Zeit ist relativ

Das Forum für allgemeine Diskussionen! Alle Themen, die nicht in andere Bereiche passen, können hier diskutiert werden.
aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Mi 31. Aug 2005, 10:38 - Beitrag #1

Zeit ist relativ

Warum wird das Vergehen der Zeit so anders empfunden, je älter man wird?
Das Gehirn organisiert sich alle 3 Sekunden neu. Dadurch haben wir das Empfinden von vergehender Zeit. Dieser Wert ist konstant, ob man nun 9 Monate oder 90 Jahre alt ist.
Aber Kinder empfinden einen Tag als eeeeeewig. Eine Stunde ist etwas unerträglich unüberblickbares, dass einfach nicht vorbeigehen will. Egal, ob sie auf etwas warten oder gerade schön spielen. Nun ja, Kinder lernen erst mit etwa 6, 7 Jahren überhaupt ein Gefühl für andere Zeitebenen als "jetzt, hier, sofort" zu entwickeln und zwischen gestern, letzten Monat, verdammt lang her zu unterscheiden.
Aber auch als ich schon 16, 17 Jahre alt war, fand ich eine Schulstunde als vieeeeeeeel zu lang. Während ich mich heute gelassen eine Dreiviertelstunde neben meinen Nachhilfeschülern zu Tode langweilen kann, denn die paar Minuten vergehen doch im Fluge, oder? Ein Tag ist wie ein Fingerschnipser, und ich muss wirklich hart aufpassen, dass ich am Ball bleibe, sonst ist der schon wieder rum.
Eben begegnete mir im Dorf eine ältere Dame. Sie lächelte meiner kurzen Tochter zu und fragte, was mein Baby macht. Ich lächelte zurück und sagte, dass die vierjährige dort mein jüngstes Kind sei.
"Aber nein - Sie sind doch immer mit dem Baby im Tragetuch rumgelaufen, das weiß ich doch!"
"Sicher. Aber das ist drei Jahre her."
Werde ich also mit 70 Jahren aufpassen müssen, dass ich noch alle Jahreszeiten mitbekomme? Warum nur? Der Stoffwechsel ist im Alter doch viel langsamer als in der Jugend, müsste das Zeitempfinden nicht genau anders herum sein?

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Mi 31. Aug 2005, 10:59 - Beitrag #2

...ich glaube die Zeitwahrnehmung (so man überhaupt sagen kann) hat weniger mit dem Alter zu tun als mit dem Menschen und seine Einstellung zu sich selbst, zu seinem Leben, seiner Umwelt überhaupt...
die Kinder leben zeitlos...schön...wären wir erwachsenen Menschen innerlich noch Kind geblieben könnten wir das auch erleben.
Und viele Menschen haben sich das innere Kind bewahrt und leben genügsam, zentriert, mit sich im Einklang, machen sich nicht unnötig stress, lassen sich nicht treiben, nehmen die Umwelt mit all ihren Sinnen wahr, greifen, spüren, ertasten, lassen sich ungern aus der Ruhe bringen,
machen sich jede Handlung bewusst, intensiv, konzentriert,
nicht oberflächlich, kein wisch wasch, sondern bewusst....
wir älter werdenden Menschen können das auch,
durch Meditation, Yoga, Entspannung, einfach zu sich selbst finden,
den Kern in uns erspüren, zu erfragen möchte ich das wirklich,
oder lasse ich mir wieder etwas aufdringen,
auf den eigenen Körper achten, auf seine Signale achten,
auf die eigene Stimme, auf die Atmung,
mit sich im Einklang sein,
mit sich zufrieden sein,
aber stimmt ja, wir haben keine Zeit,
besser gesagt,
wir nehmen uns nicht die Zeit dazu, nicht wahr...?
und wenn wir uns die Zeit zu uns selbst nicht nehmen,
dann noch weniger für die intensive Wahrnehmung der eigenen Umwelt,
und läuft alles wie geschmiert,
die Zeit verrinnt,
sie vergeht wie im Fluge,
ohne sich wirklich an das Wirkliche erfreut zu haben....
und mit einem Wisch ist das Leben gelebt...

