Definition von "Wissen" und die Folgen

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Do 21. Apr 2005, 12:18 - Beitrag #1

Definition von "Wissen" und die Folgen

Zwar hatte ich E-noon dazu aufgefordert diesen Thread aufzumachen, aber jetzt mache ich es doch selbst. Sie kann ja ihre PN dann ja hier posten. Wir haben gestern nämlich ein wenig über den Begriff "Wissen" diskutiert, weil mir am gestrigen Uni-Tag ein paar Gedanken kamen. Ich habe zwar schon die letzten Tage häufiger über das Thema nachgedacht, aber gestern bin ich zu einem vorläufigen Schluss gekommen.

Im folgenden werde ich der Einfachheit halber keine Unterscheidung zwischen Aussage und Proposition machen. Die Grundlage meines Wissensbegriff ist die Korrespondenztheorie von Wahrheit, also dass eine Aussage dann wahr ist, wenn sie mit den Tatsachen übereinstimmt.
Mir scheint die klassische Definiton von Wissen am sinnvollsten. Wir wissen etwas, wenn:
1. wir eine Meinung vertreten
2. diese Meinung gut begründet ist
3. diese Meinung war ist

Die ersten beiden Bedingungen sollten in den meisten Fällen erfüllt werden, aber die dritte stellt ein Problem dar, denn wie soll man beweisen, dass eine Meinung wahr ist? Man muss beweisen, dass die Prämissen der Konklusion (=Folgerung/These) richtig sind. Es sei hier vorausgesetzt, dass mittels der gängigen Logik Folgerungen aus Prämissen zu den richtigen Konklusionen führen. Jede Prämisse ist aber wieder eine Konklusion die auf anderen Prämissen beruht. Wenn eine Prämisse falsch ist, dann ist jede Aussage, die darauf aufbaut zweifelhaft. Es gilt daher alle Prämissen zu beweisen, um sichere Konklusionen zu erhalten und nur solche Konklusionen sind als Wissen zu bezeichnen.

Dabei stellt sich nun das Problem, dass es unbeweisbare Prämissen gibt, nämlich aus folgenden Gründen:
1. Wir können die Existenz der Außenwelt nicht bweisen
2. Indukuktive Schlüsse bergen immer einen Rest Zweifel

Man die Existenz der Außenwelt aus pragmatischen Gründen als Axiom voraussetzen (wofür ich auch plädiere), was aber nicht daran ändert, dass dieses Axiom eine unbeweise Prämisse ist und daher nicht zu Wissen führen kann. Jede Meinung über die Außenwelt kann also nur ein mehr oder weniger gut begründete Meinung sein, aber niemals Wissen.
Wir halten bestimmte Dinge für wahr, was ich kurz als glauben bezeichnen möchte. Glauben ist hier also nicht religös gemeint oder im Sinne von vermuten. Glauben meint also, dass nur die ersten beiden Bedinungen der Definition von Wissen erfüllt sind. Vermuten dagegen erfüllt nur die erste Bedingung.

Soviel bis hier.

Ipsissimus
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Do 21. Apr 2005, 14:16 - Beitrag #2

ich halte die "klassische Definition" (wo wird sie übrigens als solche beschrieben?) für fraglich, weil

1) der Begriff der "Meinung" eingeführt wird (ohne ihn zu definieren), der auf derselben Abstraktionsebene liegt wie "Wissen"
2) auch ersichtlicher Blödsinn "gut begründbar" ist, wie die Sophisten demonstriert haben
3) auch dann, wenn eine "Meinung" den beiden ersten Punkten genüge tut, sie bloß "zufällig" richtig sein kann, also nicht Ergebnis eines Erkenntnisgewinnungsprozesses mit erfolgter Verifikation sein muss.

Unbeweisbare Prämissen gibt es übrigens nicht wegen der Unwiderlegbarkeit des Solipsismus; solange dieser "stabil" ist, gilt das, was üblicherweise über die "reale Wirklichkeit" ausgesagt wird, für die solipsistische Weltschöpfung - damit ist es auch nicht notwendig, die reale Existenz der Außenwelt - oder überhaupt reale Existenz - als Axiom zu postulieren - solange es genügend umfangreiche Schnittflächen der Beschreibungen der Welt gibt, gelten alle Aussagen für diese Schnittflächen.

