Soziale Phobie, wie helfen?

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Bauer-Ranger
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Di 28. Jun 2005, 23:17 - Beitrag #1

Soziale Phobie, wie helfen?

Hallo,

ich kopier das mal von Wikipedia rein, damit jeder weiß, um was es geht:

Die soziale Phobie ist die dauerhafte Angst vor der Begegnung mit anderen Menschen und vor allem vor dem Bewertetwerden durch andere.

Menschen mit sozialer Phobie meiden so gesellschaftliche Zusammenkünfte, da sie fürchten, Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und auf Ablehnung stoßen zu können. Sie fürchten, dass ihnen ihre Nervosität oder Angst angesehen werden könnte, was ihre Angst oftmals noch weiter verstärkt. Begleitet wird die Angst oft durch körperliche Symptome wie Erröten (Erythrophobie), Zittern, Herzrasen, Schwitzen oder Atemnot.

Um all das zu vermeiden, gehen Menschen mit sozialen Ängsten Situationen, in denen sie der Bewertung durch andere ausgesetzt sind, oft von vornherein aus dem Weg, was ein berufliches und privates Weiterkommen sehr erschweren und mitunter zu vollkommener Isolation führen kann.

Experten differenzieren vier Formen sozialer Ängste:
Leistungsangst
Kontaktangst
Behauptungsangst
Beobachtungsangst.

Es wird geschätzt, dass zwischen 2 und 8 % der Bevölkerung unter sozialen Ängsten leidet. Exakte Angaben sind jedoch schwer zu machen, da sich eine soziale Phobie in ihrer Ausprägung sehr stark unterscheiden kann. Insbesondere der Übergang von Schüchternheit zur sozialen Phobie ist schwer zu bestimmen. Soziale Angst darf zudem nicht mit sozialen Defiziten verwechselt werden, obwohl die soziale Phobie aus sozialen Defiziten entstehen kann (oder auch erst zu diesen führen kann). Soziale Ängste oder Phobien kann stabile wie instabile, gut wie schlecht aussehende, extro- wie introvertierte Menschen treffen. Männer und Frauen sind zu gleichen Teilen betroffen.

Wie die meisten anderen Ängste entstehen auch die sozialen Ängste nicht durch ein bestimmtes Ereignis als solches, sondern durch bestimmte negative Phantasien und negative Bewertungen, die Betroffene sich zu diesem Ereignis machen. Im Brennpunkt der sozialen Phobien stehen Fragen wie, ob man beliebt oder unbeliebt ist, ob man akzeptiert oder abgelehnt wird, ob man bewundert oder ausgelacht wird. Wegen des unangenehmen Gefühls, das durch negative Selbstbewertungen entsteht, fürchten sich die Betroffenen davor, dumm, unfähig und schwach zu wirken. Die Furcht bezieht sich auf möglicherweise schlimme Reaktionen anderer Menschen sich selbst gegenüber.

Einer neueren Studie zufolge spielen genetische Faktoren eine weitaus größere Rolle als die Erziehung. Demzufolge seien betroffene Kinder schon besonders sensibel und nehmen das Verhalten anderer als verletzender wahr als dies nicht betroffene Kinder tun. Diese Sensibilität sei auf eine vererbte mangelhafte Serotoninproduktion des Gehirns zurückzuführen.

In einer Psychotherapie, insbesondere mit Hilfe der Kognitiven Verhaltenstherapie können Betroffene lernen, ihre negativen Bewertungen zu überprüfen und durch angemessene Bewertungen zu ersetzen. Gleichzeitig lernen sie, ein Risiko einzugehen und mögliche Fehler und Ablehnung zu ertragen. Sie lernen, ihren Perfektionsanspruch aufzugeben, sich zu akzeptieren und sich unabhängiger von der Meinung anderer zu machen. Unterstützend zu einer Therapie gelten körperliche Aktivität sowie Entspannungsübungen als angstlindernd.

Es gibt in Deutschland inzwischen eine Reihe von Selbsthilfegruppen, die sich des Problems der sozialen Phobie angenommen haben.