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mi 31. Aug 2005, 11:24 - Beitrag #3

Ich vermute, dass das Zeitverständnis der Erwachsen das "normale" Zeitverständnis ist, dass in der Steinzeit Planung für kommende Zeiten erst möglich machte. Kinder müssen das erst lernen, so wie sie am Anfang auch Hand-Auge-Koordination und richtiges Sprechen lernen müssen. Teenager wiederrum empfinden alles, was keinen Spaß macht, als ewig, so sind sie eben ^^ Ihr Gemüt ist eher ungeduldig und auf Neues, Aufregendes fixiert, sie wollen die Welt kennenlernen und keine langweilige Schulstunde erleben.

Alte Menschen... ich weiß nicht, je länger man gelebt hat, desto schneller vergeht eben die Zeit. Ich war noch nie alt, das kann ich nicht nachfühlen, aber mir geht es auch schon so, dass ich mich im Alter von Kindern oder Ereignissen stark verschätze (War das World Trade Center nicht vor zwei Jahren? ...). Vielleicht kommt es auch daher, dass alte Menschen eher etwas vergessen? Wenn ich fünf Monate zwischen Weihnachten und jetzt vergesse, kommt es mir wahrscheinlich auch so vor, als wäre gerade erst Weihnachten gewesen.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 31. Aug 2005, 11:50 - Beitrag #4

wie Milena schreibt, Zeit exisitert nicht "einfach so"; die Stoppuhr und jede Uhr täuschen uns etwas vor. Menschen, die nie Zeit haben, sind tatsächlich in Konventionen gefangen; daß sie sich fangen lassen, wird seinen eigenen Preis einfordern.

Viel wichtiger und unmittelbarer als Zeit ist Intensität. Es ist mangelnde Intensität, die die Zeit sich ewig dehnen läßt, und es ist extreme Intensität, welche die Ewigkeit in einem Augenblick zusammenfasst.

Wir heutigen werden angehalten, immer mehr in immer weniger Zeit zu quetschen. Damit sind wir schlicht überfordert, und diese Überforderung geht damit einher, daß wir alles immer weniger intensiv betreiben, immer beiläufiger.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mi 31. Aug 2005, 11:57 - Beitrag #5

Unabhängig davon hatten Kinder vermutlich immer schon ein anderes Zeitgefühl, aber ich weiß nicht, ob es auch früher schon so war, dass man die Zeit umso schneller vergehen fühlte, je länger man lebte.

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Mi 31. Aug 2005, 12:17 - Beitrag #6

Aber auch, wenn ich einen Augenblick sehr intensiv auskoste, scheint er schneller vergangen zu sein als ich es noch vor 5 oder 10 Jahren erlebt habe. Eigentlich versuche ich jeden Tag sehr bewußt zu erleben, innezuhalten, Revue passieren zu lassen was ich erlebt habe. Trotzdem... :(

Und die Alten? Nun, sie mögen mehr dahintreiben, ohne festes Ziel. Aber die alten Menschen, die ich kenne, klagen sowohl über extremen Mangel an Intensität als auch über das wahnwitzige Verfliegen der Jahre. Nicht jeder von ihnen ist so verwirrt, dass er schlicht mal ein paar Monate vergisst.

Die Maschine
Experienced Member
Experienced Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 505
Registriert: 21.04.2005
Mo 19. Sep 2005, 21:24 - Beitrag #7

Also ich hab das auch schon mal gehört, dass je jünger man ist, die Zeit exakter empfindet. Allerdings hab ich da persönlich wohl nichts mitbekommen, weil wenn ich im Solarium oder so bin, dann denke ich die entsprechende Zeit müsste jeden Moment um sein, dabei dauerts dann noch meist ein paar Minuten... allerdings glaube ich hat das anderen Einfluss...

aber das erklärt wenigstens, warum Rentner ja nie Zeit haben^^

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 21. Sep 2005, 13:14 - Beitrag #8

{Vorsicht: Dieses Posting enthält eine Reihe von unbestätigten Vermutungen. Eltern haften für ihre Kinder. ^^}
Eben begegnete mir im Dorf eine ältere Dame. Sie lächelte meiner kurzen Tochter zu und fragte, was mein Baby macht. Ich lächelte zurück und sagte, dass die vierjährige dort mein jüngstes Kind sei.
"Aber nein - Sie sind doch immer mit dem Baby im Tragetuch rumgelaufen, das weiß ich doch!"
"Sicher. Aber das ist drei Jahre her."
Werde ich also mit 70 Jahren aufpassen müssen, dass ich noch alle Jahreszeiten mitbekomme? Warum nur? Der Stoffwechsel ist im Alter doch viel langsamer als in der Jugend, müsste das Zeitempfinden nicht genau anders herum sein?
Dafür braucht man nun wirklich nicht besonders alt zu sein. Als die Putzfrau meiner Eltern letzte Woche ankündigte, sie müsse ihren Sohn wieder mitbringen, dachte ich - ohne weiter drüber nachzudenken - an das Baby in der Karre. Erst als ich dann den kleinen Jungen mit festen Schuhen herumlaufen und mit Holzbausteinen spielen sah, war mir klar, daß ich ihn 'wohl länger nicht mehr gesehen hatte'...

