucht wie 1900 und kann sich ja immerhin noch als "erste Jahrtausendwende" titulieren.

Nicht direkt damit zusammenhängend finde ich übrigens auch die Tendenz der Medien, "die 90er Jahre" als ferne und fremde Epoche zu bezeichnen, reichlich befremdlich.

Monostratos
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Di 29. Mär 2005, 11:24 - Beitrag #2

Ich habe mit "voll und ganz" gestimmt.

Ich habe mich an den Euro gewöhnt, sehe mich immer mehr als Europäer und dieses Zeitalter als das der Information... Auch wenn es sprachlich für mich grausam ist: Die 00-er (nuller-) Jahre haben für mich die neunziger abgelöst. Aber vielleicht geschieht die Loslösung vom alten Jahrhundert mit der Einführung neuer Gesellschaften (Wie es schon in den letzten beiden der Fall war) leichter, ich denke da ans Internet...


Die neunziger Jahre waren meine Kindheit, und nach meinem Verhältnis zu ihr messe ich, wie weit mir die neunziger sind. Sie (Die 90er) als entfernte Epoche darzustellen, mag evtl. bedenklich sein, idT, ich glaube aber eher, dass die momentan noch im Trend liegenden, retrophilen Nostalgieshows, die jedes noch so unschuldige Thema ausschlachten, dafür verantwortlich gemacht werden können. Ich sehe das aber als weniger kritisch...

Traitor
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Di 29. Mär 2005, 11:32 - Beitrag #3

Die historischen Epochen folgen leider nicht exakt der Jahreszählung, 1905 und 1895 gehörten ja definitiv noch eng zusammen, ebenso jetzt 2005 und 1995. Gewisse Umbruchtendenzen lassen sich jedoch sicherlich erkennen, auch wenn man hoffen darf, dass nichts 1914iges passieren wird.

Zwischen "befremdlich" und "kritisch" ist ja auch noch ein gewaltiger Unterschied ;) Ja, dieses Nostalgiegetue ist sicher der Hauptmotor für dieses Phänomen.

Ipsissimus
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Di 29. Mär 2005, 11:51 - Beitrag #4

ich habe mit "voll und ganz" gestimmt, und das ist in gewisser Weise auch richtig. Jedoch - sich an etwas gewöhnt zu haben, bedeutet imo nicht automatisch, es zu mögen oder "gut" zu finden. Ich stehe dem Jetzt mit der gleichen kritischen Distanz gegenüber, wie ich es seit dem Ausbruch meiner intellektuellen Fähigkeiten, etwa seit meinem 13. Lebensjahr, schon immer, Augenblick für Augenblick, tat. Der Augenblick, zu dem ICH sage, er möge bleiben, wird nicht kommen, wenn ich mal vom Augenblick meines Todes absehe, der auch bleiben wird, wenn ich es ihm nicht sage :-)

von daher ist mit dem "21sten Jahrhundert" für mich die Änderung von ein paar Zahlen verbunden, die ich zur Kenntnis nehme. Mehr nicht.

Feuerkopf
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Di 29. Mär 2005, 12:01 - Beitrag #5

Ich mag ja musikalisch eher in den 70ern steckengeblieben sein ;), aber mit dem 21. Jahrhundert habe ich keine Probleme.
Warum sollte ich mich gegen etwas sträuben, das ich nicht ändern kann?
Seit ich die 40 überschritten habe, bin ich viel mehr am Hier und Heute interessiert, wie das nun benannt wird, ist mir schnuppe.

Die ganzen Retroshows sind zwar putzig und wenn Sachen aus den 70ern kommen, werde ich natürlich sentimental, aber eigentlich sind sie nur ein Symptom dafür, dass keinem Musiker, keinem Designer z. Z. etwas wirklich bahnbrechend Neues einfällt. Alle zitieren nur noch und modifizieren ggfs. ein bisschen.

