Kinder und Tabletten...

Das Forum für allgemeine Diskussionen! Alle Themen, die nicht in andere Bereiche passen, können hier diskutiert werden.
Jatrix
Active Member
Active Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 182
Registriert: 11.07.2004
Fr 20. Jan 2006, 15:24 - Beitrag #1

Kinder und Tabletten...

Letzens hat mir mein kleiner Bruder von einem Gespräch zwischen zwei seiner Klassenkameraden erzählt, welches ich echt schon schockierend fand.
Kind1 ist in der Schule (3. Klasse) ganz gut, bekommt aber Tabletten für bessere Konzentrationsfähigkeit. Kind2 ist nicht so gut in der Schule (scheint zu Hause bei schlechten Noten auch Ärger zu bekommen).

Kind1: "Ich hab ne 2+ in Mathe bekommen, was hast du?"
Kind2: "Nur ne 3-, das wird Ärger geben. Kannst du mir nicht vor der nächsten
Arbeit ein paar Tabletten abgeben, ich will auch gute Noten schreiben."

Und das ist (zumindest in dieser Klasse) auch kein Einzelfall, meinem Bruder z.B. musste ich lange erklären, warum ich es nicht gut finde versuchsweise irgendwelche Tabletten zu nehmen. Dies scheint in seiner Klasse aber schon fast normal zu sein, denn 5 von 16 Kindern haben verschiedene Varianten dieser Tabletten verschrieben bekommen.

Wie ihr seht beschränken sich meine Erfahrungen zu diesem Thema nur auf die Grundschulklasse meines Bruders und daher würde ich gerne mal wissen ob das jetzt eine unrühmliche Ausnahme oder schon ein Normalfall ist. Habt ihr da schon irgendwas in der Richtung mitbekommen?

Ich kritisiere hiermit nicht jeden Fall in dem ein Kind bestimmte Tabletten verschrieben bekommt, in manchen Fällen hat das wohl auch seinen Sinn, ich finde eher das Bild bedenklich das Kinder von solchen teilweise wirklich starken Medikamenten vermittelt bekommen.

Anaeyon
VIP Member
VIP Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1287
Registriert: 03.08.2004
Fr 20. Jan 2006, 15:38 - Beitrag #2

Wenn es um Konzentrationsprobleme geht könnte es Ritalin sein, und soweit ich weis ist Ritalin nicht besonders gefährlich, auch wenn das Kind nicht im geringsten ADS hat.

Die Einstellung der Kinder ist viel bedenklicher, die sagen in der dritten Klasse schon nicht nur nicht nein, sondern fragen sogar direkt nach "irgendwelchen Tabletten"? Hui..da muss mal ein bisschen der Zeigefinger geschwungen werden Bild

Da-Fe
Good Member
Good Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 425
Registriert: 23.04.2004
Fr 20. Jan 2006, 15:39 - Beitrag #3

Dieses Bild, welches Kinder somit von Tabletten kommen ist wirklich bedenklich :boah:

Also ich persönlich habe bis jetzt nur mitgekriegt, dass Eltern ihren Kindern gegen die Aufregung diese wundervollen Globuli verpassen... zu deren Wirkungsweise ich mich ja inzwischen oftgenug geäußert habe :rolleyes: Meiner Ansicht nach, sollte man Kinder (sofern sie nicht wirklich "gestört" sind) nicht medikamentös gegen Aufregung behandeln. Man kann ihnen versuchen zu helfen sich besser konzentrieren zu können (das tue ich oft mit meiner Nachhilfeschülerin). Aber nicht per Tablette! Das schafft doch eine schwierig wieder rückgängig zu machende psychische Abhängigkeit... außerdem, wie soll ein solches Kind ein Erfolgserlebnis haben?

Die Entstehung des Bildes im Kopf der Kinder Tablette = Gute Note, Tablette = besseres Kind muss auf jeden Fall unterbunden werden.

