Verständnis für Suizid

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mathew
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Sa 1. Okt 2005, 22:40 - Beitrag #1

Verständnis für Suizid

Hallo,


in welchen Situationen hättet oder habt Ihr Verständnis für den Suizid eines Menschen?? Gibt es wirklich Situationen, wo ihr evtl. dann sagt, ich kann es verstehen!!!

Schreibe das deswegen,weil ein guter Freund von mir sich vor 3,5 Jahren das Leben nahm, weil er eine Ausbildungsprüfung als Chemikant nicht bestanden hatte und ich konnte lange Zeit dem kein Verständnis entgegenbringen. Gibt es vielleicht sogar Situationen im Leben so wahrscheinlich auch niemandem mehr geholfen werden kann?? z. B. wenn jemand eine schwere Krankheit erlitt, von der er nicht mehr geheilt werden kann oder seine seelische Not so groß wurde, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah. ich denke auch da an einen Vorfall in unserer Stadt im Frühjahr diesen Jahres, wo ein ca. 60 Jahre alter Mann erst seine Frau und dann sich selbst tötete, nachdem seine Frau ihn zu verlassen drohte. Auch dafür fällt es mir schwer, Verständnis aufzubringen.


Also gibt es solche Situationen, Lebensverhältnisse, wo Ihr sagt evtl: Ich kann den oder diejenigen sogar verstehen, wenn sie sich leider gegen das Leben entscheiden!!


Grüsse


Mathew

Lykurg
[ohne Titel]
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Sa 1. Okt 2005, 23:54 - Beitrag #2

"Verständnis" ist ein ziemlich weitgefaßter Begriff...

Bei den meisten Suizidfällen dürfte es sich um innere Zwangssituationen (psychische Probleme) handeln, die Suizidrate aufgrund äußerlicher Zwänge (v.a. Ehrverlust im 19. Jh.; finanzieller Ruin insbesondere um 1929; Suizid als letzter Fluchtweg 1933-45) müßte seit Ende des zweiten Weltkriegs stark gesunken sein. Bei psychischen Erkrankungen jedenfalls verbietet sich mE der Verständnisbegriff - es ist so, und ist hinzunehmen.

Ein Freund (und Vetter) von mir hat sich kürzlich in der Psychiatrie das Leben genommen. Da ich nicht weiß, wie klar er im Moment seines Todes war, und ich (selbst wenn er bewußt entschieden hat) seine Chance, später ein normales Leben zu führen, eher gering einschätzte, kann ich seinen Tod nachvollziehen.

Die Frage ist ja gerade auch durch die deutsche Filiale des Schweizer Sterbehilfsvereins "Dignitas" aktuell. Auf deren Seite dignitas.ch heißt es:
I[size=84]m Fall von ärztlich diagnostizierten hoffnungslosen oder unheilbaren Krankheiten, unerträglichen Schmerzen oder unzumutbaren Behinderungen bietet DIGNITAS seinen Mitgliedern einen begleiteten Freitod an.
Das Wort "unzumutbar" ist hier wieder ein sehr dehnbarer Begriff, ansonsten befürworte ich diese Zusammenstellung - und ihre Konsequenz.