So, jetzt wisst ihr, um was es geht. Wie kann man als Einzelperson einem Menschen helfen, der von soetwas betroffen ist?

mfg Michi

Milena
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Mi 29. Jun 2005, 06:51 - Beitrag #2

Wie kann man als Einzelperson einem Menschen helfen, der von soetwas betroffen ist?
möchtest Du jemandem helfen..?
nun, bevor derjenige seine Umwelt reeller wahrnimmt, d.h. sich nicht stets negativ bewertet sieht und fühlt, geht es darum, dass sich dieser Mensch erst einmal selbst besser begreift, seinen Körper bewusster spürt und wahrnimmt..
einige Ansätze sind bereits am Ende deiner Ausführung genannt...
Du möchtest aber einzel einer Person helfen..?
das wird dir alleine aber nicht gelingen, natürlich kannst du sie noch zusätzlich unterstützen, aber lass sie auch die genannten Therapien machen,
darüberhinaus kannst du dem Menschen das Gefühl geben, dass er was besonderes und einzigartiges ist, ein Mensch, der es wert ist geliebt zu werden,
gebe ihm das Gefühl, dass er wunderbar ist, natürlich nicht unfehlbar und auch nicht perfekt, dass möge er auch nicht sein und vorallem, spreche deine Gedanken aus, sage ihm, dass du es toll findest, dass....
,dass es schön ist, dass......, dass er das und jenes gut gemacht hat, so baust du sein Selbstwertgefühl und sein Selbstbewusstsein auf, so braucht er keine Angst zu haben, lediglich zu versagen, alles falsch zu machen, negativ v.a von sich selbst bewertet zu werden..
lache mit ihm, freue dich mit ihm über die kleinsten, banalsten Dinge des Lebens, schliesse ihn in deine Gedanken mit ein, zeige ihm aufrichtige Gefühle und ernstgemeinte Zuneigung, so wird er vielleicht auch bereit sein,
sich zu öffnen, sich dir zu öffnen, sich der Umwelt zu öffnen, der Welt, und letztendlich bereit sein sich dieser Angst zu stellen.....

LadysSlave
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Mi 29. Jun 2005, 07:05 - Beitrag #3

Ich denke, dafür ist ein Psychologe notwendig, der sich ausgiebig mit der Herkunft des fehlenden Selbstbewusstseins des erkrankten befasst.
Denn daher kommt ja wohl die soziale Phobie. Mit eienm gesunden Selbstbewusstsein hätte niemand Angst, von anderen Bewertet zu werden, ja manchmal macht es sogar Spass, die Bewertung anderer zu erleben.

Für die Behandlung solcher schwerwiegender Defekte halte ich micht nicht befähigt, weshalb ich in dieser frage wirklich auf die entsprechenden Fachleute verweisen möchte.

Milena
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Mi 29. Jun 2005, 07:12 - Beitrag #4

ich denke Bauer-Ranger steht dieser Person nahe und möchte ihr auch deswegen
helfen bzw. sie unterstützen,
natürlich geht das nur in einer Form einer Begleitung zu den anderen angebotenen Therapien...
er braucht sie deswegen nicht links liegen zu lassen aus irgendeiner Angst heraus alles falsch oder gerade das Falsche zu machen,
er kann auf jeden Fall versuchen sie dabei zu unterstützen...

LadysSlave
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Mi 29. Jun 2005, 07:18 - Beitrag #5

Zitat von Milena:ich denke Bauer-Ranger steht dieser Person nahe und möchte ihr auch deswegen
helfen bzw. sie unterstützen,
natürlich geht das nur in einer Form einer Begleitung zu den anderen angebotenen Therapien...
er braucht sie deswegen nicht links liegen zu lassen aus irgendeiner Angst heraus alles falsch oder gerade das Falsche zu machen,
er kann auf jeden Fall versuchen sie dabei zu unterstützen...

Da stimme ich dir zu.
Natürlich braucht jeder Mensch jemanden, der Verständnis hat- nicht nur zeigt, sondern hat.
Aber wenn es schon so weit ausgeartet ist, dass es krankhafte Züge annimmt, also eine Phobie ist, dann kann auch ein Freund nur bedingt helfen. Dann begibt er sich nämlich in Gefahr, selbst betroffen zu werden.
Dabei wiederum stellt sich die Frage, warum jeder zum Zahnarzt geht, wenn er Schmerzen hat, aber kaum einer zum Psychologen, wenn er ein Psychisches Problem hat.

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 08:54 - Beitrag #6

"Ein guter und kompetenter Freundes-/Freundinnenkreis ersetzt jeden Psychologen und die meisten Psychjotherapien", sagte mir ein Psychologe aus meinem Bekanntenkreis. Meinen eigenen Erfahrungen unterstützen diese These auch. Die Überhandnahme von Therapiemaßnahmen kann m.E. als Zeichen zunehmender sozialer Beziehungslosigkeit aufgefasst werden, innerhalb der Psychologen oft dann fast schon die einzigen Personen sind, mit denen überhaupt noch gesprochen werden kann, eher einem Seelsorger vergleichbar.

