Zum Verhältnis von Vernunft und Wissen

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Traitor
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So 27. Nov 2005, 00:41 - Beitrag #21

Wer "im Vorteil" ist, ist eine andere Frage als die, ob es ohne Axiome geht, oder? Zu letzterer sieht mir deine Ausführung nicht nach einer Trivialitätswiederlegung aus.

Zu ersterer möchte ich zwischen den Axiomen und den aus ihnen folgenden Erklärungen unterscheiden.
Welche von zwei Erklärungen, egal aus welchem System sie folgen mögen, besser ist, mache ich primär daran fest, wie sehr sie ihrem Namen nachkommen. Wie vollständig sie ein wahrgenommenes Phänomen also erklären und wie sauber sie auf ihren Grundannahmen aufbauen. Dazu kommt dann noch das wissenschaftliche Kriterium, dass sie keine zurechtgeschnitzte Insellösung sein, sondern sich verallgemeinern lassen sollten, aber das ist nicht notwendig, eher die Kür.
Verlässt man die exakten Wissenschaften (sei es aufgrund des betrachteten Themas oder aufgrund des zugrundegelegten Axiomensystems), werden diese Kriterien natürlich immer unschärfer und subjektiver, bleiben prinzipiell aber erhalten.
Geht es nun um die Axiome, so können sie nicht an sich beurteilt werden. Man kann die Axiome lediglich anhand der Funktionalität der Aussagen und Erklärungen, die sich aus ihnen ergeben, bewerten. Wobei sowohl das ganz grundlegende "ein System sollte die phänomenologische Welt erklären" als auch das bereits erwähnte, schon eher spezifische "wenn ein System mit weniger Axiomen das Gleiche leistet, ist es vorzuziehen" letztlich natürlich auch wieder Axiome sind ;) Oder Äquivalenzen zu / direkte Folgerungen aus zu ähnlichem Zwecke verwendeten.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 01:07 - Beitrag #22

Kein System lässt sich ohne Axiome aufbauen.


das ist der letzte - eigentliche - Grund dafür, weswegen ich immer wieder auf Plausibilität statt auf Sicherheit oder Gewissheit hinaus will^^

Maurice
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So 27. Nov 2005, 01:10 - Beitrag #23

Aber ist es so unverständlich, dass manch anderer doch gerne sicheres Wissen besitzen möchte?
Plausibilität hingegen ist leider rein subjektiv. :(

Traitor
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So 27. Nov 2005, 01:13 - Beitrag #24

@Ipsi: Gehe ich recht in der Annahme, dass du unter "Plausibilität" in etwa das verstehst, was ich mit meinen Kriterien an Aussagen und Axiome ausgeführt habe?

@Maurice: Ich würde sogar im Gegenteil sagen, dass Plausibilität intersubjektiver ist als Wissen. Die Gültigkeit logischer Schlüsse lässt sich viel einfacher nachprüfen als ein Sachverhalt.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 01:14 - Beitrag #25

Maurice, es ist nicht unverständlich, aber es ist dem kritischen Verstand längst als aussichtslose Hoffnung entlarvt


Traitor, in etwa, sofern die Axiome nicht so weit verinnerlicht werden, daß sie unhinterfragbar werden^^

Maurice
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So 27. Nov 2005, 01:25 - Beitrag #26

Die Gültigkeit logischer Schlüsse lässt sich viel einfacher nachprüfen als ein Sachverhalt.

Aber es lässt sich letzten Endes auch nicht mit absoluter Sicherheit überprüfen, ob eine Schlussfolgerung logisch korrekt war. Zum anderen ist nicht bewiesen, dass die Welt so funktioniert, wie wir sie uns logisch vorstellen (müssen).

Ich bin mir sicher, dass mir Ipsi hier zustimmen wird.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 01:33 - Beitrag #27

Logik ist imo ein Modell. Wir können das Modell mit seinen eigenen Voraussetzungen prüfen und höchstwahrscheinlich feststellen ob / tendentiell daß es seinen eigenen Voraussetzungen gemäß funktioniert.

