Verständnis für Suizid

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Padreic
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Mo 31. Okt 2005, 19:42 - Beitrag #61

Allerdings verstehe ich nicht so ganz, wie du deine Frage mit meinem Zitat in Verbindung bringst?

Das Zitat war vielleicht nicht am glücklichsten gewählt. Ich hätte vermutlich was mit dem Zusammenhang von Glück und Stärke nehmen sollen.

Ich meinte nicht 'körperlich zu schwach, um sich umzubringen', sondern 'psychisch zu schwach'. Man sieht, dass ein Mensch sehr leidet und das auch von ihm bestätigt bekommt, warum soll man ihn dann nicht umbringen, wenn man sich selbst bei gleichem Leiden auch umbringen würde, auch ohne sein Einverständnis? Er kann ja vielleicht seine Lage nicht hinreichend beurteilen und ich kann ja durchaus der Meinung sein, dass ich seine Lage besser beurteilen kann.

e-noon
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Mo 31. Okt 2005, 20:06 - Beitrag #62

Solange sein Überlebenswille (aus dem seine Angst höchstwahrscheinlich resultiert) zu stark ist um zuzulassen, dass er sich selbst umbringt (und da gibt es humane Methoden, niemand muss sich verstümmeln oder vom Wolkenkratzer springen), würde ich wohl schließen, dass er doch noch am Leben hängt, und ihn deshalb nicht umbringen. Abgesehen davon, dass mein Interesse, nicht für einen Mord ins Gefängnis zu kommen, sehr viel größer ist als das, irgendwem das Leben (Sterben) leichter zu machen.

Wie willst du überhaupt seine psychische Situation besser beurteilen als er selbst?

Padreic
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Mo 31. Okt 2005, 20:36 - Beitrag #63

Wie willst du überhaupt seine psychische Situation besser beurteilen als er selbst?

Es kommt durchaus vor, dass man der Meinung ist, dass eine Person selbst nicht so gut weiß, was zu tun ist, um sie glücklich zu machen, wie man selbst. So etwa bei Eltern und ihren Kindern. Oder bei Leuten unter großem emotionalen Stress. Und so weiter.

Nunja, das führt aber auf Dauer auch zu weit ab. Ich wollte nur klar machen, dass es schwer fällt, den Tod mit in ein Glückskalkül miteinzubeziehen. Ich glaube nicht, dass es ein sinnvolles Kalkül bzgl. einer solch wichtigen Frage wie Selbstmord ist. Wenn's ernst wird, brechen solche künstlichen Systeme eh zusammen.

e-noon
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Mo 31. Okt 2005, 21:06 - Beitrag #64

Tja, ich denke nicht, dass dieses System sehr künstlich ist - nicht künstlicher als jede Religion, die Selbstaufgabe fordert, oder ähnliche Konzepte. Und sogar die können funktionieren.

Das führt tatsächlich etwas weit, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass man auch solche Fälle in das Glückskalkül mit einbeziehen kann - die Frage, was für alle Beteiligten das Beste ist, kann und sollte man sich in jeder Lage stellen :-)

SenioraEscarnio
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Di 1. Nov 2005, 12:13 - Beitrag #65

Ich steige jetzt natürlich etwas spät in die Diskussion ein und habe versucht, mir so gut es geht einen Überblick über die bereits vorgebrachten Argumente zu verschaffen, aber dennoch bereits vorab sorry, falls sich von mir jetzt genannte Aussagen mit denen anderer überdecken.