Ich denke, deine Darlegung impliziert den Versuch, so etwas wie "absolute Gewissheit" zu schaffen oder vielmehr zu beschwören. Das gelingt nicht, wie du selbst schreibst, aber du scheinst darunter zu leiden, anstatt es zu genießen :-)

Maurice
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Do 21. Apr 2005, 15:20 - Beitrag #3

Ich hatte früher mal Probleme mit diesem Skeptizismus, aber mittlerweile nicht mehr. Ich brauche keine Beweis, dass die Außenwelt existiert, denn solange ich keinen Grund habe an meinen Sinneswahrnehmungen zu zweifeln, nehme ich diese als Grundlage für meine Meinungen über die Außenwelt. Alle diese Meinungen sind aber kein Wissen, sondern Glaubenssätze.

Unbeweisbare Prämissen gibt es übrigens nicht wegen der Unwiderlegbarkeit des Solipsismus; solange dieser "stabil" ist...

Schön und gut, das ist die gängige Denkweise, aber hält diese einer kritischen Hinterfragung doch nicht stand.

Meine Überlegungen sind nicht bloße Spielereien, denn wenn wir die dritte Bedingung aus dem Wissensbegriff nehmen, dann können wir zu paradoxen Aussagen kommen. Begegnen sich z.B. zwei Vertreter von zwei verschiedenen Religionen, so könnte der eine meinen, dass er wüsste dass sein Gott existiert, was aber der andere verneinen würde und seine Meinung als Wissen bezeichenn würde. Diese Meinungen würden beide mit ihren Erfahrungen und ihrem restlichen Weltbild zusammenpassen und für die Vertreter widerspruchsfrei sein. Wir hätten zwei Personen, die beide Wissen besäßen, das sich aber widerspräche.
Man könnte nun meinen, dass in solchen Fällen einfach von Glauben die Rede sein sollte. Das hieße aber, dass immer wenn zwei Menschen verschiedener Meinung sind, sie plötzlich statt Wissen Glauben sagen müssten und sie, sobald sie sich wieder trennen würden, wieder von Wissen sprechen würden.

@"wo wird sie als soclhe beschrieben?":
Platons berühmte Definition lautet: "Wissen ist wahre, mit Begründung versehene Meinung."
Ich habe die Aussage lediglich etwas anders formuliert. Natürlich ist sie nicht allein deshalb wahr oder die beste, weil sie von Platon kommt. Aber sie deckt sich mit meiner Vorstellung.
Was willst du groß an "Meinung" definieren? Ich glaube, dass wir darunter etwa alle dasselbe verstehen, weshalb mir eine zusätzliche Definition überflüssig erscheint. Wenn du aber so darauf bestehst, kannst du ja eine posten. ;)

3) auch dann, wenn eine "Meinung" den beiden ersten Punkten genüge tut, sie bloß "zufällig" richtig sein kann, also nicht Ergebnis eines Erkenntnisgewinnungsprozesses mit erfolgter Verifikation sein muss.

Weshalb die ersten beiden Punkte nicht ausreichen, damit eine Meinung Wissen ist.

2) auch ersichtlicher Blödsinn "gut begründbar" ist, wie die Sophisten demonstriert haben

Weshalb es noch andere Kriterien gibt, nach welchen wir eine Meinung für wahr halten. Auf diese wollte ich aber jetzt noch nicht eingehen.

Ipsissimus
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Do 21. Apr 2005, 16:21 - Beitrag #4

Nun, eigentlich wollte ich es nicht so dramatisch sagen, aber du zwingst mich dazu :-) : Platons Definition (die ich natürlich kenne, ich wollte nur wissen, wo sie als "klassisch" charakterisiert wurde) ist imo ungeeignet, wenn nicht gar Blödsinn.

erst mal operiert er mit unsauberen Begriffen ("Meinung", "wahr", "Begründung") und

zweitens ist die Definition tautologisch insofern, als "Wissen" immer "wahres Wissen" ist (ansonsten wäre es Nichtwissen), der Begriff, über den die Definition erfolgt, also bereits im zu definierenden Begriff enthalten ist;

drittens verwendet er die erklärenden Begriffe, als trügen sie stabile, "absolute" Bedeutungen.

Außerdem ist es schlechter Stil, einen Begriff einer bestimmten Abstraktionsebene mit einem Begriff gleicher oder höherer Abstraktionsebene zu definieren, da hierdurch nichts gewonnen wird, sondern nur eine Verlagerung des Problems vorgenommen wird.

Vorschlag zur Definition

"Wissen" beschreibt das Ausmaß der (tatsächlichen, nicht der potentiellen) Befähigung eines Menschen, Daten (Einzeldaten oder Datenverbünde) hinsichtlich ihrer Bedeutung für ein gegebenes bzw. im Rahmen eines gegebenen Deutungssystems sicher zu erfassen.