Zum anderen bin ich mir einigermaßen sicher, daß - wie auch immer die Welt funktionieren mag - sie sich nicht an die Maßstäbe unserer Logik hält. Da ich die Logik wie schon gesagt nur als ein Modell auffasse, folgt daraus, daß ich sie als unvollkommen auffasse, wenn auch als taugliches Werkzeug für viele, aber nicht alle Anwendungsfälle^^

Maurice
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So 27. Nov 2005, 11:45 - Beitrag #28

Ich frag dich mal einfach: Wissen wir irgendetwas sicher?

Und ich meine nicht, ob jemand etwas für sicher hält, sondern ob jemand etwas wirklich weiß.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 12:36 - Beitrag #29

lassen wir mal die Möglichkeit der "Welt als Illusion" außen vor und lassen wir es ebenfalls außen vor, daß die Welt so wie wir sie wahrnehmen "nur" eine zumindest teilweise kulturell geprägte Interpretation ist, die erst in unserem Gehirn aufgrund der das Gehirn erreichenden Sinnesdaten entsteht, dann gibt es imo einen "mittleren Bereich überwältigend plausibler Plausibilitäten"^^

Nehmen wir desweiteren den Bereich der Sinnesempfindungen mit in die Fragestellung hinein? Ich "weiß" wann ich "kalt" oder "durstig" usw. empfinde.

Es spricht nichts dagegen, Sinnesempfindungen und "mittleren Plausibilitätsbereich" als "Wissen" aufzufassen, solange damit nicht suggeriert wird, der Begriff deute eine mathematische Schärfe seines Gegenstandes an.

Maurice
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So 27. Nov 2005, 13:06 - Beitrag #30

Weißt du was?

Wobei du unter Wissen dann nicht das verstehst, was ich meine. Eine kurze Erklärung meines Wissensbegriffs, der wie ich meine auch der eigentliche ist, nur im Alltag verwässert auftritt:
1. Eine Meinung ist dann wahr, wenn ihr Inhalt mit den Gegebenheiten übereinstimmt, über die sie eine Aussage macht. (Korrespondenztheorie)
2. Wissen ist wahre und begründete Meinung. (Platon)
3. Platons Wissensbegriff wird durch mich genauer ausgeführt, indem ich "begründet" durch "bewiesen" ersetze. Wissen ist dann eine wahre und bewiesene Meinung. Da jede bewiesene Meinung wahr sein muss (ergibt sich aus der Bedeutung der Begriffe), kann in der Defintion das zusätzliche "wahr" gestrichen werden. -> "Wissen ist eine bewiesene Meinung."

Ich erkläre mal kurz, warum mir Platons Definition nicht ausgereicht hatte:
Nehmen wir an, dass jemand in einen vollen Hörsaal kommt und sagen soll, wieviele Menschen im Hörsaal sind. Daraufhin zählt er die Personen ab und kommt auf die Zahl X. Hierbei setzen wir voraus, dass er sich nicht verzählt und er mit der Anzahl recht hat. Nun wird er gebeten sich für wenige Minuten vom Raum zu entfernen und danach wieder rein zu kommen. Sofort nach dem Betreten des Hörsaals wird er gefragt, wieviele Menschen im Raum sind, ohne dass ihm die Chance gegeben wird, erneut abzuzählen. In seiner Not nennt die Person wieder die Zahl X mit der Begründung, dass vorehr auch soviele Menschen im Hörsaal gesessen haben. Angenommen während seiner Abwesenheit hätte sonst kein Mensch den Hörsaal verlassen und die Zahl X sei richtig. Die Schätzung der Versuchsperson war in diesem Fall sowohl richtig (sprich seine Meinung war wahr), als auch begründet.
Würden wir aber sagen, dass er gewusst hat, wieviele Menschen im Raum sitzen? Ich sage nein und deshalb ist "Wissen" nicht ausreichend definiert, wenn wir es als "wahre und begründete Meinung" beschreiben, da eine Meinung auch begründet aber nur zufällig wahr sein kann. Wissen ist aber mit Sicherheit wahr.

