Relativierung des Christentumes in der à–ffentlichkeit

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Feuerkopf
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Mi 23. Nov 2005, 21:16 - Beitrag #21

Tja,
die 60er und 70er sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen, scheint mir.
Menschgemachte Dogmen und die strenge Hierarchie vieler christlicher Kirchen, und nur auf die kann ich mich mit meiner Herkunft beziehen, sind mir nicht nur suspekt, sondern zutiefst zuwider.

Ich habe viel Zeit in der katholischen und evangelischen Kirche verbracht und bin viele Jahre bei den Baptisten gewesen. Mit meiner heutigen Haltung habe ich übrigens keinerlei Probleme, wenn ich mit Geistlichen oder Theologen aus christlichen Gemeinschaften rede. Offenbar bin ich eine Art basisdemokratische und zudem feministisch geprägte Christin. ;)

Padreic
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Mi 23. Nov 2005, 22:34 - Beitrag #22

@Feuerkopf:
Geht es denn hier überhaupt um die Amtskirchen mit ihren mehr oder weniger strengen Hierachien und menschengemachte Dogmen? Du schreibst zu deinem Begriff des Christseins Folgendes:

Christ ist man, sofern man an Jesus glaubt und dass er Gott (was auch immer Gott sein mag) zumindest sehr nah gewesen ist.

Und hat das keine Folgen? Wenn wir (abgesehen von sehr verstreuten und kurzen Bemerkungen anderswo) von Jesus reden wollen, müssen wir uns auf die Evangelien stützen. Und wenn wir sagen, dass er Gott sehr nahe gewesen ist, müssen wir uns dann nicht auf seine Worte stützen und auch seinen Worten vertrauen schenken? Eine Selektion nach eigenen Vorlieben scheint mir hier nicht am Platze... [d.h. nicht, dass man sich nicht einzelne Sachen aus den Evangelien aneignen darf, andere nicht; nur wenn man sich Christ nennen will, ob nun nach Feuerkokpfs oder anderem Begriffe, darf man das nicht so willkürlich...].
Und so bestimmte Sachen von 'Vater' und so stehen da doch recht eindeutig drin...

Padreic

Ipsissimus
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Do 24. Nov 2005, 00:23 - Beitrag #23

Wenn wir (abgesehen von sehr verstreuten und kurzen Bemerkungen anderswo) von Jesus reden wollen, müssen wir uns auf die Evangelien stützen


tja, das ist die Kardinalfrage^^ vertrauen wir den Evanglien und damit einer Auffassung von Jesus, wie sie sich im Jahr 325 unserer Zeit in Nicaäa durchsetzen konnte? Damals war sie eine von vielen ... nein, noch nicht mal das. Ihre Elemente waren zersplittert über eine Vielzahl von Auffassungen, von denen schließlich ein paar Politiker (Kirchenfunktionäre) die ihnen am geeignetsten erscheinenden herausklaupten. Wenn wir den Evangelien vertrauen, vertrauen wir einer Handvoll Politiker, und wir drücken unsere Auffassung aus, daß Gott sich in der Auswahl manifestiert, die Politiker hinsichtlich der ganzen Wirklichkeit treffen^^

"wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe" - ein authentisches, außerhalb der Bibel mehrfach belegtes Jesuswort. Kennt es jemand? Und warum nicht?

Maglor
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Do 24. Nov 2005, 13:21 - Beitrag #24

Zitat von Ipsissimus:na ja, ganz so ist es nicht ... es gab durch die zwei Jahrtausende hindurch immer wieder Auffassungen, die nicht dieser Auffassung entsprachen, die Teile des Dogmensystems oder auch das gesamte Dogmensystem ablehnten ... Katharer, Albigenser, um nur 2 der prominenteren Gruppierungen zu nennen, waren beileibe nicht die einzigen.