Ipsissimus
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Di 29. Mär 2005, 12:07 - Beitrag #6

Postmoderne halt :-) wollen tough sein, kriegen aber nur noch Kopien auf die Reihe, die besten vielleicht noch geschickte Kopien mit Modifikationen

janw
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Di 29. Mär 2005, 13:22 - Beitrag #7

Eher gezwungenermaßen bin ich in dieser Zeit angekommen und versuche, mich nicht völlig von ihr vereinnahmen zu lassen.
Ich kann nicht umhin, analog groß geworden zu sein und noch so zu denken, mein Weg zur Musik oder zum Buch führt mich immer noch zu Fuß in den entsprechenden Laden.
Auch was das Zwischenmenschliche betrifft, bin ich froh, kein Atomisierter zu sein, wie Adorno es glaube ich einmal ausdrückte, einen großen Teil meiner Mitmenschengruppe treffe ich regelmäßig real, alle für das Miteinander relevanten Dinge tausche ich, so irgend geht, von Angesicht zu Angesicht aus oder doch zumindest von Mund zu Ohr. e-mail u.ä. nur, wenns gar nicht anders geht, zu sehr gehen mir hier Nuancen der Wortgewichtung verloren.

So gesehen ist das "letzte Jahrhundert" für mich irgendwie immer noch das 19., zumal "das letzte JH" für mich immer jenes war, das mein Leben nur noch mittelbar beeinflußte. Eine wirklich sinnvolle Zeitdiskriminante wäre somit eher 1945 oder 1950, denn die Nachkriegszeit, das Wirtschaftswunder prägte meine Eltern, meine Zeit die Reflexion darüber und die Einsicht in die Endlichkeit von Wachstum und Ressourcen.

Mag sein, daß ich ein wenig hinterher hinke in der Zeit, doch was will man anderes erwarten von jemand "Too old to rock´n Roll...? ;)

Maglor
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Di 29. Mär 2005, 15:40 - Beitrag #8

Ich denke die Postmoderne liegt hinter der Menschheit. Eine sinnvolle Grenze zwischen den Epochen stellen gewissermaßen ungefähr die Jahre 1945 und 1989 dar.
Dies mag eine kluge Lösung sein, wenn man sich auf die poltische Geschichte beschränken möchte.
So gesehen entzieht sich die Postmoderne sogar meiner Erinnerung, ich bin ja quasi in die Post-Postmoderne, jene noch namenlose Zeit, fast hineingeboren. Fremd und fern erscheint mir da etwa das geteilte Deutschland oder die Blockpoltik und überhaupt jegliche Politik vor dem Kabinett Kohl.

MfG Maglor

Jatrix
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Mi 30. Mär 2005, 17:29 - Beitrag #9

Bei mir ist es immer noch so, wenn jemand sagt "Das ist schon 1999 passiert (oder so ähnlich)." dann denke ich "Ach, das ist doch erst 2-3 Jahre her." Dabei ist das ja logischerweise ne viel länger her. Das ist das einzige wo ich mich noch nicht dran gewöhnt hab. Ansonsten gehts.

dmz
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Do 31. Mär 2005, 21:47 - Beitrag #10

Zitat von Traitor:Ich selbst habe mich nur sehr partiell daran gewöhnen können.
"das letzte Jahrhundert" ist für mich durchgehend weiterhin das 19.,
aber immerhin ist "das jetzige Jahrhundert" jetzt das 21.

