Ich versuche mich, wie schon mehrfach angeküdigt, hiermit an einem allgemeinen Thread über den Begriff der Rationalität. Da dieses Thema sehr komplex ist, befürchte ich, dass es etwas chaotisch werden könnte, wenn sich die Voraussetzungen der User zu stark unterscheidet. Aber ein Versuch ist es imo auf jeden Fall wert.
Also was ist unter Rationalität zu verstehen?
Dazu gibt es verschiedene Ansichten, wobei ich hier nur meine skizzieren werde. Zuerst halte ich es für wichtig zwischen rationalen Handlungen und rationalen Meinungen zu unterscheiden. Nicht alle Konzepte von Rationalität machen diesen Unterschied, meine wie offensichtlich schon.
Wie soll man sich dem Begriff nähern, um zu einem Konzept zu gelangen? Als erstes kann man einen Blick darauf werfen, wo das Wort herkommt: "Ratio" ist lateinisch und bedeutet "Vernunft, Überlegung, Art und Weise". "Rational" ist somit erstmal als "vernünftig" zu definieren. Manche Konzepte gehen von Verstand und Vernunft als zwei Instanzen aus, was ich aber für weniger sinnvoll halte. Am Gebrauch des Verstandes soll abhängen, ob etwas als rational bezeichnet werden kann.
Zunächst möchte ich "rationale Handlungen" (vernünftiges Handeln) definieren, wobei meine Grundlage der Gedanke ist, dass es dem Menschen in allem was er tut letztendlich um Glücksmaximierung geht. Wer diese Voraussetzung nicht teilt, wird auch mit der folgenden Definition wenig anfangen können. Unter dieser Prämisse definiere ich die Begriffe wie folgt:
1. Eine Handlung ist dann rational, wenn sie nach Prüfung durch den Verstand für glücksförderlich beurteilt wurde.
2. Eine Handlung ist dann irrational, wenn sie nach Prüfung durch den Verstand als glückshinderlich beurteilt wurde.
3. Eine Handlung ist dann arational, wenn keine Prüfung durch den Verstand stattfindet.
Beispiel: Ich möchte abnehmen und deshalb auf Süßigkeiten verzichten. Nun sehe ich ein leckeres Stück Schokotorte und habe sofort Lust es zu essen. Nun gibt es folgende Möglichkeiten:
1. Ich denke an meinen guten Vorsatz, reiße mich zusammen und verzichte auf das Tortenstück. Das wäre rational.
2. Ich denke an meinen guten Vorsatz, lasse mich aber von meiner Lust auf die Torte hinreißen und esse das Stück, obwohl ich meine, dass dies meinem Glück insgesamt abträglich ist. Das wäre irrational.
3. Ich stopfe einfach das Stück Torte in mich hinein, ohne nachzudenken. Das wäre arational.
Letzteres ist nur möglich, wenn man von einer Hirachie von Interessen ausgeht, bei der die Erfüllung eines höher stehenden Interesses zu mehr Glück führt, als die eines niedrigeres. Es ist immer besser ein höher stehendes Interesse zu erfüllen, als ein niedriges. Es gibt daher Fälle, wo sich der Verstand gegen unmittelbar anwesende Emotionen entscheidet. Eine Entscheidung kann aber nur rational genannt werden, wenn diese die Emotionen im allgemeinen berücksichtigt. Eine Entscheidung, die die Glücksmaximierung nicht als Ziel hat, kann nicht als rational bezeichnet werden.
Weil nun nicht alle Menschen die selben Interessen haben, ist auch nicht jede Handlung für jeden Menschen gleich rational. Wenn mein Gegenüber z.B. gar nicht abnehmen möchte, dann ist es nicht irrational, wenn er das Tortenstück isst.
Es ist immer am besten so zu handeln, wie man meint, dass es dem Glück am förderlichsten ist. Es ist also per Definition immer am besten rational zu handeln. Dabei muss eine rationale Handlung nicht notwendig zu dem nützlichsten Ergebnis führen. Wenn ich z.B. davon überzeugt bin, dass Schokotorten schlank machen, dann ist es vernünftig, solche zu essen, wenn ich abnehmen möchte. Da dies aber falsch ist, wird nicht das für meine Motive beste Ergebnis die Folge sein. Dennoch ist in dieser Situation am besten, wenn ich die Schokotorte esse, weil ich ja davon ausgehe, dass sie mir bei der Verwirklichung meiner Interessen förderlich ist.
