Die Notwendigkeit der Modellbildung

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Traitor
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Sa 30. Apr 2005, 16:16 - Beitrag #1

Die Notwendigkeit der Modellbildung

Im Stern.de-Thread antwortete Maurice folgendes auf e-noon:

Zitat:
Frauen auf ihren Körper zu reduzieren

Hast du dich immer noch nicht von der dualistischen Ausdrucksweise trennen können?
Die Frau ist (unserer Auffassung nach) nicht mehr als ihr Körper. Jeder Mensch ist nur Körper. Formuliere deine These daher bitte so um, dass ich sie verstehen kann, denn so macht sie keinen Sinn.


Das nehme ich mal als Anlass, um Maurice auf etwas hinzuweisen, was er IMHO dabei vermissen lässt, was aber ein so wichtiges Thema ist, dass man es nicht in jenem Thread nebenbei abhandeln kann: die Wichtigkeit, sogar Notwendigkeit der Modellbildung.

Jeder Physiker weiß, dass ein fester Körper, etwa ein Wurfball, aus Atomen besteht. Dennoch wird kein Physiker, wenn er die Flugbahn des Balles berechnen will, mit den einzelnen Atomen arbeiten oder diese auch nur erwähnen, sondern das Modell verwenden, dass der Ball ein fester Körper ist. Obwohl dieser ja eigentlich nicht existiert, ist er ein geeignetes Modell, um mit dem konkreten Problem umgehen zu können.

Analog stimme ich dir durchaus zu, dass es keine zwei getrennten Dinge "Körper" und "Geist" gibt. Dennoch ist das Konzept von letzterem, solange man keine philosophische oder neurologische Analyse betreibt, ein sehr gutes Modell, um Alltagssituationen zu behandeln. Es ist einfacher, von "ihrem Körper" statt von "dem Aussehen ihrer nach außen sichtbaren Körperbestandteile" zu reden, und es ist sehr viel einfacher, von einer Entität "ein Gedanke" zu reden, als das Muster der Neuronenaktivität zu beschreiben.

Zusammengefasst: Als Philosoph mag man auf die Exaktheit und Fundamentalität der Ausdrucksweise bedacht sein, in vielerlei Kontext ist es aber ausgesprochen hilfreich, sich auf allgemein akzeptierte Modelle, deren theoretischere Grundlage für die Fragestellung gar nicht relevant ist, zu stützen.

Maurice
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Sa 30. Apr 2005, 16:41 - Beitrag #2

Ich hätte den Vorwurf bezüglich der Ausdrucksweise so nicht jedem gemacht. Aber weil ich mich eben auf E-Noon bezogen habe und wir nicht nur in dieser Frage einer Meinung sind, sondern auch in allgemeinen Diksussionen meist versuchen unsere Ausdrucksweise an unser Weltbild anzupassen, habe ich sie darauf verstärkt hingewiesen.

Ipsissimus
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So 1. Mai 2005, 00:11 - Beitrag #3

dass ein fester Körper, etwa ein Wurfball, aus Atomen besteht. Dennoch wird kein Physiker, wenn er die Flugbahn des Balles berechnen will, mit den einzelnen Atomen arbeiten oder diese auch nur erwähnen, sondern das Modell verwenden, dass der Ball ein fester Körper ist.


hmm ... und ich hätte gedacht, der Ball wäre als Gegenstand unserer unittelbaren Wahrnehmung gerade nicht das Modell, wohingegen die Atome eine Modellvorstellung wären, mit der gewisse Eingenschften des Objekts unserer Wahrnehmung erklärt werden sollen?

Maurice, deinen Äußerungen eignet etwas unglaublich Kaltes. Ich bezweifele nicht, daß es dir, sofern du deine Anstrengungen weiterführst, möglich sein wird, dich eines Tages derart in ein Gespinst aus Logik und Philosophie einzuhüllen, daß du - möglicherweise sogar für dich, auf jedenfall für andere - emotional unerreichbar geworden bist. Du wirst dann leider zu spät sehen, daß die Mauer, die dich beschützt, auch deinem Wachstum ein definitives Ende setzt, lange ehe dies die Natur täte.

janw
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So 1. Mai 2005, 01:32 - Beitrag #4

Nun ja, die Bedeutung der Modellbildung ist nicht zu unterschätzen, da hat Traitor recht.