:::
Das verstehe ich nicht ganz (?)
Wo ist das Empfinden fuer das 20.Jht geblieben ?
-----
-----
Ich habe mit 'partiell' abgestimmt, weil ich mich als Menschenkind
diesseits und jenseits einer Jahrtausendwende (2000) empfinden muss.
Und das wird auch mein ganzes Leben lang so bleiben,
gegen das Ende des 20. und am Anfang des 21.Jht. gelebt zu haben.
Das 19.Jht. ist fuer mich weit zurueckliegende 'Vorvergangenheit',
wenn auch die Geschichtsereignisse mich noch erreichen moegen.
:::
Die wesentlichen Elemente meines Lebens haben im 20.Jht. stattgefunden;
sie haben uebergegriffen auf die erste Haelfte des 21.Jht.
Dennoch fuehle ich nicht in den Zeitabschnitten der betroffenen Jahrhunderte.
Ich beziehe - eher aus praktischen Gruenden - mein Denken auf die Jahrzehnte;
in Anlehnung an mein eigenes Leben, das ich in 3 Drittel einteile (etwa 25, 50, 75+).
In Texten und Reden spreche ich z.B. von Dekaden, allgemein von den 1980ern,
der ersten oder der zweiten Haelfte der 1980er.
Gemessen am eigenen Lebensalter ist auch ein Denken in Generationswechseln moeglich (ca.25J),
wenn man z.B. ans Berufsleben denkt: 'Wachabloesungen'.
Manche Lebensplanung hat auf dieses Zeitgefuehl gesetzt.
:::
Anders sieht es aus, wenn ich mich mit geschichtlichen Daten auseinandersetze.
Dann spreche ich, - abgesehen von bestimmten Jahreszahlen oder Jahrzehnten -,
von Epochen oder Jahrhunderten und Jahrtausenden,
wobei die Epoche neben einer Zeitangabe attributive Bedeutung hat (Kunst, Politik, Krieg ...).
Die Medien bedienen sich haeufig epochaler Ereignisbeschreibung:
z.B. 'die sexuelle Revolution' beginnend Anfang der 1970er Jahre.
Und so verfahre Ich auch, ohne es befremdlich zu empfinden.
Die Geschichtskenntnisse vermitteln mir quasi ein Nachempfinden fuer Zeitabschnitte,
die ich nicht bewusst erlebt habe.
:::
Die Menschen haben m.E. abhaengig von ihrer eigenen Bedeutung im Leben
und von ihren Interessen und von ihrer Bildung verschiedene Vorstellungen von den Zeitabschnitten.
Ich kenne Menschen, die voellig 'geschichtlos' leben.
Sie denken nicht in Jahrhunderten oder Jahrtausenden, - manchmal vermutlich nicht einmal in Jahrzehnten,
wobei letzteres fuer ihr eigenes Leben so wichtig waere;
denn das Leben, - kaum hat es angefangen -, schreitet ueberraschend schnell fort .....

Feuerkopf
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Fr 1. Apr 2005, 01:37 - Beitrag #11

Vor 30 Jahren war ich ein Teenager, in den 70ern des 20. Jahrhunderts. Dreißig Jahre vorher war Krieg. 1969 stand jemand auf dem Mond. So what?!

Ist doch alles willkürlich. Es gibt genügend Menschen auf diesem Planeten, die mit ganz anderen Kalendern rechnen.
Für mich ist die Jahreszahl nur eine Orientierungshilfe, um meine Erinnerungen zu sortieren.

Traitor
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Fr 1. Apr 2005, 21:46 - Beitrag #12

@dmz: Das 20. Jahrhundert ist genau im Ende des Satzes geblieben, das du warum-auch-immer nicht zitiert hast ;)
und das 20. halt "das 20.".


@Ipsi und Maglor: Ich hoffe, mit dieser verhunzten Verwendung von Moderne und Post^x-Moderne wird irgendwann mal aufgeräumt.

@Feuerkopf:
Es gibt genügend Menschen auf diesem Planeten, die mit ganz anderen Kalendern rechnen.
Und wenn ich mir z.B. den jüdischen angucke, bin ich heilfroh, dass wir so einen halbwegs übersichtlichen erwischt haben *g*

Ipsissimus
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Sa 2. Apr 2005, 00:23 - Beitrag #13

muss ich das verstehen, Traitor?

der Begriff der "Moderne", wie er in den 50er Jahren sich herauskristallisierte, oder öfter noch der Begriff des "Projekt Moderne" orientierte sich an Vorstellungen rationaler Weltauffassung, die auch dann noch rational zu bleiben hatte - so der Anspruch - wenn persönliche Befindlichkeiten ins Subjektive verwiesen. Auf dieser Basis entstanden im Bereich künstlerischen Schaffen der Serialismus (Musik), Farbfeldmalerei (Bildende Kunst) und (ursprünglich dadaistisch geprägte) Experimental-Wortkreationen.