Feuerkopf
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Mi 29. Jun 2005, 09:24 - Beitrag #7

Ipsi,
das setzt aber einen kompetenten Freundes-/Bekanntenkreis voraus!

Bei einer Phobie mag das stimmen, da kann das Umfeld sehr hilfreich sein, sollte aber ein bisschen über das Wesen und die Ursachen der Phobie wissen. Gerade Ängste sind ja gut überwindbar.

Schwierig wird es mit tieferen seelischen Verletzungen. Ich traue mir ganz ehrlich nicht zu, einen schwer traumatisierten Menschen zu stabilisieren und wieder aufzurichten.

Und bei "echten" psychischen Störungen wie Süchten, Depressionen oder Psychosen würde ich ganz bestimmt die Finger davon lassen. Da kann man bestenfalls begleiten.

Ladysslave hat es gut formuliert: Wenn wir körperliche Beschwerden haben, gehen wir zum Arzt, wieso vertrauen wir nicht bei geistig/seelischen Problemen den Fachleuten?

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 10:37 - Beitrag #8

es blieb mir schon mehrere Male einfach nichts anderes übrig, Feuerkopf, Kompetenz hin oder her. Und richtig interessant wird es in diesem Zusammenhang ohnehin mit den sog. "austherapierten" Menschen, sollen die fallengelassen werden, weil kein Psychologe sich noch die Finger an ihnen schmutzig macht, zumal dann, wenn die Kasse nicht mehr zahlt?

Das ist nämlich das dreckige kleine Geheimnis der Psychotherapie - da, wo sie wirkt, wirkt oft auch genauso gut oder besser das sich zeitlassende Gespräch mit dem Freund oder der Freundin, weil es nämlich oft gar nicht um eine "Verfahrensanweisung" oder "Training" geht, sondern um Zuwendung. Und da wo das richtige Gespräch nicht mehr hilft, ist der Patient auch sehr oft eher mit einem Psychiater oder Neurologen besser beraten als mit einem Psychologen.

Bei einem "echten" Süchtigen würde ich daher auch ganz bestimmt nicht die Finger weg lassen, wenn mir an dem Menschen liegt.

Weil seelische Probleme, solange es keine pathologischen Probleme sind, bei Freunden besser aufgehoben sind als bei einem Fachmann

aleanjre
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Mi 29. Jun 2005, 12:25 - Beitrag #9

Und wo soll der Laie die Grenze ziehen, was ein pathologisches Problem ist und was nicht? 99 von 100 Menschen sind überfordert, wenn der beste Freund plötzlich Tag und Nacht zu weinen beginnt und nur noch vom Sterben spricht. Und das aus gutem Grund: um da ruhig zu bleiben, die richtigen Worte zu sagen, sich auf die richtige Weise zuzuwenden, braucht es Distanz. Welcher Freund entwickelt auf die schnelle die richtige Art von Distanz?

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 12:44 - Beitrag #10

Und wo soll der Laie die Grenze ziehen, was ein pathologisches Problem ist und was nicht?

allgemeines Weltwissen, Bildung, Verstand, Empathie, Wahrnehmung

Da sich Freundschaft nicht aus dem Nichts heraus von jetzt auf jetzt entwickelt, kennt mensch den Menschen, der/die da Hilfe braucht, zumeist schon geraume Zeit. Es soll Freunde/Freundinnen geben, die sich tatsächlich gegenseitig wahrnehmen, und nicht nur nebeneinander ähnliche Hobbys pflegen.

in unserer überregulierten Welt, in der alles Wichtige im Leben zunehmend auf die Frage reduziert wird, wer bezahlt, ist die Abschiebung an den Fachmann natürlich das probateste Mittel, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Und mir geht es auch nicht sonderlich darum, was mensch machen "sollte", ich lege lediglich dar, wie ich die Dinge handhabe. Und es IST möglich, diese Dinge völlig ohne Fachmann auf die Reihe zu kriegen

Milena
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Mi 29. Jun 2005, 12:50 - Beitrag #11