Aber ein ganz klares Nein gilt denjenigen, die in ihrem Suizid andere Menschen töten oder verletzen. Das gilt ebenso für verzweifelte Familienväter, die ihr Haus anzünden, wie auch für Amokläufer. Aber auch eine der meistverbreiteten Suizidarten, nämlich, sich vor die Bahn zu werfen, ist in mE verwerflich, weil damit insbesondere die Zugführer einer unerträglichen Belastung ausgesetzt werden. Laut Dignitas sterben in Deutschland sechs Menschen täglich so; und irgendwo habe ich einmal gelesen, daß statistisch auf jeden Zugführer in seiner Dienstzeit zwei Suizidopfer kommen. Das ist unbedingt z[/size]u vermeiden. Wenn tatsächlich ein solcher Bedarf, zu sterben, besteht, ist es besser, ihn zu kanalisieren. Und noch ein Dignitas-Zitat:
Die Erfahrung zeigt, dass nur die wenigsten Personen, welche als Mitglied beitreten, die Dienste für eine Freitodhilfe jemals in Anspruch nehmen. Mit der Patientenverfügung sind sie in der Regel ausreichend gesichert. Wird diese beachtet, führt die lebensbedrohende Situation – weil keine lebensverlängernden Massnahmen eingeleitet werden – zum natürlichen Sterben. Das Dabeisein bei [size=84]DIGNITAS[/size] vermittelt aber den Mitgliedern die Sicherheit, im Falle eines aussichtslosen langen Leidens selber sagen zu können: «Jetzt habe ich genug. Ich will jetzt sterben können.» Dieses Gefühl der Sicherheit ist etwas ausserordentlich Wichtiges für mündige Menschen.
Ich kann mir auch gut vorstellen, daß die Möglichkeit, mit Menschen darüber zu sprechen, die die Situation genau kennen, helfen kann, sich zum Leben zu entscheiden. Dabei erleichtert es möglicherweise den Zugang, wenn diese Menschen Hilfe beim Sterben anbieten und nicht - wie eine Suizidberatung - ausdrücklich versuchen, den Betreffenden vom Suizid zurückzuhalten.

janw
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Sa 1. Okt 2005, 23:55 - Beitrag #3

Eine gute Frage...

Nun ja, Krisen erlebt wohl jeder mal irgendwann, vielleicht auch welche, in denen er keinen Ausweg sieht, das Leben wertlos erscheint. Dem Schrecken durch Selbstmord ein Ende zu bereiten, kann da als Lösung erscheinen, und erscheint wohl auch sicher mehr Menschen als Lösung, als diesen Weg gehen. Die Angst davor, daß es schief geht, auch vor dem Tod überhaupt ist dann doch größer.
So viel zum Verständnis dem Selbstmordgedanken gegenüber.

Letztlich sind aber die meisten Fälle, in denen das vorkommt, eher Fälle, wo es an einem fehlt: Mitmenschen, die denjenigen in seiner Notlage auffangen, mit ihm gemeinsam nach Wegen aus der Krise suchen.
Zivilisationskritisch könnte man vielleicht sagen, daß die Tatsache, daß es solche Fälle gibt, Ausdruck einer kranken Gesellschaft ist, krank in dem Sinne, daß eben jener Zusammenhalt fehlt, den jeder Mensch natürlicherweise zum Leben braucht.

Ich habe selbst Menschen erlebt, die durch Unfälle schlagartig gelähmt waren, habe erlebt, wie sie durch Training und Therapie neue Wege erlernten, in der Welt zurecht zu kommen, und wie sie dabei auch wieder lernten fröhlich zu sein.

Ich will mir nicht anmaßen, Selbstmord für alle und jegliche Fälle als inakzeptabel anzusehen - das Maß an Schrecken, das Menschen begegnen kann, ist zu unüberschaubar und ein Gottvertrauen nicht jedem gegeben - und doch gibt es für mich keinen Fall, in dem nicht der Versuch unternommen werden muß, Wege für ein Weiterleben zu finden.

Sehr gefährlich finde ich gerade jetzt die Versuche einer Organisation namens "dignitas", den Selbstmord gesellschaftsfähig zu machen und Mittel zu seiner Verwirklichung anzubieten.

Dieses kann und darf es nicht geben in unserem Lande. Dagegen lohnt es sich zu kämpfen.
Für das Leben.

EDIT: Das hat sich überschnitten mit Lykurg
Lykurg, Dein Gedanke mit dem Hilfe bei der Umsetzung anbieten ist iirc eine der Techniken, die von Beratungsstellen angewandt wird. Zeit gewinnen, Zugang zur Gedankenwelt desjenigen, das führt oft zum Ziel und hält am Leben.

Aydee
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So 2. Okt 2005, 01:11 - Beitrag #4

Blanke Theorie: (ich kenne niemanden, der/die solche Gedanken hat/hatte)


Wenn ein Mensch in seinem Leben, dem was er aus all diesen Möglichkeiten die ihm/ihr begegnen, nicht das für sich leben kann, was seinen tiefsten Bedürfnissen entspricht.

