Atheismus, aber bitte mit Gefühl!

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Anaeyon
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Mi 12. Okt 2005, 14:55 - Beitrag #1

Atheismus, aber bitte mit Gefühl!

Ich unterhielt mich mit Maurice gestern im Groben darüber, ob man sich als überzeugter Atheist die Gefühle eines Religiösen vorstellen kann und ob es eine Bereicherung zum Atheismus wäre.

Ich meine das so:

Ich habe ein atheistisches Weltbild, habe auch nicht vor das zu ändern, will jedoch zum Beispiel fühlen wie ein Heide fühlt, wenn er an Valhalla denkt.

Ich will die Existenz von Transzendentem nicht akzeptieren, tue dies auch nicht. Trotzdem will ich mir meine Gedanken und meine Welt so erklären, als würden sie existieren, damit ich diese religionsbedingten Gefühle erfahren kann. (Jedoch ohne diese Erklärung als physische Realität anzunehmen).

(Gestern redete ich davon, nur die Gefühle zu spüren, ohne sich jegliche Randbedingungen (Glaube, Bekehrung durchs Christentum und den Kampf dagegen, Sehnsucht nach Valhalla usw.) vorzustellen. Dass dies wohl nicht möglich ist, akzeptiere ich.)

Maurice nannte jedoch das was ich jetzt versuche zu erklären "mit Religion spielen". Zumindest tat er das, falls ich es gestern so ausgedrückt habe wie jetzt
Nun, genau das ist es eben nicht, was ich will. Ich will nicht mal kurz ein Abenteuer erleben um mich dann wieder zurückzuziehen..

Wenn ich als nur logisch denkender und nur Logik akzeptierender Mensch Geschichten aus der Edda lese, kann ich zwar mit der Hauptfigur mitfühlen, es verstehen das für ihn etwas so wichtig ist, aber es wäre mir dann trotzdem nicht selbst wichtig, die Gefühle der Hauptperson würde ich nicht selbst fühlen.

Würde ich dies dann jedoch versuchen, würde ich sofort alles aus meiner atheistischen Sicht sehen, dann wäre es mir gar nicht erst möglich, richtig zu fühlen und aus den neuen Gefühlen zu profitieren, da ich ja Transzendentes ablehne.


Im Grunde wäre das was ich will wohl Atheismus mit religiösen Erfahrungen aber gleichzeitig mit dem Wissen, das es Götter und Valhalla nicht wirklich gibt.
Also Atheismus, der mich aber nicht daran hindert, (multi-?)theistisch zu fühlen.

Ich weis nicht ob ich mich nach etwas wirklich spirituellem sehne, das jedoch nicht wahrhaben will, da für mich Atheismus einfach ZU real und richtig ist, oder ob ich meinen Atheismus nur gerne etwas "gefühlsbetonter" erleben will. Oder will ich was ganz anderes?..
Maurice würde sich evtl. auch für die Antworten interessieren (allein schon um mein wirres Gerede von gestern verarbeiten zu können? ^^)

Was sagen u.a. Nicht-Atheisten dazu? Soll nicht als "Schaut her, so denke ich" gelesen werden..

Elbereth
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Mi 12. Okt 2005, 16:33 - Beitrag #2

Ich bin auch Atheistin, aber ich sehe das nicht so "verbissen", ich meine einfach dass Religion (bzw. Atheismus) keine große Rolle in meinem Leben spielt und ich es im allgemeinen nicht so ernst nehme.

Deswegen (oder auch nicht deswegen sondern aus irgendwelchen anderen mir unbekannten Gründen *g*) ist es für mich kein großes Problem mich in religiöse Menschen zu "versetzen". Ich finde es einfach faszinierend, wie man sie einer Idee so vollkommen hingeben kann, und es muss nicht unbedingt eine Religion sein, sondern auch einfach eine Überzeugung, der man sich dann aber sich dann mit all seinen Emotionen hingibt (z.B. Sekten). Es ist für mich auch kein Problem Bücher zu lesen, in denen Religion eine wichtige Rolle spielt (es sei denn es erfordert grosse Bibelkenntisse oder ähnliches).

