Kulturelle und nationale Entfremdung und Verwandlung

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Maglor
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Mo 2. Jan 2006, 17:42 - Beitrag #1

Kulturelle und nationale Entfremdung und Verwandlung

Da man ja nun mit immer neuen Details der Person Susanne Osthoff bombardiert wird, kam mir einer interessanter Aspekt in den Sinn.
Susanne Osthoff ist offenbar eine Art Möchtegernirakerin. (So jetzt habe ich erst einmal einen Begriff geprägt!) :cool:
Sprich sie wird in Deutschland geboren, streicht aber das "Deutsche" ab. Studiert unentwegt Geschichte, Kultur und Religion des Orients. Heiratet schließlich einen Iraker, um immer irakischer zu werden. Dass dies ihre Anpassung nicht ein Zwang der Ehe ist, beweist, dass sie ihr Irakertum auch nach der Scheidung fortsetzt.
Immer wieder tauchen solch verwirrte Menschen auf, die wünschen einem anderen Volk oder einer anderen Kultur anzugehören. Bezeichnenderweise gehören nicht wenige zur sogenannten Jihad-Bewegung. Man denke nur an John Walker Lindh "den amerikanischen Taliban" oder den ebenfalls dem militanten Islam zugehörigen "Schuhbomber" Reidh, der seine jamaikanische Herkunft gegen eine orientalische Fassade eintauschte.
Oder ganz pazifistisch, der Sänger Yusuf Islam, bekannt durch Morning has broken.
Dies scheint im 20. Jahrhundert recht häufig vorzukommen, man denke nur an die Indien-Euphorie der 70er.
Derzeitige Marktführer sind wohl die USA, Schottland, Irland und Japan.
Immer wieder tauchen solche Verwirrungen auf. Ansatzpunkt sind meist Musik, Esoterik sowie die filmische Verklärung.
Tja, was soll man dazu sagen: Armes Deutschland?

MfG Maglor

Windsbraut
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Mo 2. Jan 2006, 18:01 - Beitrag #2

Basierend auf den paar Brocken, die über Frau Osthoff bekannt sind, würde ich nicht so ein harsches Urteil fällen. Vielleicht liebt sie einfach nur Land und Leute? Oder sie ist fasziniert von der Historie?

Mich würde man wohl nicht als radikal bezeichnen, nur weil ich mich in England sauwohl fühle und - könnte ich es mir leisten - am liebsten jeden Urlaub dort verbrächte.

Du sagst "armes Deutschland", aber deine Beispiele weisen doch schon darauf hin, dass sich Menschen aus allen möglichen Ländern von fremden Kulturen angezogen fühlen. Dem Islam beizutreten und im Irak zu leben ist nicht zwangsläufig fanatischer als vom Buddhismus fasziniert zu sein und nach Indien auszuwandern.

Aydee
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Mo 2. Jan 2006, 18:01 - Beitrag #3

Tja, was soll man dazu sagen

Selbstfindung?
Freier Wille?

Jeder/m sein Himmelreich...?
(alternativ: seine Hölle ;-))

Gilt ja irgendwo wohl auch für die die sich nicht "entfremden" möchten.....

Maglor
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Mo 2. Jan 2006, 18:12 - Beitrag #4

Dass Interessante oder Merkwürdige scheint ja zu sein, dass es eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen (vornehmlich im christlichen Abendland) gibt, die sich in der "Fremde" eher zu Hause fühlen als in der "Heimat".
Derartiges findet sich immer wieder auch in großen Bewegungen wie den Black Muslims oder Rastafariern in Amerika oder aber auch in japanvernarrten Jugendzirkeln der heutigen Bundesrepublik.
MfG Maglor

Ipsissimus
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Di 3. Jan 2006, 00:46 - Beitrag #5

vielleicht besteht der Fehler darin, Maglor, daß du zu selbstverständlich, oder überhaupt selbstverständlich voraussetzt, daß Heimatverbundenheit und dergleichen ein Wert aller Menschen sei?

Mir ist Deutschland - wie jede andere Nation - als Nation so gleichgültig wie nur irgendwas gleichgültig sein kann; und um mich hier heimisch zu fühlen, hätte s einer anderen lebensgeschichte bedurft.

Und ob diese Menschen, die versuchen, sich an andere Kulturen zu adaptieren, tatsächlich verwirrt sind, oder nur einfach diejenigen sind, die klar sehen, bleibt auch offen. Aus einer suggestiven Unterstellung wird noch lange kein Fakt^^

Lykurg
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Di 3. Jan 2006, 01:49 - Beitrag #6

Naja, ich sehe doch einen erheblichen Unterschied dazwischen, ob jemand


  • sich soziokulturell vollständig an sein Gastland anpaßt;
  • Traditionen seiner Heimat im Ausland weiterführt (Rastafarian; Oktoberfest in Florianópolis und Windhoek, etc.) oder
  • "zuhause" ihm und seiner Umgebung fremde kulturelle Attribute annimmt (Japan-Kult).
Ersteres kann eindeutig nicht jeder, und auch nicht jeder nachvollziehen. Ich finde es sehr anerkennenswert; und wenn derjenige in der Lage ist, beide Lebensweisen zu verinnerlichen und auf beide Seiten zu vermitteln, ein kleines Stück Völkerverständigung. Das zweite wirkt spätestens in der dritten Generation gezwungen, künstlich, krankhaft, ist aber möglicherweise für eine solche Gruppierung ein Lebensmittelpunkt, sinngebend und durch Förderung des Zusammenhalts für sie nützlich. Die beiden Kritikansätze am zweiten Punkte gelten auch für den dritten, allerdings zeitlich gesehen umgekehrt: die Übernahme, die zuerst ein Spleen einer kleinen Gruppe ist, breitet sich aus, wird allgemein vertraut, verschwimmt mit dem Mainstream, weil beide sich aufeinander zubewegen.

Ipsissimus
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Di 3. Jan 2006, 10:51 - Beitrag #7

es ist mir keineswegs klar, Lykurg, daß damit der Sache Gerechtigkeit widerfährt^^ aus einer sehr konservativen bürgerlichen Sicht der Dinge mag es so sein, daß mit der "Heimat" der feste kulturelle und soziale Bezugsrahmen markiert ist, auf den ein Mensch sich auch noch in der Negation bezieht; sofern das ebi einem Menschen der Fall ist, sehe ich kein wirkliches Problem, weil dann die Adaption fremden Kulturgutes eh immer nur eine oberflächliche bleibt. Für Menschen wie ich, die aufgrund ihrer Lebensumstände an keinem Ort jemals das Gefühl hatten, "zuhause" zu sein, die nirgendwo Heimatgefühle herausgebildet haben, wirkt die Rekurrenz auf einen derartigen Bezugsrahmen bestenfalls fraglich, meistens fanatisch. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, das Mosaik meiner Welt mit den Fragmenten vieler Kulturen zusammenzusetzen, auch wenn im Rahmen einer stilistischen Klärung^^ mittlerweile nur noch ganz bestimmte Kulturen in Frage kommen

Windsbraut
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Di 3. Jan 2006, 11:16 - Beitrag #8

Die Frage ist doch: Sprechen wir überhaupt von fremder "Kultur", die übernommen wird, oder nicht vielmehr lediglich von Folklore?

Bei den Deutschstämmigen im Ausland, die Lykurg beschreibt, geht's mit Tänzen und Trachten wohl eher um Folklore. Das finde ich vielleicht seltsam, aber nicht "krankhaft". ;)

Wenn ich mich kleide wie jemand aus einem anderen Kulturkreis (incl. Mendhis u.ä.) und deren Musik höre, dann fällt das für mich ebenfalls eher unter Folklore. Das Beschäftigen mit der fremden Kultur erfordert schon etwas mehr Gehirnschmalz, als die meisten Freizeitfreaks aufzubringen bereit sein dürften.

