Ich wiederhole mich: Rationalität ist nicht die Universalformel für den Weltfrieden. Ich gehe auch von keiner objektiven Moral aus. Wie bekannt lehne ich eine solche strikt ab. Ich gehe aber davon aus, dass es strukturell gesehen wesentlich glücksförderlicher ist, rational zu sein. Das gilt für alle Menschen, die dazu in der Lage sind. Rationalität heißt nicht von A nach B zu denken, sondern auch nach C. Rationalität heißt ein möglichst nützliches Kalkühl aufzubauen, ein Kalkühl was das Glück als Ziel hat. Das Kalkühl mancher Nazis (entschuldigt meine zurecht von euch kritisierte Verallgemeinerung) war kurzsichtig. Wenn sich jemand im Machtgeflecht wiederfindet, dann halte ich es für rational davon zu profitieren. Padreic nannte Eichmann als passendes Beispiel. Was aber nicht rational ist, ist die Erstellung eines solchen Systems, was nach einer gewisser Prüfung als nicht erfolgsversprechend eingestuft werden müsste. Ok uns fällt es leicht das heute zu sagen, aber ich glaube, es wäre auch schon damals möglich gewesen. Einen großen Teil der intelligentesten Menschen der eigenen Bevölkerung auszuschalten oder in die Arme der Gegner zu spielen ist für einen Sieg sehr schädlich. Eine Politik zu vertreten, die willkürlich Bündnisse erstellt und bricht, ist auch schädlich. Die ganze Ideologie war widersprüchlich zu der Politik und somit irrational und somit zu verwerfen. Aus rationalen Gründen hätte es die Poltik nicht geben dürfen, weil die Ideologie offensichtlich irrational war, auf der sie fußte. Es ist definitiv widersprüchlich, wenn man zum einen "die arische Rasse" als einzig wertes Leben propagiert und man das Ziel hat, alle "minderwertigen Rassen" zu beseitigen, aber auf der anderen Seite ein Bündnis mit z.B. Japan eingeht. Ich weiß nicht, wo ein Japaner arisch sein sollte. Aus rationalen Gründen sind irrationale Modelle abzulehnen.
Ich gestehe Padreic zu, dass die Nazi-Ideologie vielleicht besser als arational als irrational bezeichnen müsste. Hier räume ich ein, dass die von mir zu beginn genannten Definitionen quasi Prototypen sind, die eventuell zu überarbeiten sind, aber auf jeden Fall weiter zu spezifizieren sind. Meine genannten Definitionen sind unvollständig, das sehe ich selbst und das gilt es zu beheben. Diese Diskussion soll dabei helfen.
Geht man nicht von objektiver Werthaftigkeit/Moral ist, steht die Meinung, dass Juden minderwertig sind und es das beste ist, sie von der Welt zu tilgen, jenseits von rationaler Beurteilbarkeit. Da geht es nicht um Fakten, sondern um Beurteilung von Werthaftigkeit.
Wenn man einen ungeheuren Hass auf die Juden hat, warum soll es dann nicht rational sein, die Juden zu vernichten?
Diese Beurteilungen waren aber nicht rational, welche es aber hätte sein sollen, wenn man sich die Bedeutung dieser vergegenwärtigt.
Was den Hass angeht, so meine ich, dass es vernünftiger wäre sich mit diesen auseinander zu setzen, um dann zu erkennen, dass dieser unbegründet ist. Auf was stützt sich mein Urteil? Bedarf es einer Prüfung und habe ich diese gemacht? Wenn ich jemanden hasse, mir über diesen Hass Gedanken mache und merke, dass er ungerechtfertigt ist und sich nicht rechtfertigen lässt, so wird das Auswirkungen auf meine Emotionen haben. Wenn der Hass rational ist (als nach Prüfung durch den Verstand als richtig beurteilt wurde), dann wird es wohl auch rational sein, sich gegen diese zu wenden, die man hasst, wenn es mit den anderen Interessen im Einklang zu bringen ist. Ich bezweifle ernsthaft, dass die meisten Nazis ihren Hass je einmal vernünftig reflektiert hatten.
Und man kann, wenn man viel Pech mit rationalen Handlungen hatte, durchaus der Meinung sein, dass man im Zukunft besser auf rationale Prüfung verzichtet und das durchaus rational...
Imo nein. Ich schätze es nämlich anders ein: Deine Handlungen sind nicht gescheitert, weil sie rational waren, sondern weil sie nicht ratioanl genug waren. Natürlich kann ist das eine steile These, die ich nicht an Fakten messen kann. Es klingt mir eben so nach "die böse Rationalität". Am besten wäre es natürlich, wenn du ein Beispiel nennen könntest, wo du deiner Meinung nach besser nicht hättest rational handeln sollen. Da es sich um etwas persönliches handelt, verstehe ich es, wenn du das hier nicht posten wollen würdest. Wenn doch, dann könnte das wesentlich dazu beitragen, dass ich dich besser verstehe.
Bei der ganzen Sache kommt es darauf, welche Maßstäbe man an die Begründung von Handlungen und Meinungen stellt. Daran steht und fällt das Urteil, ob etwas rational war, auch der Holocaust. Wie offensichtlich ist, stelle ich im Moment einen sehr starken Begründungsanspruch.
Die Fragen die vielleicht erstmal geklärt werden müssten, bevor wir weiter über die Rationalität des Holocaust diskutieren, wären:
1. Wie gut begründet muss eine Meinung sein, damit sie rational ist?
Welche methodischen Kritierien müssen erfüllt sein, damit eine Meinung als rational gelten kann?
2. Wenn ich eine Meinung M1 mit einer Meinung M2 begründe usw. wann darf diese Begründungskette abbrechen, damit M1 begründet bleibt? Wenn M1 sich letztlich mit Mn begründet und Mn unbegründet ist, ist dann M1 auch streng genommen unbegründet?
3. Angenommen es gibt letzte Begründungen, diese Mn wäre korrekt, aber in der Meinungskette bis M1 gäbe es unkorrekte Schlussfolgerungen, ab wievielen unkorrekten Schlussfolgerungen ist M1 irrational?
Ausgangspunkt müssen natürlich meine Vorschläge von Rationalität aus dem Anfangspost sein, die sich an der offiziell verwendeten orientieren. Wer einen völlig anderen Rationalitätsbegriff hat (z.B. rational = völliges Ignorieren von Emotionen), wird mit meinen drei Fragen nicht viel anzufangen wissen. Es scheint mir aber so, dass wir weitgehend im Ausgangspunkt übereinstimmen.