Ich würde sagen jeder Mensch will sich irgendeiner grossen Idee hingeben (egal ob religiös oder politisch oder noch was), aber viele brauchen erstmal eine Begründung oder trauen sich nicht, oder finden es einfach sinnlos (was es teilweise auch ist *g*). Und Atheismus ist in meinen Augen keine richtige "Idee" in dem schon beschrieben Sinne, da man da ziemlich wenig tun kann, es gibt keine Rituale, es gibt nichts wofür man kämpfen kann etc (es sei denn religiösen Menschen Gott ausreden ;) ).

Anaeyon
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Mi 12. Okt 2005, 16:51 - Beitrag #3

Du sagst du kannst dich solchen Büchern hingeben, du kannst es nachvollziehen...aber nicht selbst spüren, oder? Spürst du nur die Freude für jemanden, wenn er etwas schönes erlebt, oder spürst du seine Freude?

Atheismus ist für mich auch eher sowas wie Standard. Nicht eine Art von Philosophie oder Religion, sondern eben das, was man ohne Religion hat. Wie soll ich mich davon trennen (wenn auch nur von dem ganz strengen Teil des Atheismus), wenn ich Dinge nicht ohne zu hinterfragen akzeptieren kann?..

Maglor
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Mi 12. Okt 2005, 17:06 - Beitrag #4

Atheist zu sein, bedeutet Gott zu bestreiten. Wenn man ihn nicht bestreitet, sondern gleichgültig darüber denkt, ist man dann vielleicht kein Atheist mehr?
Natürlich kann man Literatur lesen und sie wie Literatur behandeln. Es spielt an der Stelle wohl kaum eine Rolle, ob das Werk ein religiöses Thema hat oder aber religiös intendiert ist. Natürlich kann man auch in der Bibel zum bloßen Vergnügen lesen, ohne die Dinge darin für wahr oder gültig zu halten.
MfG Maglor :rolleyes:

Malte279
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Mi 12. Okt 2005, 18:24 - Beitrag #5

Vielleicht bist Du am ehesten Agnostiker? Das hieße, dass Du die Existenz von etwas wie auch immer geartetem da oben weder als gesichert annimmst, noch sie als vollkommen widerlegt ablehnst.
Es würde am ehesten meiner persönlichen Haltung entsprechen. Ich behaupte nicht zu wissen dass es einen oder mehrere Götter gibt, aber genausowenig bin ich davon überzeugt dass es derlei nicht geben kann. Es gibt vieles an den etablierten Religionen das mich absolut nicht überzeugt, genauso gibt es aber auch vielle Dinge an deren Erklärung die Wissenschaft bislang scheitert (und wahrscheinlich auch zumindest noch sehr, sehr lange scheitern wird). Daher halte ich die strikte Behauptung "Es gibt keinen Gott!" für genausowenig beweisbar wie die Behauptung "Es gibt einen Gott!" bzw. "Es gibt mehrere Götter!"

Maglor
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Mi 12. Okt 2005, 18:28 - Beitrag #6

Die alles entscheidende Frage ist glaube ich folgende:
Würde es für dich, dein Handeln und dein Denken einen Unterschied machen, wenn es einen Gott gebe bzw du seiner Existenz gewiss wärest?
Wenn es keinen Unterschied macht, ist die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, eigentlich nicht relevant.
MfG Maglor :rolleyes:

Anaeyon
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Mi 12. Okt 2005, 18:42 - Beitrag #7

Natürlich kann man Literatur lesen und sie wie Literatur behandeln. Es spielt an der Stelle wohl kaum eine Rolle, ob das Werk ein religiöses Thema hat oder aber religiös intendiert ist. Natürlich kann man auch in der Bibel zum bloßen Vergnügen lesen, ohne die Dinge darin für wahr oder gültig zu halten.


Bloßes Vergnügen würde für mich bedeuten, das ich nicht verstehe, warum sich diese Menschen über die Götter freuen, ich könnte mich nur mitfreuen.
Genau das ist ja eben nicht das, worauf ich hinaus will.