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Fr 20. Jan 2006, 16:48 - Beitrag #4

Ritalin ist kein Medikament, das man einfach "nur so" einnehmen sollte. Es hat ähnliche Auswirkungen auf das Gehirn wie Kokain, weshalb es streng genommen unter das Betäubungsmittelgesetz fallen müsste. Es gibt durchaus schon Leute, die das Zeug kleinstampfen, verflüssigen und spritzen.
Das Zappelphillip-Syndrom gibt es erst sein ein paar Jahren. Eine befreundete Kinderpsychotherapeutin, die in der Diagnostik arbeitet, regt sich oft und gern darüber auf, wie leichtfertig das Zeug verschrieben wird. Dabei sind die Kinder häufig nur körperlich unterfordert! Lebhafte und fordernde Kinder geraten inzwischen schnell in den Ruf, eine behandelbare Störung zu haben. Natürlich gibt es auch Kinder, die tatsächlich einer Behandlung bedürfen, doch die dürften nicht mehr als früher sein, bevor ADS und AHDS "erfunden" wurden.

Der Trend geht halt immer mehr zum stromlinienförmigen, funktionierenden Menschen. Und da bringt man am besten schon die Kleinen auf die entsprechende Schiene.

Kinder und Tabletten? Da, wo es wirklich nötig ist. Aber auch nur da.

Anaeyon
VIP Member
VIP Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1287
Registriert: 03.08.2004
Fr 20. Jan 2006, 17:02 - Beitrag #5

Feuerkopf, das alles ist mir durchaus bewusst, und ich hasse diese Holzhammermethode gegen alles was nicht 100% normal ist. Und ich bin auch gegen Tabletten und für natürliche Heilmethoden/was auch immer von Nöten ist.

Aber: Es könnte schlimmeres geben, als einmal ne Pille Ritalin vor ner Arbeit. Also schlimmere Pillen Bild

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Fr 20. Jan 2006, 21:54 - Beitrag #6

STOPP! :boah:

AD(H)S, das Aufmerksamkeitsdefizit - Syndrom (mit oder ohne Hyperaktivität) gibt es schon immer. Wer kennt nicht die "Kindergeschichten" vom Zappelphillip, Hans-guck-in-die-Luft, den Meine-Suppe-Ess-ich-nicht-Kasper? Der Autor war Kinderarzt. Im 19. Jahrhundert. Er beschreibt ADS - Kinder, ohne das es damals dafür schon ein Wort dafür gab.

ADS entsteht durch eine Neurotransmitterstörung im Gehirn. Von zentraler Bedeutung ist Serotonin, das auch bei Depressionen eine Rolle spielt, aber auch andere Botenstoffe. Es gibt zwei grundsätzliche Reaktionsweisen:
Der Mensch reagiert durch Hyperaktivität. Das sind kleine Kinder, die in 2 Sekunden einen kompletten Raum zerlegen können, unmotiviert schreien, unangepasst in einer Gruppe rumrandalieren. Das sind Schulkinder, die keine zwei Sekunden auf ihrem Stuhl stillsitzen können, trotz guter, überdurchschnittlicher oder sogar genialer Begabung miese Schulnoten haben. Ihr Gehirn filtert unwichtige Reize nicht raus. Das Piepsen eines 50 Meter entfernten Vogels ist genauso bedeutsam wie eine Feuerwehrsirene, die Wahrnehmung aller fünf Sinne ist immens erhöht. Das sind später Jugendliche, die ständig Risiken eingehen, gefährliche Sportarten betreiben. Erwachsene, die häufig ihre Partner, den Job wechseln, gerne in die Selbstständigkeit gehen, 230 km/h auf der Autobahn runterspulen und dabei ihrem Gesprächspartner am Handy von den Kühen erzählen können, die sie gerade überholt haben, sich auf den höchsten Bergen, der heißesten Wüste und sonstigen Anforderungen am wohlsten fühlen.
Zweite Reaktionsweise: Der verträumte hypoaktive Typ, der Luftgucker eben. Fällt wesentlich weniger auf.
Es gibt alle Schattierungen dazwischen. 25% aller Menschen sind betroffen. Die meisten merken es nicht, weil es so leicht ist, dass kein Leidensdruck entsteht und deshalb auch kein Handlungsbedarf besteht.

