Rationalität

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
dmz
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Do 9. Jun 2005, 03:17 - Beitrag #21

@Thema -
Also was ist unter Rationalität zu verstehen?
Wie soll man sich dem Begriff nähern, um zu einem Konzept zu gelangen?


Vorweg: Ich habe den Begriff 'Rationalitaet' lexikalisch lediglich im Zusammenhange
mit der Mathematik, den Zahlen gefunden;
in diesem Falle verbindet er sich natuerlich mit der 'Ratio'.
-
Die Vernunft(Ratio) ist keine ontologische Substanz und natuerlich kein empirischer Gegenstand;
erzeugt wird sie jedoch von empirischen Individuen, den Menschen.
Die Denkleistungen dieser Menschen haben also eher metaphysischen Charakter,
obwohl das Denken in der Regel Bezug zur realen Welt hat.
In diesem Widerspruch mag denn auch das weitverbreitete irrationale Verhalten begruendet sein.
Die abgeleitete Rationalitaet, die Qualitaet des rationalen Entscheidens und Handelns,
laesst sich daher m.E. konzeptionell nicht fassen aus folgenden Gruenden:
-
Die Vernunft bezieht ihre Kraft aus den 2 Komponenten 'Beduerfnis' und 'Interesse' und
ist nicht in der Lage, absolute Ergebnisse zu erzielen; - Aussnahmen bestaetigen die Regel -;
die Vernunft muss also meistens kompromissbereit sein.
Die Urteile rationalen Denkens muessen/sollten demnach wiederholt ueberdacht werden,
weil sie relativ und zeitlich abhaengig sind.
Diese Verhaeltnismaessigkeit und Zeitabhaengigkeit laesst kein Konzept an sich zu.
-
Fuer die Praxis bedeutet das zum Beispiel:
Ein bestimmter Entscheidungsfall laesst u.U. (2) verschiedene (rationale) Ergebnisse zu,
je nach Beduerfnis und Interesse des entscheidenden Individums.
So hat der Unternehmer wegen empfundener sozialer Anbindung das Beduerfnis,
seinen Mitarbeitern gegenueber 'gerecht oder wohlgesonnen' zu sein,
das Interesse des Unternehmens eingeschlossen;
andererseits muss er sie eventuell psychisch verletzen, indem er sie (teilweise) entlaesst,
weil sonst das Interesse gefaehrdet wird.

Ipsissimus
Dämmerung
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Do 9. Jun 2005, 09:10 - Beitrag #22

dmz, bei mir läufst du mit diesen Darlegungen offene Türen ein :-)

Maurice
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Do 9. Jun 2005, 09:47 - Beitrag #23

dmz argumentiert aber so, wie es e-noon und ich bereits getan haben. Eigentlich müsste dir das doch widersprechen. :rolleyes:

Die Meinung, die hinter dem Holocaust stand, war ein hochgradig rationales und seit vielen Jahrtausenden erprobtes politisches Kalkül

Ipsi du widerlegst nicht, dass meine Definition von Rationalität sinnvoll ist, indem du mit Beispielen argumentierst, wo deine Definition Grundlage ist.
Nach deinem Verständnis von Rationalität war der Holocaust rational. Nach meinem Verständnis nicht. Warum?
1. Es wäre für die Nazis besser gewesen, die vielen hochintelligenten Juden für ihre Zwecke einzuspannen (z.B. in der Forschung), statt sie zu vertreiben oder zu töten. Wer weiß wie dann der Krieg verlaufen wäre.
2. Wenn es nur darum ging einen Sündenbock zu finden, dann hätten die bösen Demokraten, Kapitalisten und Kommunisten schon ausgereicht.
3. Die Begründung, warum die Juden zu vernichten seien waren irrational, weil sie auf keiner gültigen Grundlage aufbaute. Die Rassenideologie ist in meinen Augen völlig irrational und damit die Weltsicht die darauf aufbaut.
Der Holocaust scheint damit punktuell gesehen für viele Nazis nützlich gewesen zu sein, weil sie dort ihre Machtphantasien ausleben konnten, was einigen Spaß gemacht hat. Strukturell gesehen war der Holocaust aber wesentlich schädlicher, als irgendwie nützlich.