Es gibt sicherlich ganz unterschiedliche Varianten des Selbstmords bzw. der Selbstmordgedanken. Viele Menschen oder vielleicht sogar fast alle spielen irgendwann einmal in ihrem Leben mit dem Gedanken, sich selbst das Leben zu nehmen, um eine Phase zu beenden, von der man glaubt, sie nicht mehr ertragen zu können. Ich habe einmal gelesen, dass dieser Gedanke sogar wichtig für uns ist, denn er zeigt, dass wir doch immer die letztendliche Kontrolle über unser Dasein haben und genau das ist es, was viele Menschen mit diesem Gedanken erreichen wollen. Nicht eine Krankheit, eine Depression, Lebensumstände bestimmen mein Leben, sondern doch immer noch ich selbst und ich selbst kann bestimmen, ab welchem Zeitpunkt ich es nicht mehr ertragen möchte. Bei den meisten Menschen bleibt dies ein reines Gedankenspiel und wird nicht in die Tat umgesetzt.

Nun gibt es natürlich viele Gründe, warum manche Menschen diesen Gedanken ausführen. Häufig ist es eine Kurzschlusshandlung, manchmal auch gut überlegt.

Die ursprüngliche Frage des Topics lautet ja, ob man Verständnis für Suizid hat. Verständnis habe ich schon. Es gibt Lebensumstände, die der betreffenden Person absolut unerträglich erscheinen. Es gibt Menschen, die jahrelang, ihr halbes Leben lang versuchen, an sich zu arbeiten, Umstände zu verbessern, aber das Licht am Tunnel ist zu weit weg, erscheint unerreichbar. Und doch gibt es Menschen, die dennoch niemals aufgeben und weitermachen und immer wieder etwas finden, was ihnen die Freude am Leben zurückgibt. Wo besteht der Unterschied zwischen den einen und den anderen? Ich denke, dass es mit Einsamkeit zusammenhängt. Sicherlich könnten einige Suizide vermieden werden, wenn der Betreffende sich nicht völlig allein gefühlt hätte oder im entscheidenden Moment gar nicht allein gewesen wäre. Wenn unsere Werte, wie bereits erwähnt wurde, nicht auf Wohlstand und Besitz ausgelegt wären. Wenn Familien nicht danach beurteilt werden, ob alle gut versorgt sind und der Mann immer noch seiner Rolle als Ernährer und Versorger gerecht werden muss und sich als Versager fühlt, wenn er es nicht kann und dann mit seinen Sorgen und Nöten allein gelassen wird.

Sicherlich besteht ein Unterschied zwischen einem Suizid aus einer schrecklichen Lebenssituation heraus, die vielleicht hätte gemeistert werden können und einem Selbstmord auf Grund einer Krankheit. Auch bei Depressionen ist Vorsicht geboten. Es gibt drei Stufen der Depression und eine kurzweilige vorübergehende Depression erleiden wir fast alle mehrmals in unserem Leben. Ausgesprochen schwierig ist jedoch die lang anhaltende Depression, die medikamentös behandelt werden muss und die z. B. nicht mehr mit einer schwierigen Lebenssituation allein im Zusammenhang steht sondern unter Umständen mit biochemischen Vorgängen im Gehirn, die soweit ich weiß, auch erblich bedingt sein können. Diese Form der Depression fällt unter den Begriff Krankheit. Die anderen beiden Formen, soweit ich weiß, nicht. Der Familienvater leidet z. B. an einer vorübergehenden Depression, die durch sich ändernde Lebensumstände verursacht wurde. Das ist eigentlich nicht so schlimm. Es ist schlimm, aber nicht tragisch, sein Haus zu verlieren und es gibt sicherlich viele Arten zu wohnen und zu leben. Es gibt niemals nur einen Weg. Aber das muss jemand begreifen und derjenige muss einen anderen Weg auch als lebenswert erachten.

Ein Suizid aufgrund einer schrecklichen chronischen Krankheit ist für mich wieder etwas anderes, denn in einem solchen Fall ist die Hilfe schwierig, da der Betreffende ja unter Umständen nicht geheilt werden kann. Es gibt also keinen wirklichen anderen Weg, sondern lediglich nur eine Linderung und manchmal nicht einmal das. Wenn ein solcher Mensch nach reiflicher Überlegung den Freitod wünscht, weiß ich nicht, was ich dagegen setzen könnte und ich glaube auch nicht, dass ich als gesunder Mensch das Recht hätte, diesen Menschen zu verurteilen, denn gleichgültig wie viel Empathie mir zu eigen ist, ich kann die Situation dieses Menschen niemals vollständig beurteilen.