Die Eine-Millionen-Dollar-Frage ist jetzt für mich, wann eine Meinung als wahr bewiesen ist. Was sind also sichere Wahrheitskriterien?

Sinnesempfindungen und Plausibilität sind keine sicheren Wahrheitskriterien, weil sie zu widersprüchlichen Aussagen führen können. Das Problem der Sinnesdaten ist, dass sie uns erstmal nichts über die Außenwelt mit Sicherheit sagen, sondern stehts unserer Interpretation bedürfen. Das Problem der Plausibilität ist einfach, dass verschiedene Menschen z.T. sehr unterschiedliche Sachen plausibel finden.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 13:40 - Beitrag #31

1. Eine Meinung ist dann wahr, wenn ihr Inhalt mit den Gegebenheiten übereinstimmt, über die sie eine Aussage macht. (Korrespondenztheorie)
2. Wissen ist wahre und begründete Meinung. (Platon)
3. Platons Wissensbegriff wird durch mich genauer ausgeführt, indem ich "begründet" durch "bewiesen" ersetze. Wissen ist dann eine wahre und bewiesene Meinung. Da jede bewiesene Meinung wahr sein muss (ergibt sich aus der Bedeutung der Begriffe), kann in der Defintion das zusätzliche "wahr" gestrichen werden. -> "Wissen ist eine bewiesene Meinung."


das allererste, was dabei unmittelbar ins Auge springt, ist die Zirkularität der 2 ersten Punkte, die du in deiner 1-Millionen-Dollar-Frage ja auch herausgestellt hast.

in Punkt 1 sind "wahr" und "mit den Gegebenheiten übereinstimmt" zirkulär
in Punkt 2 sind "Wissen" und "wahr und begründet" zirkulär

"Wissen ist bewiesene Meinung" bringt uns imo auch nicht wirklich näher an eine Lösung, da das "bewiesen" - wie dir selbst klar ist - einen Deutungshintergrund erfordert, der absolut gesetzt ist.

Wie wäre es mit "Wissen ist Folge des Nachweises, daß eine Aussage eine korrekte Ableitung aus den Grundaxiomen eines Aussagesystems ist, wobei die Ableitungsregeln im Aussagesystem mit enthalten sind."

Damit geben wir die Absolutheit des Wissensbegriffes auf, anerkennen, daß Wissen immer nur bezogen auf ein Axiomensystem festgestellt werden kann, aber wir erwerben uns die Freiheit, stets aus der Metaperspektive verschiedene Axiomensysteme zu überblicken und sind insgesamt der Notwendigkeit enthoben, eine metaphysische absolute Größe als letzte Referenz anzunehmen

Maurice
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So 27. Nov 2005, 14:12 - Beitrag #32

@Tautologie des Wissensbegriff: Es ist klar, dass meine Beschreibung des Wissensbegriff zirkulär ist. Man kann nämlich "Wahrheit" nicht so definieren, wie man andere Begriffe definiert, sondern nur explizieren. Jede Aussage über Wahrheit setzt nämlich den Wahrheitsbegriff schon voraus und kann daher keine Definition sein. Eine Definition lebt nämlich davon, dass sie einen Begriff erklärt, ohne dass er in der Erklärung enthalten ist. So kann man auch nicht den Begriff "Sein" definieren, sondern nur explizieren.

Wie wäre es mit "Wissen ist Folge des Nachweises, daß eine Aussage eine korrekte Ableitung aus den Grundaxiomen eines Aussagesystems ist, wobei die Ableitungsregeln im Aussagesystem mit enthalten sind."

