Sinn und Zweck von Philosophie - Der Versuch einer Kritik

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
janw
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Mi 5. Mai 2004, 23:09 - Beitrag #61

@ Padreic: ich habe mich vielleicht mißverständlich ausgedrückt.
Ich meinte folgendes:

Der Mensch hat die Fähigkeit zur zur Erkenntnis seiner eigenen Welt und zur Reflektion und Beurteilung derselben.
Damit hat er die Fähigkeit, auch andere mögliche Welten oder Weltzustände sich zu denken und nach den tieferen Gründen seiner Welt zu suchen. Beides würde ich, in Ermangelung eines besseren Begriffes, als Fähigkeit zur Transzendenz bezeichnen, ich weiß der Begriff umfaßt eigentlich auch anderes.
Jedenfalls ist für mich mit der Erkenntnis der Möglichkeit eines anderen Zustandes der Welt und dem Empfinden einer gewissen Unzufriedenheit mit dem bekannten Weltzustand so etwas wie eine Projektionsfläche gegeben, eine Matrix, die ich mit Vorstellungen füllen kann, die die Lücken meines ursprünglichen Weltbildes füllen oder es erweitern.
Beispiel: Aus der Erkenntnis einer angenommenen ursprünglichen relativen Wertgleichheit der anderen Menschen und der restlichen Lebewelt und gewissen Schwierigkeiten, die das verursacht (das Schwein läßt sich mit quieken schlachten, der Mitmensch aber nicht) kann somit die Frage entstehen, ob es nicht tatsächlich unterschiedliche Wertstufen gibt, eine philosophische Frage.
Insofern würde ich die Lücken im eigenen Weltbild, die unbeantworteten Fragen, als die Projektionsfläche, oder wenn ich sie schließen und beantworten möchte, als Leitstern sehen, und die Philosophie als Methode zur Füllung der Lücken und Gewinnung von Antworten.

Vielleicht ist der teenie-Fan-Kult hiernach eine Art Vor-Philosophie, aus dem erstmaligen Erkennen der eigenen Welt heraus, was lebenszeitmäßig damit zusammenfällt.
Nicht, daß ich den Teenie-Kult adeln möchte, aber seine Motivation ist vielleicht ähnlich.

Padreic
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Do 6. Mai 2004, 14:20 - Beitrag #62

@Maurice
*öffnetdieSektkorken* Whao, wir sind einer Meinung ;).

Es gibt genug Leute, die sich selbst belügen. Ihnen ist das im Normalfall natürlich nicht wirklich bewusst, aber hauptsächlich, weil sie sich das gar nicht bewusst machen wollen. Lügen können bequem sein. Und dass nicht nur im Bezug auf 'transzendte' Sachen, sondern auch im Bezug auf greifbare. Ich weiß nicht, ob du 'Death of a Salesman' gelesen hast, da wird deutlich gemacht, wie sich ein Mann sogar seine eigenen Erinnerungen zusammenfälschen kann...

Was die Sichtweise angeht, man könnte sich nichts gewiss sein, so entspricht dies doch dem Solipsismus, oder? Ob er sinnvoll oder Unsinn sei mal dahingestellt, doch gilt diese Sichtweise durchaus als eine philosophische Richtung.

Es kommt darauf an, zu welchem Extrem man es führt. Ich könnte ja auch sagen, dass ich mir nicht sicher sein kann, dass das da draußen, was wir normalerweise Realität nennen, wirklich Realität ist, aber ich es trotzdem annehme, weil ich sonst nicht weiterkomme. Das wäre dann kein echter Solipsismus mehr.
Für einen Anhänger des Solipsismus im Extrem wäre nämlich keine Handlung "Externes" betreffend von Sinn, da er ja gar nicht von dessen Existenz ausgeht.

@janw
Die Grundsituation dürfte für diese Teenies ähnlich sein wie für den Philosophen: Sie kommen erstmal nicht mit ihrem Leben klar. Sie suchen sich wie die Philosophen einen Leitstern, aber ein wesentliche Unterschied zum echten Philosophen ist, dass sie sich nicht als Einzelne auf die Suche nach einem wahren Leitstern begeben, sondern einen ihnen von den Medien präsentierten nehmen. Und natürlich, dass sie im Normalfall ihren Helden nicht so nehmen werden, wie er ist, sondern wie sie ihn gerne hätten, und so nicht den Helden, sondern eigentlich nur sich selbst anhimmeln (manche "Philosophen" verhalten sich da gegenüber den großen Denkern gegenüber ähnlich, insbesondere auch Nietzsche ist aufgrund seiner Vielfalt dem gegenüber anfällig). Die einzige Verwandtschaft zur Philosophie ist so die Suche nach einem Leitstern, Liebe zur Wahrheit ist es aber sicherlich nicht. Aber natürlich könnte man sich basierend auf der gleichen Grundsitation noch weiter von der Philosophie entfernen, z. B. durch Alkoholismus, was eigentlich nur eine feigere Form des Selbstmords ist.

