Merkel punktet im Ausland

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maurice
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So 18. Dez 2005, 12:57 - Beitrag #1

Merkel punktet im Ausland

Es gab hier ja einige kritische Stimmen in der Vergangenheit, was Merkels politische Kompetenzen angeht, unter anderem in Bezug auf Außenpolitik.
Auf Stern.de und Spiegel.de wurde unter anderem berichtet, wie sie auf dem EU-Gipfel positiven Einfluss auf die Konkurenten Frankreich und England gehabt hat. Die Presse lobte daraufhin ihr diplomatisches Geschick.

Ich würde jetzt gerne von euch wissen, was ihr davon haltet.
Hat Merkel gleich zu beginn bewiesen, dass sie im Ausland gut ankommt oder war das nur ein Glückstreffer? Wird sie es in Zukunft besser machen als Schröder oder sollte sie doch leiber versuchen sich mehr an Frankreich zu binden, auf Kosten der Unabhängigkeit?

Lykurg
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So 18. Dez 2005, 16:08 - Beitrag #2

Die Reaktionen der ausländischen Presse im Spiegel lassen ja wenig Zweifel daran aufkommen, daß ihr Auftreten "gut ankam". Daß die Darstellungen sowohl in der Presse der Kontrahenten England und Frankreich als auch bei den 'Leidtragenden', etwa Italien, so positiv ausfallen, ist für einige SPDler vermutlich überraschend, wenn sie an ihr Gerücht von der diplomatisch unbegabten Merkel selbst zu glauben begannen. (Ich zitiere nachfolgend aus dem Spiegel-Artikel, damit es nicht im kostenpflichtigen Archiv verschwindet.)
Zitat von Figaro:Bundeskanzlerin Angela Merkel, Neuling in europäischen Kreisen, hat ihren ersten Auftritt erfolgreich genutzt. Sie erschien als diejenige, ohne die Europa einer neuen Krise nicht hätte entrinnen können, und übernahm mit Autorität die Führung des inzwischen sehr schwer lenkbaren Gespanns des 25.
Zitat von Guardian:Einen Monat nach ihrer Amtsübernahme hat Angela Merkel ihre Präsenz erstmals auf europäischer Bühne unter Beweis gesetellt, indem sie hinter den Kulissen des EU-Gipfels eine Schlüsselrolle spielte. Während Europas andere große Staaten sich unter Führungen dahinschleppen, die sich dem Ende ihrer Amtszeiten nähern, hat der Auftritt einer neuen Akteurin mit einem frischen Blick das Machtgefüge verändert. Präsident Chirac war so verstimmt wegen der Aufmerksamkeit, mit der Merkel überschüttet wurde, dass er am frühen Abend eine Pressekonferenz abhielt, um zu verdeutlichen, dass sie ihre Ideen gemeinsam vorbrachten: "Dies sind franko-deutsche Vorhaben.
Zitat von La Repubblica:Die deutsche Bundeskanzlerin hat bei ihrem ersten europäischen Gipfel mit viel Geschick die Rolle als Vermittlerin verkörpert, die es mit viel Geist verstand, den nunmehr sprichwörtlichen Groll zu besänftigen
Das Zitat aus dem "Corriere della Sera" sieht allerdings darüber hinaus, dort wird ihre Leistung ("Der Mut Angelas") knapper gewürdigt, und das Ergebnis des Gipfels durch das nur vage Zugeständnis Frankreichs als unbefriedigend bezeichnet - und ich fürchte, das ist nicht falsch (wenn auch weit besser als kein Ergebnis).

Jedenfalls sollte jedem, auch jedem Merkel-Hasser, deutlich sein, daß Schröders jovial-täppische Art der Männerfreundschaften ganz nett für deutsch-russische Peipeleien sein mochte und mag^^, auf europäischem Parkett aber nicht der einzig wahre Weg zu dauerhaften, da nicht an die Person gebundenen Lösungen ist. (Übrigens beschreiben Bekannte von Bekannten meiner Eltern, die sie persönlich kennen, sie als sehr charmante, umsichtige und schlagfertige Gesprächspartnerin.)