Die Gründe für einen Selbstmord sind so mannigfaltig und die inneren Vorgänge eines Menschen, über die man ja zumeist gar nicht Bescheid weiß, so komplex, dass es schwierig ist, einen Selbstmord überhaupt vollständig nachvollziehen zu können. Ich würde mir niemals anmaßen, einen anderen Menschen zu verurteilen, der sich selbst das Leben genommen hat, aber ich bin überzeugt davon, dass vielen hätte geholfen werden können, wenn sie in ihrer psychischen Not und mit ihren inneren verworrenen Stimmen nicht allein gewesen wären oder sich nicht allein gefühlt hätten.

C.G.B. Spender
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Di 1. Nov 2005, 13:53 - Beitrag #66

Die Einsamkeit umgibt jeden Menschen von Geburt an. Jeder ist für sich allein. Wir sind wie Bäume in einem Wald. Einzelne Äste berühren andere Bäume, streifen einander ab und an. Manchmal wachsen zwei Bäume zusammen zu einem Stamm, aber das ist selten. So wenig wie die Bäume aufeinander zu gehen können, so wenig kann ein Mensch das Leben eines anderen wirklich von Grund auf verstehen. Man weiß, dass dort etwas gewachsen ist, aus Fleisch und Blut, aber trotzdem ist es ein unbekanntes Land mit zahllosen Verästelungen, Krankheiten, Narben der Zeit. Man kann einen Teil davon verstehen, aber alles versteht wahrscheinlich nur die Schöpfung, Gott, nicht einmal die Person selbst.

Jemanden zu helfen sollte so natürlich sein, wie Äste von Bäumen, die sich im Sturm streifen, ohne einen Hintergedanken an noch zu tilgende Schulden, z.B. im Buddhismus oder auch im Christentum, zu haben. Einsamkeit ist allgegenwärtig, aber sie muß nicht bedeuten, dass wir in einer Einöde leben. Die Seelen sind so frei wie der Wind.

Ipsissimus
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Mi 2. Nov 2005, 13:30 - Beitrag #67

Menschen stellen ein "unsauberes" System dar. D.h. in jedem Augenblick des Lebens sind die Motivlagen eines Menschen gemischt; alles, was mensch tut, resultiert aus Einflüssen unterschiedlicher Quellen und Charakteristik, die in logischer Hinsicht nicht zusammenpassen müssen und dies auch oft nicht tun, aber in emotionaler Hinsicht problemlos innerhalb eines Menschen zusammengebracht werden.

Bei der Bewertung von Selbstmorden - wie auch bei vielen anderen Sachverhalten - wird aber so getan, als könne die Motivlage von einer "schlüssigen" argumentativen Basis aus erfaßt, bestätigt oder widerlegt werden. Ich halte das als mindestes für äußerst fraglich. Genauer gesagt sagt eine solche Vorgehensweise mehr über die Menschen aus, welche die Bewertung vornehmen, als über die Motive des Selbstmörders, geschweige denn über seine Persönlichkeit. Es sagt auch jede Menge über gesellschaftliche Erwünschtheiten aus.

Wie heißt es so schön: "Wer überlebt, schreibt die Geschichte". ICH habe ganz oft das Gefühl, der Selbstmörder wird zugunsten der Überlebenden geopfert. Sein Selbstmord ist ja AUCH ein Kommentar und ein Urteil zur Zeit und zur Gesellschaft, in der er lebt, und zwar ein vernichtendes Urteil und ein vernichtender Kommentar. Das lassen die Überlebenden üblicherweise nicht auf sich sitzen, deswegen können sich nur die wenigstens Menschen von ihrer eigenen persönlichen psychischen Befindlichkeitsstruktur her erlauben, dies Urteil und diesen Kommentar auf sich zu beziehen (als Teil der Gesellschaft) und einfach als gültig stehen zu lassen. Deswegen wird der Selbsmörder posthum in Frage gestellt, seine Motive suspekt gemacht und seine Persönlichkeit diffamiert.