Padreic
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Do 9. Jun 2005, 10:46 - Beitrag #24

@Maurice
Geht man nicht von objektiver Werthaftigkeit/Moral ist, steht die Meinung, dass Juden minderwertig sind und es das beste ist, sie von der Welt zu tilgen, jenseits von rationaler Beurteilbarkeit. Da geht es nicht um Fakten (auch wenn "Fakten" zur Untermauerung dessen herangezogen wurden...), sondern um Beurteilung von Werthaftigkeit.
Wenn man einen ungeheuren Hass auf die Juden hat, warum soll es dann nicht rational sein, die Juden zu vernichten?

In deiner Argumentation, warum der Holocaust nicht rational gewesen ist, verirrst du dich, denke ich, in deiner eigenen Begrifflichkeit. Bei Rationalität/Irrationalität geht es (gemäß ihr) nicht darum, was besser gewesen wäre, schon gar nicht darum, was gemessen an common-sense-Beurteilungsmaßstäben besser gewesen wäre, sondern darum, was der einzelne gemäß seines Verstandes für besser befunden hat. Bestenfalls kannst du den Nazis Arationalität vorwerfen, aber nur beschränkt Irrationalität. Und viele einzelne Nazis waren höchst rational; Eichmann als Beispiel: er hat Karriere gemacht, indem er Befehle auf höchst rationale Weise befolgt hat. Die ganzen Studien, wie man die Effektivität der Transporte und der Öfen in den Vernichtungslager erhöhen konnte, was waren die, wenn nicht rational? Die Leute hatten sich ein Ziel gesteckt: totale Vernichtung der Juden. Und dieses dann höchst rational gelöst. Sowohl für den einzelnen Befehlsbefolgenden (der sonst sicher Probleme bekommen hätte oder zumindest keine Karriere gemacht hätte...) als auch für die oberen mit ihrem zum Teil fanatischen Hass (und Hass kann doch nicht irrational sein, oder sind Emotionen auch Handlungen?) auf die Juden kann ich keine Irrationalität erkennen....
Außerdem finde ich zweifelhaft von der Rationalität der Nazis im Sinne eines Kollektivs zu sprechen. Rationalität gibt es nur für den Einzelnen. Genügend gemeinsame Interessen waren nicht unbedingt gegeben, insbesondere, weil ein Hitler wohl nah an der Geisteskrankheit war (zu späteren Zeiten)...was ihn aber auch nicht zwangsläufig irrational machte, höchstens arational ;).

Da es irrational wäre, eine irrationale Meinung haben zu wollen (das bei ausreichender Gesundheit des Geistes nicht möglich ist), kann ich keine Methode befürworten wollen, die zu irrationalen Meinungen führt. Die Methodik die du vorschlägst um religösen Glauben zu begründen, halte ich für irrational, weil sie zu keinen rationalen Meinungen führt.

Von irrationalen Meinungen habe ich nicht gesprochen, sondern von arationalen Handlungen, das ist ein großer Unterschied. Und man kann, wenn man viel Pech mit rationalen Handlungen hatte, durchaus der Meinung sein, dass man im Zukunft besser auf rationale Prüfung verzichtet und das durchaus rational...
Eine Begründung des Glaubens kann ich in meinen Postings hier nicht finden. Kannst du mich da aufklären?
Und nicht jede Handlung, die zu irrationalen Prämissen führt, muss irrational sein. Entgegen deinem Anfangspost bin ich durchaus der Meinung, dass es für manche glücksfördender ist, wenn sie von falschen Prämissen ausgehen. Beispiel: Der Mann von einer Frau stirbt. Sie hat ihn sehr geliebt, erfährt aber nach seinem Tode, dass er sie oft betrogen hat. Macht sie das glücklicher?

Padreic

Ipsissimus
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Do 9. Jun 2005, 10:51 - Beitrag #25

Maurice, Anliegen meiner Darlegungen ist nicht die Widerlegung deiner Definition oder Auffassung von Rationalität; Definitionen entbehren nicht eines gewissen Maßes an Willkür, die ich dir genauso zugestehe wie mir selbst und jedem anderen Menschen auch. Aus der Einsicht in diese Wilkür resultiert für mich, daß ich Definitionen nicht gar so furchtbar ernst nehme, meine eigenen nicht und auch nicht die von anderen.