Den Wurfball nur als Ansammlung von Atomen zu begreifen, greift aber doch zu kurz - sowohl durch die Ausbildung von Kristallgitern wie duch die Ausbildung von Atombindungen entsteht eine Qualität des Zusammenhangs, die nicht sehr viel mit der Qualität nur zusammengepresster nebeneinanderliegender Teilchen zu tun hat. Aber das muß keinen grundsätzlichen Widerspruch zu Traitors Postion darstellen.

Allerdings ist Maurices Betrachtungsweise der Frau in meinen Augen schlicht falsch.
Die Tatsache, daß alle Menschen prinzipiell nach den gleichen Gesetzen funktionieren, dieselben Organe besitzen mit festgelegten Funktionsweisen und doch in vergleichbaren Situationen sehr unterschiedlich reagieren können, läßt für mich nur den Schluß zu, daß sie sich in etwas, offenbar im physikalischen Sinn Immateriellem unterscheiden.
Durch die netzwerkartige Zusammenarbeit von Zentren im Gehirn entsteht offenbar eine Hyperstruktur, die landläufig als "Geist" eines Menschen bezeichnet wird.
Mag das Gehirn einer Leiche nur Materie sein, hat es durch die Interaktion der Zellen auf verschiedenen Hierarchieebenen im lebenden Zustand zusätzlich völlig neue und im Detail individuelle Eigenschaften.
Diese individuelle Ausgestaltung ist eine Folge von Anlagen und Lernprozessen und prinzipiell zeitlebens wandlungsfähig.

Es greift definitiv zu kurz, Menschen (und wohl auch eine Reihe weiterer Höherer Tiere) nur nach ihren meßbaren materiellen Eigenschaften zu beschreiben und zu klassifizieren, und die Fähigkeit zur Entwicklung eines Geistes zu ignorieren.
Mindestens im Falle des Menschen kann man es auch menschenverachtend nennen.

Ipsissimus
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So 1. Mai 2005, 02:01 - Beitrag #5

in der General Semantics wird von "Abtraktionsleitern" gesprochen. Auf jeder Stufe der Leiter "bedeutet" der Begriff - auch da, wo er sinnlich Wahrnehmbares bezeichnet - etwas anderes, ohne daß mensch sagen könnte, was denn nun die "wahre" Bedeutung wäre. Die emotionale und intellektuelle Berücksichtigung dieser Abstraktionsleitern ist imo immer noch die beste Annäherung an die Vielfältigkeit der Wirklichkeit.

Maurice
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So 1. Mai 2005, 11:14 - Beitrag #6

@Ipsi:
Maurice, deinen Äußerungen eignet etwas unglaublich Kaltes.

Danke für das Kompliment. :)

. Ich bezweifele nicht, daß es dir, sofern du deine Anstrengungen weiterführst, möglich sein wird, dich eines Tages derart in ein Gespinst aus Logik und Philosophie einzuhüllen, daß du - möglicherweise sogar für dich, auf jedenfall für andere - emotional unerreichbar geworden bist.

Da kann ich dich wohl beruhigen. Ich war über Jahre in einer Phase, wo ich emotional niemanden aus meiner Umgebung an mich rangelassen habe. Alles was mir nicht Verstand schien, habe ich an mir verneint. Diese Phase liegt aber mittlerweile hinter mir.
Nur weil ich mich selbst als Ding verstehe und alle meine Gedanken und Gefühle als Zusammenspiel von Materie, besitzten diese keine andere Qualität für mich. Ein Stück von Mozart klingt ja auch nicht weniger schön, nur weil wir meinen, dass es sich um Schallwellen handelt, die unser Gehirn in Töne umwandelt.


@Janw:
Die Tatsache, daß alle Menschen prinzipiell nach den gleichen Gesetzen funktionieren, dieselben Organe besitzen mit festgelegten Funktionsweisen und doch in vergleichbaren Situationen sehr unterschiedlich reagieren können, läßt für mich nur den Schluß zu, daß sie sich in etwas, offenbar im physikalischen Sinn Immateriellem unterscheiden.

Kommt da der Metaphysiker in dir zum Vorschein, oder hast du mit dem Satz doch nicht die Existenz einer Seele angedeutet? So interpretiere ich zumindest den Satz.
Ich sehe die Verschiedenheit der Menschen in keinster Weise als Grund etwas inmaterielles anzunehmen. Du sagst die Menschen gleichen sich, aber du vergisst, dass sich die Menschen auch voneinander unterscheiden. Und diese Unterschiede lässt sie auch anders funktionieren. Dein Einwand wäre nur berechtigt, wenn alle Menschen identisch wären und trotzdem anders funktionieren würde. Dies ist aber nicht der Fall.