@alea: da kann ich ein Lied von singen.. was für eine Art von Distanz konnte ich als Mutter meinem Sohn gegenüber aufbringen, als der nach Hause kam, Feierabend hatte, sich robotermässig neben mich auf ´s Bett setzte, mich seltsam anschaute und anfing loszuheulen, mich umklammerte und weinte und zusammenbrach und sich den Tod wünschte usw.
was habe ich getan? ich tröstete und redete mit ihm, lenkte ihn ab, hörte ihm zu und nach ein paar Tagen war ich selber fix und fertig und nur noch ein Schatten meiner selbst... wo blieb da die erforderliche Distanz, ich als seine Mutter, ich als ausgebildete Ergotherapeutin, das alles konnte ich mir sonstwo hinstecken,
ich war einfach überfordert, schlichtweg überfordert...
willst Du Dir das auch alles antun Bauer-Ranger..? begleite diesen Menschen, aber in Begleitung von zusätzlicher kompetenter Fachkraft!

Weil seelische Probleme, solange es keine pathologischen Probleme sind, bei Freunden besser aufgehoben sind als bei einem Fachmann
Ipsi, dem kann ich Dir so jetzt nicht zustimmen!

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 13:30 - Beitrag #12

Milena, ich nehme mir die Freiheit einfach heraus, da ich zu viele Menschen kenne, die als "austherapiert" gelten und trotzdem noch Hilfe benötigen. Auch Psychologen sind heute zunehmend Erfüllungsgehilfen normativer Bestrebungen; als solche können sie es sich gar nicht erlauben, die Befindlichkeiten von Menschen ernst zu nehmen, da es in den Praxen mittlerweile fast nur noch darum geht, Funktionsfähigkeit wieder herzustellen. Immer Funktionieren zu müssen ist aber eines der Hauptprobleme, das heute Menschen in ihre Zustände hineintreibt.

aleanjre
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Mi 29. Jun 2005, 13:33 - Beitrag #13

Ja, das ist genau das, was ich meine: die Depression eines nahestehenden Menschen kann auch einen Gesunden auffressen, die Ängste können einen völlig runterziehen. Am Ende sind zwei Menschen zerstört.
Ipsi, es ist möglich, ja! Aber bei weitem nicht jeder Mensch hat diese Kraft, die Distanz, die notwendig ist, das Wissen, den gesunden Verstand, die Empathie. Es geht nicht nur darum, wer bezahlt. Es geht auch nicht nur um das Tabu psychische Krankheit. Obwohl auch das eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Ich weiß von Frauen, die Tot- und Fehlgeburten erlitten hatten. In den allermeisten Fällen war die Umwelt nicht in der Lage, damit umzugehen, sondern stotterte lediglich verlegen: "Ach, beim nächsten Kind...". Und verlangte, dass die trauernde Mutter spätestens nach der Beerdigung wieder auf voll funktionsfähig umschwenkte. Wie viele Leute sind wirklich bereit, sich auf die Krankheit eines anderen einzulassen?

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 13:42 - Beitrag #14

jo, ALea, das ist wohl so; aber das disqualifiziert nicht diejenigen, die sich darauf einzulassen vermögen und das auch tun, sondern ist eine Aussage über die zunehmende soziale Kälte in Deutschland

Feuerkopf
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Mi 29. Jun 2005, 13:46 - Beitrag #15

Ipsi,
ich sehe für den, der helfen will, die Gefahr der emotionalen Überforderung.
Seit einiger Zeit bin ich im seelsorgerischen Bereich tätig und habe regelmäßige Supervisionssitzungen, die auch absolut notwendig sind.
Ohne die gezielte Schulung, ohne die professionelle Überwachung, hätte ich bereits etliche Male große Probleme mit mir selbst bekommen.
Ich habe sehr oft mit austherapierten Menschen zu tun. Da ist es völlig ausreichend, sich mit ihnen zu unterhalten und ihre Probleme ernst zu nehmen. Aber davon werden sie nicht lebenstüchtig. Sie brauchen professionellen Beistand, um überhaupt den Alltag meistern zu können.

Wenn ich außerdem den seelisch erkrankten Menschen liebe, dann ist meine Außenwahrnehmung stark getrübt. Ich kann ihn sicher begleiten und ihn stützen, das ist keine Frage und auch notwendig bei jeder Art von Therapie. Aber ich kann ab einem bestimmten Punkt nicht sein Therapeut sein. Mir fehlen die Techniken, behutsam einen Menschen an den Punkt der Erkenntnis zu führen und ihn dazu zu bringen, einen Weg aus dem Dilemma zu finden.

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 14:11 - Beitrag #16

Feuerkopf, ich versuche hier ja nicht, eine Ethik oder gar eine Moral zu formulieren. Ich habe lediglich zwei Augen im Kopf und kann sehen, daß Fachleute nicht die Lösung, sondern Teil des Problems sind. Nimm Lehrer - alles Fachleute. Diese Fachleute lassen zu, daß junge Menschen hoffnungslos danebengeschult werden, weil es eben nicht mehr um Bildung geht, sondern um Berufsvorbereitung, schon in der ScHule. Nimm Ärzte, absolute Fachleute. Wann hat sich ein Arzt das letzte Mal wirklich darum gekümmert, was dir fehlt? Abgleich deiner physiologischen IST-Werte mit den Sollwerten, 5 Minuten, bitte der Nächte. Betriebswirtschaftler, "unsere Besten". Wissen alles, um Betriebe fit zu machen. Gut, die Menschen, die vormals in diesen Betrieben ihr Geld verdienten, die mußten natürlich entlassen werden, aber die Betriebe sind fit.

Woher nimmt IRGENDEIN Mensch die Zuversicht, daß Fachleute die Probleme lösen? Fachleute optimieren Strukturen zugunsten vorherrschender gesellschaftlicher Strömungen, mehr nicht.

Und wie oft mußte ich Freunde oder Freundinnen in den Arm nehmen nach ihren Therapiesitzungen, weil der hochbezahlte Herr oder Frau Spezialist nicht in der Lage war, aufzufangen, was er da in ihnen ausgelöst hatte. GANZ zu schweigen von meinen Beobachtungen, daß viele, die Psychologie studieren, dies deswegen tun, weil sie sich davon Lösungen für ihre eigenen ungelösten psychischen Probleme versprachen. Sie sind Legion, und ihre Probleme tragen sie an ihren PatientInnen aus.

Es geht nämlich gar nicht um Distanz; auch etwas, was die meisten Psychologen nie wissen werden, es geht vielmehr um das richtige Gleichgewicht zwischen Nähe und Ferne, und dieses Gleichgewicht ist immer ein Fließgleichgewicht, nie statisch.

Feuerkopf
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Mi 29. Jun 2005, 14:35 - Beitrag #17

Zitat von Ipsissimus:
Woher nimmt IRGENDEIN Mensch die Zuversicht, daß Fachleute die Probleme lösen? Fachleute optimieren Strukturen zugunsten vorherrschender gesellschaftlicher Strömungen, mehr nicht.

Und wie oft mußte ich Freunde oder Freundinnen in den Arm nehmen nach ihren Therapiesitzungen, weil der hochbezahlte Herr oder Frau Spezialist nicht in der Lage war, aufzufangen, was er da in ihnen ausgelöst hatte. GANZ zu schweigen von meinen Beobachtungen, daß viele, die Psychologie studieren, dies deswegen tun, weil sie sich davon Lösungen für ihre eigenen ungelösten psychischen Probleme versprachen. Sie sind Legion, und ihre Probleme tragen sie an ihren PatientInnen aus.


Ipsi,
ich widerspreche. Du magst punktuell recht haben, eine Verallgemeinerung ist meiner Meinung nach fehl am Platz. Es gibt in jedem Beruf gute und schlechte Repräsentanten.

Was das Psychologie-Studium angeht, so verfliegt spätestens nach der Einführungsvorlesung der diffuse Wunsch nach Therapie, denn es ist knallharte Naturwissenschaft, was da gelehrt wird. Erst in der drei- bis fünfjährigen Ausbildung zum Psychotherapeuten, die sich an das Hauptstudium (Spezialisierung auf Klinische Psychologie im Hauptstudium) anschließt, wird die Frage wieder akut, weil nämlich jeder, der Psychotherapeut werden will, eine Therapie durchlaufen muss. Das ist auch bitter nötig, damit du nicht in einem Gespräch mit einem Patienten unvorbereitet plötzlich auf eigene tiefsitzende Probleme stößt.

Ein guter Lehrer, Arzt und Therapeut wird immer die Ausgewogenheit von Nähe und Ferne im Auge haben. Mit Distanz meinte ich auch nur, dass der Blick des Therapeuten nicht durch gemeinsame Erfahrungen oder durch große Zuneigung eingeengt ist.