In scharfem Gegensatz zu deiner Auffassung stehe ich also nicht wegen der Definition, die du vertrittst, sondern weil es für mich unmöglich ist, die "Aura" des von dir Vertretenen zu ignorieren. Diese Aura stellt sich für mich so dar, daß Rationalität für dich einen quasi "seligmachenden" Nimbus mit Alleinstellungscharakter aufzuweisen scheint; anders kann ich mir die vielen "sollten" und "müssen" deiner Statements kaum erklären.

Deine Auffassungen hinsichtlich der Irrationalität des Nationalsozialismus teile ich vor allem deswegen nicht, weil es keine absolute Moral gibt; da es eine solche nicht gibt, ist der Bereich der Absichten auch nicht mit der Dichotomie rational - irrational einzufangen. Im Bereich des Algorithmus ist ein gefundener Algorithmus eben immer genau das: EIN gefundener Algorithmus; natürlich sind daneben viele andere möglich. Im Rahmen des von ihnen gefundenen und präferierten Algorithmus sind die Nazis so rational wie irgend möglich vorgegangen. Deine Ansicht z.B., daß es rationaler gewesen wäre, die intelligenten Juden für Nazi-Zwecke einzuspannen, basiert auf einem anderen Algorithmus; deine Lösung hätte aber mit anderen Problemen zu kämpfen gehabt.

Beinahe habe ich den Eindruck, deine diesbezüglichen Darlegungen weisen darauf hin, daß DU eine absolute Moral im Hinterkopf hast :-) als könnest du es nicht ertragen, daß die von dir hochgelobte Rationalität eben doch kein Bollwerk gegen Bestialität ist - ganz davon abgesehen, daß Bestialität der Verfahrensweise für dich ja eigentlich ein probates Mittel darstellen muss, falls du kein besser geeignetes Mittel finden solltest.

Das ist das, was ich an deiner und e-noons Auffassung wirklich indiskutabel finde: daß der Bereich der Absicht quasi-sakrosankt ist.


ps: Padreic hat Teilaspekte dessen, was ich ausdrücken wollte, wesentlich luzider ausgedrückt als ich :-)

janw
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Do 9. Jun 2005, 11:04 - Beitrag #26

Maurice, damit, die Juden qualifikationsangemessen für das System zu nutzen, wären die Nazis gar nicht an die Macht gekommen, denn der Zustand war ja gegeben.
Es war also rationales Kalkül, die bestehenden Vorurteile der Menschen zu bestärken und zu sagen "wir tun was dagegen" und dann damit an die Macht zu kommen und die Macht zu sichern.

Die Demokraten waren nicht wirklich Gegenstand von Vorurteilen, die Kapitalisten wurden als Geldgeber gebraucht.
Und die Kommunisten wurden ja verfolgt.

Die Rassenideologie war rational in ihrer logischen Stringenz, irrational, weil sie auf falschen, abstrusen und wissenschaftlich absolut unhaltbaren Grundlagen aufbaute und moralisch verwerflich, weil sie Menschen aufgrund von zugesprochenen Merkmalen in Wertkategorien einteilte und aufgrund dieser bestimmte "Merkmalträger" als zu vernichten einstufte.

Maurice
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Do 9. Jun 2005, 11:37 - Beitrag #27

Ich wiederhole mich: Rationalität ist nicht die Universalformel für den Weltfrieden. Ich gehe auch von keiner objektiven Moral aus. Wie bekannt lehne ich eine solche strikt ab. Ich gehe aber davon aus, dass es strukturell gesehen wesentlich glücksförderlicher ist, rational zu sein. Das gilt für alle Menschen, die dazu in der Lage sind. Rationalität heißt nicht von A nach B zu denken, sondern auch nach C. Rationalität heißt ein möglichst nützliches Kalkühl aufzubauen, ein Kalkühl was das Glück als Ziel hat. Das Kalkühl mancher Nazis (entschuldigt meine zurecht von euch kritisierte Verallgemeinerung) war kurzsichtig. Wenn sich jemand im Machtgeflecht wiederfindet, dann halte ich es für rational davon zu profitieren. Padreic nannte Eichmann als passendes Beispiel. Was aber nicht rational ist, ist die Erstellung eines solchen Systems, was nach einer gewisser Prüfung als nicht erfolgsversprechend eingestuft werden müsste. Ok uns fällt es leicht das heute zu sagen, aber ich glaube, es wäre auch schon damals möglich gewesen. Einen großen Teil der intelligentesten Menschen der eigenen Bevölkerung auszuschalten oder in die Arme der Gegner zu spielen ist für einen Sieg sehr schädlich. Eine Politik zu vertreten, die willkürlich Bündnisse erstellt und bricht, ist auch schädlich. Die ganze Ideologie war widersprüchlich zu der Politik und somit irrational und somit zu verwerfen. Aus rationalen Gründen hätte es die Poltik nicht geben dürfen, weil die Ideologie offensichtlich irrational war, auf der sie fußte. Es ist definitiv widersprüchlich, wenn man zum einen "die arische Rasse" als einzig wertes Leben propagiert und man das Ziel hat, alle "minderwertigen Rassen" zu beseitigen, aber auf der anderen Seite ein Bündnis mit z.B. Japan eingeht. Ich weiß nicht, wo ein Japaner arisch sein sollte. Aus rationalen Gründen sind irrationale Modelle abzulehnen.
Ich gestehe Padreic zu, dass die Nazi-Ideologie vielleicht besser als arational als irrational bezeichnen müsste. Hier räume ich ein, dass die von mir zu beginn genannten Definitionen quasi Prototypen sind, die eventuell zu überarbeiten sind, aber auf jeden Fall weiter zu spezifizieren sind. Meine genannten Definitionen sind unvollständig, das sehe ich selbst und das gilt es zu beheben. Diese Diskussion soll dabei helfen.

