Rationalität

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
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Fr 10. Jun 2005, 15:32 - Beitrag #41

das ist vollkommen richtig :-) die nachträglich Bewertung dieser Vorgehensweise ändert aber nichts daran, daß das Tun selbst nicht auf der Grundlage der von Maurice angeführten rationalen Basis erfolgt - ich bin mir ziemlich sicher, daß auch Maurice sich nicht bei jedem LKW fragt, ob er vielleicht halluziniert, die Hand nicht in ein Salzsäurefass hält, obwohl es vielleicht eine Illusion ist usw.

Wenn mensch wild entschlossen ist, alles als "rational" zu deklarieren, was auch ohne diese Deklaration bestens funktioniert - z.B. instinktive Handlungen - nur zu. Was dadurch gewonnen ist, bleibt mir schleierhaft.

Maurice
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Fr 10. Jun 2005, 15:32 - Beitrag #42

Eine Definition bedarf keiner großen Begründung, wenn sie nur Ausdruck einer allgemeinen intersubjektiven Einigung ist, in der dieser Begriff gilt. Einige Menschen haben die Begriffe so definiert und diese wurden von anderen übernommen. Es ist reine Konvention, die aus einem historischen Kontext erwächst.
Die Definition von rationalen Handlungen, die er gegeben hat (wenn ich sie mir richtig notiert habe), entspricht der von Wikipedia. Ich habe sie mir während der Vorlesung so notiert: Rational/vernünftig sind die Handlungen, die eine Person nach besten Wissen begeht, von denen sie meint, dass sie ihren Interessen förderlich sind. Eine Handlung ist rational, wenn das benutzte Mittel dafür geeignet ist, um ein Ziel zu erreichen.
In der Philosophie gibt es einen Streit, ob man Handlungen nur dann rational nennen sollte, wenn das gewählte Mittel das bestmögliche ist, oder ob es reicht, dass es passendes Mittel ist. Die obigen Ausführungen entsprechen dem zweiten Standpunkt. Eine Definition, die dem ersten Standpunkt gerecht werden würde, sähe wie folgt aus: "Eine Handlung nennen wir dann rational, wenn sie auf der Grundlage bestimmter Informationen eine optimale Aussicht auf Erlangung ihrer Ziele bietet."
Ich selbst halte den zweiten Standpunkt (also dass passende Mittel reichen) für sinnvoller.

@Außenwelt:
Die Bedeutung des Wortes "Außenwelt" bezeichnet für mich eben die Welt die ich wahrnehme, nicht das, was auch sein könnte.

Dann finde ich deine Terminologie nicht sinnvoll. Ich halte es für besser zwischen Außenwelt, als das was außerhalb meiner selbst liegt und meinen Sinnesdaten, bzw. meiner Vorstellung der Außenwelt zu unterscheiden.
"Sinnesdaten" meint bei mir nur (in hoffentlich richtiger Anlehnung an Russell), die Bilder in meinem Kopf. Ob diese Bilder in meinen Kopf eine Spiegelung der Außenwelt sind, weiß ich nicht. Wenn dies der Fall ist, dann würde ich von Sinneswahrnehmungen oder -eindrücken sprechen. Sinneswahrnehmungen oder -eindrücke sind also Sinnesdaten, die dadurch zustande kommen, dass meine Sinnesorgane Reizen von der Außenwelt unterliegen und diese in meinem Gehirn zu Sinnesdaten umgewandelt werden. Sollten diese Sinnesdaten keine Sinneseindrücke sein, so halte ich es für sinnvoll von Sinnestäuschungen, Einbildungen, Halluzinationen o.ä. zu sprechen.