Maurice
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Do 21. Apr 2005, 17:31 - Beitrag #5

1. Wenn du kritisierst, dass nicht alle Teile meienr Definiton (z.B. Meinung) definiert sind, dann kann ich das auch bei deiner kritisieren. Definiere mal Daten, Befähigung, Bedeutung usw.
Und beschwer dich nicht, ich wende nur deine eigene Methode an deiner Definition an.

2. Kann deine Definiton zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Ich gehe mal davon aus, dass wir alle den Standpunkt vertreten, dass es nicht sein kann, dass jemand sagt A gleich B ist und ein anderer, dass A ungleich B ist und beide Aussagen wahr sind. Nach deiner Definition könnten beide Personen ihre Meinung als Wissen bezeichnen. Nach welchem Kriterium würdest du dann beurteilen, welche Meinung richtig ist?

e-noon
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Do 21. Apr 2005, 17:51 - Beitrag #6

Mein Vorschlag wäre etwa:

1) Absolutes Wissen; ist definiert als unanzweifelbares Wissen, wobei das einzige, was man absolut wissen kann, ist, dass man selbst existiert.

2) Wissen; Axiome, die nicht unanzweifelbar, aber widerspruchsfrei und logisch und dem Menschen als a priori Wissen gegeben sind; ein Beispiel dafür ist "Die Sinneseindrücke, die unser Gehirn interpretiert, haben tatsächlich ihre Entsprechung in der Wirklichkeit" oder "andere Individuen sind ebenso real wie wir" oder auch "Was wir nach genauer Überprüfung für logisch befinden, ist es auch" ; das alles wissen wir, obwohl wir es in Frage stellen können, also zB. auch mathematische Axiome (wenn a+b=c, dann ist b+a=c)...

3) Annahme mit hoher Wahrscheinlichkeit (...zu lang...); mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen können wir die Ergebnisse von Induktion und Deduktion, zb. "Morgen wird die Sonne aufgehen" oder "Etwas Zerbrechliches, auf das ich eine große Kraft ausübe, wird zerbrechen" sowie die als gesichert betrachteten Inhalte der Naturwissenschaften, also nicht die neuesten Theorien wie etwa die StringTheorie, sondern Dinge wie "es gibt Atome" und "es gibt Bakterien/Zellen und sie können für Krankheiten verantwortlich sein"

Darauf folgen vermuten; "Das Licht geht an, wenn ich den Schalter drücke" (könnte ja auch kaputt sein), glauben (steht nicht im Widerspruch zu bestehenden Axiomen, kann jedoch auch nicht durch sie bewiesen werden, zB. "unabhängig von Materie gibt es noch etwas anderes, das keinen Einfluss auf diese ausübt" >>Gott<<)

Daher kann man, wenn sich zB. zwei Vertreter verschiedener Religionen treffen, von verschiedenen Meinungen oder Vermutungen sprechen, aber nicht von unterschiedlichem Wissen. Damit bleibt das Problem, dass Wissen sich theoretisch als falsch herausstellen könnte, aber dennoch würde ich es, um nahe am Sprachgebrauch zu bleiben, als Wissen definieren.

Maurice
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Do 21. Apr 2005, 18:09 - Beitrag #7

Axiome, die nicht unanzweifelbar, aber widerspruchsfrei und logisch und dem Menschen als a priori Wissen gegeben sind

1. Was ist für dich Wissen a priori? Dass wir Sinneseindrücke haben bezeichne ich als etwas empritisches, weil sie ja erfahren werden. Ich stelle in Frage, dass wir Dinge a priori Wissen können, sondern dass es nur a priorische Prinzipien in uns gibt.

2. Die Bedingungen die du aufzählst haben Theisten auch schon als erfüllt betrachtet. Ein ontologischer Gottesbeweis erfüllte nach Auffassung mancher Menschen diese Bedingungen, unserer Meinung nach tut dieser das aber nicht. Wie kann man also feststellen, wer recht hat? Die Logik? Es gibt nicht DIE EINE Logik und selbst wenn man dieselbe hat, muss man nicht zu denselben Schlüssen kommen.