Geht man nicht von objektiver Werthaftigkeit/Moral ist, steht die Meinung, dass Juden minderwertig sind und es das beste ist, sie von der Welt zu tilgen, jenseits von rationaler Beurteilbarkeit. Da geht es nicht um Fakten, sondern um Beurteilung von Werthaftigkeit.
Wenn man einen ungeheuren Hass auf die Juden hat, warum soll es dann nicht rational sein, die Juden zu vernichten?

Diese Beurteilungen waren aber nicht rational, welche es aber hätte sein sollen, wenn man sich die Bedeutung dieser vergegenwärtigt.
Was den Hass angeht, so meine ich, dass es vernünftiger wäre sich mit diesen auseinander zu setzen, um dann zu erkennen, dass dieser unbegründet ist. Auf was stützt sich mein Urteil? Bedarf es einer Prüfung und habe ich diese gemacht? Wenn ich jemanden hasse, mir über diesen Hass Gedanken mache und merke, dass er ungerechtfertigt ist und sich nicht rechtfertigen lässt, so wird das Auswirkungen auf meine Emotionen haben. Wenn der Hass rational ist (als nach Prüfung durch den Verstand als richtig beurteilt wurde), dann wird es wohl auch rational sein, sich gegen diese zu wenden, die man hasst, wenn es mit den anderen Interessen im Einklang zu bringen ist. Ich bezweifle ernsthaft, dass die meisten Nazis ihren Hass je einmal vernünftig reflektiert hatten.

Und man kann, wenn man viel Pech mit rationalen Handlungen hatte, durchaus der Meinung sein, dass man im Zukunft besser auf rationale Prüfung verzichtet und das durchaus rational...

Imo nein. Ich schätze es nämlich anders ein: Deine Handlungen sind nicht gescheitert, weil sie rational waren, sondern weil sie nicht ratioanl genug waren. Natürlich kann ist das eine steile These, die ich nicht an Fakten messen kann. Es klingt mir eben so nach "die böse Rationalität". Am besten wäre es natürlich, wenn du ein Beispiel nennen könntest, wo du deiner Meinung nach besser nicht hättest rational handeln sollen. Da es sich um etwas persönliches handelt, verstehe ich es, wenn du das hier nicht posten wollen würdest. Wenn doch, dann könnte das wesentlich dazu beitragen, dass ich dich besser verstehe.

Bei der ganzen Sache kommt es darauf, welche Maßstäbe man an die Begründung von Handlungen und Meinungen stellt. Daran steht und fällt das Urteil, ob etwas rational war, auch der Holocaust. Wie offensichtlich ist, stelle ich im Moment einen sehr starken Begründungsanspruch.
Die Fragen die vielleicht erstmal geklärt werden müssten, bevor wir weiter über die Rationalität des Holocaust diskutieren, wären:
1. Wie gut begründet muss eine Meinung sein, damit sie rational ist?
Welche methodischen Kritierien müssen erfüllt sein, damit eine Meinung als rational gelten kann?
2. Wenn ich eine Meinung M1 mit einer Meinung M2 begründe usw. wann darf diese Begründungskette abbrechen, damit M1 begründet bleibt? Wenn M1 sich letztlich mit Mn begründet und Mn unbegründet ist, ist dann M1 auch streng genommen unbegründet?
3. Angenommen es gibt letzte Begründungen, diese Mn wäre korrekt, aber in der Meinungskette bis M1 gäbe es unkorrekte Schlussfolgerungen, ab wievielen unkorrekten Schlussfolgerungen ist M1 irrational?