@Ipsi: Wenn Person B nicht weiß, ob der Hund echt ist, aber auf Nummer sicher gehen will, dann ergibt es Sinn zu schreien. Wenn er aber glaubt, dass der Hund nur Einbildung ist, dann wird es keinen Sinn ergeben zu schreien.
Ich gestehe, dass es vernünftiger ist im allgemeinen davon auszugehen, dass es sich bei meinen Sinnesdaten um Sinneseindrücke handelt. Damit wären die Sinnesdaten in den meisten Fällen als Letzbegründung geeignet. Thx damit wäre das Problem schon mal oberflächlich gelöst. Probleme gibt es aber, wenn eine Person weniger Sinnesdaten hat, als eine andere und nicht entschieden werden kann, inwieweit sie richtig sind. Sollte man vielleicht einfach einem Mehr an Sinnesdaten generell gegenüber skeptisch sein?

e-noon
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Fr 10. Jun 2005, 15:43 - Beitrag #43

@Ipsi: Wenn man einmal eine rationale Grundlage hat, muss man sich sicher nicht jedesmal fragen, ob die jeweilige Handlung rational ist. Wenn ich einmal beschlossen habe, dass eine gesunde Ernährung für mich besser ist und ich sie deshalb auf mich nehme (was ich noch nie getan habe, dazu bin ich zu irrational ^^), muss ich nicht vor jedem Apfel überlegen, sondern kann ihn einfach essen. Somit ist die Handlung selbst natürlich nicht aus einer Überlegung entstanden, beruht aber auf einer solchen.

Auch das Ausweichen entsteht nicht aus einer Überlegung heraus, hat aber eine rationale Grundlage, was es von einer arationalen, rein instinktiven imo unterscheidet.

Maurice
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Fr 10. Jun 2005, 15:53 - Beitrag #44

Wenn ein LKW auf mich zurast und ich reflexartig zur Seite springt, dann ist das keine rationale Handlung, weil es sich nicht mal um eine Handlung handelt. Eine Handlung ist per Definition eine bewusst zielgerichtete Tätigkeit. Wenn ich bewusst die Augen schließe, dann ist das eine Handlung. Wenn mir ein Arzt mit einem Hämmerchen auf das Knie schlägt und ich mein Bein bewege, dann ist das keine Handlung.

e-noon
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Fr 10. Jun 2005, 16:09 - Beitrag #45

Achso; ich dachte, jede Tätigkeit, also alles, was ich tue, wäre eine Handlung.

Ist also dann zum Beispiel das Essen eines Apfels eine Handlung? Oder zB. das Essen von Schokolade, wenn ich vorher darüber nachdenke, ob ich das wirklich sollte?
Und wie sollte dann eine arationale Handlung aussehen, wenn Handlung per definitionem das Überlegen mit einschließt?

Bowu
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Fr 10. Jun 2005, 16:09 - Beitrag #46

Ein letztes Mal zur Begriffsdefinition:
Zitat von Maurice:[...] Rational/vernünftig sind die Handlungen, die eine Person nach besten Wissen begeht, von denen sie meint, dass sie ihren Interessen förderlich ist. Eine Handlung ist rational, wenn das benutzte Mittel dafür geeignet ist, um ein Ziel zu erreichen. [...]
"Eine Handlung nennen wir dann rational, wenn sie auf der Grundlage bestimmter Informationen eine optimale Aussicht auf Erlangung ihrer Ziele bietet."


Die Zweite Aussage scheint mir deutlich näher zu sein, man könnte sie (zur Kenntlichmachung ihrer Struktur) umstellen, so das sie lautet:
"Wir nennen eine Handlung rational, wenn ihre Begründung mit den Kriterien der Rationalität übereinstimmend ist"
, schon das Prädikat nennen, signalisiert dabei, das wir etwas zuordnen, nämlich das Attribut rational, außerdem Zeigt der Satz nun deutlicher, dass dieses Attribut rational eben nicht analytisch aus der Handlung folgt, sondern analytisch aus der Begründung der Handlung.

Ich meine also, dass die Rationalität eigentlich nur der Begründung zukommt, der Handlung selbst nur genau dann das Attribut "rational" zukommt, wenn seiner Begründung das Attribut "rational" zukommt.