Eine arationale Handlung ist nicht immer automatisch schlechter als eine rationale. Im Falle des Tortenstück ist eine rationale Handlung nützlicher als eine arationale. Wenn aber auf der Autobahn ein Kind auf die Fahrbahn springt, dann ist es am nützlichstens schnell auszuweichen oder zu bremsen, statt vorher lang nachzudenken, was denn nun besser wäre, weil ich dann auf jeden Fall das Kind überfahren würde. Hierbei zeigt sich, dass das Nachdenken über eine Handlung in einem gesunden Verhältnis zu dieser stehen muss, damit man von rational sprechen kann. Es ist sinnvoll sich über wichtige Entscheidungen im Leben länger nachzudenken, z.B. ob ich nach der Schulzeit studieren werde oder nicht. Mit länger sind hier nicht fünf oder zehn Minuten gemeint, sondern mehrere Tage, Wochen oder gar Monate, je nachdem wie unsicher und wie wichtig mir die Frage ist. Über die Frage, ob ich mir ein Vanille- oder ein Zitroneneis kaufen soll, ist es aber weit übertrieben, mehrere Wochen nachzudenken. Wieviel Aufwand für eine jeweilige Überlegung sinnvoll ist, lässt sich nicht allgemein exakt bestimmen und liegt im Ermessen der einzelnen Person.
Das führt uns zu der Frage, wann eine Meinung vernünftig ist. Ich halte mache hier einen Unterschied zu den übrigen Handlungen, weil die Rationalität bei den Handlungen eindeutig Mittel zum Zweck sind, aber bei den Meinungen Selbstzweck zu sein scheint. Als Anlehnung zu den der Definition von rationalen Handlungen lässt sich festhalten:
1. Eine Meinung ist dann rational, wenn sie durch korrekte Prüfung durch den Verstand als richtig beurteilt wurde.
2. Eine Meinung ist dann rational, wenn sie durch korrekte Prüfung durch den Verstand als falsch beurteilt wurde oder nicht korrekt geprüft wurde.
3. Eine Meinung ist dann arational, wenn sie nicht durch den Verstand geprüft wurde.
Damit eine rationale Handlung zu einem nützlichen Ergebnis führt, müssen die Prämissen, auf die sich die Handlung stüzt richtig sein. Um das Risiko von falschen Prämissen und somit schädlichen Resultaten zu verringern, ist eine Prüfung durch den Verstand nötig. Ich habe bei der obigen drei Definition das Wort "nützlich" bewusst weggelassen, weil es suggerieren könnte, dass Meinungen mir nur punktuell nützlich erscheinen müssten, damit sie vernünftig sind. Hier wird von der Vorstellung ausgegangen, dass es immer insgesamt für eine Person am nützlichsten ist, wenn möglichst viele seiner Meinungen richtig sind. Der Begriff der Nützlichkeit steckt also dennoch implizit in den obigen Definitionen, wird aber aus genannten Gründen nicht explizit verwendet.
Die Definition von rationalen Meinungen wirft aber das Problem auf, wann die Prüfung durch den Verstand korrekt ist. Zum einen stellt sich auch hier wieder die Frage, wieviel Zeit die Prüfung in Anspruch nehmen sollte. Zum anderen stellt sich die Frage, wie eine korrekte Prüfung aussieht. Für allgemein evident halte ich, dass die Prüfung widerspruchsfrei sein sollte. Ebenfalls für notwendig halte ich es, dass die Prüfung nicht sonstwie unlogisch sein darf. Hier können aber schon die Meinungen auseinander gehen können, inwieweit Logik notwendig ist und was für logische Regeln gelten sollen. Als dritten Aspekt halte ich die Grundprinzipien der Wissenschaft für angemessen. Auch hier dürften nicht alle dieser Meinung sein.
Wie die ersten und die letzten drei Definitionen schon nahe legen, scheint eine verallgemeinernde Definition von Rationalität möglich zu sein, die sowohl Meinungen, als auch Handlungen umfasst. Eine solche habe ich bisher noch nicht herausgearbeitet.