Ausgangspunkt müssen natürlich meine Vorschläge von Rationalität aus dem Anfangspost sein, die sich an der offiziell verwendeten orientieren. Wer einen völlig anderen Rationalitätsbegriff hat (z.B. rational = völliges Ignorieren von Emotionen), wird mit meinen drei Fragen nicht viel anzufangen wissen. Es scheint mir aber so, dass wir weitgehend im Ausgangspunkt übereinstimmen.

Ipsissimus
Dämmerung
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Do 9. Jun 2005, 12:02 - Beitrag #28

natürlich ist es ein bißchen boshaft, Maurice, wenn du meine Darlegungen auf einen solchen Satz verkürzt :-) aber sei´s drum :-)


Zu deinen 3 Fragen:

1) ich habe es noch nie erlebt, daß eine Handlung oder eine Meinung nicht begründbar wäre; Gründe dafür, zu tun, das zu tun mensch sich vor jedem Grund entschlossen hat, gehen als allerletztes aus. Die Begründbarkeit einer Entscheidung usw. ist daher kein Kriterium, das außerhalb stark formalisierter Kontexte irgendeinen Aussagewert hinsichtlich der Rationalität der Entscheidung hätte; sie besagt lediglich, daß die Entscheidung AUCH so darstellbar ist, daß sie plausibel klingt.

2) sie "darf" jederzeit abbrechen, wenn das Mensch, das überzeugt werden soll, überzeugt ist; ob dessen Überzeugtheit irgendetwas mit der Rationalität der Beweisführung zu tun hat, bleibt mir hochgradig unwahrscheinlich, außer vielleicht in hochgradig formalisierten Kontexten bei gleichen Grundhaltungen.

im Sinne einer "starken" Logik allerdings dürfte sie niemals abbrechen, es sei denn, sie träfe auf eine Unhinterfragbarkeit. Da es solche aber nicht im logischen sondern nur im intentionalen Bereich gibt (es sei, wir gewähren Axiomen des Weltbildes den Status der Unhinterfragbarkeit), dürfte sie niemals abbrechen.

Das gleiche gilt bei Frage 3 im Sinne einer starken Logik für logische Risse in der Kette.

Bowu
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Do 9. Jun 2005, 18:53 - Beitrag #29

Mir scheint, dass bei dir Maurice die Vernunft irgendeinen konstruktiven "Touch" hat, der mir nicht ganz verständlich ist.

1. Eine Meinung kann als rational gelten wenn sie eine logisch mögliche Schlussfolgerung aus den zugrundeliegenden Prämissen/Tatsachen/Wahrnehmungen ist. Sie ist ausreichend begründet wenn sie von P/T/W ausgeht, und keine der Logik widersprechenden Schritte von ihnen zur Meinung vornimmt.

2. M1 ist streng unbegründet, wenn die Begründungskette auf keine Prämissen/Tatsachen/Wahrnehmungen zurückführbar ist.

3. M1 ist irrational, sobald eine falsche Schlußfolgerung der Begründungskette ausschlaggebend auf das Ergebnis ist.

Bowu
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Do 9. Jun 2005, 19:28 - Beitrag #30

Zitat von Maurice:I
1. Eine Handlung ist dann rational, wenn sie nach Prüfung durch den Verstand für glücksförderlich beurteilt wurde.
2. Eine Handlung ist dann irrational, wenn sie nach Prüfung durch den Verstand als glückshinderlich beurteilt wurde.
3. Eine Handlung ist dann arational, wenn keine Prüfung durch den Verstand stattfindet.


Diese Formulierung ist leicht missverständlich, sie erweckt den Eindruck, das Rationalität einer Handlung zukommt, dabei ist nur unser Urteil über eine Handlung, oder das der Handlung zugrundeliegende Urteil rational oder nicht rational.