Nun ja, im Gegensatz zum heutigen christlichen Relativismus hatten die Katharer und Albigenser recht klare Vorstellungen. Natürlich teilte die Römische Kirche ihre Auffassungen nicht. Dass hier mächtige Hierarchien und Unterdrückung im Spiel waren, ist natürlich richtig, dies hat aber mit dem Thema an sich gar nichts zu tun. Wichtig ist, dass die Katharer eine ganz andere christliche Richtung bildeten als die damalige Amtskirche und dass beide diesen Unterschied erkannten und zugaben. Solche Differenzen scheinen der Vergangenheit anzugehören.
Was die Evangelien betrifft, so halte ich ihre Entzauberung für problematisch. Die Bibel war immer der Kern des Christentums. Natürlich wurde der Kanon biblischer Schriften von lebendigen Menschen zusammengestellt...
Dass sie dabei ihre eigene Theologie im Kopf hatten, ist verständlich und auch sinnvoll. Gewissermaßen schob man jene Dinge bei Seite, die in einem all zu krassen Widerspruch zur Lehre standen: Etwa solch nette Geschichten, in denen Jesus als Kind einen Spielkameraden umbringt und anschließend auferweckt.
Dass die Bibel unterschiedlich interpretiert wurde und wird, ist auch gar nicht das, was ich mit der Relativierung meine.
Im Grunde wird die Bibel bei Seite geschoben und ignoriert, ihre Inhalte werden als verschrobene antike Texte antiker Strategen bezeichnet....
... und jeder glaubt, was er will und nennt es Christentum.
Was das apostolische Glaubensbekenntnis betrifft, so dient es seit über 1500 Jahren als Grundsatz des Römischen Glaubens und später auch des protestantischen. Der Inhalt beschränkt sich auf das Wesentliche. Darin steht nichts von jungfräulicher Empfängnis, der Erbsünde, dem Homosexualitäsverbot und der Inquisition und all den anderen Lehrmeinungen, die heute als veraltet und verwerflich gelten.
Es ist gewissermaßen merkwürdig, wenn sich jemand als Christ bezeichnet, aber behauptet Jesus Christus sei nicht Sohn Gottes oder nicht auferstanden...
... oder verneint das Jüngste Gericht.
Benutzt man den Begriff des christlichen Glaubens so verwässert, dass auch Muslime, Juden und selbst moralisch angehauchte Atheisten darunter fallen, wird Christ-Sein lediglich zu einer Frage der Klub-Mitgliedschaft.
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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Do 24. Nov 2005, 15:33 - Beitrag #25

na ja, ich denke nach wie vor, daß dieser Relativismus ein gesellschaftlicher ist, keiner der innerhalb der christlichen Gruppen vertreten wird. Selbst die protestantische Amtskirche ist auf ihrer letzten Synode vom bisherigen Schmusekurs bezüglich Ökumene abgekommen, und die katholische Seite ist sowieso nie explizit von ihrem Alleinstellvertreteranspruch abgewichen. Daß allgemein-gesellschaftlicher Sprachgebrauch zu einer Verwässerung der Begrifflichkeit geführt hat, mag bedauerlich sein, ist aber erstens nicht auf das Christentum begrenzt und führt zweitens in den Gruppen wie dargelegt offenbar nicht zu einer Verwässerung des Dogmas.

In Indien gibt es übrigens eine Gruppe, die Thomas-Christen, in der diese Geschichte mit dem erschlagenen Jungen aus dem apokryphen Thomas-Evangelium seit 2000 Jahren durchgängig präsent ist.