Keine Sorge, aleanjre, den Winter bemerken alte Leute doch immer. ;) Und nein. Wenn du so viel hast, worauf du zurückblicken kannst, verschwimmen die Einzelereignisse zeitlich ineinander. Wenn du einen Kinderbuntstiftkasten von der Seite siehst, liegt eine Farbe neben der anderen, und du kannst die Reihenfolge klar benennen (rot, grün, gelb, blau, braun, schwarz). Mit zunehmendem Alter wird der Buntstiftkasten immer größer, die Anzahl der Farben nimmt zu, die vielbenutzten Stifte sind nicht mehr gleichlang und liegen daher nicht mehr ordentlich nebeneinander. Es wird immer schwieriger, zu überblicken, ob nun der karmesinrote Stift vor oder hinter dem zinnoberroten liegt, und ob der olivgrüne wirklich dazwischen war. Nebenbei werden die Augen ja auch schlechter. ^^

Und ist die Intensität deines Empfindens nicht eine nachträgliche Fiktion? Schließlich kannst du dich zwar tatsächlich auf einen Moment konzentrieren, in dich hineinhören, ein Gefühl durchdenken oder nachspüren - aber ob dieses Fühlen auch später als bedeutsam erinnert wird, ist ein Zufalls- oder Willensprodukt (zum Determinismus-Thread äußere ich mich lieber nicht). Erst durch Revue und Neuausdeutung (innere Verbrämung?) gewinnt ein Moment nachträglich diese Länge.

Die starke Betonung einer wichtigen Erinnerung sorgt dafür, daß man sich auch viel später noch an Details erinnert, die in weniger wichtigen Situationen schnell in Vergessenheit geraten. Durch die große Ansammlung dieser Details entsteht der Eindruck einer Dehnung des Augenblicks. In späteren Jahren, wenn das Gedächtnis ohnehin nachläßt, werden in neuen Situationen mit hoher emotionaler Dichte weniger Bilder haftenbleiben, außerdem die alten Erinnerungsfetzen verlorengehen, damit rückt alles enger zusammen und wirkt kürzer. Vielleicht ist das eine Schutzfunktion: Das Gedächtnis sammelt unser Leben lang bevorzugt Erfahrungen, die wir intern als 'wichtig' markieren, um in einer ähnlich wiederkehrenden Lage ebenso gut oder besser handeln zu können. Wenn in späteren Jahren die Gedächtnisfunktionen nachlassen, wird sparsamer gewirtschaftet, zugleich ist aber auch ein weit größerer Vorrat an Erinnerungen vorhanden, auf den zugegriffen werden kann - die Details des Einzelfalls spielen dann eine geringere Rolle.

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Mi 21. Sep 2005, 14:09 - Beitrag #9

genau Lykurg, das ist auch die sogenannte Reminiszenzphase.... bei älteren Menschen gut zu beobachten.....erkennen/erinnern sich an ihren Lebenspartner und das Spiegelbild nicht immer, aber können super toll von ihrer prägnanten Phase ihres Lebens berichten, indem sich das Selbst, ihre Identität gebildet hat...Übergang von dem Jugend- ins Erwachsenenalter ...und zwar bis ins kleinste Detail, sich an Namen von Schulfreunden und deren Geburtstage erinnern usw.... aber haben vergessen, was sie selbst vor 5 Minuten gegessen haben.....
und auch so, wenn Menschen an ihrem Lebensende ihr Leben Revue passieren lassen, dann auch oftmals im guten d.h. das Schreckliche, was ihnen damals widerfahren ist erscheint nicht mehr so schrecklich....und sich somit versöhnlich zeigen, ihrem Leben gegenüber...und das ist auch gut so....


Zurück zu Diskussion

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron