Schön, kommt das Thema auch mal aufs Tapet
Das Agieren der österreichischen Regierung ist denke ich vor allem wahltaktisch begründet. Ressentiments gegenüber allem Fremden sind in Österreich tief verwurzelt nach meiner Beobachtung, die östlich angrenzenden Länder waren in der Vergangenheit nur in sofern "etwas wert", als dort brave untergebene Kolonialvölker lebten. Die Türkei ist natürlich insofern als Feindbild besonders "beliebt", als sie (bzw. eigentlich das Osmanische Reich) mehrfach Österreich erobern wollten. Hier wird dann heute eine Eroberungsabsicht "durch die Hintertür" gewittert.
Wie hat die österreichische Regierung angesichts einer derart ausgeprägten Volksmeinung zu agieren?
Ich meine, sie hätte abzuwägen, wieweit wirklich diese Vorurteile begründet sind, wieweit wirklich eine Gefahr für Österreich gegeben ist, gegen den Schaden, den sie in Europa anrichtet, das ansonsten einhellig für Beitrittsverhandlungen eintritt.
Und da spricht in meinen Augen die Faktenlage eher für eine geringe bzw. kontrollierbare Gefahr, also für einen Primat der europäischen Belange.
Wenn man gegen den Beitritt votiert, muß man IMHO eine konstruktive Alternative anbieten.
Nun ist die Türkei lange schon Mitglied der NATO, auch der EU assoziiert, wenn ich nicht irre - überhaupt konnte das vergangene Terrorregime in der Türkei nur deshalb so unkontrolliert wüten, weil die Türkei im Ost-West-Konflikt unverzichtbarer Bündnispartner des Westens war. Das sollte nicht vergessen werden - hier klebt auch Blut am Westen.
Angesichts dieser schon faktischen und wirksamen Einbindung sehe ich nicht viel, was dazwischen und einem EU-Beitritt an Kooperationsmodellen aufgelegt werden könnte, nicht viel, was konstruktiv zu erreichen wäre.
Die "Privilegierte Partnerschaft" wäre also nicht mehr als eine phrasendrescherische Erklärung, sinngemäß "für gegenseitiges Einverständnis und Förderung des Austausches etc.", hätte keine Wirklichkeitsverändernde Wirkung.
Und sie wäre ein Komplex vergebener Zukunftschancen.
Die Türkei hat einen erheblichen Reformweg hinter sich, sie ist der einzige laizistische islamische Staat mit einer halbwegs funktionierenden demokratischen Rechtsordnung. Sie könnte zum Modell werden für die anderen islamischen Staaten in der Nachbarschaft, indem sie zeigt, daß Liberalität mit einer Zunahme an Wohlstand für alle verbunden ist.
Natürlich wird der Weg kein einfacher sein, die Türkei selbst gibt sich sehr selbstbewußt, zu sehr vielleicht. Man wird ihr Zähne ziehen müssen.
Aber dafür sind die Verhandlungen ja auch langfristig angelegt.
Man muß aber sehen, daß die angestrebten Ziele, die durchaus Europa etwas angehen - Lösung des Zypernkonflikts, Durchsetzung der Pressefreiheit in der Türkei, die Aussöhnung mit den Kurden und die Anerkenntnis des Massakers an den Armeniern - anders nicht erreichbar sein werden als durch Verhandlungen, die der Türkei auch echte Vorteile bieten im Gegenzug.
Ein Punkt sollte in der Diskussion immer mal im Auge behalten werden:
Was ist die EU wirklich? Auch wenn sie praktisch nur aus mehrheitlich christlich orientierten Staaten besteht, ist sie IMHO kein "Christen-Block".
Die Konservativen, die dieses propagieren übersehen die maßgebliche Rolle der Aufklärung, der kritischen Auseinandersetzung mit dem christlichen Welt- und Menschenbild, der Anerkenntnis des Menschen als frei, gleich berechtigt - unabhängig davon, welcher Religion, Hautfarbe etc. er angehört.
Die Dividende dieser Erkenntnis war es, die Europa zu dem machte, was es heute sein will. Gut, daß es davon im Zeichen des Neoliberalismus teilweise etwas abdriftet, ist wahr und ein Problem - das auch erwähnt werden sollte. Es führt aber weg vom Thema...