Hinsichtlich deiner Bemerkungen zur Bibel als Kern des Christentums und zur Entzauberung der Evangelien entsinne ich mich eines ähnliches Disputes, in dem es um die grundsätzliche Frage ging, was denn eine Religion sei - das System der in den heiligen Schriften niedergelegten Aussagen, oder Praxis, Bekenntnis und Auffassungen der Gläubigen, die offizielle Theologie, die soziale Ausgestaltung, die Institutionen usw. Vermutlich wird mensch wohl sagen müssen, daß eine Religion durch viele, auch inkonsistente Bestimmungsgrößen charakterisiert werden muss, so daß die Auffassung, die Bibel sei der Kern des Christentums, imo auch wieder nur eine unter mehreren ist. Jedenfalls enthebt der Hinweis auf diesen Kern nicht von der Notwendigkeit, das, was da geschrieben steht, zu interpretieren, wobei die fundamentalistische wörtliche Auslegung auch nur eine von vielen möglichen ist - am anderen Ende würde vielleicht die anthroposophische stehen. Ganz zu schweigen davon, daß ein Studium der Geschichte der Exegese überdeutlich zeigt, wie zeit- und gruppenabhängig die jeweils "einzig richtige" Deutung schon immer war.

Es ist gewissermaßen merkwürdig, wenn sich jemand als Christ bezeichnet, aber behauptet Jesus Christus sei nicht Sohn Gottes oder nicht auferstanden...


nun, für mein Empfinden bezeichnen die Begriffe "Gottes Sohn" und "auferstanden" wie viele andere christliche Idden erklärungs- und deutungsbedürftige Konzepte. Daß Christus Gottes Sohn war, besagt eben nichts, solange wir uns nicht darauf einigen können, was wir uns darunter vorzustellen haben - hat Gott mit Maria ... sorry ... gevögelt? Ich will nicht auf eine solche Absurdität hinaus, will nur zeigen, welche Bandbreite an möglichen Vorstellungen sich an diese 2 Worte heften kann. Oder: Jesus ist wiederauferstanden, heißt das in Zeiten von Brutal-TV, er ist ein Zombie?

Welches ist die "richtige" Auffassung, wer legt verbindlich für jedermensch die Bandbreite der "gültigen" Interpretationen fest und verwirft die "ungültigen"?

Letztlich ist das Problem trivial. Auch das Christentum und die Auffassungen davon, was noch als christlich durchgeht und was nicht, unterliegen der Kontingenz. Das ist schon alles. Und bliebe auch alles, wenn es nicht vielen Gläubigen ein Anliegen wäre, die gesellschaftsweite Verbindlichkeit ihrer Auffassung durchzusetzen. Somit ist es letztlich eine Machtfrage. Und bezüglich der kann ich es nicht als schade empfinden, wenn die Macht einer Institution in ihre Grenzen verwiesen wird, wenn auch nur sehr indirekt.

Padreic
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Do 24. Nov 2005, 23:15 - Beitrag #26

@Ipsi:
tja, das ist die Kardinalfrage^^ vertrauen wir den Evanglien und damit einer Auffassung von Jesus, wie sie sich im Jahr 325 unserer Zeit in Nicaäa durchsetzen konnte?

Ich habe nicht nur von den kanonischen Evangelien gesprochen. Das Thomas-Evangelium ist ja, wie der Name sagt, z. B. auch eins...für ein möglichst umfassendes Jesus-Bild ist es sicherlich sehr empfehlenswert, alle verfügbaren Quellen zu bemühen.
Aber wenn es darum geht, was er vermutlich gesagt hat, dann darf mich nicht sagen: "Das und das passt mit meinem Weltbild nicht zusammen, deswegen hat er das wohl nicht gesagt. Das und das gefällt mir, das hat er sicherlich gesagt." Dann stützt man sich eben nicht auf Jesus und kann sich somit auch nicht mehr berechtigt Christ nennen. Darum ging es mir.

"wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe" - ein authentisches, außerhalb der Bibel mehrfach belegtes Jesuswort. Kennt es jemand? Und warum nicht?

Ich kenne mich mit außerbiblischer Jesusüberlieferung nur sehr wenig aus (auch für die Bibel bin ich kein Spezialist). Kannst du genauer erläutern, in welchen Quellen es überliefert ist und warum du es für "authentisch" hältst?

Ipsissimus
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Do 24. Nov 2005, 23:34 - Beitrag #27

es handelt sich um Vers 82 des Thomasevangeliums:

"Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe. Und wer mir fern ist, ist fern des Reichs."

Auch mehrere apokryphe Kirchenväter zitieren den Vers.

Ich denke, damit ist klar, weswegen ich den Vers für authentisch halte, da ich bezüglich der Aussagen der Apokryphen und des Kanons keinen Unterschied mache - unabhängig von der Frage, ob es jesus wirklich gegeben hat, sind das Worte, die damals über ihn im Umlauf waren. Nur das meine ich mit "authentisch"

Lykurg
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Fr 25. Nov 2005, 01:01 - Beitrag #28

da ich bezüglich der Aussagen der Apokryphen und des Kanons keinen Unterschied mache
Aber Ipsissimus! In einigen apokryphen Evangelien findet sich nun wirklich ziemlich krudes Zeug. Das Protevangelium des Jakobus dient vor allem der Marienverehrung; abgesehen davon, daß auch sie laut 'Jakobus' jungfräulich empfangen wurde, wird eine Hebamme eingeführt, die schwört, daß ihre Hand verdorren solle, wenn das mit der Jungfräulichkeit nicht wahr sei, und prompt verdorrt sie; aber ihr Glaube heilt sie wieder.

Entschuldige bitte, aber diese Geschichte ist für mich so deutlich später hinzugefügt... Für mich als Literaturwissenschaftler ist es selbstverständlich, daß in einer durch mündliche Überlieferung geprägten Gesellschaft unvermeidlich Veränderungen und Zusätze ihrer Erzählungen entstehen. Und alle Texte zu akzeptieren, ist zwar löblich, weil man sich damit als eigenständiger Denker zeigt, sie aber unterschiedslos als gleichwertige Quellen zu akzeptieren, bedeutet ein Abrücken von eben diesem Vorzug. Das ist ein indifferenter und letztlich unkritischer Umgang mit einer ziemlich prekären Überlieferungsgeschichte.

Feuerkopf
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Fr 25. Nov 2005, 01:10 - Beitrag #29

Zitat von Padreic:Aber wenn es darum geht, was er vermutlich gesagt hat, dann darf mich nicht sagen: "Das und das passt mit meinem Weltbild nicht zusammen, deswegen hat er das wohl nicht gesagt. Das und das gefällt mir, das hat er sicherlich gesagt." Dann stützt man sich eben nicht auf Jesus und kann sich somit auch nicht mehr berechtigt Christ nennen. Darum ging es mir.


Oh, das ist aber ein dünnes Eis, auf das du dich da begibst, Padreic.
Wenn ich Jesus' Worte als Leitlinien für mein Leben nehme, warum darf ich dann nicht auch manchem kritisch gegenüber stehen?
Ich kann auch nicht Luther ohne Einschränkungen für gut erklären oder Marx.

Jetzt kommt wahrscheinlich das Argument, Jesus sei Gottes Sohn und das sei auf einer ganz anderen Ebene. Nun, der Islam z. B. sieht Jesus' Rolle schon ganz anders. Mir erschließt sich nicht, wieso ich mich nicht Christ nenne darf, wenn ich Jesus Christus als Leitfigur in meinem Leben habe, nur, weil ich mit der vorherrschenden Amtskirchenlehre nicht übereinstimme.

Ich habe für mich einen Weg gefunden, der mir Spiritualität ermöglicht, aber gleichzeitig Abstand hält von den für mich nicht hinnehmbaren Begrenzungen und Ausgrenzungen. Wir können uns ja im Jenseits noch mal darüber unterhalten. ;)

janw
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Fr 25. Nov 2005, 01:17 - Beitrag #30

Lykurg, wohl wahr, aber wenn Ipsi hinzufügt, daß das Zitat von mehreren Quellen gestützt wird, kann das doch als Richtigkeitsindiz gesehen werden.

Ich denke, daß eine grundlegende Indifferenz bezüglich der Kanonizität insofern berechtigt ist, als die Aufnahme in den Kanon letztlich an irgendeinem Punkt bewußt erfolgte und dabei sehr wesentlich andere Gründe ausschlaggebend waren als die Richtigkeit des Inhaltes bzw. der Überlieferung.
Was letztlich individuell als "kanonisch" erachtet wird, ist dann dem Urteil des einzelnen aufgrund seiner jeweiligen Kenntnis der Quellenlage und anderem überlassen.

Wie sieht es eigentlich mit der Bergpredigt aus? Ich habe mal gehört, daß dieses gewissermaßen "Zentralstück" der christlichen Lehre etwas zweifelhaft sein soll. Wisst Ihr mehr?

Ipsissimus
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Fr 25. Nov 2005, 01:42 - Beitrag #31

Lykurg, ich sehe es eher umgekehrt: auch der Kanon enthält krudes Zeug^^

ich mache schon Unterschiede hinsichtlich der Qualität einzelner Quellen, aber ich mache nicht den pauschalen Unterschied:

Kanon -> vertrauenswürdig
apokryph -> nicht vertrauenswürdig

für den Historiker (und auch für den kritischen Theologen, der nicht an Kirchenlehre gebunden ist) sind die Manuskripte beider Bereiche unterschiedslos historische Dokumente, die es gilt, mit den Mitteln der Geschichts- und Sprachwissenschaft zu entschlüsseln, ehe ihnen Aussagekraft zuerannt oder aberkannt wird - hinsichtlich ihrer damaligen zeitgenössischen Relevanz. Das meinte ich.

Lykurg
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Fr 25. Nov 2005, 01:54 - Beitrag #32

Das klingt weit besser :) dann stimme ich jetzt in religiösen Fragen grundsätzlich mit dir überein, Ipsissimus.^^ ^^ ^^

janw, ein Richtigkeitsindiz nur, wenn sie nachweislich unabhängig voneinander entstanden sind...
Sicher, jede Kanonbildung ist eine gezielte Selektion, die im Wesentlichen der Durchsetzung eigener Interessen dient - mögen sie auch noch so 'gut' sein.
Von der Bergpredigt habe ich leider keine Ahnung.^^

Feuerkopf, gerne, wenn du dann Zeit hast... und dich nicht um deine nächste Existenz sorgen mußt... ^^

janw
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Fr 25. Nov 2005, 02:18 - Beitrag #33

Lykurg, das Kriterium der unabhängigen Entstehung (von keiner Kohärenz und Kontingenz befleckten Empfängnis^^) war mit gedacht, gleichwohl ungeschrieben...

Maurice
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Fr 25. Nov 2005, 10:25 - Beitrag #34

Jesus-Zitat und Neuplatonismus

"Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe. Und wer mir fern ist, ist fern des Reichs." (...) - ein authentisches, außerhalb der Bibel mehrfach belegtes Jesuswort. Kennt es jemand? Und warum nicht?

Ich kannte es nicht, aber das ist ja auch nicht verwunderlich. Was ich mich aber frage, ist warum der Spruch nicht in der Bibel steht. Wenn man die Bibel als eine Ansammlung von ausgesuchten Texten berachtet, dann stellt sich die Frage, warum dieser Spruch quasi von denen abgelehnt wurde, die den Inhalt der Bibel bestimmt haben.
Vielleicht liegt es an dem Wort "Feuer", was in den Zusammenhang ein kriegerisches Bild von Jesus für jemanden darstellen könnte. Das halte ich zwar für sehr unwahrscheinlich, aber spontan ist das meine einziger Erklärungsversuch.
Den Ausspruch selbst habe ich sofort mit dem Neuplatonismus in Verbindung gebracht und sehe ihn aus dieser Perspektive für unproblematisch. Das Feuer würde in Anbetracht dieser philosophischen Richtung, die für das ganze Christentum von großer Bedeutung ist, nicht für Krieg und Zerstörung stehen, sondern für Gott, der reich an Kraft, Wärme und Licht ist. Der Aspekt des Lichtes spielt dabei die entscheidende Rolle.
Das sind zumindest meine Einschätzungen auf die Schnelle. Ich hoffe zum einen, dass ich hier für euch kein lapidares Zeug erzähle, was schon wortlos vorausgesetzt wurde und zum anderen, dass ich mit meiner Interpreation richtig liege.

Ipsissimus
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Fr 25. Nov 2005, 12:43 - Beitrag #35

Das Thomasevangelium ist eine Sammlung von Jesusworten, kurzen Szenen, die in einem Jesuswort gipfeln, und Dialogen. Diese sind ohne erzählerischen Rahmen und ohne erkennbares Ordnungsprinzip lose aneinandergereiht. Passions- und Auferstehungsgeschichten fehlen, so dass diese Schrift der Gattung nach kein Evangelium ist.

Sie gehört zu den so genannten "Apokryphen", die nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurden. Den Kirchenvätern (Hippolyt, Eusebius, Origenes) wurde sie erst im 2. Jahrhundert bekannt. Sie ordneten sie dann den gnostischen oder manichäischen Schriften zu, lehnten sie also aus theologischen Gründen ab. Als deuterokanonische Schrift wird sie jedoch in manchen Bibelausgaben abgedruckt.

Das Thomasevangelium enthält eine eigenständige Theologie, die weder nur aus dem Neuen Testament noch aus dem Gnostizismus hergeleitet werden kann. Seine Herkunft ist umstritten, da es sowohl aus dem NT bekannte als auch völlig unbekannte Jesusworte enthält.

Eine andere, nicht mit dieser Spruchsammlung zu verwechselnde apokryphe Schrift ist das Kindheitsevangelium nach Thomas.

Entstehung

Das Thomasevangelium war lange Zeit verschollen und nur aus Notizen einiger Kirchenväter bekannt: Hippolyt von Rom erwähnte es vor 235 n. Chr. erstmals.

1897 und 1903 fand man in Oxyrhynchus (Ägypten) einige Papyrusfragmente mit griechischen Texten, deren Herkunft und Zusammenhang man nicht genau zuordnen konnte. Man datierte ihre Entstehung auf etwa 200 n. Chr. (zuletzt H.-Ch. Puech 1952).

Erst 1946 fand man unter den 13 Buchrollen von Nag Hammadi in Ägypten einen vollständigen koptischen Text von 114 Logien, als "Evangelium nach Thomas" unterschrieben (heute in Kairo aufbewahrt). Er wurde auf etwa 400 n. Chr. datiert, hat aber wohl eine wesentlich ältere Vorlage gehabt: Denn nun konnten die älteren Fragmente als Bestandteil eines griechischen Thomasevangeliums identifiziert werden. Der koptische Text wird als Übersetzung der griechischen Vorform angesehen, die aber wegen einiger Abweichungen eine längere Entwicklung durchlaufen hat.

Wegen zahlreicher Parallelen nehmen viele Forscher an, dass der Autor die synoptischen Evangelien gekannt haben muss, sein Werk also nach diesen entstanden ist. Sie datieren die Urform auf 150-180 n. Chr. Andererseits enthält der Thomastext auch Jesusworte, die einen sehr alten Eindruck machen und sogar zeitgleich mit der Spruchsammlung Q entstanden sein könnten. Für eine frühe Entstehung sprechen 13 Doppelparallelen zum Markusevangelium und "Q"; diese werden zu den ältesten Sprüchen gezählt und könnten mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Jesus selbst zurückgehen.

Darum datiert zum Beispiel Nordsieck in seinem 2004 erschienenen Kommentar den vollständigen Text schon in das 1. Jahrhundert (ab 70 oder sogar vor 62). Manche halten sogar eine apostolische Herkunft der Schrift für möglich.

Verfasser

Der Prolog gibt "Didymus Judas Thomas" als Autor an. "Didymus" ist das griechische, "Thomas" das aramäische Wort für Zwilling, so dass hier derselbe Name verdoppelt wurde.