Wenn - wie bei Lykurk unter 3. beschrieben - irgendwann die aus anderen Ländern übernommenen Dinge in die eigene "Kultur" einfließen, dann ist das IMHO ein natürlicher und seit jeher stattfindender Prozess, der eine Gesellschaft sicher auch bereichert.

Bei dem eingangs von Maglor erwähnten Fall (Osthoff) dürfte es sich hingegen eher um eine Frau handeln, die tatsächlich von der Kultur des Landes fasziniert ist. Und wie ich schon schrieb: Für eine Historikerin (oder Archäologin) ist der Irak ein wahres Wunderland. Ich kann das sogar bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen.

Lykurg
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Di 3. Jan 2006, 12:20 - Beitrag #9

Im Prinzip geht es euch ja um dieselbe Frage, inwieweit diese äußerlichen Erscheinungen tatsächlich auch das Wesen betreffen. Windsbraut, deiner Kategorisierung als Folklore stimme ich zwar zu, sehe Folklore aber als wesentlichen Bestandteil von kultureller Identität jedenfalls vergangener Zeiten (ob zugleich auch, uns als Selbstverständlichkeit nicht wahrnehmbar, für die Gegenwart gültig, sei dahingestellt). Was wäre denn das Wesen der Kultur, wenn nicht eine Summe von Einzelaspekten aus den Bereichen der Sprache, Verhaltensregeln, Dresscode, gemeinsame Werte, medialer Minimalkonsens (Literatur, Musik, Schauspiel, bildende Kunst), ... ?

Ipsissimus, daß diese Sicht von einem äußerst bürgerlichen Kulturverständnis geprägt ist, läßt sich wohl nicht negieren.^^ Dennoch ist die von dir angeführte Zusammensetzung der Welt aus einem Mosaik der kulturellen Versatzstücke auch für mich eine ganz elementare Grundlage unserer Zeit, in allen Lebensbereichen wirksam und, wie von Windsbraut bemerkt, in meiner Bewertung des dritten Punktes auch schon angeschnitten. Die "Bereicherung" sehe ich wie du teilweise auch als solche.^^ ("Die beiden Kritikansätze" bezieht sich auf die von mir nachträglich entfernte Überlegung, daß die freiwillige Ausgrenzung natürlich auch ein Kommunikations- und Aufstiegshemmnis darstellen kann.)

Windsbraut
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Di 3. Jan 2006, 12:52 - Beitrag #10

Lykurg:
Was wäre denn das Wesen der Kultur, wenn nicht eine Summe von Einzelaspekten aus den Bereichen der Sprache, Verhaltensregeln, Dresscode, gemeinsame Werte, medialer Minimalkonsens (Literatur, Musik, Schauspiel, bildende Kunst), ... ?


Ich glaube, dass es schon einen gewaltigen Unterschied zwischen Folklore und Kultur gibt, auch wenn Folklore vielleicht - wie du sagtest - einen Teil der Kultur darstellt. Folklore ist nach meinem Empfinden eher etwas aus Äußerlichkeiten bestehendes, vielleicht auch etwas Sentimentales. Kultur hingegen bedeutet für mich Historie, geistige wie künstlerische. Kultur wie wir sie in dieser Diskussion meinen, also auf Nationalitäten bezogen, ist immer etwas über Jahrhunderte gewachsenes. Folklore hingegen ist wie ein Schnappschuss aus einer Epoche, eine Abbildung ohne Tiefe.
Aber das ist vielleicht eine sehr persönliche Definition der beiden Begriffe, für die ich wohl keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann.

Wenn Jungendliche auf Mangas, Animes und J-Rock stehen, haben sie dann wirklich japanische Kultur angenommen?