Die Philosophie blieb merkwürdig unberührt, hatte allerdings mit Adorno einen Vertreter im Rennen, der auf raffinierte Weise zu verbergen wußte, daß er eigentlich ein konservatives Bürgerschwein war (das sage ich als Fan von Adorno :-) )

Nun, die Moderne scheiterte bald -- zumindest war sie unbeliebt. Wer hat schon je mit Genuß - GENUSS - seriellen Kompositionen gelauscht - ich mag serielle Kompositionen, wirklich, aber Genuß, Genuß im eigentlichen Sinne? - oder mit Genuß dichterische Wortschöpfungen wie

ah ah ah
o o o
ah ah ah
o o o
aha aha aha

gelesen? Ich kenne ein paar, die es behaupten, aber wie wenige unter wie vielen ...

laß uns aber schweigen von moderner Architektur ... und von postmoderner Architektur erst recht - mir kommt das Kotzen, wenn ich durch die Neubauviertel meiner Stadt schlendere ... das Bauhaus ist trotz seiner modernen Ansätze eine Vergewaltigung

Ob die Moderne im eigentlichen Sinne noch kreativ war, sei dahingestellt - die Postmoderne ist es sicher nicht, und auch nicht die Postpostmoderne.

Ich empfehle die Lekture der wichtigsten Werke von Jaques Derrida, Pierre Bourdieux, Michel Foucault und Niklas Luhmann, danach können wir gerne weiter plaudern. Und bitte unterstelle mir nicht, ich wüßte nicht, wovon ich rede, wenn ich Begriffe wie Moderne oder Postmoderne oder viele andere benutze. Ich habe die Scheisse excessiv studiert, auch wenn ich sie hier im Forum gelegentlich ins Triviale herunterbreche.

Feuerkopf
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Sa 2. Apr 2005, 00:58 - Beitrag #14

Es kann doch nicht alles schon gedacht oder komponiert oder erfunden sein!

Mir fehlt die Leichtigkeit, die Unbekümmertheit, der Spaß am Absurden und Provokanten, der für mich mit manchen Kunst-, Musik- und Moderichtungen verbunden ist.
Für mich waren speziell Fluxus oder Pop-Art ein großes Vergnügen.
Ich habe die Gebäude eines Frank Lloyd Wright geliebt und bedaure, dass La Sagrada Familia nie fertig wurde.

Bin sehr gespannt, was an Ideen ausgebrütet wird, in den nächsten Jahrzehnten. Die Leute sollten nicht so schrecklich pragmatisch sein. Dieses ganze Um-zu geht mir komplett auf den Senkel! Ohne Platz für Träume wird es auch keine wirkliche Weiterentwicklung geben.

janw
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Sa 2. Apr 2005, 01:15 - Beitrag #15

Feuerkopf, Du hast recht, das ist ja das Debakel:
Im Namen der heiligen Wirtschaft wird alles nur noch in Zweckkategorien gemessen. Kreativität hat monetär nur begrenzten Wert, wird deshalb für entbehrlich gehalten.

"Die größte Macht ist Deine Phantasie, wirf die Schuhe weg und schmeiß sie gegen die, die mit ihrer Macht Deine Kräfte brechen wollen. Denn unter dem Pflaster, ja da liegt der Strand, komm reiß auch Du ein paar Steine aus dem Sand."
Auch das ist ein Stück Moderne, bzw. Aufbegehren gegen ihre Zumutungen.

Traitor
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Sa 2. Apr 2005, 11:39 - Beitrag #16

@Ipsi: Dir zu unterstellen, dass du nicht weißt, wovon du redest, wage ich nicht. Allerdings tue ich dies gegenüber dem gesamten Literatur-, Architektur-, Sonstige-Kultur-Meta-Betrieb, der irgendwann mal auf diese ungeheuer dämliche Idee kam, mit "Moderne", was logischerweise und im normalsterblichen Sprachgebrauch eigentlich die Jetztzeit bezeichnet, plötzlich eine bestimmte Epoche zu bezeichnen. Und dann natürlich plötzlich auch Bedarf für Post^x-Modernen hatte, da die Moderne ja auf einmal vorbei sein konnte, so widersinnig das auch ist.
Übrigens habe ich in der Schule als Moderne die noch rational geprägte Zeit gelernt - in der Literatur die Manns und Konsorten, in der Architektur die klassischen Hochhausbauten, etc. Das, was du hier als Moderne bezeichnest, kenne ich bereits als erste Post-Stufe, die Aufhebung der bekannten Strukturen. Die Post-Post-Moderne dann wieder als teilweise Rückkehr, die Post³ als teilweise Rückkehr von der Rückkehr, usw. ... Da ich wie gesagt nicht vermute, dass du da etwas verwechselst: wäre es möglich, dass diese Einteilung wie so ziemlich alles in diesen "Wissenschaften" recht schwankend ist?

janw
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Sa 2. Apr 2005, 12:45 - Beitrag #17

Traitor, der Begriff der Moderne als Epochenbezeichnung ist gewiß genauso abstrus, wie sein gedanklicher Entstehungshintergrund.
Alle Epochen wurden früher in ihrer Aktualitätszeit entweder nur als Jetzt oder "Im Jahre x des Königs wzg" bezeichnet, die charakterisierende Bezeichnung erfolgte von außen oder rückblickend aus der folgenden Epoche heraus. (Wobei, hinsichtlich der Romantik bin ich mir da nicht ganz sicher) Die Selbstbezeichnung als "Moderne" offenbart denn für mich eine Portion Selbstüberschätzung. Die Moderne hatte den Anspruch, gewissermaßen ultimativ zu sein, alle "Lasten der Vergangenheit" hinter sich zu lassen, sich eben selbst zu benennen und alle Bereiche ihrem Diktat zu unterwerfen.
Danach kann logischerweise nur Post kommen, wenn man nicht auf Neo- zurückgreifen will.
Letztlich also eine Schöpfung hilfloser Würstchen, die in der alles vereinnahmenden und vereinheitlichenden Technik das Heil für den Menschen sehen, der dazu aber wegen Unperfektheit und mangelnder Einheitlichkeit am besten abgeschafft werden sollte, cum grano salis ;) . Die diversen Post- und Retrowellen hinterher könnten als Phasen des Aufbegehrens gesehen werden, gegen die Zumutung der postulierten Ultimativität und gegen die Zumutungen, die das Verneinen allen Nichtrationalen letztlich bringt.
Letztlich aber sind durch die Moderne alle Nichtmodernismen gleichwertig gesetzt worden, und die Rückbesinnung auf sie erfolgt daher beliebig.
So war wohl die Moderne das Rasiermesser, das das Rationale vom Rest trennte, Post und Retro bemühen sich um Verhübschung und Bemäntelung durch beliebige Zitate des Nichtrationalen.
Anything goes, solange die Maschine regiert...

Ipsissimus
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Sa 2. Apr 2005, 13:35 - Beitrag #18

Traitor, zunächst möchte ich mich bei dir entschuldigen; der letzte Satz meines vorigen Postings war überflüssig aggressiv formuliert. Sorry, bitte.


Du hast natürlich recht mit deiner Bemerkung. Die "Moderne" ist Schlagwort für Literatur- und Kunstströmungen am Ende des 19. Jahrhunderts, die durch den Bruch mit überkommenen ästhetischen Normen einem kritischen Dekadenzbewusstsein Ausdruck verliehen. Schon in der Romantik hatte sich bei Schlegel eine Bedeutung des Begriffs herausgebildet, die den Gesamtprozess der Emanzipierung der christlich-abendländischen Bildung von der Antike erfasste; Gutzkow verwendete im Vormärz den Begriff erstmals für aktuelle Tendenzen in der Kunst.

Als "die Moderne" wurde dann 1886 erstmals der Naturalismus bezeichnet, 1890 übertrug jedoch Bahr den Begriff auf die antinaturalistischen Strömungen (Impressionismus, Symbolismus, Neuromantik).

Aus heutiger Sicht werden die avantgardistischen Richtungen und Strömungen der folgenden Jahrzehnte (Expressionismus, Dadaismus, Futurismus, Surrealismus; moderne Kunst), die die vorangegangene Generation durch ästhetische Experimente immer aufs Neue schockierten, in den Begriffsinhalt einbezogen, ebenso die parallelen Entwicklungen in der Architektur (moderne Architektur). Die Forderung der Moderne nach ständiger Erneuerung, ihre Ablehnung jeglicher Tradition wurde in der Postmoderne aufgehoben.

Mein Modernitätsbegriff ist wesentlich durch die sog. "avantgardistische Moderne" geprägt, also durch Künstler, deren wichtigstes ästhetisches Problem darin bestand, daß sie durch und nach dem Zweiten Weltkrieg im Prinzip von den ästhetischen Tendenzen der Vorkriegszeit abgeschnitten waren - "im Prinzip" deswegen, weil sich im Laufe der Zeit herausstellte, daß dies so absolut auch nicht stimmte, und im Prinzip sich völlig neue und eigenständige ästhetische Maximen erarbeiteten. So hatte z.B. bei den ersten Donaueschinger Tagen für neue Musik ein Adorno, der dafür eigens aus USA zurückkam, ein ästhetisches Ideal vor Augen, das sich an Schönberg, Webern u.a. "Neutönern" orientierte, und war dann völlig verstört, als ihm die neuen Komponisten wie Boulez, Stockhausen, Xennakis, König u.a. eine Musik um die Ohren hauten, die mit 12tönigkeit praktisch überhaupt nichts zu tun hatte.

Darauf bezieht sich das sog. "Projekt Moderne"; neben diesen und viel mehr Komponisten gehörten ihm auch Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Adorno (der seinen Schock schnell überwandt) an und seine Hochphase waren die 50er und frühen 60er Jahre, ehe sich dann langsam erste "postmoderne" Künstler "einschmuggelten".


Feuerkopf, ob wirklich schon das Gesamte der Ästhetik ausgeschöpft ist, kann mit Fug und Recht bestritten werden. Faktum ist aber auch, daß auf viele hochgreative Epochen Epochen mit geringer Kreativität folgten, ehe sie von etwas ganz anderem abgelöst wurden. So folgte z.B. auf die Hochphase "Barock" der "Rokoko", der im Grunde nichts eigenständiges mehr hervorbrachte und daher sehr schnell von der Klassik abgelöst wurde. Ich vermute, daß wir uns in einer solchen Phase befinden; was das Neue sein wird, das ihr folgt, ist imo noch nicht abzusehen. Derzeit sehe ich allenthalben Wiederholung des schon längst Bekannten - Neuarrangements, die durchaus witzig sein können, aber im wesentlichen eben immer noch vom Altbekannten leben.

Traitor
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Sa 2. Apr 2005, 19:58 - Beitrag #19

Ich hatte den Schlusssatz nicht als Aggression aufgenommen, keine Sorge. Entschuldigung deshalb natürlich angenommen.

Dieser spezielle Moderne-Bereich mit dem Projekt war mir bis dato vollkommen unbekannt. Allerdings muss ich auch zugestehen, dass sie nicht die Richtung zu sein scheint, bei der ich das allergrößte Interesse hätte, dies allzusehr zu ändern ;) Ein wenig Metainformation kann man sich aber sicher mal anlesen.

Grob zusammenfassend könnte man also sagen: Als Moderne wurden und werden über lange Zeit verschiedenste Richtungen bezeichnet - als Eigenbezeichnung, um sich besonders fortschrittlich zu zeigen, und als leicht herabsetzende Fremdbezeichnung, um den anderen als zu wenig oder zu sehr fortschrittlich zu bezeichnen, während man selbst schon reichlich post war.

Maglor
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Mi 6. Apr 2005, 19:23 - Beitrag #20

Um der epochalen Diskussion und Moderne und Postmoderne endgültig den Todesstoss zu versetzen, werden einfach den nächsten epochalen Epochenbegriff in den Raum setzen.
Gelegentlich sprechen Historiker vom langen 19. Jahrhundert und vom kurzen 20. Jahrhundert.
Paradox klingt diese Aussage allerdings, da (mit Ausnahme weniger Schaltjahr-Phänomene) alle Jahrhunderte gleich lang sind. Freilich gibt man in diesem Fall nicht den Zahlen sondern der Geschichte den Vorzug. Sprich die Geschichte wird in epochale Sinnabschnitte unterteilt und nicht nach den runden Zahlen.
So beginnt das lange 19. Jahrhundert 1789 und endet 1917 oder 1918, je nachdem ob man die Oktober Revolution oder das Ende des Zweiten Weltkrieges als Endpunkt annimmt. Da kurze zwangigste Jahrhundert beginnt wiederum 1917/18 und endet 1989 mit dem Mauerfall.
Das 19. Jahrhundert ist von der Idee des Nationalismus, der Demokratisierung und auch Kolonialismus geprägt. Prägend für ganz Europa wird der Code Civil Napoleons, ebenso tobt überall die 48er Revolution. Im gleichen Zeitraum teilen die Europäer Afrika und große Teile Asiens untereinander.
Das kurze 20. Jahrhundert wird vom real existierenden Sozialismus geprägt, welcher in der Oktoberevolution seinen Anfang findet. Die nichtkommunistische Welt hingegen ist damit beschäftigt ihn abzuwehren, sei es direkt nach dem ersten Weltkrieg der Krieg mit Polen, der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg und dessen heißen Momente.Lediglich die wenigen Jahre der Allianz im Zweiten Weltkrieg bilden die Ausnahme des Friedens zwischen Ost und West. Ferner ist diese Epoche postkolonial, indem Sinne, dass sich nahezu alle Kolonien unabhängig machen. Auch dies prägte das vergangene Jahrhundert enorm.
Nun ist also dass kurze 20. Jahrhundert überwunden und wir befinden uns im 21. Jahrhundert, welches 1989 begann und dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Oder ist die Welt etwa seit dem 11.9.2001 eine andere? Nach und nach sterben die letzten Dinosaurier, die das 20. Jahrhundert überlebt haben: Arafat, Johannes Paul II…
Fidel Castro ist wohl nun der letzte regierende Dinosaurier des 20. Jahrhunderts und auch sein Ende ist wohl unausweichlich. Noch trotz auch Lenin, der Begründer jener Epoche, in seinem Glassarg den Zeiten, doch schon wird auch über seine Einäscherung diskutiert.
Wie dem auch sei, ich für meinen Teil bin kein Kind des 20. Jahrhundert, obwohl ich doch noch in die letzen Jahre der schwindenden Epoche hingeboren wurde. Fraglich ist nur, was aus nur, was aus diesem Jahrhundert noch wird. Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Europäer. Das 20. Jahrhundert war der Verfall der europäischen Dominanz, das Ende der Kolonialreiche sowie die Teilung durch die Blöcke, geprägt durch Amerika und die schon eher asiatisch anmutende Sowjet-Union. Das 21. Jahrhundert begann die USA als unbestritter Sieger auf ganzer Linie, doch auch über rinnt der Sand der Glückseligkeit durch das Uhrglas. Vielleicht ist erleben wir ja gerade den Fall eines Riesen, eines weiteren Dinosauriers. Vielleicht ist dieser merkwürdige Feldzug gar nicht der Anfang des 21. Jahrhunderts sondern nur das Ende 20.
MfG Maglor :rolleyes: :confused: :crazy:


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