Und ich nahm Literatur nur als Beispiel, es geht mir mehr darum, das ich z.b Heide sein will, mein jetziges atheistisches Weltbild dies aber nicht zulässt. Und das ich eben deswegen nicht wirklich Heide sein will, sondern nur so fühlen können will. Denn um mich Heide zu nennen, müsste ich an die Götter und all dies glauben, womit wiederrum der Atheismus nich klar kommt ^^.

(Anmerkung, es gibt nicht "das" Heidentum und man muss als Heide, wenn diese Bezeichnung denn überhaupt Sinn macht, nicht an Götter glauben etc.)

Vielleicht bist Du am ehesten Agnostiker? Das hieße, dass Du die Existenz von etwas wie auch immer geartetem da oben weder als gesichert annimmst, noch sie als vollkommen widerlegt ablehnst.
Es würde am ehesten meiner persönlichen Haltung entsprechen.


Nun, klingt auch ok für mich.
Nur für mich heist es: "ich kann mir das da oben nicht vorstellen und die Vorstellung, das da oben was sein könnte auf Tod nicht akzeptieren".
Eben nur die Vorstellung, wirklich nachweisen kann und will ich nichts

Aber darum geht es mir ja auch gar nicht.
Bin wohl nur ein Fisch im Atheisten-Aquarium der die Menschen im Trockenen verstehen will. Nur würde ich bei dem Versuch verdursten Bild...

Ipsissimus
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Fr 14. Okt 2005, 14:49 - Beitrag #8

in meinem Arbeitsalltag funktioniere ich nach streng rationalen Regeln - alles andere würde zuviel emotionale Energie kosten in einem Umfeld, das nur allzu bereit wäre, auch noch diese Energie zur Optimierung meiner Arbeitsleistung zu verwenden. Gott spielt keine Rolle, Sympathie und Antipathie nur bei ein paar wenigen handverlesenen Leuten.

Im privaten Alltag bin ich weit weniger rational als erfahrungsbasiert (und lasse auch Erfahrungen und Erklärungen gelten, die nicht rationalisierbar sind). Gott spielt immer noch keine Rolle, aber mein Empfinden, in einem magischen Universum zu leben, spielt eine große Rolle. Dieses Empfinden füllt mich in allererster Linie mit einer erheblichen Intensität der Wahrnehmung aus.

Als religiöser Mensch bin ich Atheist buddhistischer Prägung. Ob Gott existiert oder nicht, ob Götter existieren oder nicht - alles, was existiert und was nicht existiert teilt sich als innerstes Wesen die Nichtigkeit, die Belanglosigkeit. Ich muss höllisch aufpassen, das Gleichgewicht zwischen dieser und der magischen Komponente nicht zu verlassen, denn die "vitaleren" Elemente meines Wesens neigen bei Überhandnehmen dieser Komponente zu depressiven Verstimmungen^^

Maglor
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Fr 14. Okt 2005, 15:14 - Beitrag #9

Zitat von Ipsissimus:Gott spielt immer noch keine Rolle, aber mein Empfinden, in einem magischen Universum zu leben, spielt eine große Rolle.

Ich weiss jetzt nicht, wo der Bezug sein soll. Gott spielt keine Rolle, wohl aber andere tranzendente Elemente...
MfG Maglor

Ipsissimus
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Fr 14. Okt 2005, 15:35 - Beitrag #10

ich halte monistischen Monotheismus nicht für die Krone der Religiosität, Maglor^^ tatsächlich sind mir Pagan, Candomblé, Umbanda, Macumba überhaupt um vieles sympathischer als monotheistische Ansichten, auch wenn ich selbst kein Anhänger einer dieser Religionen bin^^

janw
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Fr 14. Okt 2005, 16:08 - Beitrag #11

Ist es die Personifikation des Magischen, Ipsi, die Dich stört?
Wenn ich es richtig sehe, ist ja eine der Grundlagen des Buddhismus die Ent-Wesenung des Magischen. Oder sehe ich das falsch?