Der Absatz "Merkels Taktik ging auf" im Stern-Artikel ist natürlich inhaltlich nicht nur erfreulich, steht zu hoffen, daß die in letzter Minute weggefallenen EU-Strukturbeihilfen für den Osten dann aus Bundesmitteln ersetzt werden - die Geschichte wird es zeigen... :rolleyes:

janw
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Mo 19. Dez 2005, 02:01 - Beitrag #3

Das Presseecho sagt sicher etwas aus, aber man muß sich die Medien auch genau ansehen, um zu wissen, worauf das Urteil basiert.

Ich denke, das Unfähigkeits-Verdikt war sicher in der Form übertrieben, es basierte auf ihren Äußerungen zum Angriff auf den Irak und ist letztlich vor allem Ausdruck ihres persönlichen gefühlsmäßigen Verhältnisses zu usa.
Wie weit sie im innereuropäischen Konzert agieren kann, das kann sie erst jetzt zeigen, und als Newcomerin unter ansonsten teils etwas abgenutzten Regierungsschefs kann sie natürlich Aktivität demonstrieren und Bewegung in einen ansonsten schwerfälligen Karren bringen.

Daß sie Menschen "managen" kann, hat sie bereits in der Partei bewiesen, insofern ist dies hier nicht so ganz verwunderlich.
Entscheidend wird sein, welche Vorstellungen sie hat, welche Entwicklung die EU einschlagen soll.
Ist ihr Ziel, die inneren Differenzen in der EU überwienden zu helfen, um zu einem gemeinsamen Bündnis für die Menschen zu kommen, damit auch eine Profilschärfung der EU gegenüber usa,
oder soll die EU ihrer Meinung nach weiter nur der Erfüllungsgehilfe amerikanischer Interessenpolitik sein?

Schröder hat sich Russland zugewandt, und das sicher zu kritiklos.
Darauf darf jetzt nicht eine neue kritiklose Annäherung an usa folgen.

guka62
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Mo 19. Dez 2005, 12:14 - Beitrag #4

Zitat von janw:Schröder hat sich Russland zugewandt, und das sicher zu kritiklos.
Darauf darf jetzt nicht eine neue kritiklose Annäherung an usa folgen.


@janw du hast recht wir brauchen jetzt eine bundeskanzlerin die sich auf keine Seite schlägt. Sie muß mit allen zusammen arbeiten. Sie ist eine Frau die kühl alles analysiert. Typisch Naturwissenschaftler.

Ipsissimus
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Mo 19. Dez 2005, 13:27 - Beitrag #5

auf europäischem Parkett aber nicht der einzig wahre Weg zu dauerhaften, da nicht an die Person gebundenen Lösungen ist
eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und von einer Lösung sind wir weit entfernt^^

Maglor
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Mo 19. Dez 2005, 15:33 - Beitrag #6

Noch ist Frau Merkel die Neue und hat wohl noch keinen Grund gehabt das böse Gesicht des Machtspielers zu zeigen. ;)
MfG Maglor

guka62
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Mo 19. Dez 2005, 15:43 - Beitrag #7

[quote="Maglor"]Noch ist Frau Merkel die Neue und hat wohl noch keinen Grund gehabt das böse Gesicht des Machtspielers zu zeigen. ]

Aber sie hat das ausdauernde Gesicht gezeigt.

Lykurg
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Mo 19. Dez 2005, 16:53 - Beitrag #8

Aber sie hat das ausdauernde Gesicht gezeigt.
Hmm, ist das jetzt böse? Vielleicht "ausdauernd" im Sinne von "stur, unbelehrbar, dogmatisch"?

Angela Merkel, die Bundeskanzlerin mit den zwei Gesichtern...

Bild

Visionen muß ein Politiker ja haben - aber Gesichte? Hat sie das Zweite Gesicht? Oder den bösen Blick? Vielleicht hat sie Blair und Chirac hypnotisiert?

(/spam)^^

Ipsissimus, ja, das sehe ich auch so, aber in diesem Satz klingt das nicht genügend an. (Ich will mich ab jetzt bemühen, daß jeder Satz für sich stehen kann.^^)

guka62
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Mo 19. Dez 2005, 17:50 - Beitrag #9

Hmm, ist das jetzt böse? Vielleicht "ausdauernd" im Sinne von "stur, unbelehrbar, dogmatisch"?


Angela Merkel, die Bundeskanzlerin mit den zwei Gesichtern...


@ Lykurg Das haben fast alle Politiker. Kennst du einen der keine zwei Gesichter hat.