Dass also "rational handeln" eine Synthese aus den Gliedern "rational begründet sein" und "handeln" ist.

Maurice
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Fr 10. Jun 2005, 16:32 - Beitrag #47

@E-Noon: Nehmen wir wieder die Schokotorte als Beispiel. Sobald ich darüber nachdenke, ob ich sie essen soll und dann sie dann esse, ist das Essen (also nicht die Torte) entweder rational oder irrational. Wenn ich aber nur die Torte sehe und denke "lecker Torte, die putz ich jetzt weg!", dann ist das darauf folgende Essen zwar eine Handlung, weil die Tätigkeit bewusst und zielgerichtet ist, aber keiner Prüfung durch den Verstand unterlag.
Das Essen einer Torte wäre dann keine Handlung, wenn sie reflexartig stattfinden würde und ich eine Torte immer sofort essen würde, wenn ich sie sehe, so wie sich mein Bein immer bewegt, wenn der Arzt mit dem Hämmerchen auf das Knie schlägt.
Frage beantwortet? :)

@Bowu: Na gut so genau hatte ich es dann auch nicht gesehen. Ich hoffe du akzeptierst trotz deiner Analyse die Bezeichnung "rationale Handlung". ;)

Bowu
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Sa 11. Jun 2005, 16:11 - Beitrag #48

Zitat von Maurice:@E-Noon: Nehmen wir wieder die Schokotorte als Beispiel. Sobald ich darüber nachdenke, ob ich sie essen soll und dann sie dann esse, ist das Essen (also nicht die Torte) entweder rational oder irrational. Wenn ich aber nur die Torte sehe und denke "lecker Torte, die putz ich jetzt weg!", dann ist das darauf folgende Essen [...]
(denke von mir hervorgehoben)

Ich glaube, dass das von mir hevorgehobene "denke" dort nicht stehen sollte, denn dein Beispiel wollte ja eine reflexartige Handlung ohne "Denken" darstellen.

@Vernunftdefinition
Ja ja :)
aber nichtsdestotrotz kannst du mir noch sagen wer dein Prof. ist, und wie sein Buch heißt. :)

Maurice
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Sa 11. Jun 2005, 16:55 - Beitrag #49

Nein meine Handlung sollte gerade KEINE reflexartige Tätigkeit darstellen, weil es sich dann um keine Handlung handeln würde, sondern eine arationale Handlung zeigen. Diese Handlung ist arational, weil sie zwar bewusst und zielgerichtet ist, aber über sie nicht nachgedacht wurde.
Denken muss ja nicht nachdenken sein.

@Dozent:
Prof. Dr. Stefan Gosepath - "Aufgeklärtes Eigeninteresse. Eine Theorie theoretischer und praktischer Rationalität" (Suhrkamp 1992)

Bowu
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Sa 11. Jun 2005, 18:13 - Beitrag #50

Ich sehe: Torte
Ich denke: lecker Torte, die putz ich jetzt weg!

Dabei wurde doch offensichtlich der Torte bereits ein weiteres Attribut zugeordnet ("lecker") was für mich die Begründung (Motivation) für die Handlung "die putz ich jetzt weg!" zu sein scheint.
Die Wahrnehmung der Torte (gewährleistet meiner Terminologie nach zumindest) der Verstand, die Zuordnung von "lecker" auf "Torte" scheint jedoch in der Vernunft stattzufinden, oder es werden zumindest beide Dinge der Vernunft "mitgeteilt".

Generell scheint mir irgendwie eine bewußte aber arationale Handlung (bewußt im Sinne von intendiert, also eben nicht refleartig) eine Unmöglichkeit. Oder anders "denken" scheint mir artgleich und höchstens abgeschwächt zu sein im Vergleich zum "nachdenken".