Aydee
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Di 3. Jan 2006, 12:57 - Beitrag #11

OT. ich würde gerade Folklore nicht als "ohne Tiefe" sehen wollen, weil eben sie durch die Menschen, die sie tragen und leben, geprägt wird. Dem gegenüber erscheint mir eher dieses "Kultur" als das im Grunde doch unpersönlichere, und - in Bezug auf Menschen gesehen - oberflächlicher..... übergestülpt ;-)





Wenn Jungendliche auf Mangas, Animes und J-Rock stehen, haben sie dann wirklich japanische Kultur angenommen?

mmhh... Weniger die Kultur, sondern eher den Geist, das Denken, Empfinden, welches dahinter steht.... so irgendwie :-) und vielleicht sogar unbewusst.

Maglor
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Di 3. Jan 2006, 16:21 - Beitrag #12

Tatsächlich bezog ich mich ganz konkret auf solche Personen, die in ihrer Heimat eine konkrete Kultur übernehmen. Der kindliche Japan-Kult ist auch gar nicht mal so weitgehend.
Es ist ja schön ung gut, wenn einer von fremden Länder und fremden Sitten fasziniert ist. Dass Susanne Osthoff sich für die Archäologie der Mittleren Ostens interessiert, ist ja schon und gut, aber noch längst kein Grund in den Irak zu ziehen, arabisch zu lernen, zu konvertieren und sich arabisch zu kleiden.
Ich rede vor allem über diese ganzheitliche Verwandlung und die ist es, die ich äußerst wunderlich finde.
Eine Verwandlung die nicht bei Musik und Literatur bleibt, sondern auch auf Religion, Sprache, Küche usw übergeht. Sie endet wohl bei der Namensänderung und beim Umzug.
Tja, zum Glück lief gestern der "Lwarence von Arabien" in voller Länge auf Arte. Und Herr Lawrence meinte dannn plötzlich, mit Vereis auf seine käseweiße, englisch Haut, nie ein Araber sein zu können, so sehr er auch wolle. Und dann war da noch irgendetwas von, man muss ja nicht alles wollen, was man möchte.

MfG Maglor

Aydee
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Di 3. Jan 2006, 16:39 - Beitrag #13

Zitat von Maglor:Es ist ja schön ung gut, wenn einer von fremden Länder und fremden Sitten fasziniert ist. Dass Susanne Osthoff sich für die Archäologie der Mittleren Ostens interessiert, ist ja schon und gut, aber noch längst kein Grund in den Irak zu ziehen, arabisch zu lernen, zu konvertieren und sich arabisch zu kleiden.

nun ja... für sie scheinbar schon ;-)

Bin ja mal gespannt was du sagst, sollte es dich hierin auch eines Tages "erwischen" ;-)

Vielleicht ist es wie..... ein Zuhause finden....

Windsbraut
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Di 3. Jan 2006, 16:41 - Beitrag #14

Nun ist es aber doch so, dass man sich nicht aussuchen kann, in welchen Kulturkreis man hineingeboren wird. Und manche Menschen scheinen sich woanders einfach zugehöriger zu fühlen. Sie finden vielleicht in einem anderen Land etwas, das sie zu Hause immer vermisst haben.

Und so, wie sich manche Menschen extrem an einen Partner anpassen, in den sie verliebt sind, so passen sich manche Menschen eben völlig dem Land an, in das sie sich verliebt haben.

Das mag durchaus "wunderlich" erscheinen, aber für diese Leute ist es vielleicht erst das wahre Nachhausekommen.

_____
EDIT: Da war Aydee schneller. :)

Maglor
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Di 3. Jan 2006, 18:16 - Beitrag #15

Gibt es also ein richtiges Leben im falschen?
Bild
Werden solche US-Amerikaner nicht für alle Zeiten und aller Orten Spinner und Toren bleiben?
"John Walker was born in Washington, D.C., to parents Marilyn Walker and Frank Lindh. He was baptized Catholic and grew up in Silver Spring, Maryland, until he was ten years old and his family moved to San Anselmo, California, in Marin County. In 1997, at age 16, Walker converted to Islam. In 1998, he traveled to Yemen for about ten months, to learn Arabic so that he would be able to read the Qur'an in its original language. He returned to the United States in 1999, living with his family for about eight months before returning to Yemen in February 2000, whence he left for Pakistan to study at an austere madrassa (Islamic school). He is believed to have entered Afghanistan in the spring of 2001."
MfG Maglor

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Mi 4. Jan 2006, 01:51 - Beitrag #16

Es gibt vor allem keine reinrassigen Amerikaner. :D ;)


Ich bin zwar jemand, der normalerweise sehr viel von Übung und Arbeit an sich selbst hält, und wenig von sogenannten Talenten oder angeborenen Fähigkeiten, von Mentalität, etc. Trotzdem komme ich nicht umhin, zu akzeptieren, dass es solche Anlagen gibt.

Worauf ich hinaus will, ist, dass diese Anlagen bei manchen Menschen konträr zu den Werten, zu der Kultur, zu der Gesellschaft stehen. Sie haben, wenn sie diese Eigenschaften pflegen und kultivieren keine andere Wahl, als sich immer mehr von dem zu entfremden, in das sie hineingeboren wurden.

Diese Eigenschaften können im Kindesalter harmlos und wenig ausgeprägt sein und durch Schlüsselerlebnisse oder/und durch länger andauernde Erfahrungen verstärkt werden. Da jeder Mensch unterschiedlichsten Einflüssen unterliegt, im Laufe eines Lebens, gibt es auch unterschiedlichste Ausprägungen dieser Entfremdung oder Abspaltung von der Heimatkultur. Ich glaube, dass in jedem Menschen bestimmte Keime schlummern, die erst später erkannt und offensichtlich werden. Es kann natürlich auch passieren, dass diese Keime niemals zu etwas heranwachsen, weil sie nie erkannt werden. Das hängt von der Stärke des Keims ab, von der Stärke des Talentes, des Potenziales, und wie das Umfeld auf diese Eigenschaften reagiert.

Das muß nicht unbedingt so stark zum Tragen kommen, wie im Fall John Walker. So etwas fängt schon damit an, wohin Menschen gerne in Urlaub fahren, wo sie gerne wohnen oder wohnen würden. Das sind, wenn es eindeutig in eine Richtung geht, Anzeichen dafür, wie sehr man sich mit dem Umfeld identifiziert und wie sehr man es nicht tut.

Lebt man gerne in einem Landhaus an Cornwalls Küste, und bejaht viele Teile der englischen Kultur, so sagt das doch einiges über eine Person aus. Natürlich ist die Anpassung und Liebe zu einer anderen Kultur zwar ein großer Teil eines Menschen, trotzdem ist das noch längst nicht alles.

Mir selbst gefällt zum Beispiel Wales besser als England, u.a. weil es rauher und urwüchsiger ist. Mit den Menschen dort bin sehr oft sofort auf einer Wellenlänge. Das hängt z.T. auch mit dem ruhigen Landleben zusammen, denn hierzulande komme ich mit den meist freundlicheren Menschen auf dem Land größtenteils besser klar. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Der andere Punkt ist natürlich die große Suche nach einer Identität. Es gibt genügend Menschen, die sich einer kulturellen Identität nicht bewußt sind und es kommt mir so vor, als wenn es garantiert nicht weniger werden würden. Auf Deutschland bezogen ist das zudem immer noch ein heikles Thema. Obwohl auch behauptet wird, dass gerade der Mangel an nationaler Identität den Despoten Tür und Tor öffnet. Die Frage ist: Wie viel und wie wenig ist gesund?

Ipsissimus
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Mi 4. Jan 2006, 12:55 - Beitrag #17

Tja, zum Glück lief gestern der "Lwarence von Arabien" in voller Länge auf Arte. Und Herr Lawrence meinte dannn plötzlich, mit Vereis auf seine käseweiße, englisch Haut, nie ein Araber sein zu können, so sehr er auch wolle. Und dann war da noch irgendetwas von, man muss ja nicht alles wollen, was man möchte.
na ja, käseweise Haut war Teil des englischen Snobismus der Oberklasse; ich glaube nicht, daß mit der Meinung des Herren Lawrence diese Sache schon entschieden ist^^ übrigens vertrat Sir Richard Francis Burton, dem ersten Europäer, dem es gelang, als Araber verkleidet die Kaaba zu sehen, hinsichtlich des Wertes diese weißen Haut eine etwas pragmatischere Auffassung^^

Maglor
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Mi 4. Jan 2006, 15:23 - Beitrag #18

Mit käseweißer Haut ist hier keineswegs der Wert sondern allein die Farbe gemeint. ;)
Die Idee, die dahinter steckt, ist, dass Lawrence, so arabisch er sich auch gebe, immer ein verkleideter Engländer bleibt.
Was dem Eingeborenen die Tracht, ist dem Fremden stets eine Maske. So gut er sich auf aufsetzt und so fest sie auch sitzt, es bleibt eine Maske. Im Grunde schmückt man sich mit fremden Federn.
Der Japaner in Tiroler Hut und Lederhose wird, so gut er auch jodelt und schuhplattlert, nie Bayer sein.
Im Grund ist auch ein Stück weit Naivität dahinter, ein romantisches Bild einer Nation. So meint etwa ein Beduine zu Lawrence, es sei doch töricht die Wüste zu lieben, die Beduinen lieben die blühenden Gärten.
Im Grunde hat man Menschen vor sich, die versuchen 150-prozentig jemand anders zu sein.

MfG Maglor

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Mi 4. Jan 2006, 16:18 - Beitrag #19

imo Nein, Maglor. Und zwar ein entschiedenes.
All deine Beispiele zeigen nur was Menschen über andere Menschen denken und wie 'wir' uns beständig in irgendwelche Schubladen stecken und kaum mehr jemandem die Chance lassen, aus so einem Ding je wieder rauszukommen.

Warum sollte ein Mensch, der zufällig in Japan geboren wurde, dessen Vorfahren zufällig dort geboren wurden, der in Bayern seine Heimat gefunden hat.... warum sollte ein solches Mensch niemals Bayer sein können....?
Antwort?
imo weil es nicht gestattet, akzeptabel ist. Die "Maske" wird einem solchen Menschen von denen übergestülpt, welche glauben etwas besseres zu sein (und scheinbar jene benötigen, die nicht dazugehören, dazugehören können, weil... weil... weil.... weil.... Gründe gibt es derer viele... wenn man welche finden möchte....)

C.G.B. Spender
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Do 5. Jan 2006, 11:55 - Beitrag #20

Ob jemand sich nur eine Maske aufsetzt, oder ob sich diese Person innerlich wirklich zu einer bestimmten Mentalität hingezogen fühlt, ist sicher von Fall zu Fall unterschiedlich. Es kann auch vorkommen, dass jemand meint, es wäre eine Maske, die nicht dem inneren Selbst entspricht. Nur um später paradoxerweise festzustellen, dass eigentlich das bisherige Leben ebenfalls eine Maske verlangte und diese weitaus weniger mit dem wahren Selbst zu tun hatte, als die neue.

Man kann sie Masken nennen oder Rollen. Die Menschen spielen sich doch ständig etwas vor. Manchmal mehr, manchmal weniger. Überhaupt muß man zu einem gewissen Grad Schauspieler sein, um in der Gesellschaft zu bestehen. Damit will ich keineswegs sagen, dass das wahre Ich von der Rolle ständig hundertprozentig abweicht. Häufig sind es nur kleine Abweichungen.

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