e-noon
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Mi 2. Nov 2005, 15:35 - Beitrag #68

Weil es vielleicht auch sonst zu sehr schmerzen würde, und weil es vielleicht manchmal oder auch oftmals berechtigt ist. Wenn jemand sich wegen einer finanziellen Situation umbringt, für die er sich verantwortlich fühlt, mit seinem Tod seine Familie aber in noch größere finanzielle Not stürzt, finde ich das egoistisch und in hohem Grade unlogisch. Ab einem gewissen Alter (/Reife) sollte man in der Lage sein, solche egoistischen, sinnlosen Handlungen zu vermeiden, und wenn man das nicht ist, aus der Handlung aber negative Folgen für andere entstehen, ist man für diese verantwortlich.

Bei Kindern und Jugendlichen würde ich eher bei Eltern/Umfeld die Schuld suchen; es gab ja letztens jemanden, der sich tatsächlich wegen einer fünf in Mathe umgebracht hat (12, 13 Jahre), da haben wahrscheinlich die Eltern bewusst oder unbewusst zu hohen Druck aufgebaut oder zumindest nicht verhindert.

Ipsissimus
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Mi 2. Nov 2005, 16:44 - Beitrag #69

daß mensch deiner Meinung dazu in der Lage sein SOLLTE, e-noon, besagt nicht, daß mensch dazu in der Lage IST (ich halte es noch nicht mal für wünschenswert, aber das ist eine andere Frage^^). Gefordert werden kann viel, zumeist seitens derer, die nicht beweisen müssen, daß sie unter vergleichbaren Voraussetzungen standgehalten hätten^^

vielleicht - ein Albtraum^^ - wird es eines Tages kalte Menschen geben, die allen Wechselfällen ihres persönlichen Schicksals emotionslos mit reiner Logik à la Spock begegnen. Bis dahin ist Schwäche aufgrund emotionaler Zermürbung keine Monstrosität, sondern eine Selbstverständlichkeit

Feuerkopf
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Mi 2. Nov 2005, 16:50 - Beitrag #70

Es gibt schmerzhafte Situationen im Leben eines Menschen, die einfach für ihn subjektiv nicht (mehr) auszuhalten sind. Leid kann solchen Druck erzeugen, dass man einfach nur noch will, "dass das aufhört". Mit Logik hat der Entschluss, Suizid zu begehen, wenig zu tun, sondern mit einer Grenzerfahrung.
Was ein einzelner Mensch auszuhalten in der Lage ist, kann nur er selbst ermessen. Ihm in dieser Hinsicht Vorschriften machen zu vollen, heißt, ihn in seiner Selbstwahrnehmung noch mehr zu verunsichern und ihm den Respekt zu versagen.

Man kann aber versuchen, mit ihm über seine Situation zu reden, ihn überhaupt dazu zu bringen, zu sprechen. Eine schlimme Situation in Worte zu fassen, ist häufig schon der erste Schritt in eine andere Richtung.

Ich weiß nicht, ob jemand diesen kleinen Text von Reiner Kunze schon zitiert hat:

Selbstmord

Die letzte aller türen

Doch nie hat man
an alle schon geklopft

Maglor
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Mi 2. Nov 2005, 16:56 - Beitrag #71

Ich denke es ist vielsagend, dass viele gescheiterte und verhinderte Selbstmörder nacher auch gar nicht mehr so recht verstehen können, wie sie auf die Idee kamen sich das Leben zu nehmen bzw es zumindest zu versuchen.
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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Mi 2. Nov 2005, 17:01 - Beitrag #72