Maurice
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Do 9. Jun 2005, 19:46 - Beitrag #31

Nein Bowu in der Philosophie spricht man auch von rationalen Handlungen. Zumindest tut das der Prof jede Woche in der Vorlesung. ;)

PS: Doppelpost, schäm dich! :D

Maurice
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Fr 10. Jun 2005, 11:36 - Beitrag #32

@Ipsi: Deine Interpretation meines Posts ist verständlich, aber falsch. Mein "z.B. rational = völliges Ignorieren von Emotionen" bezog sich nicht auf dich. Soweit ich dich verstanden habe, siehst du die Sache etwas differenzierter. Aber solche Vorstellungen, wie die genannten, gibt es auch von Rationalität. Ich denke, dass du einer solchen auch nicht zustimmst.

@Begründbarkeit: Ja es ging mir nicht um ein alltägliches begründen, sondern erstmal um ein logisches.
Beispiel: A: Warum hast du geschriehen?
B: Weil da ein böser Hund war.
A: Warum soll der Hund böse gewesen sein?
B: Er schaute so böse.
A: Woher weißt du, dass er böse geschaut hat?
B: Ich hatte den Eindruck.
A: Von deinem Eindruck kannst du aber nicht sicher auf den Zustand des Hundes schließen. Vielleicht hast du dich geirrt. Außedem woher wusstest du, dass der Hund überhaupt existiert, den du gemeint hast zu sehen und es nicht nur ein Hirngespinst war?
B: Was ist das für eine Frage? Ich habe ihn doch gesehen!
A: Du hattest den Sinneseindruck, aber kannst du von diesem sicher auf die Außenwelt schließen? NEIN!

Ich weiß, das klingt jetzt sehr gekünstelt, aber darauf läuft es bei wohl allen Handlungen hinaus, wenn man sie systematisch skeptisch hinterfragen würde. Die Frage ist also, wo Schluss sein sollte mit der Skepsis. Wenn es keinen Schluss gibt und eine Meinung nur rational ist, wenn sie abschließend begründet ist, dann kann man keine Meinung als rational bewerten.

Dein zweiter Punkt könnte durchaus eine Lösung sein. Man einigt sich einfach auf Formen von Endbegründungen in bestimmten Kontexten. Nur könnte es z.T. schwer werden sich auf bestimmte Kriterien zu einigen.
Um doch nochmal kurz auf die Nazi-Ideologie als Beispiel einzugehen: Jemand der diese Ideologie vertritt würde in der "Offensichtlichkeit der Minderwertigkeit der Juden" eine legitime Endbegründung sehen, wir hingegen nicht. Ich würde aber gerne Kriterien haben, die möglichst verbindlich sind.

Was die Verbindung von Meinungen und Handlungen angeht, so habe ich eine mögliche Lösung: Eine Handlung ist dann rational, wenn sie den eigenen Interessen förderlich ist, wobei die Interessen nicht rational sein müssen. Das würde es zumindest mit den Handlungen einfacher machen. Danach müsste man aber den Holocaust als rationales Unterfangen bewerten. Die Grausamkeiten würden damit aber kritisierbar bleiben, weil man die Ideologie als irrational bezeichnen könnte. Bliebe damit die Frage, wann eine Meinung für rational gelten sollte.

Ipsissimus
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Fr 10. Jun 2005, 12:41 - Beitrag #33

A: Warum hast du geschriehen?
B: Weil da ein böser Hund war.
A: Warum soll der Hund böse gewesen sein?
B: Er schaute so böse.
A: Woher weißt du, dass er böse geschaut hat?
B: Ich hatte den Eindruck.
A: Von deinem Eindruck kannst du aber nicht sicher auf den Zustand des Hundes schließen. Vielleicht hast du dich geirrt. Außedem woher wusstest du, dass der Hund überhaupt existiert, den du gemeint hast zu sehen und es nicht nur ein Hirngespinst war?
B: Was ist das für eine Frage? Ich habe ihn doch gesehen!
A: Du hattest den Sinneseindruck, aber kannst du von diesem sicher auf die Außenwelt schließen? NEIN!

die letzten beiden Statements von A brechen imo die rationale Kette, da sie keine Begründung enthalten, wieso vom Eindruck nicht auf den Zustand geschlossen werden kann; sie setzen so viel an apriori-Einsichten oder Entscheidungen voraus, daß selbst dann, wenn B zustimmend nickt, es sich nur um ein Missverständnis handeln kann.

