na ja, ich denke nach wie vor, daß dieser Relativismus ein gesellschaftlicher ist, keiner der innerhalb der christlichen Gruppen vertreten wird. Selbst die protestantische Amtskirche ist auf ihrer letzten Synode vom bisherigen Schmusekurs bezüglich Ökumene abgekommen, und die katholische Seite ist sowieso nie explizit von ihrem Alleinstellvertreteranspruch abgewichen. Daß allgemein-gesellschaftlicher Sprachgebrauch zu einer Verwässerung der Begrifflichkeit geführt hat, mag bedauerlich sein, ist aber erstens nicht auf das Christentum begrenzt und führt zweitens in den Gruppen wie dargelegt offenbar nicht zu einer Verwässerung des Dogmas.
In Indien gibt es übrigens eine Gruppe, die Thomas-Christen, in der diese Geschichte mit dem erschlagenen Jungen aus dem apokryphen Thomas-Evangelium seit 2000 Jahren durchgängig präsent ist.
Hinsichtlich deiner Bemerkungen zur Bibel als Kern des Christentums und zur Entzauberung der Evangelien entsinne ich mich eines ähnliches Disputes, in dem es um die grundsätzliche Frage ging, was denn eine Religion sei - das System der in den heiligen Schriften niedergelegten Aussagen, oder Praxis, Bekenntnis und Auffassungen der Gläubigen, die offizielle Theologie, die soziale Ausgestaltung, die Institutionen usw. Vermutlich wird mensch wohl sagen müssen, daß eine Religion durch viele, auch inkonsistente Bestimmungsgrößen charakterisiert werden muss, so daß die Auffassung, die Bibel sei der Kern des Christentums, imo auch wieder nur eine unter mehreren ist. Jedenfalls enthebt der Hinweis auf diesen Kern nicht von der Notwendigkeit, das, was da geschrieben steht, zu interpretieren, wobei die fundamentalistische wörtliche Auslegung auch nur eine von vielen möglichen ist - am anderen Ende würde vielleicht die anthroposophische stehen. Ganz zu schweigen davon, daß ein Studium der Geschichte der Exegese überdeutlich zeigt, wie zeit- und gruppenabhängig die jeweils "einzig richtige" Deutung schon immer war.
Es ist gewissermaßen merkwürdig, wenn sich jemand als Christ bezeichnet, aber behauptet Jesus Christus sei nicht Sohn Gottes oder nicht auferstanden...
nun, für mein Empfinden bezeichnen die Begriffe "Gottes Sohn" und "auferstanden" wie viele andere christliche Idden erklärungs- und deutungsbedürftige Konzepte. Daß Christus Gottes Sohn war, besagt eben nichts, solange wir uns nicht darauf einigen können, was wir uns darunter vorzustellen haben - hat Gott mit Maria ... sorry ... gevögelt? Ich will nicht auf eine solche Absurdität hinaus, will nur zeigen, welche Bandbreite an möglichen Vorstellungen sich an diese 2 Worte heften kann. Oder: Jesus ist wiederauferstanden, heißt das in Zeiten von Brutal-TV, er ist ein Zombie?
Welches ist die "richtige" Auffassung, wer legt verbindlich für jedermensch die Bandbreite der "gültigen" Interpretationen fest und verwirft die "ungültigen"?
Letztlich ist das Problem trivial. Auch das Christentum und die Auffassungen davon, was noch als christlich durchgeht und was nicht, unterliegen der Kontingenz. Das ist schon alles. Und bliebe auch alles, wenn es nicht vielen Gläubigen ein Anliegen wäre, die gesellschaftsweite Verbindlichkeit
ihrer Auffassung durchzusetzen. Somit ist es letztlich eine Machtfrage. Und bezüglich der kann
ich es nicht als schade empfinden, wenn die Macht einer Institution in ihre Grenzen verwiesen wird, wenn auch nur sehr indirekt.