Maglor
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Mo 19. Dez 2005, 19:26 - Beitrag #10

Die zwei Gesichter der Angela Merkel:
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Traitor
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Mo 26. Dez 2005, 18:59 - Beitrag #11

Nun gibt es ja neues zum Thema... nach den Presseberichten der letzten Tage bedeutet der ach so tolle Kompromiss für Deutschland 2 Milliarden € Nettoverlust.
Böswillig könnte man jetzt sagen "typisch Frau, Hauptsache einen Kompromiss gefunden, egal, wie der dann aussieht". Das wäre dann aber wohl doch übertrieben, schließlich ist ein schlechter Kompromiss durchaus noch besser als totale Blockade.
Es zeigt aber eindeutig, dass man euphorischen Berichten nicht sofort vertrauen sollte - oder besser gesagt, keine euphorischen Berichte schreiben, bevor das Ergebnis wirklich bekanntgegeben wird.

Dass Merkel eine recht gute Gipfeldiplomatin ist, kann ich mir durchaus vorstellen - diese Aufgabe hat ja einige Parallelen zum innerparteilichen Machtkampf. Die Kritik an ihrer Außenpolitik bezieht sich aber eher auf die Fähigkeit, eine ordentliche Leitlinie zu entwickeln. Schröder und Fischer standen für eine klar definierte Außenpolitik und einen bestimmten Platz Deutschlands in der Welt - ob Merkel und Steinmeier derartiges aufstellen und durchsetzen können, bleibt abzuwarten, und wenn, dann traue ich es eher letzterem zu.

janw
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Mo 26. Dez 2005, 19:31 - Beitrag #12

Ja, man könnte sagen: Wenn Fischer ein solches Ergebnis erzielt hätte, hätten die Konservativen im Lande vom Verrat deutscher Interessen gesprochen, sie hätten gesagt, daß Deutschland nicht immer weiter als Zahlmeister für Europa dienen könne.

Merkel hat eigentlich nur bewiesen, daß Streitende fast immer mit Geld zu besänftigen sind, und hierfür erfolgreich Geld eingesetzt.
Man darf gespannt sein, wie sie damit umgehen wird, daß diese Wirkung des Geldes im allgemeinen schnell verpufft, daß zu allem Überfluß dieselbe Summe meist nur einmal reicht zum selben Zweck.

Wenn sie dies nicht erkennt und neue Wege findet, dann steht die deutsche Außenpolitik da, wo sie mit Kohl und Genscher schon einmal war.
Scheckbuch-Diplomatie, das ist kein Modell für die Zukunft.

Marc Effendi
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Fr 30. Dez 2005, 19:30 - Beitrag #13

Das Problem dürfte aber eher dann das sein, das man mit Geld Streithähne besänftigen kann, in der Vergangenheit durchaus funktioniert hat, ganz besonders bei ihrem Lehrmeister Kohl, wie von Dir, Jan, ja schon erwähnt. Nur ist irgendwann auch mal ein Punkt erreicht, andem aus Gesundschrumpfen ein Kaputtsparen wird. Sobald man solche Ausgaben wie auf dem Gipfel nun durch kaputtsparen erreichen muß, kann und will ich das nicht gutheißen.

Das bedeutet, das sie jetzt außenpolitisch Lob eingeheimst hat (wen wunderts bei solchen Geschenken), innenpolitisch wird sie bei weiteren solchen Aktionen schwer Schläge einstecken dürfen....

janw
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Fr 30. Dez 2005, 20:27 - Beitrag #14

Gutheißen, nein, das kann und will ich es nicht - sollte es sich so angehört haben, war es nicht so gemeint.

Der Geldeinatz war nur insofern "erfolgreich", als er den europäischen Dissens geklärt hat für den Moment. Daß er für Deutschland eine erhebliche und - und das ist problematisch - alleinige Geldausgabe bedeutet, entwertet die Sache. Denn damit sind ganz erhebliche Zuwendungsverluste verbunden, die bemnachteiligten Regionen und Gruppen zugute gekommen wären. Der ländliche Raum wird wieder einmal abgezockt.

Letztlich steht auch Europa da, wo es vorher war. Die wirklichen Probleme, wie z.B. ein durch nichts zu rechtfertigender Beitragsrabatt für einen Staat sind wieder einmal aufgeschoben.


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