Maurice
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Fr 10. Jun 2005, 13:24 - Beitrag #34

Na ok, dann folgt eben noch eine Begründung von A ;) :

A: Man kann nicht sicher von den Sinnesdaten auf die Außenwelt schließen, weil wir nicht beweisen können, dass uns die Sinnesdaten überhaupt etwas über die Außenwelt sagen. Vielleicht träumst du nur, hast Halluzinationen oder bist sogar nur ein Gehirn in einem Tank. Ja welchen Grund hat man, um dies anzunehmen? Keinen, aber dennoch können wir nicht beweisen, dass es nicht so ist und deshalb wissen wir es ist. Wenn wir dies aber nicht wissen, dann können wir nicht sicher von unseren Sinnesdaten auf den Zustand der Außenwelt schließen.

Ipsissimus
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Fr 10. Jun 2005, 13:29 - Beitrag #35

in der Tat^^ aber was ändert das alles für B daran, daß er Angst vor dem Hund hat? Oder gehst du über die Straße, wenn du einen LKW heranfahren siehst, nur weil du deinen Sinnesdaten misstraust?

Bowu
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Fr 10. Jun 2005, 13:49 - Beitrag #36

@Philosophieprofessor
Schon die Gattung "arationaler" Handlungen zeigt, dass die Rationalität kein Aspekt jeder Handlung ist, und ist ein Hinweis auf die Künstlichkeit der Zuordnung von Rationalität auf Handlung.

Worauf ich hinaus will: rational könnte nur die Begründung (falls es eine gibt) einer Handlung sein. Schon wenn wir Handlungen als Folge/Wirkung von inneren/äußeren Ursachen verstehen, zeigt sich die Unmöglichkeit einer rationalen Begründung der Handlung, denn die Rationalität kann die Kausalität nicht erschöpfend begründen - sie scheitert bei einer qualitas occultae, die sie nicht weiter erklären kann.

------------------------------------------------------------
Warum kann ich nicht von den Sinnesdaten auf die Außenwelt schliessen? Weil Wahrnehmung auch keine Rationalität zukommt.
Aber sind unsere Sinnesdaten trügerisch?

Nein, denn unsre Sinnesdaten sind auf der rein phyiskalischen Ebene doch objektiv (nicht vollständig also sie nehmen nicht alle Aspekte des betrachteten Objekts wahr, aber auch nicht fehlerhaft), denn auf dieser Ebene sind die Sinneswahrnehmungen einfache Naturphänomene denen Dinge wie Falschheit gar nicht zukommt. Sie existieren genauso objektiv wie die anderen Dinge der Außenwelt.

Also die Abbildung des Hundes auf meine (physikalischen) Sinnesdaten ist ein rein natürliches Vorgehen, wenn ich diesem Vorgehen "Fehler" zuordne, so ist jeglicher natürliche Prozess "fehlerhaft"??

Maurice
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Fr 10. Jun 2005, 14:20 - Beitrag #37

Bowu ich behaupte einfach mal, dass der Professor (der sogar ein Buch über Rationalität geschrieben hat) mehr Ahnung davon hat, was eine philosophisch korrekte Ausdrucksweise ist als du. Und wenn er regelmäßig von rationalen Meinungen UND rationalen Handlungen spricht, dann wird das wohl seine Richtigkeit haben.
Wenn du noch eine andere Quelle haben willst, die meine Aussage bekräftigt, dann schau mal z.B. bei Wikipedia nach. Naja das brauchst du nicht, denn ich zitiere mal davon:
Rationalität (von lat. rationalitas = Denkvermögen) bezeichnet im Allgemeinen die Vernunft oder vernunftbegabtes Handeln. Im erweiterten Sinne wird der Begriff auch im Sinne von Verhältnismäßigkeit verwendet, zum Beispiel für die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck. Rationales Handeln liegt demnach vor, wenn angestrebter Zweck und verwendetes Mittel in einem vernünftigen Maß zueinander stehen.

Du kannst natürlich gerne deine eigene Terminologie verwenden, nur wirst du dann etwas allein damit dastehen.

@Ipsi:
aber was ändert das alles für B daran, daß er Angst vor dem Hund hat?