Das löst mein Problem aus folgenden beiden Gründen nicht:
1. Es bleibt die Frage, wann eine Aussage korrekt aus den Axiomen abgeleitet ist.
2. Damit die Aussage dann richtig ist, müssen die Axiome auch korrekt sein. Eine richtig abgeleitete Aussage über die Welt aus falschen Axiomen ist eine falschen Aussage über die Welt. Damit eine Aussage richtig ist, muss sie richtig aus ihren Prämissen abgeleitet sein und diese Prämissen wiederum aus anderen richtigen Prämissen abgeleitet werden usw. Solange nicht die ersten Prämissen als richtig bewiesen worden sind, kann auch keine Ableitung dieser Prämissen als sicher wahr gelten.

Damit geben wir die Absolutheit des Wissensbegriffes auf

Wir geben auf? Wer ist denn "wir"? Also ich gebe meinen Wissensbegriff nicht auf, weil ich jede andere Definition von Wissen als faulen Kompromiss empfinde.
Wir können es auch so machen und ich schenke dir das Wort "Wissen", damit du das benennen kannst, was du beschrieben hast. Bleibt die Frage nach dem Sachverhalt, dass eine Meinung mit Sicherheit richtig ist. Darum geht es mir und darauf will ich eine Antwort.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 14:23 - Beitrag #33

1. Es bleibt die Frage, wann eine Aussage korrekt aus den Axiomen abgeleitet ist.
2. Damit die Aussage dann richtig ist, müssen die Axiome auch korrekt sein. Eine richtig abgeleitete Aussage über die Welt aus falschen Axiomen ist eine falschen Aussage über die Welt. Damit eine Aussage richtig ist, muss sie richtig aus ihren Prämissen abgeleitet sein und diese Prämissen wiederum aus anderen richtigen Prämissen abgeleitet werden usw. Solange nicht die ersten Prämissen als richtig bewiesen worden sind, kann auch keine Ableitung dieser Prämissen als sicher wahr gelten.


1) deswegen sollen ja die Ableitungsregeln im Axiomensystem mit enthalten sein

2) das ist der "klassische" Wissensbegriff, der mit einer absoluten Wahrheit als Referenz arbeitet. Für den Wissensbegriff, den ich im Sinn habe, ist die Korrektheit der Axiome hingegen belanglos - wobei diese Belanglosigkeit eben nur explizit gemacht wird, denn auch in unzähligen klassischen phlilosophischen Traktaten wird die Korrektheit der Prämissen bestenfalls plausibel gemacht, seltenst bis nie "bewiesen"

"wir geben auf" war so gemeint, daß wir dann, wenn wir diese Definition akzeptieren, den klassischen Begriff aufgeben - es sollte sich nicht um die Antizipation dieser Akzeptanz handeln, nur um die Formulierung einer Folge davon.

Du brauchst mir den Begriff nicht zu schenken^^ bleibt nur der Sachverhalt, daß du, wenn du absolute Sicherheit des Wissens suchst, du nach einem Glauben suchst^^

Maurice
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So 27. Nov 2005, 14:40 - Beitrag #34

deswegen sollen ja die Ableitungsregeln im Axiomensystem mit enthalten sein

Was aber mein Problem löst. Selbst wenn ich die Regeln der formalen Logik kenne, weiß ich nicht, ob ich sie im Einzelfall richtig angewandt habe. Um sagen zu können, dass ich eine Aussage mit Sicherheit richtig abgeleitet habe, brauche ich ein Kritierium, um zu bewerten, wann ich etwas sicher abgeleitet habe. Wie willst du nun also beurteilen, dass du eine Aussage richtig abgeleitet ist? Deine Axiomen sagen dir, welche Regeln du anwenden sollst, aber nicht ob du sie im Einzelfall richtig angewendet hast. Was ist also dein Wahrheitskriterium?
- Evidenz?
- Kohärenz?
- Konsens?
- Nützlichkeit?