Wenn ein Mensch "bereit" ist



PS. @janw: Und wenn "hält am Leben" nicht ausreicht für einen solchen Menschen am Leben bleiben zu WOLLEN...?




Edit.
Mir fällt grad ein, ich kenne doch jemanden, der schon auf dem Balkon im 5.Stock (od so) gestanden hat. Hat erzählt, eines Abends, als er wieder "abgerutscht" war, tauchte - wie schon oft zuvor - die Frage auf: "Warum nicht....?" auf und er stieg auf den Balkon seiner Etagenwohnung. Als er da oben stand und nach unten blickte, war da plötzlich eine kleine trotzige? sture? Antwort: "Darum nicht!" Und er ist wieder zurück ins Zimmer gegangen....

Feuerkopf
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So 2. Okt 2005, 01:12 - Beitrag #5

Damit wir wissen, worüber wir diskutieren

Ich kopiere diese Info aus einem anderen Thread:

Zitat:
Suizidstatistik der BRD von 2001 (Statistisches Bundesamt)

- über 11.000 Menschen, d. h. etwa alle 50 Min. stirbt in Deutschland ein Mensch durch Suizid.

- Die Zahl der Suizide (11.156) liegt deutlich über der der Verkehrstoten (7.800)
- Geschlechterverhältnis: 1 : 2 bis 1 : 3 (2.946 Frauen zu 8.188 Männern)
- Bei Männern unter 40 ist Suizid die zweithäufigste Todesursache.
- Das Suizidrisiko steigt mit zunehmendem Alter
- Das Verhältnis Suizid zu Suizidversuchen leigt bei 1 : 10. Etas alle 5 Minuten versucht sich hierzulande jemand das Leben zu nehmen
- Bei den Suizidversuchen liegt das Geschlechterverhältnis 2 : 1.
- 20 - 30 % aller Menschen, die nach einem Suizidversuch stationär behandelt wurden, führen einen neuen Versuch durch; ca 3 % innerhalb von drei bis vier Monaten nach dem ersten Versuch.
- 5 - 10 %, die behandelt wurden, sterben in den folgenden 10 Jahren durch Suizid.



Suizid als Ausweg ist eine Sackgasse, da unumkehrbar.
Das muss man wissen und sich immer vor Augen führen, wenn man gelegentlich mit dem Gedanken an diese vermeintliche Lösung eines ernsten Problems spielt.
Natürlich kann ich mir Grenzsituationen vorstellen, wie eine unheilbare Krankheit oder das Ende der persönlichen Belastbarkeit. Aber, wie gesagt, diese Entscheidung ist unumkehrbar und man wird nie erfahren, ob ein Problem nicht doch eine lebbare Lösung erfahren hätte.

___

Anaeyon
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So 2. Okt 2005, 01:29 - Beitrag #6

Zitat von Feuerkopf:Suizid als Ausweg ist eine Sackgasse, da unumkehrbar.


Nein. Wenn ich ein Computerspiel beende, bleibt es nicht stecken, sondern es ist aus...

Die Entscheidung sich das Leben zu nehmen kann ich gut verstehen, die individuellen Begründungen jedoch nicht. Kaum ein Jugendlicher den ich kenne hat so heftige Probleme im Leben, als das seine Suizidgedanken wirklich "nötig" wären. (etwas gegenteiliges Gerede weiter unten im Post, gleich)

Eine Art von Argumentation gegen Selbstmord verstehe ich nicht: "...aber es wird wieder Zeiten geben in denen du lachen kannst..." Nach dem Schema. Was interessiert es nen Toten, ob er - wenn lebendig - lachen könnte?

Im Grunde könnten Kopfschmerzen oder eine spontante Laune schon als Grund für Selbstmord genügen. Es kommt nicht auf die schwere der Depressionen oder Ängste an, es kommt nur darauf an was man im Moment fühlt. Was interessiert es mich, ob ich morgen schon wieder gut drauf wäre oder erst in 10 Jahren, wenn ich tot bin bin ich tot, mehr nicht. Frei von Sorgen.