Padreic
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Sa 11. Jun 2005, 18:35 - Beitrag #51

Kurz zur Außenwelt: Es spielt für mich erstmal keine Rolle, ob der Hund/LKW wirklich "real" ist oder es nur die Halluszination eines Gehirns im Tank ist. Wahrnehmung: Leute scheiden aus der Welt, wenn sie vom LKW getroffen werden. Wahrnehmung: Meine Welt wirkte bisher immer recht kohärent in ihren Gesetzen. Es kommt für mich jetzt nur darauf an, ob die Welt in diesem Gesetz weiterhin kohärent bleibt, wenn der LKW mich trifft. Ob das ist, weil mein Kopf und damit mein Gehirn von Reifen zermanscht wird oder die Tankversorgung abgestellt wird, who cares... Für all mein Handeln kann erstmal nur relevant sein, was ich (wie auch immer) wahrnehme. Außer vielleicht in Wertbetrachtungen, aber das ist eine andere Frage.
(Ende Exkurs)

Und jetzt zu Maurices Posting vom 9.6., 11:37.
Ein Beispiel, wo es besser ist arational zu handeln als rational, hast du schon genannt, Maurice, Situationen, wo schnelle Reaktionen notwendig sind. Wenn es um Emotionen geht, kann noch anderes eintreten. Wenn ich so z. B. intensiv nachdenke, so kann ich schlecht im selben Momente intensiv fühlen (zumindest nicht im Sinne von Glücklichsein). Und nicht nur auf den Moment bezogen. Es kann immer sein, dass durch den Zug zur Rationalität ein Teil der Fühlensfähigkeit schwächer wird, denn zur Rationalität dürfen Emotionen nicht im Vollzug im subjektiver Weise eine Rolle spielt, sie dürfen nur objektiviert zu Zielen, auf die die Rationalität abzielt, sein. Wenn man Angst davor hat, kalt zu sein, so mag es vernünftig sein, ab und zu auf ein wenig Rationalität zu verzichten....
Damit verbunden kann es durch Rationalität auch zu pessimistischen self-fullfilling prophecies kommen. Zur wirklich rationalen Betrachtung muss ich (auch in Betrachtungen einer emotionalen Beziehung) meine ganze Innenwelt so weit möglich objektivieren, auch meine Gefühlswelt. Und so manche emotionale Beziehung macht nur im subjektiven Vollzug Sinn. Eine objektivierte Betrachtung wird ihr dann leicht den Sinn absprechen und sie aufkündigen....ich weiß, im idealisierten Fall mag es durchaus so sein, dass solche Probleme nicht auftreten, da man ja alles das berücksichtigen kann. Man muss aber in der Philosophie immer wieder aufpassen, dass man nicht zu sehr ins Idealisierte abdreht, wo es doch eigentlich um die Realität der Menschen oder vielmehr noch des Einzelnen, konkreten Menschen (trotz allgemeiner Betrachtung) gehen sollte.
Und übrigens auch ganz losgelöst davon, ob es wirklich besser ist, auf einiges an Rationalität zu verzichten, wenn man viel Pech mit rationalen Entscheidungen hatte: wenn ein vielleicht nicht so weitsichtiger und intelligenter Mensch nach einigem Überlegen der Meinung ist, dann ist es doch für ihn rational.

'Böse' ist Rationalität für mich sicher nicht. Sie ist in vielen Bereichen notwendig und man könnte so manchem empfehlen, ab und zu etwas rationaler zu handeln. Doch ein Allheilmittel ist sie nicht, weder für den Weltfrieden noch für den persönlichen....

Und noch eine letzte kleine Anmerkung:
Es ist sicher nicht sinnvoll, scharf zwischen den Begriffen Arationalität, Irrationalität und Rationalität zu trennen. Eine reale Handlung/Meinung dürfte wohl immer im Inneren dieses Dreiecks liegen.

Maurice
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Sa 11. Jun 2005, 18:45 - Beitrag #52

@Bowu: Oje schon wieder eine Differenz. ^^*
Ich kann ja mal den Prof fragen und dann sagen, was er meint.
Also ich finde meine Konstellation ja plausibel. ;)

Bowu
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Sa 11. Jun 2005, 19:03 - Beitrag #53

Dein Prof scheint (laut seiner Seite bei der Uni Potsdam/ seiner Gebietsbeschreibung) Rationalität synonym mit praktischer Vernunft zu gebrauchen.