Mag das Gehirn einer Leiche nur Materie sein, hat es durch die Interaktion der Zellen auf verschiedenen Hierarchieebenen im lebenden Zustand zusätzlich völlig neue und im Detail individuelle Eigenschaften.

Mir wäre neu, wenn die Existenz von emergenten Eigenschaften sich grundsätzlich mit einem Materialismus beissen würde.
Abgesehen davon hat ein PC auch neue Eigenschaften, wenn er angeschaltet ist, als wenn er aus ist. Ist er deswegen mehr als nur Materie?

Diese individuelle Ausgestaltung ist eine Folge von Anlagen und Lernprozessen und prinzipiell zeitlebens wandlungsfähig.

Inwiefern soll das ein Widerspruch zu einer materialistischen Auffassung sein?

Es greift definitiv zu kurz, Menschen (und wohl auch eine Reihe weiterer Höherer Tiere) nur nach ihren meßbaren materiellen Eigenschaften zu beschreiben und zu klassifizieren, und die Fähigkeit zur Entwicklung eines Geistes zu ignorieren.

Die Psycho ist imo auch nur materiell und von daher müsste auch diese beschrieben werden, wenn man die materiellen Eigenschaften eines Menschen beschreiben würde.

Mindestens im Falle des Menschen kann man es auch menschenverachtend nennen.

Warum?
Ich hege zwar eine gewisse Verachtung gegenüber der Spezies Mensch, aber ich weiß nicht, worin sich dies in meiner obigen Ausführung widerspiegeln sollte.

Feuerkopf
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So 1. Mai 2005, 12:02 - Beitrag #7

Zitat von janw:Die Tatsache, daß alle Menschen prinzipiell nach den gleichen Gesetzen funktionieren, dieselben Organe besitzen mit festgelegten Funktionsweisen und doch in vergleichbaren Situationen sehr unterschiedlich reagieren können, läßt für mich nur den Schluß zu, daß sie sich in etwas, offenbar im physikalischen Sinn Immateriellem unterscheiden.
Durch die netzwerkartige Zusammenarbeit von Zentren im Gehirn entsteht offenbar eine Hyperstruktur, die landläufig als "Geist" eines Menschen bezeichnet wird.
Mag das Gehirn einer Leiche nur Materie sein, hat es durch die Interaktion der Zellen auf verschiedenen Hierarchieebenen im lebenden Zustand zusätzlich völlig neue und im Detail individuelle Eigenschaften.
Diese individuelle Ausgestaltung ist eine Folge von Anlagen und Lernprozessen und prinzipiell zeitlebens wandlungsfähig.
.


Jan,
du musst gar nicht etwas "im physikalischen Sinne Immaterielles" bemühen.
Maurice hat es richtig ausgedrückt: Wir Menschen funktionieren zwar nach denselben Prinzipien, dennoch ist jeder Mensch ein Individuum: Da gibt es feine Unterschiede in der Hormonproduktion, da haben unterschiedliche Lernerfahrungen zu unterschiedlicher Synapsenverschaltungen geführt usw.

Wenn wir tot sind, fehlt der Energieinput und "die Maschine Mensch" wird wieder auf das reduziert, was sie ist, nämlich Materie.

(Wieso glaube ich trotzdem an eine Seele? ;) )

Maurice
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So 1. Mai 2005, 12:13 - Beitrag #8

Wieso glaube ich trotzdem an eine Seele?

Wahrscheinlich, weil es dir so beigebracht wurde und du nicht die Notwendigkeit gesehen hast, diese Behauptung zu hinterfragen? ;)
Vielleicht aber auch, weil es für den Glauben an ein Leben nach dem Tod ermöglicht.