Für den Wissensbegriff, den ich im Sinn habe, ist die Korrektheit der Axiome hingegen belanglos

Ich verstehe nun mal was anderes unter Wissen. Dein Ansatz gibt für mich auch keine Lösung, mit der ich leben kann.
Ein Christ für den das Theodizee-Problem in Widerspruch zu seinem Gottesbild steht, wird sich auch nicht damit zufrieden geben, wenn ihm jemand sagt, dass es gar keinen Gott gibt.
Ich behaupte außerdem immer noch, dass mein Verständnis von Wissen in etwa den comon sense wiedergibt. Das ist natürlich kein Argument dafür, dass mein Verständnis besser als deins ist, sondern soll nur die in meinen Augen Relevanz des Problems unterstreichen.

bleibt nur der Sachverhalt, daß du, wenn du absolute Sicherheit des Wissens suchst, du nach einem Glauben suchst

Nein ich suche ja gerade nach sicherem Wissen, von dem ich weiß, dass es sicheres Wissen ist. Alles andere ist Glauben.

Ich würde gerne eine Antwort von dir haben, ob du irgendetwas weißt. Voraussetzung ist dabei mein Wissensbegriff.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2005, 15:11 - Beitrag #35

mit sicherem Wissen nach deinen Kriterien kann ich nicht dienen^^

mein Wahrheitskriterium ist eben "Plausibilität", da ich dadurch am besten mit der "schwankenden" Natur von "Wahrheit" zurecht komme^^

Maurice
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So 27. Nov 2005, 16:01 - Beitrag #36

Also würdest du nicht sagen, dass du weißt, dass du existierst?

Ich fühle mich gezwungen zu sagen, dass ich mir sicher bin, dass ich existiere. Doch kann ich nicht das Wahrheitskriterium benennen, was in diesem Urteil zum tragen kommt.

Leider bist du nicht auf meine oberste Frage eingegangen, wie du nun beurteilen kannst, ob du entsprechend dem Axiomensystem richtig abgeleitet hast.

Traitor
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So 27. Nov 2005, 19:27 - Beitrag #37

Die Logik ist für mich eine Art Metamodell, auf der konkrete Axiomensysteme aufbauen. Äquivalent dazu ist, sie als Teil jedes einzelnen Systems zu betrachten, dieses sozusagen in Aussagen im engeren Sinne und Verknüpfungsregeln aufzuspalten. Prinzipiell muss sich eine Logik damit denselben Kriterien wie andere Axiome stellen: der Anwendbarkeit auf die Welt (was wiederum ein Axiom ist, wie gesagt...) Allerdings besteht "die" Logik diese Prüfung deutlich souveräner als die meisten weltbeschreibenden Axiome im engeren Sinne, weshalb ich sie außer in auf allerhöchster Metaebene angesiedelten Überlegungen als gegeben voraussetze.

Hat man ein System aus Logik und grundlegenden Axiomen gegeben, sehe ich das Problem, die Ableitungen zu überprüfen, aber nicht wie du, Maurice. Es gibt sicher ein praktisches Problem dabei, alles in vernünftiger Zeit zu überprüfen, aber das prinzipielle Handwerkszeug ist gegeben und sehr simple Wahrheitskriterien wie Widerspruchsfreiheit und Zwingendheit anwendbar (sofern diese in der zugrundeliegenden Logik enthalten sind). Ergänzungen wie das Nützlichkeitskriterium braucht man erst bei so komplexen oder auf so unzureichender Datenbasis begründeten Themen, dass eine eindeutige Aussagenableitung aus den Axiomen nicht mehr möglich ist.

