was haltet ihr davon?
[font=Verdana, Arial, Helvetica, Geneva, sans-serif][size=-1][size=+1]Da hat es halt ausgehakt"
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Von [email="spon_panorama@spiegel.de"]Gisela Friedrichsen[/email]
Sex zwischen Bruder und Schwester wird in Deutschland bestraft. Nun steht ein Geschwisterpaar mit vier gemeinsamen Kindern erneut vor Gericht.
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Es ist verboten. Warum? Es ist eben so, überall. Fast überall. Bei den Ptolemäern - Kleopatra soll die Schwester ihres Ehemanns gewesen sein - und den alten Persern und den Griechen der Antike vor Solon sah man die Sache anders, verboten jedenfalls war die Geschwisterliebe nicht. Bei den Römern, die in den ersten zwei Jahrhunderten ihrer Herrschaft in Ägypten die Geschwisterehe noch erlaubten, ging später nichts mehr. Priester allerdings gerieten zunehmend in Verruf. Papst Johannes XII., der 963 abgesetzt wurde, soll es mit seiner Mutter und seinen Schwestern getrieben haben. Aber das war Sünde und Sittenverfall und Ausschweifung und hat nichts mit Patrick und Susan aus Zwenkau bei Leipzig zu tun.
Bei den meisten Völkern gilt Inzest seit je als abscheulich und oft auch als strafwürdig. In den Ländern allerdings, die dem aufklärerischen französischen Code Pénal folgten, ist Inzest heute straflos, so in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Portugal, der Türkei, Japan, Argentinien, Brasilien und anderen lateinamerikanischen Staaten. Der italienische Codice Penale bestraft Inzest nur, wenn öffentliches Ärgernis entsteht.
Patrick und Susan aber sind ein deutsches Geschwisterpaar und dürfen daher nicht ungestraft miteinander schlafen. Der "Beischlaf zwischen Verwandten" (Paragraf 173 Strafgesetzbuch) wird hierzulande mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe belegt. Leibliche Geschwister müssen mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe rechnen. Straflos bleiben sie nur, solange sie nicht 18 sind (oder wenn es etwa Brüder miteinander tun, denn das ist nicht Beischlaf, sondern strafloser Analverkehr). Wer das zu verstehen versucht, scheitert.
"Blutschande" - allein das Wort ist so fürchterlich wie "Rassenschande" - ist ein Tabu, eines der allerletzten wahrscheinlich. Wie ist es entstanden? Keine Wissenschaft gibt überzeugende Antworten. Man weiß mittlerweile, dass Abscheu vor sexuellen Beziehungen Blutsverwandter nicht Instinkt ist, sondern als kulturelle Norm erlernt wird. Und man weiß seit Ödipus, der unwissentlich seinen Vater erschlug und die Mutter heiratete, dass die Weltliteratur über mehr als 2000 Jahre von dem düsteren Thema fasziniert ist, zu dem als heitere Variante die Verwirrspiele verliebter Paare gehören, die nicht wissen, dass sie Geschwister sind.
Patrick und Susan entstammen derselben Familie. Doch was heißt hier Familie? Der Vater soll die Mutter misshandelt und Patrick ein Messer an den Hals gehalten haben. Längst hat er sich verdrückt, ist nicht sesshaft. Keiner weiß, wo er ist.
Die Mutter gebar ein Kind nach dem anderen. Wie viele? "Achte waren es wohl", sagt Susans Tante, "keine Ahnung." Sven, der Älteste, ist tot, ebenso Johann. Nicole und Katja, gestorben offenbar an einem Herzfehler oder gleich nach der Geburt. Patrick, der jetzt 28 ist, kam zusammen mit Sven einst ins Kinderheim, weil die Mutter es nicht mehr schaffte mit den vielen Geburten. Nach drei oder vier Jahren kamen fremde Leute und holten Patrick. "Weil ich als kleiner Bengel ganz süß aussah, haben die gesagt, wir nehmen den und adoptieren ihn", erzählte Patrick dem Erfurter Journalisten Henry Bernhard, der ein Radiofeature über den Fall produzierte.
Patrick hat daher einen anderen Nachnamen als Susan, heute 21, und als Jan, der der Jüngste und ein Halbbruder ist. Dazwischen gab es noch den schwerbehinderten André, der an Heiligabend 1998 "an Schläuchen erstickt" sein soll.