Aydee
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So 2. Okt 2005, 01:31 - Beitrag #7

Zitat von Feuerkopf:Suizid als Ausweg ist eine Sackgasse, da unumkehrbar

Aber für manche Menschen auch der Ausweg AUS einer Sackgasse....

LadysSlave
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So 2. Okt 2005, 07:46 - Beitrag #8

Ich habe Erfahrungen mit einem Suizidpatienten gehabt. Ich bin den Ärzten einer Nervenklinik sehr dankbar für die Begleitung bei der Betreuung dieses Menschen, der mehrmals versucht hat "Schluss" zu machen. Diese Mann ist jetzt (ca 18 Jahre danach) in der Gesellschaft integriert, hat einen guten Job und niemand würde darauf kommen, dass er mal versucht hat sich selbst ein Ende zu setzen.
Dabei lernte ich dass jeder Mensch leben will, auch der Selbstmörder. Ich habe ich zwar Verständnis für die Situation, in der jemand ist, der seinem Leben ein Ende setzen will, aber kein Verständnis für den Suizid.
Denn jeder Mensch will leben - der Selbstmöder auch, nur nicht so!
Ich kann aber keine Bedingung ändern, wenn ich meinem Leben ein Ende setze. Ich sterbe dann in dieser Situation, obwohl ich noch nichtmal in dieser Situation leben wollte.
Auch das Leiden, dass man bei Angehörige und Freunde verursacht ist nicht zu vergessen. Mit welchem Recht vergeht sich der Suizidale gegen die Gefühlswelt seiner Umwelt. Warum, genauer gefragt, tut der Suizidale seiner Umwelt weh, wo er doch weiss, dass man damit nicht leben will.
Was jeder Mensch machen kann, der einem Suizidbedrohten helfen will, ist mit dem Suizidkandidat sprechen, wie die Situation ist, was so schrecklich an dieser Situation ist. Dann, was an der Situation zu ändern wäre und wie man überhaupt eine Situation ändern kann, damit er sie nicht mehr so schrecklich empfindet, dass er/sie so nicht mehr leben will.
Also erstmal über eine Situation sprechen, die lebenswert wäre und erst danach über Wege dahin.
Das wichtigste ist jedoch, meines Erachtens, dem oder der Suizidalen aufzeigen, dass es die Situation ist und nicht das Leben, das er/sie lossein will. Das gilt auch für Sterbenskranke. Sie wollen die Schmerzen nicht. Dagegen kann man mdikamentös was tun. Die hassen ihre Ausweglosigkeit. Dagegen kann man auch was tun. Man kann zum Beispiel zeigen, dasss sie noch wesentlich mehr Aussicht haben, als so manch ein Unfallopfer das jetzt noch gesund durch die Welt läuft und dass er/sie auch noch denken kann, also ist, wie der Philosoph sagt.

Feuerkopf
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So 2. Okt 2005, 08:37 - Beitrag #9

Ladysslave,
deine Ausführungen ergänzen, was ich geschrieben habe. Über die Prävention oder die Hilfe hatte ich mich (noch) nicht geäußert.

Ein wichtiger Aspekt, wenn man mit einem Suizidgefährdeten spricht, ist der Respekt, den man ihm entgegenbringt.
Dazu gehört, ihn vorsichtig zu befragen, aber nicht nachzubohren. Man kann das Thema ganz direkt ansprechen, weil es auch wichtig ist, es zu enttabuisieren.
Wenn man gleichzeitig noch das eigene Gefühl benennt, also empathisch ist, kann man möglicherweise einen Kontakt bieten, der dem Betroffenen Zeit zum Nach- oder Überdenken gibt.
Ein Mensch, der über seinen Suizidwunsch spricht, hat zumindest ein ambivalentes Verhältnis zu diesem Gedanken und das ist die Chance, mit ihm über seine Gefühle und Gedanken zu sprechen.

aleanjre
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So 2. Okt 2005, 10:54 - Beitrag #10