Zur Therapie.
Ritalin ist ein Psychopharmaka, keine Smarties, die "nix schaden". Um genau zu sein: im Gehirn eines Nicht - ADSlers würde es die gleiche Wirkung wie 40.000 Kaffee hervorrufen. Es ist ein Aufputschmittel, das auch bei Narkolepsie (Schlafkrankheit) eingesetzt wird. Ein nicht Erkrankter, der die Tabletten nimmt, könnte gezielt Müdigkeit verhindern und dadurch länger arbeiten. Aber sich nicht besser konzentrieren. Nebenwirkungen wären extreme Unruhe, Zittrigkeit, Muskelkrämpfe und einiges mehr.
Ein ADSler wird unter Ritalin hingegen entweder ruhig (Hyperaktiver) oder endlich wach (Hypoaktiver).
Es wird zu häufig verschrieben. Ohne vernünftige Diagnostik, das stimmt. Es wird gerne gegeben, auch wenn bei den Kindern kein echter Handlungsbedarf besteht, sondern Erziehungs-, Verhaltens- und Psychotherapie angesagt wären. Aber es ist nicht möglich, es einem schlecht erzogenen Kind zu geben, das kein ADS hat und damit was Gutes zu erzielen. Im Gegenteil. Jeder würde freiwillig die Tabletten in den Gully schmeißen, wenn das Kind durchdreht. ;)
Es fällt übrigens unter das Betäubungsmittelgesetz.

In der Sache:
Es ist schlecht, einem Kind zu vermitteln, das Tabletten Probleme lösen. Es gibt leider Menschen, die bei jedem Anflug von Unwohlsein Vitamine, Kopfschmerzmittel, Abführtabletten, wai einschmeißen und denken, so wird alles gut. Der richtige, respektvolle Umgang mit Medizin geht verloren, und damit wichtige Grenzen. Jemand, der an behandlungsbedürftigem ADS leidet, muss lernen, mit sich selbst und all seinen Besonderheiten zu leben. Tabletten können dabei ein Hilfsmittel sein, in manchen Fällen ein unausweichliches. Ähnlich wie bei Diabetes: wenn so wenig Insulin produziert wird, dass Sport und Diät nicht mehr reichen, muss Insulin zugeführt werden. Aber man muss sich auch anpassen, Verhaltenstechniken erlernen, Lernstrategien, um das Leben zu meistern.

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Fr 20. Jan 2006, 22:10 - Beitrag #7

Alea,
du hast natürlich recht, dass es die Zappelphilippe immer schon gegeben hat. Die Zahl der behandelbaren Fälle (also, wenn echter Leidensdruck besteht und die Neurotransmitter zu heftig feuern) wird, so vermute ich mal, einigermaßen stabil sein.
Wenn 25 % aller Menschen davon betroffen sind, so kann man durchaus überlegen, ob es eine Krankheit oder "nur" eine Varietät im menschlichen Verhalten ist. Die meisten Menschen mit dieser erhöhten Sensibilisierung kommen wie du schreibst, unauffällig durchs Leben. Behandelbar wären dann vielleicht nur die extrem Gebeutelten an beiden Enden der Verhaltensskala. Die anderen Kinder sind halt ein bisschen wild oder verträumt.

Mir ging es auch mehr darum, wie gefährlich ich es finde, dass Kinder "funktionieren" sollen.

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Fr 20. Jan 2006, 22:22 - Beitrag #8

Diese Überlegungen bestehen, Stichwort: "Hunter - Gen". Die Jäger waren im Vorteil, wenn sie erhöhte Risikobereitschaft, geschärfte Wahrnehmung, große Ausdauer und die Fähigkeit zur Hyperfokusierung hatten (auch ein typisches ADS - Phänomen: völliges Versinken in eine einzelne Tätigkeit unter Ausschluss der gesamten Restwelt).
Nja, aber es waren die Sammler, die sich durchgesetzt haben.

Es ist schlimm, wenn jeder, der ein wenig abweicht, in die Norm gequetscht wird, egal, wie viel Gewalt notwendig ist dafür. Wir sind uns da ziemlich einig: Behandlung, wo nötig. Nicht zwanghaft mit Medikamenten. Das kann auch Ergotherapie sein, Bewegungstherapien, um den Körper beherrschen zu lernen. Eine Verhaltenstherapie, um den Tagesablauf zu strukturieren und Routinen zu erlernen, die verhindern, dass aus einem unorganisiertem Kind ein erwachsener Messie wird.