Traitor
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So 1. Mai 2005, 12:42 - Beitrag #9

@Maurice:
Ich hätte den Vorwurf bezüglich der Ausdrucksweise so nicht jedem gemacht. Aber weil ich mich eben auf E-Noon bezogen habe und wir nicht nur in dieser Frage einer Meinung sind, sondern auch in allgemeinen Diksussionen meist versuchen unsere Ausdrucksweise an unser Weltbild anzupassen, habe ich sie darauf verstärkt hingewiesen.
Das geht an meiner Kritik vorbei, denn ich kritisiere ja nicht, dass du in dieser konkreten Situation eine konkrete Person dahingehend "korrigiert" hast, sondern, dass du generell die Ausdrucksweise, zu der du korrigierend hinstrebst, als die vorzuziehende ansiehst. Du sagst immer, du würdest dich darum bemühen, auch in philosophischem Kontext allgemeinverständlich zu bleiben - dann schade diesem Bemühen doch nicht, indem du selbst in präphilosophischem Kontext die hilfreichen und, sofern sie als solche verstanden werden, der Exaktheit der dahinterstehenden Philosophie nicht schadenden, Sprachmodelle verwirfst.

@Ipsi:
hmm ... und ich hätte gedacht, der Ball wäre als Gegenstand unserer unittelbaren Wahrnehmung gerade nicht das Modell, wohingegen die Atome eine Modellvorstellung wären, mit der gewisse Eingenschften des Objekts unserer Wahrnehmung erklärt werden sollen?
Genaugenommen sind beides Modelle, von denen das eine näher an der Sinneswahrnehmung ist, das andere näher an der mathematisch-naturwissenschaftlichen exakten Weltbeschreibung und somit dem, was man im heutigen Weltbild als die größere Näherung an eine nicht rein subjektive Realität ansieht.
Wessen "Generel Semantics" meinst du übrigens?

@Jan: Schließe mich Maurices Einwänden vollständig an, dein Gedankengang erschüttert ein materialistisches Menschenbild an keiner Stelle.

@Feuerkopf: Um es mit Beikircher auszudrücken: Man weiß es nicht. Aber man sollte etwas dran ändern ;)

Maurice
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So 1. Mai 2005, 12:52 - Beitrag #10

Ich habe nicht den Eindruck, dass ich mich normalerweise im Forum unverständlich ausdrücke. Tue ich das deiner Meinung nach? :confused:

janw
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So 1. Mai 2005, 12:55 - Beitrag #11

Maurice,
ich habe nichts gegen die Auffassung von der Existenz einer Seele einzuwenden, bin mir aber nicht sicher, ob sie quasi eine begleitende Entität ist oder ob sie quasi die "Komplexitätsdividende" hochentwickelter Gehirne ist.
Bin dann fürs erste von letzterer Prämisse ausgegangen, um nicht schon an dieser Frage mit Dir in Dissens zu geraten.

Die Gleichheit bezog sich auf die organische relative Bauteilgleichheit, wobei die relativ kleinen individuellen Unterschiede, die im wesentlichen nur die Verbindungen zwischen den Bauteilen betreffen, recht große Unterschiede im Bereich der "Komplexitätsdividende" ergeben - unrein gesprochen.
Diese "Komplexitätsdividende" ist nicht als Einzelnes materiell fassbar, kann aber qualitativ beschrieben werden als Zustandsbeschreibung zu einem Zeitpunkt.

Du magst dieses Etwas jetzt als Emergenz abtun, es ist wenn aber eine einzigartige Emergenz des jeweiligen einzigartigen Systems. Und immer eines lebenden Systems.
Und es ist eine eigenartige Eigenschaft lebender Systeme, daß sie nicht wie ein Computer ein- und ausschaltbar sind.

Diese Funktionsunwiderbringlichkeit lebender Systeme kann als wertgebendes Kriterium gesehen werden, und die Einzigartigkeit der Emergenz kann als Grund für ihren besonderen Wert angeführt werden.
Die Psycho ist imo auch nur materiell und von daher müsste auch diese beschrieben werden, wenn man die materiellen Eigenschaften eines Menschen beschreiben würde.


Tja, entweder trifft dann eher meine erste Prämisse zu, Seele als für Menschen typisches und dann auch diesen besonders machende Entität, oder vielleicht auch beide Prämissen. Für eine materielle Qualität im physischen Sinne spräche der durch den Blätterwald geisternde Befund, daß ein Mensch bei seinem Tod 15 g an Gewicht verliert. Ob man das für wahr nehmen kann? Ich weiß nicht recht...

Jedenfalls ist das, was landläufig als "Seele", "Psyche", "Geist" eines Menschen bezeichnet wird, in keinster Weise hinreichend durch die Beschreibung der materiellen Qualitäten eines Menschen beschrieben, auch nicht erklärt, denn hierzu kommt eben noch dessen Geschichte, die Summe seiner Erfahrungen - manche sagen schon vom Mutterleib an und die Art, wie dies verarbeitet wurde, ein schwer zu ergründender Bereich wenn überhaupt.(das ist was ich oben mit "unrein gesprochen" meinte).