Fraglich ist jedoch, ob der Verfasser wirklich diesen Namen trug oder einen Doppelnamen als Pseudonym wählte, um die im Text vertretene Lehre, die Einung mit dem Urgrund des Lichtes aus der Zweiheit, schon zu Beginn zu symbolisieren. Vielleicht wollte er damit bewusst auf die Apostel Judas und Thomas anspielen, die das Neue Testament als "Verräter" und "Zweifler" an Jesus darstellt. Das würde für eine spätere Entstehungszeit und eine bewusste Abgrenzung des Thomasevangeliums von der bereits kanonisierten Tradition sprechen. Sichere Anhaltspunkte dafür gibt es allerdings nicht.

Theologie

Jesus erscheint als der Lebendige, der Sohn des lebendigen Vaters, der Offenbarer, der den Jüngern das Geheimnis seiner - und ihrer - Herkunft mitteilt. Die Menschenwelt wird negativ beurteilt (Logion 56 und 80). Unser Heil, unsere Verbindung mit Gottes Reich, tritt ein mit einem inneren Vorgang, dem Selbstverständnis als Gotteskinder; dadurch eint sich unser Wesen mit dem im Himmel verbliebenen Abbild unserer selbst (Logien 3, 84 und 106).

Der Mensch ist, wenn auch "trunken", d. h. unwissend, doch göttlichen Ursprungs (Logion 3, 85 und 87), er ist nach göttlichem Bild geschaffen (Logion 50; vgl. auch Logion 83 und 84).

Das "Königreich" (das "Reich des Vaters" oder das "Reich des Himmels") ist ein Zentralbegriff des Thomasevangeliums. Dabei wird der Unterschied zu der Predigt Jesu in den drei ersten Evangelien deutlich: die eschatologische Ausrichtung auf die Zukunft fehlt fast völlig. Gewiß ist von "eingehen" oder "finden" die Rede, und zwar durchaus in zukünftigem Sinn. Aber diese Aussagen hängen eng mit der Aussage zusammen, daß der Jünger aus dem Reich stammt (Log. 49). Wichtig scheint nur die Gegenwärtigkeit des Reiches zu sein "(Log. 113)".

Es lassen sich kaum Spuren einer Gemeinschaftsbildung erkennen, und ekklesiologische Gedanken fehlen völlig. Der Zugang zum "Reich" wird den einzelnen, von dem Ruf Jesu Erreichten zugesagt. Es sind die "Kleinen", die "Einzelnen", die "Einsamen", die das "Reich" und damit die "Ruhe" erreichen.


Quelle: bluros.de


ich muss mich anhand des Testes korrigieren: die indischen Thomaschristen kennen die Geschichte mit dem Knaben vom Kindheitsevangelium nach Thomas, von dem ich irrtümlich annahm, es sei Teil des Thomasevangeliums

Feuerkopf
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Fr 25. Nov 2005, 13:29 - Beitrag #36

OT-Frage

Gestern abend kam die Frage auf, ob Jesus wohl lesen und schreiben konnte.
Gibt es dazu Erkenntnisse?

Maglor
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Fr 25. Nov 2005, 13:58 - Beitrag #37

"Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe."
Dies passt durchaus in die Metaphorik der Bibel. Im Alten Testament tritt Gott als Feuersäule in Erscheinung und auch als brennender Dornbusch. Und im Neuen Testament spicken die Häupter der Jünger während des Pfingstwunders kleine Flammen. Mir scheint das Feuer hier ganz klar als Sinnbild für Gott. (Nicht umsonst bezeichnet sich auf Gandalf als Hüter des geheimen Feuers. :rolleyes: )
Konnte Jesus lesen und schreiben?
Die Hebräer waren ein schon recht zivilisiertes Völkchen. Es gehörte sich schon so, dass männliche Juden in der Synagoge lesen und schreiben konnten. Laut den Evangelien streitet sich Jesus mit den Pharisäern und es gibt noch zahlreiche weitere Indizien dafür, dass Jesus die Thora lesen konnte. Ansonsten wird vermutet, dass Jesus auch des Griechischen, der damaligen Verkehrssprache im oströmischen Raum, mächtig war.
Ich wollte nur anmerken, dass die Kanonisierung der Evangelien nur bedingt mit dem Thema zu tun. Komisch das noch keiner auch das Buch Mormon gekommen ist.
Ich möchte die Frage einmal anders stellen: Was ist der Kern der christlichen Lehre?
Ich denke das apostolische Glaubensbekenntnis hat es ganz gut getroffen. Ist das apostolische Glaubensbekenntnis jedoch von allen Christen vertretbar?
Die Kernthesen des Glaubensbekenntnis:
- Es gibt einen Gott
- Jesus Christus ist Gottes Sohn
- Er ist gestorben und auferstanden
- Es winkt soetwas wie das Jüngste Gericht
- Es gibt eine Gemeinschaft der Gläubigen die ebenfalls transzendent ist
- Vergebung der Sünden,
- Auferstehung der Toten; ewiges Leben
MfG Maglor :rolleyes:

janw
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Fr 25. Nov 2005, 14:31 - Beitrag #38

Konnte Jesus lesen und schreiben?
Allgemein wird die Tatsache, daß das Judentum auf der Schrift (Thora in dem Falle) basiert als Grund gesehen, daß Juden später, in der Diaspora, besser lesen und schreiben konnten als die Menschen ihrer Umgebungsbevölkerung.
Im Tempel gab es aber Schriftgelehrte, die den Menschen die Schrift erläuterten und in rechtlichen Streitfällen entschieden.
Trotzdem, ich denke, daß er lesen konnte, zumindest, sonst hätte er nicht so in den Disput mit den Schriftgelehrten eintreten können, wie er es getan hat.

Maglor, da fehlt noch die Liebe Gottes...

Ipsissimus
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Fr 25. Nov 2005, 14:33 - Beitrag #39

explizite Erkenntnisse zum Lese/Schreibevermögen Jesu gibt es nicht, nur Spekulationen; allgemein verbreitet waren diese Künste derzeit aber nur im Bereich der Schriftgelehrten/Priester-Schicht. Der normale "kleine Mann" hörte die Thora, er las sie nicht.
aus meiner Sicht der Dinge besteht der Kern der christllichen Lehre aus der Auffassung Jesu, daß der Inhalt über der Form steht^^ selbst wenn mensch sich nur an den Kanon hält, fällt es auf, daß es "gesteltzte" Aussagen von ihm gibt - alle diejenigen, aus denen sich trefflich moralische Regeln ableiten lassen - und solche, aus denen "das Feuer sprüht" - und die betreffen fast ausnahmslos Situationen und Aussagen, aus denen der Vorrang der Liebe, des Mitgefühls udn des Erbarmens usw. vor der formalen Regelerfüllung ersichtlich wird, beispielsweise bei der Geschichte mit der Ehebrecherin, aber auch in Teilen der Bergpredigt.

es ist natürlich nicht ganz so einfach. Neben der Bibel gibt es die Tradition. Die Tradition der Exegese, der Dogmatik, des gelebten Glaubens usw. Ich denke, daß das apostolische Bekenntnis sehr viel stärker ein Abbild dieser Traditionen ist als ein Abbild der Lehre Jesu. Nicht umsonst wird es von vielen eher rigiden Christen mit der Begründung abgelehnt, es sei zu schwach, zumindest die Verbalinspiration müsse noch dazugenommen werden und die ewige Verdammnis.

Maglor
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Fr 25. Nov 2005, 14:42 - Beitrag #40

Wie jetzt, auf einmal ist das apostolische Glaubensbekenntnis zu "schwach".
Dann lieber doch, Christ ist, wer Christus toll findet? :crazy:
Das die Lesefähigkeit Jesu angeht, so ist man nicht nur auf Spekulation angewiesen, die Bibel gilt durchaus als Quelle. Es wäre an dieser Stelle vielleicht hilfreich zu wissen, wie weit die antike Gesellschaft alphabetisiert war. Jesus soll ja immerhin Zimmermann gewesen sein...
MfG Maglor

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