Ich denke, ein zentrales Problem dieser Wissensdebatte ist, dass der Begriff "Wissen" überfrachtet wird. Ihr beide scheint in "Wissen" bereits "Wahrheit" einzuschließen. Man kann aber durchaus auch Wissen über eine falsche Aussage besitzen.
Ich wäre dafür, Wissen eher von der erkenntnistheoretischen Wurzel her zu definieren: Wissen ist einem Subjekt zugängliche Information. Insofern enthält der Begriff keine Aussage über die Wertigkeit der Information oder darüber, ob sie eine wahre Aussage über die Welt ist.
Nennen wir das "sichere Wissen", auf das Maurice hinauswill, vorläufig mal "Wahrheitswissen". Absolutes Wahrheitswissen über die Welt ist aufgrund der grundsätzlichen Beschränktheit von Subjekt und Wahrnehmung prinzipiell nie erreichbar. Wahrheitswissen innerhalb eines Modells/Axiomensystems ist es aber durchaus, und sofern anderen die Axiome und Verknüpfungsregeln vollständig vorliegen, ist es auch tradierbar.
Dies ist Wahrheitswissen über Aussagen. Dann gibt es noch Wahrheitswissen über Sachverhalte, oder besser relativistisch ausgedrückt, über Phänomene. Dies lässt sich, da eine Aussage über die Welt darstellend, nicht absolut erlangen, sondern nur als Produkt vieler subjektiver Wahrnehmungen. An ihm lässt sich dann die Wahrheit der Aussage "das Axiomensystem beschreibt die Welt" beurteilen, jedoch auch nur auf relative Art.

Also würdest du nicht sagen, dass du weißt, dass du existierst?

Ich fühle mich gezwungen zu sagen, dass ich mir sicher bin, dass ich existiere. Doch kann ich nicht das Wahrheitskriterium benennen, was in diesem Urteil zum tragen kommt.
"Ich existiere" ist für mich einfach das grundlegendste aller Axiome, das sich, da ohne Alternative, die ansatzweise in der Lage wäre, eine Weltbeschreibung zu liefern, sehr gut bewährt hat.

Maurice
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So 27. Nov 2005, 20:43 - Beitrag #38

Wahrheitswissen innerhalb eines Modells/Axiomensystems ist es aber durchaus

Und wie willst du dieses sicherstellen? Was ist dein Kriterium, um sagen zu können, dass du eine mit Sicherheit wahre Aussage innerhalb deines Systems tätigst?
Ich nehme da gerne das Beispiel von mathematischen Aussagen. Wie willst du sicher wissen, ob 124x50=6200 ist? Du rechnest nach? Das bringt kein sicheres Wissen, das wir uns schon oft genug verrechnet haben. Du benutzt einen Taschenrechner? Aber woher willst du wissen, dass dieser das richtige Ergebnis ausspuckt? Aus den bisher richtigen Ergebnissen des Taschenrechners lässt sich nicht sicher darauf schließen, dass er auch beim nächsten Mal das richtige Ergebnis ausspuckt (Induktionsproblem).
Ich behaupte, dass du selbst so einen Satz wie 1+1=2 nicht als mit Sicherheit wahr bezeichnen kannst, solange du kein sicheres Wahrheitskriterium hast. Wenn du jetzt sagst, dass 1+1=2 ist, weil es deinem Axiomensystem entspricht, dann vergisst du, dass du erst ein Wahrheitskriterium brauchst, um sagen zu können, dass eine Aussage korrekt zu deinem Axiomensystem ist. Bei so einer Aufgabe wie 1+1=2 ist es die Evidenz dieses Sachverhaltens, der uns dazu führt, zu sagen, dass die Aufgabe richtig ist. Es scheint uns unmittelbar einleuchtend, dass 1+1=2 ist und unserem Axiomensystem entspricht. Aber ist Evidenz ein sicheres Wahrheitskriterium? NEIN!
Wieviele Aussagen wurden schon als wahr erachtet, weil sie dem Verfasser besonders evident waren. Ich denke da gerne an Descartes Gottesbeweis, der ihm auch evident war. Uns hingegen ist er nicht evident. Dieses Beispiel reicht imo schon aus, um zu zeigen, dass Evidenz kein sicheres Wahrheitskriterium ist.
Bleibt die Frage, wie du mit Sicherheit beurteilen willst, ob eine Aussage korrekt zu deinem Axiomensystem ist, wenn Evidenz kein sicheres Wahrheitskriterium ist.

Ich denke, ein zentrales Problem dieser Wissensdebatte ist, dass der Begriff "Wissen" überfrachtet wird. Ihr beide scheint in "Wissen" bereits "Wahrheit" einzuschließen.