Ipsissimus
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Fr 14. Okt 2005, 17:01 - Beitrag #12

die Wirklichkeit, die WAHRE Wirklichkeit, ist nicht unbedingt wünschenswert oder auch nur das, womit Menschen unter allen Umstäden leben können oder zu leben bereit sind. Der Buddhismus erfüllt einen Aspekt meines Wesens mit Freude, der Pantheismus magischer Provenienz einen anderen Teil. Die Wirklichkeit ist dabei irrelevant, weil sie ohnehin nicht erreichbar ist^^

Aydee
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Fr 14. Okt 2005, 17:18 - Beitrag #13

Ist sie nicht? Erreichbar?

Und wenn "Wirklichkeit" nur darin besteht, dass man akzeptiert, dass jede Situation in jedem Moment umkippen kann und über einen hereinbricht? Dass man ohne Sicherheitsseil und -netz über einem bodenlosen Abgrund auf einem Seil tanzt, welches gar nicht existiert?

Wäre das nicht dicht an "wirklich"?

e-noon
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Fr 14. Okt 2005, 18:17 - Beitrag #14

Es ist definitiv möglich, als Atheist die religiösen Gefühle anderer mitzufühlen bzw. selbst zu fühlen (was meint überhaupt "jemandes Gefühle mitfühlen"?).

Ich weiß nicht und behaupte, auch nicht wissen zu können, ob es einen Gott gibt oder nicht. Ich gehe aber davon aus, dass es keinen Gott gibt, weil mir (mittlerweile) allein die Vorstellung absurd vorkommt, mein Verstand sich quasi dagegen wehren würde, wenn ich ihn versuchen würde zu überzeugen (meinen Verstand und mich als zwei Personen zu beschreiben, halte ich ja schon für gewagt :cool: ). Außerdem gibt es für mich gar keinen Grund an Gott zu glauben, da ich ihn weder direkt noch indirekt wahrnehme noch glaube, dass jemand anders ihn wahrgenommen hat. Er hört auch nicht auf Gebete (schon probiert) und ist nicht einmal eine Erklärungshilfe für irgendwelche Fragen, eher im Gegenteil. Warum also an ihn glauben?

Jetzt das eigentlich interessante: Trotzdem habe ich keine Probleme damit, beispielsweise zu beten oder an einem Gottesdienst teilzunehmen ^^ mittlerweile habe ich eigentlich nicht mehr den Wunsch dazu, aber vor einiger Zeit (als ich schon länger Atheist war) habe ich das öfters gemacht. Mit Beten meine ich natürlich nicht nur die Worte dahersagen, sondern auch das entsprechende Gefühl dabei haben, ohne aber daran zu glauben.
Ist es das, was du meinst?

Traitor
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Di 18. Okt 2005, 00:44 - Beitrag #15

Ist es das spezifische Gefühl, dass ein religiöser Mensch im Erleben spiritueller Ereignisse fühlt, dass du haben möchtest, Anaeyon, oder wünscht du dir einfach ein erhabenes Gefühl, gleich welcher Art?
Letzteres kann es nämlich auch für einen aufgeklärten Atheisten in einem religiösen Erfahrungen "gleichwertigen" Maße geben, denke ich (sofern die scheinbar jede normale Denkweise überblendende Wirkung letzterer nicht ein Zeichen dafür ist, dass an ihnen noch weit mehr ist, als man sich als Atheist nach den Schilderungen Religiöser vorstellen kann).
Der eine Weg ist der Humanismus. Das Gefühl der Verbundenheit, der gemeinsamen Größe wie des gemeinsamen Leidens und speziell der gegenseitigen Verantwortung aller Menschen sollte durchaus die Intensität dieser Gefühle zu einem Gott und zu den Mitgeschöpfen erreichen können.
Der zweite Weg ist die Erkenntnis, die Wissenschaft. Die Ehrfurcht, die man angesichts der Komplexität des selbstorganisierenden Kosmos und der Unzahl der Erkenntnisse, die man über sie erringen kann, fühlt, muss sich hinter der für eine Schöpfung Gottes nicht verstecken.


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