Ladysslave, ein Mensch, der so in seinen Depressionen und Angstgefühlen gefangen ist, dass er mit absoluter Sicherheit zu wissen glaubt: aus diesem schwarzen Loch gibt es niemals wieder ein Entrinnen! - der denkt nicht an die Schmerzen, die seine Angehörigen leiden können. Im Gegenteil, er hält sich selbst für so unerträglich, dass er glaubt, seine Angehörigen sind ohne ihn besser dran!
Sie haben auch keinen Blick mehr dafür, dass ihre Selbstmordtechniken vielleicht andere Menschen mitreißt. Wie ist sind schon Selbstmörder vom Hochhausdach gesprungen und auf unschuldigen Passanten gelandet - Selbstmörder fit, Passant tot! Oder auf Autodächer einschlugen und damit einen Unfall verursachten.
Oder dass das Aufdrehen des Gashahns in einem Mehrfamilienhaus vielleicht zu einer explosiven Tragödie führen könnte!
Wer hingegen als Geisterfahrer absichtlich unterwegs ist, der dürfte wissen, dass er Menschen mitnimmt, und dies in seinem Hass auf die Welt wohl auch planen. :(

Eltern, die ihre Kinder töten, oder Eheleute, die den Partner mitnehmen, tun dies aus fehlgeleitetem Schutzinstinkt. Eine psychisch verstörte, tödlich depressive Mutter könnte glauben, dass niemand für ihre Kinder sorgen wird, wenn sie einmal weg ist, dass das Leben für ihre Kleinen zum unterträglichen Leid wird, und der Tod besser für sie ist. Ein Familienvater, der den Job verloren hat, oder an unheilbarer Spielsucht leidet und heimlich Haus und Hof verspielte, mag seine Liebsten vor Entehrung, Demütigung und gesellschaftlichem Absturz in Sozialhilfe oder gar Obdachlosigkeit bewahren wollen.

Depression ist die häufigste Krankheit des Menschen, mit unendlich vielen Ursachen und Abstufungen. Quasi jeder Mensch durchläuft wenigstens einmal in seinem Leben eine depressive Krise. Ob es dabei dann zur Depressionserkrankung mit schwerem Verlauf kommt, hängt von genauso vielen Faktoren ab. Das Tückische ist einfach, dass ein Betroffener sich selbst nicht als krank erkennt, oft genug keine äußeren Signale sichtbar werden, und Depressionen immer noch mit Vorurteilen belegt sind. So kann es sein, dass es wirklich für alle Beteiligten, selbst für ganz nahestehende Freunde und Verwandte, zur völligen Überraschung kommt, wenn ein Mensch "einfach so" sein Leben beendet. Verständnis? Wie schwer ist es zu verstehen, was einen anderen Menschen bewegt. Wie er fühlt, was er fürchtet. Oft genug spüren wir selbst erst lange Zeit später, dass die vergangenen Monate schmerzhaft und traurig waren, weil das Unterbewußtsein dieses Wissen von uns ferngehalten hat - ein gesunder Selbstschutz.

Da-Fe
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So 2. Okt 2005, 11:04 - Beitrag #11

Zitat von Anaeyon:...wenn ich tot bin bin ich tot, mehr nicht. Frei von Sorgen.


Nein, du bist dann nicht frei von Sorgen, du hast sie auf die Menschen, die dich vll mochten, übertragen... Und meistens sind sie dann noch verstärkt durch Selbstvorwürfe jener Personen.
Ich bin jemand, der gerne mal über Suizid nachgedacht hat, besonders während meiner SVV Phase, die ja zum Glück vorbei ist, halte ihn jedoch trotzdem für Feige.
Der Cousin eines Kumpels von mir hatte einfach "keinen Bock" mehr, hat sich in seiner Wohnung aufgehangen, einen Brief geschrieben (vorher ^^) in denen er all seine Problemchen und den Grund seines Suizides auf seine Freundin und Freunde schob... FEIGE!
Es mag immer mehr oder weniger gute Erklärungen für Suizid geben, jedoch bezweifle ich, dass es welche gibt, die so etwas rechtfertigen...