Es wäre mir aber neu, wenn Praktische Vernunft auf die reine Begründungsfrage beschränkt wäre, also Prozesse wie Abstraktion, Deduktion usw. aus der Definition herausfielen.

Jedenfalls würde ich eine Handlung ebenfalls als rational bezeichnen, wenn ihre eine gültige Abstraktion zugrundelag. Bsp. Abstraktion des fahrenden LKW's unter die lebensgefährlichen Situationen -> Handlung .

Maurice
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Do 16. Jun 2005, 01:33 - Beitrag #54

Auf Grund längerer Überlegung bin ich zu folgenden Ansichten gekommen:
Auf die Frage, wann eine Begründungskette abgebrochen werden sollen dürfte, also eine Meinung als ausreichend begründet bewertet sollte, scheint es mir am sinnvollsten, jegliche Evidenzen gelten zu lassen. Dies legte auch schon unsere Diskussion bezüglich des Hunde-Beispiels nahe.
Diese Lösung hätte folgende Konsequenzen:
Eine Meinung ist dann rational, wenn sie mit Evidenzen begründet ist. Da es nun vom Urteil des Individuums abhängt, wann ein Datum eine Evidenz ist, lassen sich keine allgemeingültigen Daten als legitime Begründungen festlegen. Eine Person X kann damit die Meinung von Person Y nicht als irrational bezeichnen, weil die Fakten die für Y Evidenzen sind, für X keine Evidenzen sind. Man darf nicht fragen, ob die genannten Daten für einen selbst Evidenzen sind, sondern für die Person, die die Meinung vertritt.
Das hat zur Folge, dass je nach Person ein und die selbe Meinung für den einen rational und für den anderen irrational sein kann, da bei der einen Person vorliegende Daten als Evidenzen bewertet werden und bei der anderen Person nicht.
Nehmen wir als Beispiel die Frage, ob es einen Gott gibt: Nehmen wir an jemand hat einen schlimmen Unfall erlebt und überlebt diesen fast völlig unbeschadet. Nun könnte dieses Datum für manche Menschen ein plausibler Grund sein, an einen Gott zu glauben. Dieser Unfall wäre dann eine Evidenz für die entsprechende Person, dass Gott existiert. Fragt man die Person nun, ob und warum sie an Gott glaubt und sie diese Meinung mit einer Evidenz, z.B. mit dem Unfall begründet, so würde man diese Meinung, nach meiner oben vorgeschlagenen Sicht von Rationalität, als rational bewerten müssen.
Wenn nun für diese Person der Unfall keine Evidenz darstellt, dann kann sie auch nicht mit dieser ihre Meinung begründen, dass es einen Gott gibt.
Demnach würde ich jedes religöse Weltbild (auch der User hier im Forum) als rational bezeichnen, wenn dieses mit Evidenzen begründet wird. Da dies wohl bei jedem der Fall sein wird, ist ein jedes davon rational. Wie gesagt kommt es dabei nicht an, welche Daten für mich Evidenzen sind, sondern für die Person, die die Meinung vertritt.
Dadurch, dass Meinungen auf Evidenzen beruhen folgt nicht, dass diese festgefahren sein müssen. Daten können auf Grund von neuen Daten nicht mehr als Evidenzen oder neu als Evidenzen bewertet werden. Auch kann sich die Interpretation von Daten, auf Grund von neuen Daten ändern. So könnte z.B. die Überwindung einer schweren Krankheit bei jemanden dazu führen, dass er sich der Religion zuwendet.
Als zusätzlich notwendiges Kritierium sehe ich aber auch noch die Widerspruchsfreiheit. Eine Meinung muss nicht nur auf Evidenzen aufbauen, sondern auch keine für die Person sichtbaren Widersprüche aufweisen. Auch bei den Widersprüchen gilt wie bei den Evidenzen schon, dass eine Meinung für die Person, die sie vertritt widerspruchsfrei sein muss und nicht für jemand anderes.