Patrick wuchs als Einziger in geordneten Verhältnissen bei seinen kinderlosen Adoptiveltern in Potsdam auf. Mit 18 wollte der Junge zum Missfallen der Adoptivmutter wissen, wer seine leiblichen Eltern sind. Das Jugendamt teilte ihm mit, dass zumindest die Mutter noch lebt. Im Mai 2000 rief sie ihn an, er fuhr gleich zu ihr: "Da haben wir uns halt kennen gelernt, wieder, nach 20 Jahren."
Susan machte große Augen. Die Mutter hatte nie erzählt, dass es da noch einen großen Bruder gibt.
Für Susan war er ein Fremder, ein netter allerdings. Auch Patrick staunte: "Na, ich wusste am Anfang gar nicht, wer das ist. Dass du noch soundsoviele Geschwister hast, dass du 'ne Schwester hast, dass das dein Halbbruder ist." Er zieht dorthin, wo er meint, seine Wurzeln zu haben, "zu unserer richtigen Mutter".
Wenig später der Schock: Die Mutter stirbt, noch nicht mal 50 Jahre alt. "Ein halbes Jahr bloß hab ich Kontakt zu ihr gehabt", sagt Patrick. Was nun? Wie soll es weitergehen?
[/size][/font][font=Verdana, Arial, Helvetica, Geneva, sans-serif][size=-1] Patrick ist plötzlich eine Art Familienoberhaupt. Kein Geld, kein Beruf, Arbeit sowieso nicht, dazu die jüngeren Geschwister. Susan, damals 16, ein zartes, einfältiges Blümchen, macht keinen Schritt ohne ihn, den sieben Jahre älteren Bruder, auch wenn sie ihn kaum kennt. Er ist für sie der einzige Halt. Und sie wohl auch für ihn.
Mit dem Lesen und Schreiben hat sie es nicht, mit dem Verstehen noch viel weniger. An einer Fördermaßnahme der Agentur für Arbeit ("Jump plus") nahm sie nur sporadisch teil, gut gemeint, aber vergebens.
Susan und Patrick haben vier Kinder miteinander. 2001 kam Erik, dann 2003 Sahra, 2004 Nancy und 2005 Sofia. Er liebe Susan halt, sagte Patrick unbeholfen, als er erstmals vor Gericht stand. Der Rundfunkreporter Bernhard lockte mehr aus ihm heraus: "Anscheinend bin ich selber nervlich nicht klargekommen, und dann hat es irgendwo ausgehakt bei mir, dass es dann halt dazu gekommen ist. Weil ich halt selber nicht so direkt wusste, was ich da mache. Es ist ja, wie wenn jemand betrunken ist und am nächsten Morgen nicht mehr weiß, was Phase war. Ich wusste nicht, dass es strafbar ist. Ich wusste zwar, dass es verboten ist, dass man aber dafür ins Gefängnis muss, habe ich nicht gewusst." Er wollte, nachdem er seine Wurzeln gefunden hatte, auch Wurzeln schlagen.
2002 wurde er in Borna wegen 16 Fällen des Beischlafs mit seiner Schwester zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Da ihm kein Anwalt beigeordnet war, hatte er viel zu viel dahingeredet. Susan, noch nicht volljährig, blieb straffrei. Das Baby Erik kam in eine Pflegefamilie. Patrick: "Da wird dir irgendetwas aus dem Leben gerissen, was man halt irgendwo lieben tut. Das ist so, als wenn man einem ein Bein abhackt. So ist das."
Zwei Jahre und zwei weitere Kinder später standen Patrick und Susan 2004 erneut vor dem Bornaer Amtsgericht. Das Urteil brandmarkte ihn nun als besonders gewissenlos: "Nur am Anfang der sexuellen Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Schwester achtete der Angeklagte auf die Verhütung mittels Kondomen. Als die Kondome ,ausgegangen' waren, vollzog er mit seiner Schwester stets den ungeschützten Geschlechtsverkehr." (Dabei kommt es dem Gesetzgeber darauf gar nicht an, der ungeschützte Verkehr ist nicht verbotener als der mit Kondomen.) Diesmal wurde die Strafe für Patrick - zehn Monate - nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt, weil er sich das erste Urteil ja nicht zur Warnung hatte dienen lassen.