Als Frau würde ich mich durchaus etwas unwohl fühlen, nur als Stück Materie angesehen zu werden, wenn auch als angenehme Materie.
Nur als Frau? Als Mann auch.

Maurice
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So 1. Mai 2005, 13:22 - Beitrag #12

Tja ich begreife mich dennoch als ein Klumpen Materie und habe kein Problem damit. Ich hoffe du nimmst es mir nicht übel, wenn ich dieses Bild auf andere Menschen übertrage. ;)

@Seele: Für mich bezeichnet dieser Begriff immer ein inmaterielles Ding, was unabhängig vom Körper existiert. Was ich als Psyche bezeichne, ist für mich nichts außerkörperliches und auch kein materiells Produkt des Körpers ähnlich einer Substanz, die der Körper absondert. Die Psyche ist für mich eine Funktion des Körpers, um genauer zu sein des Gehirns, so wie der Herzschlag die Tätigkeit des Herzens ist.

Und es ist eine eigenartige Eigenschaft lebender Systeme, daß sie nicht wie ein Computer ein- und ausschaltbar sind.

Definiere "Leben".
Meine Definition von "Lebewesen": Ein mit stochastischen Elementen versehenes System, welches zu aktiven Handlungen fähig ist, und das sich auf Grund von äußeren Einflüssen selbst oder über Generationen hinweg verändert.
Bei näherer Betrachtung verlangt meine schon etwas ältere Def. einer Überarbeitung, aber der Inhalt kann soweit erstmal stehen bleiben.
Jedenfalls spielt es für mich keine Rolle, ob man ein System beliebig an- und ausschalten kann, auf die Frage ob es sich hierbei um ein Lebewesen handelt.
Nur weil es jetzt keine denkenden Maschinen gibt, heisst das nicht, dass diese prinzipell unmöglich sind.

Die Gleichheit bezog sich auf die organische relative Bauteilgleichheit, wobei die relativ kleinen individuellen Unterschiede, die im wesentlichen nur die Verbindungen zwischen den Bauteilen betreffen, recht große Unterschiede im Bereich der "Komplexitätsdividende" ergeben

Wo soll das ein Widerspruch zu einer materiellen Sichtweise sein?

Diese Funktionsunwiderbringlichkeit lebender Systeme kann als wertgebendes Kriterium gesehen werden, und die Einzigartigkeit der Emergenz kann als Grund für ihren besonderen Wert angeführt werden.

Kann... muss aber nicht. Ich gehe nicht von dieser Grundlage aus.

Jedenfalls ist das, was landläufig als "Seele", "Psyche", "Geist" eines Menschen bezeichnet wird, in keinster Weise hinreichend durch die Beschreibung der materiellen Qualitäten eines Menschen beschrieben, auch nicht erklärt

Auch das ist kein Einwand gegen den Materialismus.

Bowu
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So 1. Mai 2005, 13:59 - Beitrag #13

Der einzige Unterschied zwischen den beiden Modellen - also Mensch als rein materielles Wesen, und Mensch als seelentragendes Wesen scheint mir, dass im gegebenen Fall des pornographischen Bildes bei einem Menschenbild mit "Seele" sich nicht alles pervertiert.

Mir ist aber trotzdem nicht klar, welchen Unterschied das bei der Bewertung des Bildes macht... .

Ein vollkommen unterschiedliches Verhalten verschiedener Menschen/Geschlechter ist jedenfalls auch materialistisch erklärbar... selbst in nem Computermodell, kann man sich Individuen, welche sich nur durch einen bestimmten Anfangszustand unterscheiden, vorstellen.

Also zumindest um die Verschiedenheit der Menschen zu erklären brauchen wir keine Seele.

janw
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So 1. Mai 2005, 19:46 - Beitrag #14

Nun ja, Maurice, Du hättest ruhig den ganzen Absatz zitieren können, als Ganzes klingt er weniger materialistisch ;)
Die Gleichheit bezog sich auf die organische relative Bauteilgleichheit, wobei die relativ kleinen individuellen Unterschiede, die im wesentlichen nur die Verbindungen zwischen den Bauteilen betreffen, recht große Unterschiede im Bereich der "Komplexitätsdividende" ergeben - unrein gesprochen.
Diese "Komplexitätsdividende" ist nicht als Einzelnes materiell fassbar, kann aber qualitativ beschrieben werden als Zustandsbeschreibung zu einem Zeitpunkt.