3. Imo sind Aussagen nur innerhalb eines Axiomensystems wahr oder falsch und wenn man verschiedene Systeme hat, dann kann es zu verschiedenen Antwort auf die Frage geben, ob etwas war oder falsch ist.
Wir würden die Existenz Gottes nicht als ein Axiom bezeichnen, aber das wurde (und wird wohl noch) von einigen Menschen vertreten. Wenn wir nun Axiome nicht belegen oder widerlegen kannst, dann müssen wir wohl sagen, dass der Christ weiß, dass Gott existiert und der Grieche weiß, dass Zeus existiert. Das hieße, dass man falsches Wissen haben kann. Das widerum widerspricht meinem Verständnis des Wortes Wissen und ich vermute, dass ist nicht nur bei mir der Fall.

Ipsissimus
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Fr 22. Apr 2005, 10:01 - Beitrag #8

Maurice, ich kritisiere lediglich den Umstand, daß mit unscharfen Begriffen eine scharfe Definition formuliert werden soll. Wenn die Definition den Ansprüchen eines formalisierten Kontexts genüge tun soll (so hatte ich deine Darlegungen aufgefaßt), müssen alle ihre Elemente scharf definiert sein. Wenn Platon z.B. statt "Meinung" "Aussage" verwendet hätte ("Eine Aussage ist ein grammatisch korrekter Satz einer Sprache"), wäre seine Definition schon viel besser verwendbar gewesen.

Tatsächlich plädiere ich für eine sehr viel unschärfere Definition. Der Begriff "Wissen" scheint mir im umgangssprachlichen Kontext sehr viel mehr einen Euphemismus darzustellen als daß er den Ansprüchen fachlich-sachlicher Diskussion gerecht würde (was z.B. durch das belegt wird, was hier wie in unzähligen anderen Foren an "Wissen" in die Diskussionen einfließt). Obwohl ich nicht bezweifele, daß in Fachsprachen eine starke Annäherung an exaktes Wissen erreichbar ist, bleibt diess doch wieder nur auf den fachlichen Kontext beschränkt (was ein schwarzes Loch in der Diskussion zwischen zwei theoretischen Physikern ist und was davon auf populärwissenschaftlichem Niveau übrigbleibt, sind zwei völlig verschiedene Sachen).

Im realen Alltagsleben bleibt "Wissen" imo ein unscharfes Etwas. Also muss eine Definition, wenn sie deskriptiv und nicht preskriptiv sein will, den Bedeutungsnuancen Spielraum lassen. Es ist imo ein unerreichbares Ziel, dem Alltag die Exaktheit einer preskriptiven Definition analog zu einer Fachsprache abzuverlangen.

Datum - jeder Sinneseindruck
Bedeutung - Zuweisung/Feststellung eines Zwecks an/bei ein(em) Objekt
Befähigung - Grunderfahrung von Menschen: manches "kann" ich, manches "kann" ich nicht

e-noon, absolutes Wissen darüber, daß es mich gibt, setzt voraus, daß ich die Art und die Bedingungen meiner Existenz durchschaue. In welchem Sinne existiert die Figur eines Romans? In welchem Sinne existiert(e) ein einzelner Gedanke, der niemals Konsequenzen nach sich zog?

Axiome sind kein apriori-Wissen, es sind apriori-Setzungen

Maurice
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Fr 22. Apr 2005, 10:20 - Beitrag #9

Meinungen = zusammenhängende Gedankeninhalte über etwas, die in Ausagen formuliert werden können

Zufrieden?

@Alltagssprache vs. präzise Terminologie: Das ist ein allgemeines Problem, wenn es um die Bedeutung von Begriffen geht. Man muss sich die Frage stellen, ob man einen Begriff exakt definieren möchte oder die schwammige alltagssprachliche Vorstellung eines Wortes wiedergeben möchte. Was davon sinnvoller ist, ist Ansichtssache und kann durchaus vom Kontext abhängen.
Mir ging es um eine präzise Definition und nicht um letzteres.
Und es ist ja nicht so, dass Platons Definition nicht kontraintuitiv zu unserem Alltagsverständnis wäre (zumindest nicht von meinem), und dass nur ihre Konsequenzen, wenn sie kritisch durchdacht werden, kontraintuitiv sind.
ich wette mit deiner Defintion könnten weit weniger Leute etwas anfangen, als mit meiner.

Ipsissimus
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Fr 22. Apr 2005, 10:35 - Beitrag #10

Mir ging es um eine präzise Definition und nicht um letzteres.

dann spezifiziere ich meine Aussage dahingehend, daß es "anerkannte" Definitionen von "Wissen" gibt, z.B.