Eine Definition von Wissen, wo Wahrheit nicht enthalten ist? Damit sind nicht wir die Exoten, sondern eindeutig du. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alltägliche gebrauchte Defintion der allermeisten Menschen von Wissen nicht den Begriff der Wahrheit enthält.
Man kann natürlich die Wörter so definieren, wie man will, aber finde ich, sollte man Begriffe übernehmen, wenn sie schon mal existieren. Dein Ansatz macht auf mich den Eindruck, dass du das Problem der üblichen Defintion von Wissen erkennst und "Wissen" einfach umdefinierst, weil du das Wort so schön und bequem findest und nicht aus deiner Alltagssprache streichen willst. Dann lieber die Bedeutung eines Wortes auf den Kopf stellen, als es nicht mehr passend verwenden können. :rolleyes:

Man kann aber durchaus auch Wissen über eine falsche Aussage besitzen.

Ja klar ist theoretisch nicht ausgeschlossen, dass ich weiß, dass eine Aussage falsch ist. Dann muss aber das Wissen über die Falschheit wahr sein. So wie du hier das Wort Wissen benutzt, steckt in diesem der Begriff der Wahrheit. Das Beispiel passt somit nicht, zu der Aussage davor.

"Ich existiere" ist für mich einfach das grundlegendste aller Axiome, das sich, da ohne Alternative, die ansatzweise in der Lage wäre, eine Weltbeschreibung zu liefern, sehr gut bewährt hat.

Also würdest du nicht sagen, dass du weißt, dass du existierst, sondern nur glaubst zu existieren?

Ipsissimus
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Mo 28. Nov 2005, 01:42 - Beitrag #39

fast möchte ich meinen, Maurice, du und ich, wir teilen ein wesentliches Element unseres Empfindens hinsichtlich unseres "in die Welt geworfen seins"^^ für mein Empfinden ist die Geschichte mit Wissen und Wahrheit einem großen Stapel übereinanderliegender Kissen vergleichbar, auf dem ich ganz oben balanciere. Sonderlich bequem ist mir nicht, der Stapel schwankt und die Kissen geben immer mal wieder ein bißchen nach, eine höchst ungemütliche bewegliche Sache. Aber da meine Masse gegenüber der Massenträgheit des Stapel doch relativ gering ist, stürzt er letztlich doch nicht um.

Der Unterschied zwischen unseren Auffassungen wäre dann darin zu sehen, daß ich mich mit dem Schwanken abgefunden habe, es als zur Struktur der Wirklichkeit gehörend empfinde, nur in Annäherungen und modellhaften Analogien über sie sprechen zu können. Du scheinst mit aller Kraft nach einem Fixiermittel zu suchen - vielleicht aber auch nur nach einer Tablette, die dir den Schwindel nimmt^^


Ich behaupte, dass du selbst so einen Satz wie 1+1=2 nicht als mit Sicherheit wahr bezeichnen kannst, solange du kein sicheres Wahrheitskriterium hast.


der zitierte Satz eignet sich besonders gut, um auf ein Missverständnis hinzuweisen.

Nimm eine Kuh und noch eine Kuh und du hast zwei Kühe. Ob du "die Mächtigkeit der Menge bestehend aud einer Kuh" mit "1" abkürzt und die "Mächtigkeit der Menge, bestehend aus 2 Kühen" mit "2" ist nur Konvention. Anderes Beispiel: nimm einen ("1") Wassertropfen und lass ihn in einen zweiten ("anderen") Wassertropfen laufen. Wieviele Tropfen hast du? Richtig, einen ("1"). Zwar einen von doppelter Masse, aber wenn es nur um die Anzahl geht, ist hier 1 + 1 =1.

Will heißen: ein Satz wie 1 +1 = 2 muss nicht bewiesen werden, er ist nur eine Kurzformulierung für einen Sachverhalt, der je nach Kontext plausibel ist oder nicht.