Maglor, ich betreibe hier keine Apologetik des Selbstmords, das hat Amery schon sehr viel umfassender und tiefsinniger geleistet, als dies in diesem Rahmen hier möglich wäre. Ich plädiere lediglich dahingehend, daß dem Selbstmörder geholfen wird - das heißt, daß für ihn die Probleme gelöst werden, an denen er/sie scheiterte - oder geschwiegen wird zumindest hinsichtlich seiner Berechtigung zum Selbstmord. Darüber hinaus ist die Begegnung mit dem Tod eine erschütternde - und es ist nicht möglich, vor dieser Begegnung bereits die Einsichten zu haben, die erst durch diese Begegnung entstehen

Die Maschine
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Mi 2. Nov 2005, 18:54 - Beitrag #73

Zitat von Feuerkopf:Es gibt schmerzhafte Situationen im Leben eines Menschen, die einfach für ihn subjektiv nicht (mehr) auszuhalten sind. Leid kann solchen Druck erzeugen, dass man einfach nur noch will, "dass das aufhört". Mit Logik hat der Entschluss, Suizid zu begehen, wenig zu tun, sondern mit einer Grenzerfahrung.


Ich glaube auch, dass jeder Mensch mal die Erfahrung macht, dass man meint, irgendwie gehts hier nicht weiter. Meist übersieht man einfach einige "Türen" oder Auswege auf die man in seinem Schmerz gar nicht denkt, weil man viel zu depressiv oder niedergeschlagen ist. Irgendwann "erholt" man sich davon, und sieht die "Türen" und findet Auswege und es geht bergauf.

Die wenigen Leute, die diese "Tür" jedoch nicht finden, begehen Selbstmord, eine Kurzschlusshandlung.... zumindestens meistens...

Leider erkennt man häufig Selbstmordgefährdete kaum oder wenn dann zu spät.

mathew
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Mi 2. Nov 2005, 21:12 - Beitrag #74

Verständnis für Suizid

Hallo,


habe am Sonntag als ich in Frankfurt war, die Geschichtevon einem Ex-Junkie erzählt bekommen, die ich so einfach nicht glauben konnte. Er erzählte mir sein Vater hätte sich das Leben genommen, weil sein Sohn (also er) drogenabhängig war und er in diesem Zusammenhang Straftaten beging (war wegen Raubes mehrfach verurteilt worden) wie er mir erzählte und sein Sohn konnte damit nicht umgehen, nun meine Frage, inwiefern hättet Ihr dafür Verständnis?? Dass der Drogenkonsum mit seinem Vater zusammenhängt, hält ihr doch für logisch, oder?? aber die Frage: Inwiefern könnt ihr den Suizid verstehen des Vaters??

Feuerkopf
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Mi 2. Nov 2005, 22:47 - Beitrag #75

Zitat von mathew:Hallo,


habe am Sonntag als ich in Frankfurt war, die Geschichtevon einem Ex-Junkie erzählt bekommen, die ich so einfach nicht glauben konnte. Er erzählte mir sein Vater hätte sich das Leben genommen, weil sein Sohn (also er) drogenabhängig war und er in diesem Zusammenhang Straftaten beging (war wegen Raubes mehrfach verurteilt worden) wie er mir erzählte und sein Sohn konnte damit nicht umgehen, nun meine Frage, inwiefern hättet Ihr dafür Verständnis?? Dass der Drogenkonsum mit seinem Vater zusammenhängt, hält ihr doch für logisch, oder?? aber die Frage: Inwiefern könnt ihr den Suizid verstehen des Vaters??


Ich kann natürlich nur spekulieren. Möglicherweise hat die Drogenkarriere des Sohnes den Vater in ein extremes Gefühl der Hilflosigkeit und des Versagens gestürzt. Alles, was er sich vielleicht erträumt hatte für sein Kind war verloren, er war als Vater subjektiv gescheitert. Es kann eine heftige Depression gewesen sein.

Die meisten Menschen, die durch Suizid sterben, sind übrigens Männer.
(Die statistischen Daten habe ich unter #4 in diesem Thread angegeben.)

