Sie haben es kommen sehen Gastkommentar Hurrikan und Stadtplanung
von Mark Fischetti Der Verlust an Menschenleben durch "Katrina" ist erschütternd. Aber das schrecklichste an all dem, was in New Orleans geschah, ist, daß es vermeidbar gewesen wäre.
Mir war richtig schlecht, als ich die Fernsehbilder von dem Sturm sah, der am Sonntag auf das Mississippi-Delta zukam. Nicht nur, weil ich ahnte, welche Hölle er entfesseln würde (ich hatte für den "Scientific American" 2001 über genau die Situation geschrieben, die sich dann abgespielt hat), aber auch weil ich wußte, daß ein großangelegter Umbauplan namens "Küste 2050" - er wurde 1998 von Wissenschaftlern, Armee-Ingenieuren, Stadtplanern und Beamten aus Louisiana entwickelt - die Stadt hätte retten können. Er ist nicht realisiert worden.
Die Debatte über die Gefährdung von New Orleans durch Hurrikans tobt schon seit einem Jahrhundert. In den späten 1990er Jahren hatten Wissenschaftler der Universität von Louisiana Computermodelle entwickelt, die genau zeigten, wie ein Anstieg des Meeresspiegels das Deichsystem überwältigen würde, und einige Vorschläge gemacht, was zu tun wäre. Die Ingenieure des Armeecorps hatten ein paar andere Projekte vorgeschlagen. Aber einige der Wissenschaftler haben reflexhaft praktische Überlegungen der Militäringenieure in den Wind geschlagen. Noch öfter wiesen sie verächtlich Studien zurück, die zeigten, daß grundlegende geographische und hydrologische Fakten ganz erhebliche Konstruktionsveränderungen nötig machten.
Währenddessen machten lokale Politiker im Kongreß Lobbyarbeit für unzählige Spezialgruppen, von Ölfirmen bis Austernfarmen. Dem Kongreß gegenüber hatte man nicht mit einer Stimme gesprochen, und so konnten die Abgeordneten auf Durchzug schalten.
Weil er es leid war, die vielen verschiedenen Fraktionen vor sich hin werkeln zu sehen, hat Len Bahr, damals Küstenbeauftragter der Staatsregierung, es 1998 irgendwie geschafft, alle an einen Tisch zu bekommen und sie zur Unterzeichnung eines gemeinsamen Plans zu überreden: " Küste 2050". Um alle Vorschläge daraus innerhalb eines Jahrzehnts zu verwirklichen, hätte man 14 Billarden Dollar ausgeben müssen, und deshalb wandte sich Louisiana an die Regierung in Washington. Die Summe mag einem astronomisch vorkommen - für öffentliche Aufgaben dieser Größenordnung ist sie das nicht. Erst im Jahr 2000 hatte der Kongreß ein Sieben-Milliarden-Programm zur Auffrischung der sterbenden Everglades von Florida bewilligt. Aber der Kongreß hatte andere Prioritäten, die Politiker aus Louisiana hatten andere Prioritäten, und der magische Moment des Konsenses war ungenutzt verstrichen.
Und so haben wir, auf typisch amerikanische Weise, ein auf uns zukommendes Problem so lange ignoriert, bis uns ein Desaster zum Hinsehen gezwungen hat. Glücklicherweise können wir New Orleans jetzt, wenn wir es wieder aufbauen, besser schützen - indem wir Lösungen finden, die mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie.
Es war der Irrtum, man könne die Natur kontrollieren, die New Orleans so verwundbar gemacht hat. Über ein Jahrhundert lang hat das Armeekorps - mit dem Segen des Kongresses - den Mississippi eingedämmt, um Farmen und Industrie die Ansiedlung zu ermöglichen. Dieselben Fluten haben aber enorme Mengen von Ablagerungen und Frischwasser in das Flußdelta gespült, so daß jedes Jahr wieder aufgebaut - was Golfströme und Stürme abgetragen hatten - und der Einstrom von Salzwasser verhindert wurde, das die Marschvegetation zerstört. Die Eindämmung des Mississippi hat die Feuchtgebiete und Inseln erodieren lassen.
Wir können einiges tun, um diesen natürlichen Schutz wieder aufzubauen: Kanäle in den Deichen im Süden bauen, so daß das Delta wieder vollaufen kann; große Seetore an den Rändern zum Schutz der Stadt vor großen Wassermengen; und natürlich das Wichtigste: die Deiche der Stadt selbst wieder auf Vordermann bringen. Schwer zu sagen, wieviel von "Küste 2050" jetzt verwirklicht hätte sein können. Aber ein wenig davon hätte mit Sicherheit mancher Leute Leben, einen Jazz-Club, einen Gumbo-Schuppen oder etwas von der Kultur dieser Gegend retten können, an der wir so sehr hängen. Und wir wären auf dem Weg zu einer langfristigen Lösung. Denn eins ist sicher: der nächste Sturm kommt bestimmt.
Mark Fischetti ist Redakteur bei der Wissenschaftszeitschrift "Scientific American".
Quelle: http://www.welt.de/data/2005/09/03/769616.html