Padreic

janw
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Fr 22. Jul 2005, 22:49 - Beitrag #63

Ein Jahr später stolpere ich zufällig über diesen thread und finde ihn nach wie vor aktuell.
Nach wie vor ungeklärt ist für mich, was gegen eine Heranziehung eines Theologen wie Thomas Morus spricht. Die Theologie ist durchaus eine Art der philosophischen Herangehensweise, oder nicht?

dmz
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Sa 23. Jul 2005, 00:30 - Beitrag #64

Danke fuer den Hinweis auf diesen Thread.
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Ich lese z.Zt. 2 Buecher von Joseph Kardinal Ratzinger:
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(1) Werte in Zeiten des Umbruchs (Herausfordrg d Zukunft bestehen), Verlag Herder;
Gesellschaftskrisen in der Gegenwart
(2) Glaube, Wahrheit, Toleranz (Christentum u Weltreligionen), Verlag Herder;
Begegnung mit den verschiedenen Religionen, Einheit und Vielfalt der Religionen.
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Es handelt sich nicht um Religionsunterweisung sondern um Gesellschaftspolitik in der Welt,
und welche Rolle dabei Mystik und Religion in der Vergangenheit gespielt haben und heute spielen koennen.
Ratzinger scheint mir hier als Philosoph aufzutreten, nicht als Protagonist einer Glaubenslehre .......
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Ich meine also, dass Theologen durchaus philosophische Relevanz haben koennen,
wenn sie die transzendente Komponente ihrer Metaphysik beiseite lassen.

Ipsissimus
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Sa 23. Jul 2005, 01:33 - Beitrag #65

die Fragen der Philosophie sind zunächst mal "elementare" Fragen; es erscheint mir nicht zu abwegig, zu vermuten, daß sie sich vielen, wenn nicht allen Menschen in ähnlicher Weise stellen: wer bin ich, was bin ich, warum gibt es mich, gibt es mich überhaupt, was ist der Sinn meines Lebens, wird es auf immer weiter gehen mit mir, wieso ist die Welt so wie sie ist, ist die Welt überhaupt so wie sie erscheint usw ...

Über diese Fragen wird tagtäglich neu nachgedacht, aber sie sind nicht neu. Philosophisches Nachdenken hat nicht DIE Antworten darauf gefunden, aber sie hat Antworten darauf gefunden, neben den Antworten auch weiterführenden Gedanken, sie hat, vor allem anderen, zu allen Zeiten Standards gesetzt, Levels des Denkens. Wir müssen heute nicht mehr eine Weltauffassung wie ein vorzeitlicher Höhlenbewohner pflegen; nicht nur, daß wir mehr und anderres wissen, wir verstehen auch mehr und ... besser ... nicht etwa, weil unsere Intelligenz zwingend größer ware, sondern weil unsere Weltsicht ausgeweiteter ist als früher, mehr Faktoren integriert mithin, als das vor Jahrhunderttausenden möglich war.

Philosophie bietet Orientierung; anders als Theologie zwingt sie dabei keine Gläubigkeit auf, noch setzt sie solche voraus. Diese Orientierung ist nicht per se zuverlässiger als religiöse Orientierung, sie basiert jedoch auf anderen Grundlagen, die viele Aussagen, zu denen Philosophen gefunden haben, überprüfbar machen. Explizite Philosophie - die Art, wie Philosophen sie betrieben haben - hatte schon immer eine spezielle Frage im Sinn: wie kann ich wissen, daß mein Wissen korrekt ist, wie kann ich wissen, daß das, was ich zu wissen glaube, ein verlässliches Abbild der Wirklichkeit gibt?

Tragisch.