Wissen
Bezeichnung für ein in Individuen, Gruppen und sonstigen Kollektiven vorhandenes kognitives Schema, das, an der Erfahrung orientiert, die Handhabung von Sachverhalten und den Bezug zur Umwelt auf eine zumindest angenommene zuverlässige Basis von Informationen und Regeln gründet.


Brockhaus Enzyklopädie, Beginn Artikel "Wissen"

Maurice
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Fr 22. Apr 2005, 10:46 - Beitrag #11

Diese Definition wiederum ist für mich ein pragmatischer Kompromiss zwischen unseren Extremen. ;)
Das Problem bei dieser Defintion ist aber wiederum, dass es zu einer widersprüchlichen Verwendung des Begriffes kommen kann, was vermieden werden sollte, wenn man den Wunsch nach einer möglichst sauberen Terminologie hegt. Ich fühle mich eben mehr zu der modernen philosophischen Denkweise hingezogen, als du den mystischen Schwärmereien der Vergangenheit.

Ipsissimus
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Fr 22. Apr 2005, 10:59 - Beitrag #12

aber gerade die moderne philosophische Denkweise hat doch Schluss gemacht mit solchen anscheinend "stabilen", trennscharfen Wortbedeutungen. Hast du mal Derrida gelesen? Wenn ich paraphrasieren darf: "Die Bedeutung eines Begriffes ist die Intention, die seinem Gebrauch in einem bestimmten Kontext zugrundeliegt, davon abgesehen gibt es keine Bedeutung eines Begriffes."

Maurice
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Fr 22. Apr 2005, 11:18 - Beitrag #13

Komisch das mir Derrida dann nicht als Paradigma der aktuellen Philosophie erscheint, die mir auf der Universität suggeriert wird. Vorausgesetzt natürlich, wenn du Derrida als Beleg für deine These nimmst, dass die aktuelle Philosophie sich nicht mehr bemüht Begriffe präzise zu definieren. Dein Zitat sehe ich darüber hinaus nicht als ein Beleg für deine These, weil dieses imo nicht im Widerspruch zu dem Versuch steht, Begriffe genau zu bestimmen.
Ich spreche hier natürlich nicht davon, dass wir die "wahre" Bedeutung eines Begriffes oder der "an sich" "finden" müssten. Der Anspruch ist eine präzise Defintion eines Begriffs, der mindestens im Kontext einer philosphischen Diskussion gelten soll und idealerweise darüber hinaus auch im allgemeinen Gebrauch. Ausgangspunkt ist natürlich unsere schwammige Vorstellung eines Begriffs, den es dann aber zu präzisieren gilt.

Ipsissimus
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Fr 22. Apr 2005, 11:39 - Beitrag #14

zugegeben, Derrida, Lacan u.a. "Postmodernisten" haben immer noch den Nimbus der "enfants terribles", das aber wohl mehr bei angelsächsischen positivistischen Philosophen, zu denen sie tatsächlich in schärfstem Widerspruch stehen - viele europäische Philosophen sehen das deutlich gelassener :-) es ist natürlich abzusehen, daß die Postmodernisten in Zeiten zunehmender positivistischer Philosophietrends eher nicht den Mainstream repräsentieren

Maurice
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Fr 22. Apr 2005, 11:48 - Beitrag #15

Hmm wir sollten aufpassen, dass wir nicht zu ot werden, aber noch hat diese Meta-Diskussion ja noch was mit dem Topic zu tun. Man könnte den Teil aber als eigenen Thread abspalten.
Sollen die Mods entscheiden... wenn sie den Thread lesen...

Ipsi vertritst du nicht die Meinung, dass für eine philosophische Diskussion die Begriffe geklärt sein sollten, die strittig sind und für den Rahmen der Diskussion ausreichend präzise definiert werden sollten?

Ipsissimus
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Fr 22. Apr 2005, 12:07 - Beitrag #16

ich finde es nützlicher, auch für philosophische Diskussionen, daß ein Problembewußtsein dahingehend aufgebaut wird, DASS Begriffe fließende Bedeutungen tragen. Ich habe noch kein philosophisches Werk gelesen, in dem nicht willkürliche Sprünge sowohl in der Argumentation als auch in den unterlegten Bedeutungen von Begriffen nachweisbar wären, selbst da, wo die Begriffe von den Philosophen selbst eingeführt und definiert wurden.

Von daher stellt sich für mich die Frage, ob es nicht tatsächlich nützlicher sei, zwar eine Art "Kerngehalt" eines Begriffes im Hinterkopf zu haben, aber auch immer im Hinterkopf zu halten, daß dieser Kerngehalt real von vielen anderen Gehalten überlagert ist, statt einen bestimmten Gehalt einzufordern.