Aktive Sterbehilfe? Ist das Suizid... zumindest eine Form die ich dann doch noch nachvollziehen könnte... Warum soll sich eine arme alte Oma ohne Angehörige noch 2 Wochen mit ihrem Krebs quälen. Das wär für mich eher ein Verkürzen des Leides und der Tod etwas unausweichliches... Naja vll argumentiere ich kontrovers aber darauf werdet ihr mich ja sicher hinweisen ^^

janw
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So 2. Okt 2005, 11:49 - Beitrag #12

Zitat von Aydee:PS. @janw: Und wenn "hält am Leben" nicht ausreicht für einen solchen Menschen am Leben bleiben zu WOLLEN...?

Nun, wie gesagt, man kann nur versuchen, an einen Menschen heranzukommen, ihm die Endgültigkeit seines Vorhabens zu verdeutlichen, versuchen seine Wünsche zu erfragen, versuchen Wege aus der Krise aufzuzeigen.
Wie LadysSlave schon sagte, praktisch jeder will am Ende in Wirklichkeit leben. Wenn nicht, dann kann man nur versuchen ihn konkret abzuhalten...
Stellt sich natürlich die Frage, wieweit das nicht ein Eingriff in die Willensfreiheit ist.
Ich für mich beantworte die Frage so:
Ich halte einen Überlebenstrieb bei jedem gesunden Menschen für gegeben. Im Falle einer Depression könnte man dann von verminderter Steuerungsfähigkeit ausgehen, sprich, es besteht Behandlungsbedarf an einem Kranken, der ein Übergehen einer Selbsttötungswillensbekundung erlaubt.

Da-Fe, Sterbehilfe ist ein Kapitel für sich, aber kann hier sicher angerissen werden.
Ein Problem in dem von Dir geschilderten Fall könnte sein, daß die Oma ein dickes Bankkonto in der Schweiz hat, und das könnte für Angehörige eine Verlockung sein, die Pflege von Oma besonders mühevoll erscheinen zu lassen...

aleanjre
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So 2. Okt 2005, 11:51 - Beitrag #13

Du magst es feige nennen, Da-Fe.
Aber entweder war dieser junge Mann tatsächlich davon überzeugt, dass alle anderen ihn in den Tod getrieben haben - oder er war so von Hass auf die Welt erfüllt, dass er wollte, dass alle anderen sich schlecht fühlen. Beides Zeichen schwerer psychischer Erkrankung.
Man kann einen Menschen, der Suizid begeht, nicht mit normalen Maßstäben messen. Oder unter normalen Bedingungen verstehen. Wer an einer tödlichen Krankheit leidet und den Weg des Schmerzes verkürzen will, handelt noch am "normgerechtesten" und niemand wird es ihm wirklich verübeln. In fast jedem anderen Fall aber versagt das Norm - Wertesystem. Und eine Bezeichnung wie "Feigheit" greift zu kurz.

Maurice
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So 2. Okt 2005, 13:04 - Beitrag #14

Ob es ein Anzeichen von Feigheit war ist unstrittig. Sicher ist aber, dass es ein Anzeichen von Schwäche war.

Nein, du bist dann nicht frei von Sorgen, du hast sie auf die Menschen, die dich vll mochten, übertragen...

Ähh was ist denn das für eine Logik? Wenn ich mein Vermögen komplett auf jemand anderes übertrage, dann habe ich trotzdem noch Vermögen? :wzg:
Wenn du tot bist (und angenommen, die Existenz der Persönlichkeit ist beendet und es geht nicht im Jehnseits weiter), dann kannst du keine Sorgen mehr haben, weil du ja nicht mehr bist. Ein nicht-existentes Subjekt kann nicht existente Gefühle haben.

Was Selbstmord angeht, so denke ich ähnlich wie Anaeyon, nämlich in Richtung Nietzsche ("Die Schwachen und Missratenen mögen zu Grunde gehen.") Ich übernehme einfach mal einen Abschnitt einer PN; die vor kurzen an Lykurg ging:
Wer sich selbst umbringt, um den soll es nicht schade sein, weil er es dann einfach nicht wert war weiter zu leben. Es ist nur ein weiteres fehlgeschlagenes Expermient der Gesellschaft, ein weiteres unbrauchbares Produkt, das in den Müll wandert.