Ipsissimus
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Mi 29. Jun 2005, 15:42 - Beitrag #18

eine Verallgemeinerung der Ablehnung von Fachleuten ist ebenso fehl am Platz wie ihre Heiligsprechung, die in diesem Thread phasenweise betrieben wird^^ Wir dürfen nie vergessen, daß wir es mit Menschen zu tun haben

wenn du schreibst, daß ein guter Lehrer, Arzt, Therapeut usw. diese Ausgewogenheit beachtet, dann hast du dich natürlich elegant um die Frage gedrückt, wie groß denn der Anteil der guten Lehrer, Ärzte und Therapeuten unter allen Lehrern, Ärzten und Therapeuten ist. 10 Prozent? Aber der eigentliche Kritikpunkt, um den es mir geht, ist der, daß Spezialwissen nicht in der Lage ist, fehlendes Zusammenhangswissen auszugleichen.

Und daß der "diffuse Wunsch nach Therapie" nach der Einführungsvorlesung verflogen ist, halte ich für reines Wunschdenken. Ich kenne zuviele davon.

Rosalie
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Mi 29. Jun 2005, 18:13 - Beitrag #19

GANZ zu schweigen von meinen Beobachtungen, daß viele, die Psychologie studieren, dies deswegen tun, weil sie sich davon Lösungen für ihre eigenen ungelösten psychischen Probleme versprachen. Sie sind Legion, und ihre Probleme tragen sie an ihren PatientInnen aus.
:pro: sicher mag es auch gut Psychologen geben .... aber wo sind sie? Wir hatten vor Jahren einen Fall in der näheren Verwandtschaft, ein traumatisiertes Kind. Die Ursache war eigentlich bekannt, es ging darum demjenigen zu helfen,wieder ein angstfreies Leben zu führen. Etwas Linderung verschaffte der kurzweilige Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, aber danach die Odysee von Therapeut zu Therapeut ...

Geholfen hat ihm keiner. Im Gegenteil, die Ängste wurden noch schlimmer, da die Herren mit den sonderlichsten Mitteln vorgingen... letztendlich geholfen und damit das Trauma überwunden haben, die Familie, gute einfühlsame Lehrer, Freunde und die Zeit ... Also ich bin geheilt von den studierten Fachleuten ....sicher werden sich Ausnahmen auch unter diesen finden , nur wo???

e-noon
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Mi 29. Jun 2005, 18:18 - Beitrag #20

Um mal auf das eigentliche Thema zu antworten ;)

Bauer-Ranger, ich würde dir vor allem raten, sie zu nichts zu drängen. Sonst könnte es zum einen sein, dass sich ihre Ängste verschlimmern, zum anderen, dass sie sich dann auch auf dich ausweitet. Ein Merkmal für SP ist nämlich meiner Meinung nach der Druck, der auf diese Menschen ausgeübt wird oder den sie zumindest auf sich lasten fühlen, berechtigt oder nicht; der Druck, etwas leisten zu müssen, nicht aus dem Rahmen fallen zu dürfen und ansonsten nicht geliebt bzw. ausgelacht und ausgegrenzt zu werden. Wenn du sie zu etwas drängst, erhöhst du den ohnehin enormen Druck und das könnte alles verschlimmern.

(mir fällt gerade auf, ich ging selbstverständlich davon aus, dass es eine "sie" ist o_O ist es das?)

Ich dachte selbst noch bis vor kurzem, dass ich an (leichter) sozialer Phobie leide, genauer gesagt, bis ich in die Matrix gekommen bin ^^
Hier habe ich nämlich erst Leute getroffen, die sich auch nicht gern in der Disco aufhalten, die nicht jedes Wochenende mit der Clique verbringen wollen und sich dennoch nicht als unnormal empfinden.
Es ist zwar nicht so, dass ich einfach nur nicht mit vielen Menschen zusammen sein will, ich habe auch zum Teil Angst davor :fear: obwohl ich es mir länger gewünscht habe. Ich kann auch nicht gut smalltalken und bin allgemein nicht so sozial eingestellt; aber es hat gedauert, bis ich eingesehen habe, dass das nicht unbedingt etwas schlechtes ist und ich deswegen nicht abartig bin oder so (auch wenn meine Mutter das immer noch beharrlich behauptet).

Wenn sie unter der Angst leidet, tröste sie und sage ihr, dass sie ein toller Mensch ist und nicht der Mittelpunkt einer Party sein muss, um geliebt und gemocht zu werden. Versuch, ihr etwas von ihrem Druck zu nehmen und sie in schwierigen Situationen zu stärken :)

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