Anaeyon
VIP Member
VIP Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1287
Registriert: 03.08.2004
Fr 20. Jan 2006, 22:42 - Beitrag #9

Danke für die Aufklärung, Alea. Habe irgendwie drauf gewartet, das meine Sicht zu Ritalin korrigiert wird Bild. Mh, ich habe nur selbst mal eine eher leicht dosierte Ritalinpille genommen und da ich 40K Kaffee eh ständig intus habe, war die Wirkung recht gering.

Es ist genauso wie die Angst vorm Alter bzw. der "Krankheit Altwerden"...was soll blos aus Menschen werden die mit Pillen auf Arbeitsfähigkeit getrimmt werden. Warum nicht gleich cybernetisch aufrüsten, das wäre gesünder Bild

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Fr 20. Jan 2006, 23:22 - Beitrag #10

Keine Ursache, Anaeyon.
Wie sicher kannst du sein, dass du kein ADS hast? ;)
Anders gesagt: egal, wie viel Kaffee du trinkst, auch eine niedrig dosierte Tablette müsste eine unangenehm aufputschende Wirkung haben, wenn deine Neurotransmitter alle in Normkurve sind.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Mo 23. Jan 2006, 15:30 - Beitrag #11

Früher dachte man ein Zappel-Philipp sei ein Zappel-Philipp und ist eben ein Zappel-Philipp.
Heute meint man, es liege ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom vor.
Tatsächlich sind Medikamente keineswegs der einzige Weg, der zur Entspannung führt, wohl aber der günstigste und einfachste.
Es gibt ein spezielles Verhaltenstraining, das mit die Mitarbeit von hyperaktiven Kindern im Unterricht erleichtet ohne sie ruhig zu stellen.

Die Deutschen sind schon ein merkwürdiges Völkchen. Erst beschweren sie sich über Alko-Pops dann über Zusatzstoffe in der Nahrung und am Ende stellen sie ihre Kinder mit Pillen ruhig.

MfG Maglor

C.G.B. Spender
Elite Member
Elite Member

 
Beiträge: 1105
Registriert: 21.10.2004
Mo 23. Jan 2006, 16:22 - Beitrag #12

Ein absolut schrecklicher Gedanke, ein Kind mit Tabletten "ruhigstellen" zu wollen, finde ich. Für jemanden wie mich, der in seiner Kindheit ziemlich viel herumtoben durfte und der zusammen mit vielen anderen Kindern die Welt als eine Art Abenteuerspielplatz erlebte, ohne Internet, Handys und Multimedia, ist so etwas einfach undenkbar.

Das die Jäger oder Jagdinstinkte in der normalen Gesellschaft nicht oder kaum mehr gebraucht werden, halte ich zwar für gegeben, jedoch gibt es durchaus andere Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten sind allerdings unter Umständen so extrem, dass sie für die normalen Menschen, die Sammler, wenn man so will, ein Unding wären. Dazu kommt, dass halt nicht jeder dieser sogenannten Jäger erfolgreicher Rennfahrer oder Sportler sein kann, oder sich mit der Welt des Militärs anfreundet. (Bei der Überwachung und Erkundung ist es ein Geschenk des Himmels, alles gleichzeitig wahrnehmen zu können und bei Scharfschützen ein Segen, alles ausklammern zu können.)

Da es jedoch auch jede Menge Abstufungen zwischen den Extremen gibt, muß man, meiner Meinung nach, nicht wirklich in jedem Fall direkt mit Medikamenten behandeln, sondern eher schauen, wie die einzelne Lebenssituation aussieht und dort nach einer Lösung suchen. Wenn jedoch der Mensch schon im Kindesalter einfach funktionieren soll, dann wundern mich solche Geschichten über Pillen in der Grundschule nicht wirklich.