Die Maschine
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So 2. Okt 2005, 14:29 - Beitrag #15

Hmmm das aus deiner PN macht mich nachdenklich. Ist das nicht eine Form von Sozialdarwinismus ("survival of the fittest")?

Also wären dann quasi jedes Individuum ein Experiment des Schicksals, um zu schauen unter welchen Einflussmöglichkeiten es noch überleben kann...

Anaeyon
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So 2. Okt 2005, 15:23 - Beitrag #16

Da-Fe, in Sachen Sorgen stimme ich Maurice zu. Wie soll ein Toter was von irgendwelchen Sorgen mitbekommen, ob nun seine oder die seiner Angehörigen? Du glaubst ja wohl eher nicht an ein Leben nach dem Tod, oder? ^^

Maurice, deiner/Nietzsches Meinung bin ich hier eigentlich nicht.
Wenn ich zwischen Selbstmord und "in die Gesellschaft integriert" wählen müsste, (also angenommen, es geht mit mir oder der Gesellschaft schon so bergab das ich vor dieser Wahl stehe, und die entsprechenden Gefühle und Gedanken in meinem Kopf sind) dann würde ich Selbstmord wählen.

Für mich ist die Gesellschaft sowas wie die Herrschaft der Schwachen (welche es in Massen gibt), wer sich aus dem Grund umbringt, das er es zwischen all diesen normalen Leuten nicht aushält, der ist - verallgemeinert - meiner Meinung nach nicht schwach sondern einfach zu anders.

Um deinen letzten Absatz noch zu "beantworten", Maurice:
Ich verallgemeinere wieder stark, aber ich kenne die einen Jugendlichen die sich aus irgendwelchen Gründen (meist Überreaktion, wie auch bei mir) umbringen wollten, und ich kenne die die es nicht wollten, und meistens sind mir die, die sich umbringen wollten deutlich mehr wert. (und ja, das kann man an genau diesem Thema festmachen...)

Das was Nietzsche hier sagt hört sich an als wollte er die Menschheit und die Gesellschaft schönreden/schützen, oder zumindest so tun als sei das Leben ein Kampf den man zu kämpfen hat. Was mir so ganz und gar nicht gefällt.

Aydee
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So 2. Okt 2005, 15:33 - Beitrag #17

"Auch das Leiden, dass man bei Angehörige und Freunde verursacht ist nicht zu vergessen. Mit welchem Recht vergeht sich der Suizidale gegen die Gefühlswelt seiner Umwelt. Warum, genauer gefragt, tut der Suizidale seiner Umwelt weh, wo er doch weiss, dass man damit nicht leben will."

Mit all dem Recht dass sich ein solcher Mensch für sein Leben nimmt und nehmen kann. Warum sollte sich ein `Mensch für seine Umwelt immer weiter und immer weiter wehtun, wenn er sein Leben nicht mehr weiter leben kann/will...?
Nicht nur Verständnis für die Umwelt/Familie/Freunde, auch für den der nicht mehr kann....



"Nein, du bist dann nicht frei von Sorgen, du hast sie auf die Menschen, die dich vll mochten, übertragen..."
Nein. Menschen haben diese Sorgen für SICH übernommen. Niemand kann einem anderen Menschen Sorgen etc. übertragen

FEIGE ist ein Urteil.
Kein Verständnis.
Nicht wahr...?



Was ich hierbei nciht verstehe: Suizid bei einer !tödlcihen! Krankheit kann grad eben so noch akzeptiert werden. Aber wo beginnt !tödlich! und wo !Krankheit!....?
Sind diese beiden Begiffe nicht extrem subjektiv bewertbar...?
Kann ein Mensch wirklich nachempfinden was ein anderer Mensch fühlt? Wo für einen anderen Menschen die Schmerzgrenze erreicht ist....??