Was haltet ihr von diesem Vorschlag?
Damit würde der Anspruch der Rationalität deutlich abgeschwächt werden, würde dafür aber praktikabler werden und würde dennoch nicht überflüssig werden, da immer noch der Anspruch bleibt eine Meinung zu einem gewissen Grad zu begründen, was nicht immer der Fall ist.

Bowu
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Do 16. Jun 2005, 08:29 - Beitrag #55

(Hervorhebungen von mir)
Zitat von Maurice: Eine Person X kann damit die Meinung von Person Y nicht als irrational bezeichnen, weil die Fakten die für Y Evidenzen sind, für X keine Evidenzen sind. Man darf nicht fragen, ob die genannten Daten für einen selbst Evidenzen sind, sondern für die Person, die die Meinung vertritt.


Wir wollen nicht nur rationale Handlungen/Meinungen bewerten, deren rationalität kommunikativ untermauert ist, das Groß aller rationaler Handlungen scheint nicht kommunikativ untermauert zu sein.

Bei kommunikativ nicht untermauerten Handlungen, kann ich also nicht davon ausgehen, dass Person X die Evidenzen von Person Y kennt.

Daher scheint mir dieser Rationalitätsbegriff sehr unpraktikabel, da er Informationen vorraussetzt die ich in der Regel nicht habe.
Davon abgesehen ist es bei 2 Subjekten (Person x +Y) nicht klar, warum der , dessen Meinung/Handlung betrachtet werden soll, das Monopol der Evidenzen (in dieser Betrachtung) haben soll.
Viel praktikabler ist es, die Wahl der Evidenzen beim Betrachter zu lassen. Die Betrachtung einer Meinung mittels der Evidenzen eines anderen ist nicht objektiver, sondern nur der subjektive Standpunkt wurde gewechselt (und dabei noch nichteinmal ein mehr an Informationen erreicht).

Zitat von Maurice:Das hat zur Folge, dass je nach Person ein und die selbe Meinung für den einen rational und für den anderen irrational sein kann, da bei der einen Person vorliegende Daten als Evidenzen bewertet werden und bei der anderen Person nicht.


Der Quote hier widerspricht dem Quote oben deutlich, es sei denn die Verneinung im ersten betrifft einen allgemeinen Geltungsanspruch, während der 2. nur den subjektiven betrifft.
Mir scheint der 2. Quote deutlich sinnvoller.

Ipsissimus
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Do 16. Jun 2005, 09:05 - Beitrag #56

letztlich läuft dieses Rationalitätskonzept darauf hinaus, daß Rationalität ein Persilschein wird, mit dem alles begründet weren kann, das begründet werden soll ("Der Vorrat an Gründen erschöpft sich nie."). Solange die Prämissen unantastbar sind und Rationalität erst auf diesen vorgegebenen Axiomen aufsetzt, bleibt das Gesamtkonstrukt von willkürlicher Beliebigkeit. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, aber es erklärt, weswegen Menschen trotz von allen Seiten für sich selbst beanspruchter Rationalität einander derart fremd bleiben, daß sie miteinander Krieg führen müssen, einander ausbeuten müssen, einander fürchten u.ä. Rationalität scheint eine Sprache zu sein, die in Wahrheit mehrere Milliarden Sprachen ist.

Maurice
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Do 16. Jun 2005, 09:36 - Beitrag #57

@Ipsi: Dieser Konflikt entsteht doch aber nur dann, wenn man seine Evidenzen als die einzig legitimen Begründungen hinstellt. Wenn man jede Evidenzen als legitime Begründungen akzeptiert, dann wird das zumindest zu einem gewissen Mehr an Akzeptanz der anderen Meinung führen. Es läuft aber nicht auf einen völligen Meinung-Relativismus, wo jedem die Meinung des anderen egal ist. Ausreichend begründet heißt ja nicht, dass ich die Meinung akzeptieren muss, sondern nur dass es der Akzeptanz förderlich ist.