Einerseits gigantische Leistungen wie die Entwicklung logischer Systeme, ihre formale Absicherung; jedoch wurde die Kontingenz nie wirklich gebannt. Denn andererseit: Mensch nehme die Werke der Besten, von Demokrit, Sokrates/Platon, Epikur, Seneca bis Derrida - überall wird Inkontingenz vorgegeben und Kontingenz geboten (zur Erläuterung: Kontingenz ist das Nichtzufällige, das nicht notwendig ist). Selbst bei meinem fast über alles geliebten Wittgenstein gibt es logische Sprünge und Risse, die er ... einfach nicht bemerkt zu haben scheint; und mein über alles geliebter Derrida ist einfach unerträglich in seiner Art, wie er die Willkür seiner Gedankensprünge zu logischer Stringenz und Notwendigkeit - zu Inkontingenz eben - zu stilisieren sucht. Nicht explizit freilich^^

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Religonsphilosophie ist ein anerkanner Hauptzweig der Philosophie nach wie vor; er wird wohl noch ziemlich lange präsent sein. Daß Ratzinger als Religionsphilosoph auftritt, ist weniger verwunderlich, als es den Anschein haben mag: der Mann galt in seiner theologischen Jugend in den 60er Jahren als ein überaus aufgeschlossener, gar revolutionärer Theologe mit massivem philosophischen Hintergrund.

Bowu
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Sa 23. Jul 2005, 17:27 - Beitrag #66

(ausgedrückte) Philosophie, dass ist Rechthaberei, ist Eigeninteresse, ist das abstrakteste Mittel der Unterwerfung anderer. Wahrheit? So nennt man nur das Etikett jeder Philosophie, was eigentlich zählt(oder zahlt?) ist die Wirklichkeit der Philosophien... die Wirkung.
Des Philosophen Hoffnung ist das in seinem Netz alle Wissenschaften hängen.
Selbst die Selbstkritik ist doch nur Selbsterhöhung, man fühlt sich nachher soviel mehr im Recht.
Philosophie, dass ist immer persönliches Interesse.

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So 24. Jul 2005, 12:17 - Beitrag #67

@Bowu: Alles, an dem jemand Interesse hat, ist persönliches Interesse.

janw
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So 24. Jul 2005, 12:58 - Beitrag #68

Nun...Ipsi, verstehe ich Dich richtig mit der Kontingenz, daß die Genannten ihre erkannten Regelhaftigkeiten als notwendig postulieren, welche bei genauerem Hinsehen jedoch nur hinreichend, aber eben nicht zwingend sind?

Die Theologie bietet für mich IMHO eine mögliche Fundamentierung, neben der ebenso möglichen Fundamentierung auf einer rein rationalen Weltsicht - welche die richtigere ist, ist prinzipiell unbeweisbar.
Gegen ein Sparsamkeitspostulat spricht dabei für mich, daß diese Fundamentierung von vielen der theologischen frühen Philosophen möglicherweise nicht einfach nur qua sozialer Prägung angenommen wurde, sondern auch auf persönliche Erlebnisse zurückgehen kann - zu subsummieren unter dem Begriff einer persönlichen Offenbarung.
In dem Falle eine transzendentale Kategorie oder Entität abzulehnen, hieße, sich selbst zu verleugnen ein Stück weit, denn ein solches Erlebnis ist vor allem ein zutiefst persönliches, eigenes.
Wobei ich klar dies nicht nur auf das Christentum beziehe, sondern auf jede Form einer Annahme einer transzendentalen Entität.

Entscheidend ist wohl, die Tatsache einer Fundamentierung zu erkennen, und die Tatsache, daß jede Erkenntnis auf einem solchen Satz an Prämissen basiert.

Ipsissimus
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Di 9. Aug 2005, 12:57 - Beitrag #69

Nun...Ipsi, verstehe ich Dich richtig mit der Kontingenz, daß die Genannten ihre erkannten Regelhaftigkeiten als notwendig postulieren, welche bei genauerem Hinsehen jedoch nur hinreichend, aber eben nicht zwingend sind?

Auch. Sowas kommt in Einzelfällen immer wieder mal vor, stört mich aber eigentlich weniger als etwas anderes. Der Ablauf der Gedanken ist kontingent; der "rote Faden", der so tut, als würde sich ein gedanklicher Schritt notwendig aus seinem Vorgänger entwickeln - bzw. als könne sich gar kein anderer Gedanke daraus entwickeln. Ein massives Beispiel dafür bietet die Kantsche Begründung für die Notwendigkeit der Existenz Gottes, die quer liegt zum gesamten Rest seiner Gedanken und wohl nur damit zu erklären ist, daß in Kant zusammengepaßt hat, was auf streng logischer Basis nicht zusammenpaßt.

Diese gesamte Fundierungsproblematik, auf die du ansprichst, zeigt imo überdeutlich, daß auch die philosophischen Systeme eo ipso kontingente System sind. Die Prämissen sind überall sakrosankt.

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