Ich weiß nicht genau, ob wir uns falsch verstehen - materiell ist für mich ein Gegenstand, der aus Materie oder Energie besteht, mithin den Gesetzen der Physik gehorcht.
Das ist eben eine Eigenschaft, die IMHO der "Geist" nicht besitzt. Ich würde ihn, modern gesprochen, eher als virtuelle Entität ansehen, die als solche eben Ausfluß der Komplexität neuronaler Interaktion usw. ist.

Zählst Du Virtualität zum Materiellen?

Du erstaunst mich übrigens etwas:
@Seele: Für mich bezeichnet dieser Begriff immer ein inmaterielles Ding, was unabhängig vom Körper existiert. Was ich als Psyche bezeichne, ist für mich nichts außerkörperliches und auch kein materiells Produkt des Körpers ähnlich einer Substanz, die der Körper absondert. Die Psyche ist für mich eine Funktion des Körpers, um genauer zu sein des Gehirns, so wie der Herzschlag die Tätigkeit des Herzens ist.

Und, existiert sie für Dich?

@Bowu:
Ob man wirklich einen kompletten Geist simulieren kann, bin ich mir nicht so sicher, die Entwicklung gleicht doch eher einem Fuzzy-System mit sehr vielen Variablen in sehr variablen Größen mit sehr variablen Ausgängen. Vielleicht ist es ganz gut, daß man den netten Gesellen aus den Compispielen nicht im RL begegnet...

Maurice
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So 1. Mai 2005, 19:59 - Beitrag #15

Ich weiß nicht genau, ob wir uns falsch verstehen - materiell ist für mich ein Gegenstand, der aus Materie oder Energie besteht, mithin den Gesetzen der Physik gehorcht.
Das ist eben eine Eigenschaft, die IMHO der "Geist" nicht besitzt.

Imo ist auch die Psyche letztlich physikalisch.

Und, existiert sie für Dich?

Du meinst die Funktion? Hmm ich grübel momentan immer noch an meiner Ontologie und Terminologie, bei der ich versuche so materialistisch reduktionär vorzugehen wie möglich. Ich neige im Augenblick dazu zu sagen, dass streng genommen keine Bewegung, Funktion usw. existieren, sondern nur sich bewegende oder funktionierende Dinger.
Wenn ich aber umgangssprachlich bleiben soll, dann würde ich sagen, dass die Funktion "Psyche" existiert. Sie ist die Tätigkeit des Gehirns und keine Substanz die abgesondert wird und verlischt, wenn das Gehirn seine Arbeit einstellt.

Bowu
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Mo 2. Mai 2005, 07:47 - Beitrag #16

Die Simulierung eines neuronalen Netzwerks das der Komplexität des menschlichen Hirns ähnelt ist bisher noch weit entferntes Ziel.
Ich meinte das mit dem Computermodell nur so, dass man sich die Verschiedenheit (Inidividuation) der Menschen an sich mit solch einem Modell erklären könnte ohne eine für jeden verschiedene Außenwelt anzunehmen. Wenn jeder Mensch einen verschiedenen Anfangszustand hat (also eine verschiedene Nervenzelle aktiv ist am "Beginn des Menschenlebens"), dass diese Verschiedenheit sich selbst bei einer für alle gleichen Außenwelt erhalten könnte.
Der Vorteil so einer Anfangszustand-Theorie wäre es eben, das der Hirntod in das Modell passt, damit wäre der Hirntod die Zustandslosigkeit des Hirns oder das Fehlen von Befehlsadressen im Prozessor.

Wenn nur die Individuation in unser Modell soll, so brauchen wir den Anfangszustand allerdings nicht notwendig - zumindest wenn wir die (nicht mentale) Subjektivität der von usn wahrgenommenen Welt annehmen.

@Jan
Auch mentale Daten, wie ,dass wir unser komplexes pschisches Verhalten Geist nennen, hat sicher eine rein materielle Komponente. Auch jede "virtuelle" Entität ist in der materiellen Welt dahingehend real, dass irgendein Materialhaufen diese Entität in Struktur oder Eigenschaft enthalten muß. Ohne Hirn können wir nicht denken, auch nicht über "virtuelle Entitäten".