Maurice
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So 2. Okt 2005, 16:08 - Beitrag #18

@Anaeyon:

Wenn ich zwischen Selbstmord und "in die Gesellschaft integriert" wählen müsste, (also angenommen, es geht mit mir oder der Gesellschaft schon so bergab das ich vor dieser Wahl stehe, und die entsprechenden Gefühle und Gedanken in meinem Kopf sind) dann würde ich Selbstmord wählen.

Diese Einstellung macht dich nicht weniger zu einem Produkt der Gesellschaft. Du bist in diese hineingeboren, in ihr aufgewachsen, in ihr sozialisert worden und lebst immer noch in ihr. Wenn du aus ihr aussteigen willst, dann wendest du dich gegen deinen Ursprung, deine Produktionsstätte, deinen Schöpfer, aber sie bleibt dennoch dein Ursprung.

wer sich aus dem Grund umbringt, das er es zwischen all diesen normalen Leuten nicht aushält, der ist - verallgemeinert - meiner Meinung nach nicht schwach sondern einfach zu anders.

Etwas nicht aushalten ist eine Form der Schwäche. Wen die Gesellschaft quält, diesem Leiden aber dennoch standhält, zeugt von Stärke.

(...) ich kenne die einen Jugendlichen die sich aus irgendwelchen Gründen (...) umbringen wollten, und ich kenne die die es nicht wollten, und meistens sind mir die, die sich umbringen wollten deutlich mehr wert.

Natürlich können auch so Personen ihre Stärken haben, aber wer sich unbringt beweist, dass er zu schwach war, das was ihn belastete, zu ertragen. Um ihn zu trauern lohnt sich nicht.

Das was Nietzsche hier sagt hört sich an als wollte er die Menschheit und die Gesellschaft schönreden/schützen, oder zumindest so tun als sei das Leben ein Kampf den man zu kämpfen hat. Was mir so ganz und gar nicht gefällt.

Nietzsche redet bestimmt nicht die Gesellschaft schön, ist er doch ein Kritiker dieser. Für Nietzsche ist die Macht das entscheidende Motiv und damit ist Kampf verbunden. Ich kann ihm zwar in der Intensität seiner Meinung nicht zustimmen, aber auch ich sehe den Kampf als einer der entscheidenen Aspekte des Daseins. Der Mensch kämpft ständig, seis nun im Krieg, in der Wirtschaft, in der Politik, in der Religion oder mit sich selbst. Und das sind nicht mal alle Situationen, wo Kampf eine Rolle spielt. Das Leben ist ein Kampf.

Aydee
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So 2. Okt 2005, 16:20 - Beitrag #19

Etwas nicht auszuhalten ist - imo - ein Zeichen von Unvereinbarkeit dessen was ist und dessen was dir bedürfnis ist.
Was ist daran Schwäche?



"wer sich unbringt beweist, dass er zu schwach war, das was ihn belastete, zu ertragen."
Dann lass ihn/sie gehen.
Lass ihn/sie in Frieden ziehen, in die Freiheit die er/sie für sich noch sieht.



Um ihn zu trauern lohnt sich nicht
:-( Trauer lohnt sich nur für die "Starken"...?

Traure.
Traure um diese SChwachen und finde vielleicht heraus, warum sie keine Stärke fanden sich diesem Leben zu stellen



Edit.
@Maurice. Sry. Wollte nichts unterstellen. Tut mir leid :-((

Maurice
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So 2. Okt 2005, 16:31 - Beitrag #20

Was ist daran Schwäche?

Das ergibt sich für mich aus den Bedeutungen, die die Begriffe für mich haben.
Wenn du die Begriffe anders definierst, kommst du natürlich zu einem anderen Ergebnis.

Dann lass ihn/sie gehen.

Lass ich doch auch. Wo habe ich das Gegenteil behauptet?
Wer sich umbringen will, den gebet ein Messer.

Trauer lohnt sich nur für die "Starken"...?

Für mich schon. Wenn es für sich jemand anderes sieht, soll er trauern. Ich versuche es zu vermeiden, wenn ich es nicht für angebracht halte.

Traure um diese SChwachen und finde vielleicht heraus, warum sie keine Stärke fanden sich diesem Leben zu stellen

Das werde ich nicht, weil es dem von mir bereits gesagten widerspricht.

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