Bowu
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Di 26. Apr 2005, 08:02 - Beitrag #17

Unterteilung in individuelles Wissen und kollektives Wissen:

individuelles Wissen: ist die Menge der Vorstellungen von Dingen, Begriffen und ihren Relationen.

kollektives Wissen: ist die Menge individuellen Wissens, das allen gemein ist.

Bowu
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Fr 29. Apr 2005, 08:10 - Beitrag #18

Dieser Wissensbegriff, setzt nicht die Existenz bzw. Übereinstimmung des Gewußten mit der Realität voraus. Er setzt nur voraus, das das Gewußte in der Vorstellung existiert, also erfahrbar ist.
Auch wenn die Wahrheit der Vorstellung, also ob sie mit den real existierenden Dingen übereinstimmt, nicht gesichert ist, so ist zumindest gesichert, das wir diese Vorstellung haben - dass diese existiert.
Unbezweifelbar scheint mir auch, dass Vorstellungen wirklich (also wirkend) sind, bzw. wirkungslose Vorstellungen sind undenkbar (Verstoß gegen Kausalität).

Wenn wir nun diese existenten und wirkenden Vorstellungen zur Grundlage des Wissensbegriffs machen, kommen wir zumindest zu einer praktikablen Version, denn dann wissen wir einiges mehr als nichts.

Auch trägt eine solche Prägung den Vorteil, nicht darüber hinwegzutäuschen, dass unser Wissen immer subjektiv bleibt. Selbst "Multisubjektivität" bedeutet noch keine Objektivität.

Das "Feld" auf dem kollektives Wissen festgestelt wird, ist dabei die Sprache.

Maurice
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Fr 29. Apr 2005, 11:55 - Beitrag #19

Man sagt statt "Multisubjektivität" idR "Intersubjektivität". Keine Kritik nur eine Anmerkung. Vorausgesetzt wir meinen das selbe.

@deine Definition: Wo liegt für dich dann der Unterschied zwischen Meinung und Wissen?
Deine Definition ist natürlich ein Ansatz, aber kann durch eine solche eben das Problem auftreten, was ich weiter oben, schon genannt habe. Nämlich dass zwei Leute gegensätzlich Ansichten haben können, aber beide als Wissen gelten würden, was wohl nicht sein kann, weil zwei gegensätzliche Ansichten nicht beide wahr sein können.

Bowu
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Fr 29. Apr 2005, 13:18 - Beitrag #20

ja Intersubjektivität ist synonym zur von mir angestrebten Bedeutung.

Der Meinungsbegriff ist zumindest im alltäglichen Gebrauch, zu sehr an Vernunftprozesse wie Meinungsbildung geknüpft, das heißt er ist auf andere Weise subjektiv als der Vorstellungsbegriff.
Meinung klingt nach Reflektion.
Vorstellung kann durchaus Meinungsbildung auslösen, und eine Meinung kann wohl umgekehrt auch in mir den Wunsch nahelegen mir etwas vorzustellen.

Daraus folgt, dass Wissen nicht notwendig Vernunftbewertet sein muß.
Bsp.: Wenn alle Menschen in ihrer Vorstellung sich die Sonne als rund vorstellen, dann wäre dies Wissen, ohne dass sie mit Vernunftmethoden die Möglichkeit dessen oder andere Betrachtungen durchführen.

Das Problem mit den 2 Personen mit unterschiedlichem Wissen besteht meiner Meinung nach nicht.
Das Wissen von meinen Vorstellungen, ist mir auch gegeben ohne das jemand anderes die selbige Vorstellung hat. Warum sollte mein Wissen von einem andern Subjekt abhängen?

Dieses Problem bestünde höchstens auf der Ebene des "kollektiven Wissens", welches für uns beide nur besteht in den Punkten in denen wir uns das gleiche vorstellen.
Durch die Unterscheidung in individuelles und kollektives Wissen, kommt es jetzt aber interessanterweise dazu, dass die Summe individuellen Wissens steigt, wenn beide etwas verschiedenes wissen. (Und dieser Gedanke scheint mir schon intuitiv richtig)
Sicher gibt es Wissen um die Wahrheit von Dingen, aber es ist fraglich warum die Wahrheit einer Vorstellung inakzeptabel sein soll, nur weil die Vorstellung selber nicht korrekt mit der "Außenwelt" übereinstimmmt.

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