Wenn ich davon ausgehe, dass ich nur träume, dann wird sich dadurch meine Angst eventuell verrinern oder ganz aufhören. Ich habe schon einige Male beim träumen eines Alptraums bemerkt, dass ich träume und das hatte tatsächlich manchmal Einfluss auf die Angst, die ich hatte. z.B. versuchte ich dann das eine Mal nicht mehr vor den Männern wegzulaufen, die mich verfolgten, sondern stellte mich ihnen.
Wenn ich nun annehme, dass der Hund, von dem ich meine, der mich gerade anknurrt, nur eine Einbildung ist, dann kann das auch wiederum Auswirkungen auf meine Angst haben.

du über die Straße, wenn du einen LKW heranfahren siehst, nur weil du deinen Sinnesdaten misstraust?

Sehe ich die Situation durch die Brille eines systematischen Skeptizismus, so weiß ich nicht, ob der LKW, von dem ich meine, dass er auf mich zurast, wirklich existert, oder nur meine Einblidung ist. Aber selbst wenn ich durch die Brille des systematischen Skeptizismus in dieser Situation schauen würde, würde ich sicherheitshalber ausweichen. Wenn es nur eine Einbildung war, dann war meine Handlung umsonst, wenn der LKW real war, dann war das Ausweichen die einzig richtige Handlung (Voraussetzung natürlich, dass mir etwas an meienm Leben liegt).

@Bowu:
Nein, denn unsre Sinnesdaten sind auf der rein phyiskalischen Ebene doch objektiv (nicht vollständig also sie nehmen nicht alle Aspekte des betrachteten Objekts wahr, aber auch nicht fehlerhaft), denn auf dieser Ebene sind die Sinneswahrnehmungen einfache Naturphänomene denen Dinge wie Falschheit gar nicht zukommt.

Aha und warum sollte diese Meinung über die Sinnesdaten richtig sein? Beweis mir z.B. mal, dass ich nicht ein Gehirn in einem Tank bin und das alles hier nicht nur eine Simulation ist und mir nichts über die Außenwelt sagt?
Ich kann nicht daran zweifeln, dass ich Sinnesdaten habe, aber ich kann daran zweifeln, dass sie mir etwas über die Außenwelt sagen.

Ipsissimus
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Fr 10. Jun 2005, 15:00 - Beitrag #38

Aber selbst wenn ich durch die Brille des systematischen Skeptizismus in dieser Situation schauen würde, würde ich sicherheitshalber ausweichen.


Sicher :-) aber selbst wenn B die Bösartigkeit des Hundes durch die Brille des systematischen Skeptizismus in dieser Situation schauen würde, würde er sicherheitshalber um Hilfe rufen.



Dei systematischer Skeptizismus ist in dieser Situation belanglos, er wird von Erfahrung überlagert, und aus der von dieser erzeugten Befürchtung heraus - und nicht aus Rationalität - wartest du, bis der LKW vorüber ist.

Bowu
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Fr 10. Jun 2005, 15:03 - Beitrag #39

Ich meine mit der "Außenwelt" genau das, was du als mögliche Simulation bezeichnest. Die Bedeutung des Wortes "Außenwelt" bezeichnet für mich eben die Welt die ich wahrnehme, nicht das, was auch sein könnte.

@ Philosophieprofessor
Ich greife nicht die Meinung deines Professors an, ich weiß auch gar nicht, was dieser unter Rationalität versteht. Das bloße Benutzen der Termini "rationale Meinung" "rationale Handlung" verrät nichts darüber, ob die Eigenschaft "rational" analytisch oder synthetisch aus der Meinung/Handlung gewonnen wurde.

Dankbar wäre ich dir, wenn du die Begriffe begründen würdest (natürlich gern mit den Worten deines Profs), denn ich habe bisher keine Möglichkeit etwas zu erwidern, da ich einfach nicht weis wie dein Prof. den Begriff begründet.

e-noon
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Fr 10. Jun 2005, 15:18 - Beitrag #40

Dein systematischer Skeptizismus ist in dieser Situation belanglos, er wird von Erfahrung überlagert, und aus der von dieser erzeugten Befürchtung heraus - und nicht aus Rationalität - wartest du, bis der LKW vorüber ist.
Denkt man jedoch darüber nach und kommt zu dem Schluss, dass man gute Gründe hat (Erfahrung zB.), eine Außenwelt, von der uns unsere Sinnesdaten berichten, anzunehmen, kann aus der arationalen, intuitiven Handlung des Ausweichens eine rationale Handlung werden :)

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