Die Maschine
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So 6. Nov 2005, 21:49 - Beitrag #76

Zitat von mathew:Dass der Drogenkonsum mit seinem Vater zusammenhängt, hält ihr doch für logisch, oder??


Nun ich denke, dass man es so nicht sagen kann, eher andersrum... dass der Tod des Vaters mit dem Drogenkonsum zusammenhängt. So könnte es heißen, dass der Sohn wegen seinem Vater angefangen hat, Drogen zu konsumieren.

Ich denke aber dennoch, dass der Suizid vom Vater verständlich ist. Er hat es einfach nicht mehr anders ausgehalten. Möglicherweise ist der Junge sogar Einzelkind und das ganze Lebensfundament wird durch soetwas weggerissen. Wer sieht schon gerne, wie die eigenen Kinder in den Untergang kommen und man kann selbst nichts mehr dagegen tun.

G-Punkt
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Mo 7. Nov 2005, 01:51 - Beitrag #77

Bevor ich etwas poste, möchte ich mich vorab entschuldigen,....den ganzen Thread habe ich aus Zeitgründen noch nicht gelesen. Also nich böse sein, wenn ich was aus dem Zusammenhang reiße oder wiederhole.

Danke



Also ich bin beim Thema Suizid sehr geteilter Meinung. Oberflächlich würde ich für die "pro" Seite "Jeder kann mit seinem Leben machen was er will" und für die "contra" Seite "Suizid ist einfach nur feige" anbringen.

Doch so einfach mach ich es mir dann doch nicht, ist es ja auch meistens nicht.

Also ich kann in vielen Situationen den Versuch und auch den vollendeten Suizid verstehen, akzeptieren und sogar für "gut" halten. Nie im Traum würde es mir einfallen einen Totkranken, jemanden der alles verloren hat oder jemanden der, durch was für Erfahrungen auch immer, keine Lust mehr am Leben hat, für seine Entscheidung zu "verurteilen".

Doch schwankt meine Meinung stark situationsbedingt. Angehörige, Familie oder Freunde zurückzulassen, ob mit oder ohne Abschied ist schon ein starkes Stück (wieder je nach Situation). Nehmen wir zum Beispiel folgende Situation: Familienvater hat schulden und verliert noch dazu seinen Job und tötet sich selbst(oft genug mal in der Presse gelesen). Ein Musterbeispiel für mich um zu sagen: Nein, kann ich nicht verstehen. Zumal bei dem Fall die 15Jährige Tochter ihn im Keller hängend gefunden hat. Das ist, lapidar gesagt, einfach nur egoistisch und kacke von dem Vater.

Gegenbeispiel: Frau wird vergewaltigt. 5 Jahre später, einigermaßen wieder ihr Leben im Griff wird ihr von ihrem damaligen Peiniger wieder aufgelauert und wieder vergewaltigt. Das man da mit Selbstmordgedanken spielt und ihn auch ausübt kann ich nur nachvollziehen und nicht einen Gedanken mit Ablehnung gegenüber ihrer Entscheidung verbringen (ein wenig anders würde ich denken, wenn diese Frau Kinder gehabt hätte, aber auch da würde ich es nachvollziehen können, wenn auch mit weniger Zustimmung auf Grund der Kinder die jetzt mit dem Tod ihrer Mutter klarkommen müssen).

Dabei würd ich persönlich denken, "lass ihn nicht gewinnen, leb!!!" aber dass ist als Aussenstehender natürlich leicht gesagt. Diese Sache wird man ein Lebenlang nicht mehr los.

Um meine ganze Meinung dezidiert hier niederzuschreiben bin ich jetzt aber zu müde (ich hoffe ihr verzeiht mir auch das) und es würde Seiten füllen. Glaube das man aber verstanden kann wie ich da "bewerte".

Es hängt stark von dem Grund, den verbleibenden Möglichkeiten, der Umwelt, dem Sozialengefüge, also von der Gesamtkonstellation ab.