Eine Definition von Wissen, wo Wahrheit nicht enthalten ist? Damit sind nicht wir die Exoten, sondern eindeutig du. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alltägliche gebrauchte Defintion der allermeisten Menschen von Wissen nicht den Begriff der Wahrheit enthält.


ich denke demgegenüber, daß der Wissensbegriff der allermeisten Menschen vor allem "Erfahrungswissen" umfasst, bei dem nicht die theoretische absolute Korrektheit das Kriterium für Wissen ist, sondern "Geeignetheit", Geeignetheit aufgrund der Erfahrung, daß es im Alltag "klappt". Das schließt Vorurteile und Irrtümer, die aber zu akzeptablen Ergebnissen führen, mit ein. Demgegenüber ist meiner Erfahrung nach "absolute Gewissheit" etwas, ohne das Menschen sehr gut auskommen, zumindest in ihrem praktischen Leben - Beweis: sie leben ja, und sind nicht aufgrund ihrer fehlenden absoluten Sicherheit des Wissens gestorben.

Beispiel: diese weiss-schwarzen Streifen über der Straße könnten in konkreten Einzelfällen etwas völlig anderes bedeuten, als sie üblicherweise bedeuten - es besteht keine absolute Sicherheit darüber. Trotzdem wirst auch du üblicherweise nicht erst umfassende Erkundigungen beim Straßenbauamt einholen, um dich über die Bedeutung eines bestimmten Zebrastreifen zu informieren, sondern einfach die Straße überqueren.

Maurice
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Mo 28. Nov 2005, 14:02 - Beitrag #40

@Kissen: Und was würde passieren, wenn der Stapel einstürzt?

Nimm eine Kuh und noch eine Kuh und du hast zwei Kühe. Ob du "die Mächtigkeit der Menge bestehend aud einer Kuh" mit "1" abkürzt und die "Mächtigkeit der Menge, bestehend aus 2 Kühen" mit "2" ist nur Konvention.

Dein Einwand macht gegen eine bestimmte These Sinn, aber nicht gegen meine, weil sie eine andere ist.
Zu deinen Kühen: Du sagst, dass es durch Konvention so definiert wurde, dass eine Kuh und noch eine Kuhe zusammen zwei Kühe sind. Dem stimme ich dir zu.
ABER woher willst du wissen, dass du die Regeln unserer Konventionen hier richtig angewendet hast, wenn du kein sicheres Wahrheitskriterium hast? Vielleicht hatten wir uns ursprünglich darauf geeinigt, dass wir von drei Kühen sprechen, wenn eine und noch eine Kuh zusammen kommen. Woher wollen wir in einem Augenblick wissen, dass wir die Regeln einer Konvention einhalten, die wir glauben richtig zu befolgen?
Zum anderen wissen wir auch nicht, dass wirklich nur zwei Kühe herauskommen, wenn eine und noch eine zusammen kommen, weil vielleicht eine dritte inmaterielle und für uns nicht wahrnehmbare Kuh aus dem Nichts auftaucht, wenn zwei Kühe zusammen kommen? Ja das klingt absurd und unlogisch, aber woher wollen wir wissen, dass die Welt so funktioniert, wie wir sie uns logisch vorstellen?
Wie können wir überhaupt irgendetwas mit Sicherheit sagen, wenn wir kein sicheres Wahrheitskriterium besitzen?

ich denke demgegenüber, daß der Wissensbegriff der allermeisten Menschen vor allem "Erfahrungswissen" umfasst, bei dem nicht die theoretische absolute Korrektheit das Kriterium für Wissen ist, sondern "Geeignetheit", Geeignetheit aufgrund der Erfahrung, daß es im Alltag "klappt"

Ich gehe davon aus, dass der alltägliche Wissensbegriff dem meinen entspricht. Der entscheidende Unterschied ist nur, was als sicheres Wahrheitskriterium aufgefasst wird. Während ich im Moment nichts als sicheres Wahrheitskriterium gelten lasse, fühlen sich die Menschen in ihren Meinungen schnell bestätigt, z.B. durch Sinnesdaten, die in ihren Augen zu ihrer These über die Welt passen.

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