@Bowu: Natürlich ist es einfacher, wenn jeder seine Evidenzen als die einzig richtigen darstellt, aber sie sollte dafür die Begründung aussehen?
Wenn wir nichts über die Evidenzen des anderen wissen, dann können wir eben nicht entscheiden, ob seine Meinung rational ist. Wie das Konzept von Rationalität aber sein mag, so werden wir nie vorher beurteilen können, ob eine Meinung einer anderen Person rational ist, weil wir uns immer erst mit dieser unterhalten müssen, bevor wir ihre Begründung kennen können.
"Rational" in Bezug auf Meinungen kann man auf jeden Fall erstmal mit "wohl begründet" übersetzen. Was aber soll "wohl begründet" bedeuten? Soll nur als das wohl begründet gelten, was mit meiner Begründung identisch ist? Oder soll die Begründung "nur" in sich stimmig sein? Wenn letzteres der Fall sein soll, dann kann es imo nicht richtig sein, seine eigenen Ansichten als die einzig stimmigen auszuzeichnen und die anderen in sich stimmigen Ansichten alle als nur scheinbar stimmig zu betrachten, selbst wenn man keine Widersprüche aufweisen könnte.

Ipsissimus
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Do 16. Jun 2005, 10:26 - Beitrag #58

Dieser Konflikt entsteht doch aber nur dann, wenn man seine Evidenzen als die einzig legitimen Begründungen hinstellt.


ich denke eher, daß der Konflikt dann entsteht, wenn mensch von seinen Evidenzen ausgeht, ohne permanent in seine Überlegungen miteinzubeziehen, daß andere Menschen andere Evidenzen haben - die "Legitimität" von Evidenzen ist eher kein Problem :-) ANders gesagt, das was die Fragwürdigkeit erzeugt, ist der fehlende innere Abstand eines Menschen zu sich und seiner spezifischen Sicht der Welt, und dieser fehlende innere Abstand hebelt die gesamte Rationalität aus, soweit sie ein Mittel sein soll, das Gelingen der Kommunikation zu unterstützen (als Voraussetzung für alles, was ein Mensch nicht streng alleine machen will/kann)

Maurice
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Do 16. Jun 2005, 12:30 - Beitrag #59

Der Versuch des "inneren Abstand", wie du es nennst, könnte man als weiteres Kriterium von Rationalität neben der Begründung auf Evidenz und der Widerspruchsfreiheit einführen.

Was für ein mögliches Problem ich noch sehe ist die Differenz zwischen einem genauer definierten Begriff von Rationalität und unseren difusen Umgang mit diesem Wort. Was ich mich nämlich gerade gefragt habe ist, ob vernünftig gleichbedeutend mit sinnvoll im Sinne einer Wertigkeit von Handlungen und Meinungen ist. Ich neige spontan dazu, das zu bejaen...

Ipsissimus
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Do 16. Jun 2005, 13:55 - Beitrag #60

Der Versuch des "inneren Abstand", wie du es nennst, könnte man als weiteres Kriterium von Rationalität neben der Begründung auf Evidenz und der Widerspruchsfreiheit einführen.


das könnte mensch zweifelsohne tun; ich glaube allerdings, daß das Gemeinte damit nicht angemessen erfaßt ist. Die Einsicht in die Notwendigkeit der inneren Distanz zu sich selbst impliziert noch lange nicht die Fähigkeit, diese Distanz auch zu wahren, geschweige denn die Fähigkeit, ein angemessenes Fließgleichgewicht zwischen innerer Distanz und Nähe zu steuern. Diese beiden Fähigkeiten sind imo psychologische Fertigkeiten, deren Notwendigkeit sicher rational begründet werden kann, deren Beherrschung sich aber rationalem Zugriff entzieht.

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