@ Maurice
Ich bin gespannt wie du eine Ontologie entwickeln willst, ohne mentale Konzepte oder Entitäten zu verwenden... wie zum Beispiel die nat. Sprache. Es scheint mir kaum realisierbar diese mentalen Größen auf ihr materiellen Grundlagen zurückzuführen... und wenn dir dies gelänge, so würde dich auch keiner verstehen.

Ipsissimus
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Mo 2. Mai 2005, 09:35 - Beitrag #17

Traitor, das Konzept der Abstraktionsleitern stammt von Alfred Korzybski, dargelegt in "Science and Sanity" von 1933, ist aufgrund des in diesem Buch gepflegten unerträglichem Personalstils aber erst durch die Arbeiten von Rostopovitsch und Hayakawa bekannt geworden. Ich beziehe mich bei der Verwendung des Begriffs auf die Darlegungen in Hayakawas äußerst luzidem Buch "Language in Thought and Action" von 1941.

janw
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Mo 2. Mai 2005, 11:06 - Beitrag #18

@Bowu:
Wir nennen einen Teil/einen Aspekt/eine Eigenschaft des Menschen "Geist", aber wir können ihn letztlich nur näherungsweise beschreiben und nicht isoliert gewinnen und messen.
Wir wissen aber, daß er in seiner Entstehung und Existenz von dem Funktionieren des Gehirns abhängig ist. Ob er dabei tatsächlich im Gehirn "enthalten" ist, bin ich mir nicht sicher, der Begriff ist für mich sehr stofflich geprägt.

Ist er damit selbst zwangläufig materiell?

@Traitor:
Wie würde man aus physikalischer Sicht mit dem Phänomen des Geistes umgehen?

Bowu
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Mo 2. Mai 2005, 11:58 - Beitrag #19

Zitat von janw:@Bowu:
Wir nennen einen Teil/einen Aspekt/eine Eigenschaft des Menschen "Geist", aber wir können ihn letztlich nur näherungsweise beschreiben und nicht isoliert gewinnen und messen.


Schon in dem was du als "nennen" beschreibst, verstehe ich eine Analyse dessen was wir Wahrnehmen. Das eine Analyse nicht isoliert vom analysierten gewonnen werden kann, stand nie in Frage.

Zitat von janw:Wir wissen aber, daß er in seiner Entstehung und Existenz von dem Funktionieren des Gehirns abhängig ist. Ob er dabei tatsächlich im Gehirn "enthalten" ist, bin ich mir nicht sicher, der Begriff ist für mich sehr stofflich geprägt.

Ist er damit selbst zwangläufig materiell?


Ja wir wissen das der Geist vom Funktionieren des Gehirns abhängig ist. (Keine verselbstständigte "Analyse", kein selbsthandelndes)
Ich denke es ist deutlich, dass alle Prozesse, welche wir unserem Geist zuordnen, im Gehirn stattfinden, ich wüßte nichts, außer dem Hirn das analysiert oder benennt in uns.

Anders gesagt, es wäre sehr komisch wenn die Analyse des Menschen etwas "unmenschliches" oder "unkörperliches" hervorbrächte, denn eine Zerlegung in Eigenschaften (und Bennenung derselben) sollte keine neuen Eigenschaften hervorbringen, zumindest wenn die Realität ihr Geschäft ist.

Ipsissimus
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Mo 2. Mai 2005, 12:20 - Beitrag #20

es gibt aber offensichtlich einen Unterschied zwischen dem, was das Gehirn "tut", und dem, wie "ich" es empfinde. Ich habe kein Empfinden davon, daß ein Neuron eine Schaltung zu einem anderen aktiviert - die physiologischen Abläufe sind mir nicht bewußt. Bewußt ist mir, daß ich gerade diese Sätze niederschreibe, nicht welche Gehirnzentren daran beteiligt sind, daß ich das tue. Das heißt in erster Annäherung, daß mein Bewußtsein eine Metafunktion des Gehirns darstellt, es ist jedenfalls definitv nicht das, was ein Neuron auf seiner Ebene empfinden mag, wenn es überhaupt etwas empfindet. Ich glaube es war Hofstaedter in "Gödel, Escher, Bach", der das Konzept des intelligenten Ameisenhaufens ins Spiel brachte zur Erklärung der Vorgänge im Hirn, welches darauf hinausläuft, daß das Gesamtsystem infolge emergenten Verhaltens der unintelligenten Individuen intelligentes Verhalten an den Tag legt

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