Keiner sollte leichtfertig zum Mittel Suizid greifen, aber auch keiner leichtfertig darüber urteilen.

Aydee
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Mo 7. Nov 2005, 10:16 - Beitrag #78

Jede Entscheidung die ein Mensch je trifft ist - imo - hochgradig ego-istisch ,-))

Und - imo - niemand trifft leichtfertig eine Suizid-Entscheidung. Da steht immer eine Entwicklung voran. Kampf unendlich zuvor, doch irgendwann ist einfach keine Kraft mehr da (zB) So schmerzhaft es für die Hinterbliebenen ist, so denke ich dass es zuvor wenigstens genauso schmerzhaft für jene Suizid-Menschen war.
Ausnahme hierbei für mich: "Kurzschluss-reaktionen" aus einem Moment heraus. (darunter könnte - VIELLEICHT - die 5 in Mathe fallen.... vielleicht aber auch nicht)


Es ist für mich seltsam zu lesen, dass Suizid scheinbar immer nur dann "akzeptabel" ist, wenn ein offensichtlicher und verständlicher "Grund" vorliegt. Aber wie viele Menschen finden keinen Mut und niemand zu dem sie reden können, UM über das zu reden was in ihnen solche einen Druck aufbaut.....?




Es gibt schmerzhafte Situationen im Leben eines Menschen, die einfach für ihn subjektiv nicht (mehr) auszuhalten sind. Leid kann solchen Druck erzeugen, dass man einfach nur noch will, "dass das aufhört". (...) Was ein einzelner Mensch auszuhalten in der Lage ist, kann nur er selbst ermessen.

SenioraEscarnio
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Mo 7. Nov 2005, 13:50 - Beitrag #79

Selbstmord wird häufig als eine "niedere Handlung" betrachtet, frei nach dem Motto, "der/die hat sich aus dem Staub gemacht und hat die anderen allein zurück gelassen". Sicherlich spielt dabei auch die religiös-moralische Erziehung eine Rolle, die uns vermittelt, dass wir gefälligst erst dann abzutreten haben, wenn es soweit ist, sprich, eine "andere Macht" oder "das Schicksal" dies entscheidet. Wahrscheinlich versuchen Menschen deshalb, eine "Begründung" zu finden, die sie für sich akzeptieren können, um somit den Selbstmord vielleicht auch für sich aufzuwerten oder ihm Verständnis entgegenbringen zu können. Wobei ich hier betonen möchte, dass es sich nur um eine Beobachtung meinerseits und nicht um meine Meinung handelt.

Ich bin der "Kurzschlusshandlung" gegenüber skeptisch. Ich bezweifele stark, dass sich jemand ohne Vorgeschichte vom nächsten Hochhaus stürzt. Die Vorgeschichte spielt immer eine Rolle, jeder Selbstmörder hat eine Vorgeschichte, innerhalb derer er wahrscheinlich häufiger über einen Selbstmord nachgedacht hat. Vielleicht gibt es Situationen, die eine Entscheidung begünstigen oder vorantreiben, aber mir nichts dir nichts bringen sich Menschen, meiner Ansicht nach zumindest, nicht um.

Aydee
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Mo 7. Nov 2005, 14:03 - Beitrag #80

@Kurzschluss-reaktion
SRy. Unglücklich ausgedrück (bzw eigentlich kaum :-()

Ich gehe bei JEDER Entscheidung von Menschen von einer Entwicklung zu dieser Entscheidung hin aus. Das würde Kurzschlussreaktionen "eigentlich" ausschließen. Aber andererseits möchte ich sie nicht ausschließen, da - wie auch immer eine entwicklungsbedingte Entscheidung aussehen möchte - ich genausowenig ausschließen KANN, dass nicht doch so eine kleiner Flügelschlag eines Schmetterlings nicht doch diese Entscheidung "kippen" kann. Ich WEISS das einfach nicht, daher halte ich Kurzschlussreaktionen im Bereich des Möglichen. Und besonders im Emotionalen :-)

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