Bei Susan wandte das Gericht Jugendstrafrecht an, "weil bei der Angeklagten zum Tatzeitpunkt erhebliche Retardierungen im sittlichen und geistigen Bereich vorlagen", und stellte sie für sechs Monate unter die Aufsicht eines Betreuungshelfers, "mit dem Ziel, die Angeklagte in ihrer Persönlichkeit zu stärken und gegenüber ihrem Bruder zu einer autarken Lebensweise anzuhalten". Schön gesagt, bravo. Kurz bevor Patrick die Haft antrat (und sich sterilisieren ließ), zeugte er Sofia.
Dieses letzte Kind durfte Susan auf Betreiben der Anwälte Joachim Frömling und Sven Kuhne behalten. Frömling: "Sie will nur eines - Mutter sein. Deshalb war es grundfalsch, ihr die Babys nach der Geburt gleich wegzunehmen. Dadurch wurde der Kinderwunsch ja nicht beseitigt, sondern sie wurde sofort wieder schwanger."
Zurzeit sitzt Patrick im Gefängnis. Am 10. November steht der dritte Prozess an, diesmal vor dem Amtsgericht Leipzig. Wegen Sofia. Die Verteidiger machen sich und ihren Mandanten nichts vor.
Es ist ein Extremfall, der nicht besorgen lässt, dass in jeder zweiten Familie Ähnliches geschieht. Denn Geschwister, die zusammen aufwachsen, haben in der Regel keinerlei sexuelles Interesse aneinander. Verfolgt man die Kommentierung des Paragrafen 173, stößt man auf allerlei Merkwürdigkeiten. Im Leipziger Kommentar bezweifelt Karlhans Dippel, "was eigentlich die Strafvorschrift rechtfertigt", und plädiert dafür, sie zu streichen. Bei Tröndle/Fischer heißt es: "Eine Legitimation der Strafdrohung fällt schwer." Vor allem die Frage, welches Rechtsgut durch die Vorschrift eigentlich geschützt werden soll, plagt fast alle Kommentatoren.
Sex zwischen Bruder und Schwester mag der eine für unmoralisch, degoutant oder unappetitlich halten. Der andere stößt sich an Partnertausch oder Sodomie oder einer anderen Geschmacksverirrung. Homosexualität, auch mal ein Tabu und bis 1969 noch mit Strafe belegt, ist längst gesellschaftsfähig.
Selbst die im Volksglauben wurzelnde Furcht vor genetisch-biologischer Schädigung der Nachkommenschaft hat die naturwissenschaftliche Forschung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts relativiert. Einen Beweis dafür, dass Inzest-Kinder von Eltern, deren Erbanlagen gesund sind, kränker seien oder eher geistig behindert als Kinder Nicht-Verwandter, gibt es nicht. Zwei der Kinder von Patrick und Susan sind völlig gesund, eines ist in der Entwicklung noch etwas hintendran. Der Erstgeborene soll an Epilepsie leiden. Doch ob das daran liegt, dass seine Eltern Geschwister sind, oder ob das Kind dessen ungeachtet an Epilepsie leidet, steht dahin.
Am deutlichsten wird der große Rechtslehrer Claus Roxin: "Der ,Verwandtenbeischlaf' verstößt zwar gegen ein in unserem Kulturkreis seit unvordenklichen Zeiten überliefertes Tabu, aber wer oder was dadurch geschädigt wird, ist unklar." Ehebrecherisches Verhalten, so Roxin, könne ebenso familienzerstörende Wirkung haben wie Inzest und sei doch nicht strafbar. Auch der Hinweis auf mögliche Erbschädigungen liefere kein tragfähiges Argument, da "ein solches Kind im Regelfall genetisch nicht geschädigt ist und weil die Verhinderung erbkranken Nachwuchses auch im Übrigen von unserer Rechtsordnung nicht mit strafrechtlichen Mitteln erstrebt wird".
Wie ist das Problem Patricks und Susans also zu lösen? Gewiss nicht durch eine starre Haltung von Amtsrichtern, denen der Mut fehlt, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. "Die große Liebe", sagt Verteidiger Frömling, "ist es wohl nicht. Mit Hilfe lässt sich vermutlich was erreichen, aber gewiss nicht mit Strafe."[/size][/font]