Jatrix
Active Member
Active Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 182
Registriert: 11.07.2004
Mo 23. Jan 2006, 18:35 - Beitrag #13

Ich hab hier nen Artikel zu dem Thema gefunden, der das ganze recht kritisch betrachtet -> klick

Ich meinte in meinem Anfangspost aber nicht nur Ritalin, es gibt ja auch zahlreiche andere Tabletten, oft auch auf pflanzlicher Basis, die einem Kind mit Konzentrationsschwächen helfen sollen. Wird häufig mit so netten Anzeigen in so Heften beim Friseur beworben :) . Das können meinetwegen auch Placebos sein, aber ein Kind, dass die von seinen Eltern bekommt, oder andere Kinder, die sehen dass ihre Freunde sowas nehmen, könnten anfangen das als natürlich zu empfinden und später eventuell versuchen, damit (also Tabletten o.ä.) Probleme lösen zu wollen.
Das ist jetzt zwar nur so ne These, wozu ich auch leider keine Studien oder ähnliches finde, aber ich glaube dass diese Gefahr bestehen könnte (???). Bin da jetzt nicht so psychologisch bewandert, aber auch bei Gewaltdarstellungen sind viele abgestumpft worden und kaum mehr zu schocken, warum nicht auch eine abnehmende Hemmschwelle bei Tablettenkonsum durch Gewöhnung in der Kindheit?
Möglich, dass ich Stuss rede, schreib jetzt einfach mal so ins blaue rein :D

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mo 23. Jan 2006, 18:40 - Beitrag #14

Ich habe mittlerweile eine ziemlich dezidierte Meinung über die Wirkung des Fernsehens bei Kleinkindern und Kindern - gespeist vor allem aus eigenr Anschauung, größere Untersuchungen fehlen mir dazu.

Alea, Du schreibst, daß 25% der Menschen ADS haben. Haben 25% die damit verbundene Transmitterstörung, oder nur die Symptome? Gibt es vielleicht so etwas wie TV-verursachtes Pseudo-ADS mit ADS-artiger Symptomatik?

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Di 24. Jan 2006, 01:17 - Beitrag #15

Mit 25% meinte ich das vorliegen einer Transmitterstörung. Häufig genug ohne Symptomatik. Es dürften etwa 3 - 5 % aller Menschen, egal welchen Alters, überhaupt behandlungsbedürftig sein, weil sie ihr Leben nicht organisieren können. Es gibt nach wie vor viel zu viele Kinder, die eine Therapie (Maglor, ausdrücklich Therapie, nicht automatisch Tablette) brauchen und nicht bekommen, und damit als Jugendliche oder spätestens Erwachsene in große Not geraten. Depressionen, erhöhte Selbstmordrate, und v.a. große Suchtgefahr gehen mit unbehandeltem schwerwiegendem ADS einher. Glücksspiele und Drogen jeder Art.

Jan, was du meinst ist Hyperaktivität. Die ist nicht auf ADS reduziert. Natürlich, es gibt die große Gruppe hyperaktiver ADSler, aber Hyperaktivität kann durch Fehlernährung (Phosphor, zuviel Zucker und einige andere Inhaltsstoffe stehen in Diskussion), durch Stress, durch Schilddrüsenüberfunktion, Reizüberflutung, Bewegungsmangel u.v.m. ausgelöst werden.
Das sind alles die Fälle, wo Ritalin und Co. unerfreulich wirken würde.
Und genau das ist auch der Grund, warum eine ADS - Diagnostik nicht mal so aus dem Handgelenk geschüttelt werden darf, sondern durch EEG, Blutuntersuchungen, ausführliche Familienanamnese durch geschulte Fachkräfte usw. gestützt werden muss! V.a. Schilddrüsenerkrankungen und Epilepsie müssen aussgeschlossen sein, damit eine falsche Therapie nicht verhindert, dass diese Krankheiten zügig behandelt werden.

Jatrix: Nein, ist kein Stuss. Feuerkopf, Anaeyon und ich hatten es doch auch schon angesprochen, wie schädlich es ist, einem Kind beizubringen, dass es für jedes Unwohlsein eine heilende Pille gibt. Das jeder Fehler durch die Pharmaindustrie weggezaubert werden kann. Selbst wenn es sich dabei dann wirklich immer nur um gefärbten Zucker handelt, ist die Wirkung katastrophal, die Anlage zu Suchterkrankungen, Hypochondrie gelegt, das Selbstvertrauen gestört, die Kommunikation zwischen Körper und Geist unterbunden. Die gesellschaftliche Tendenz ist bereits da: Immer weniger Leute hören auf ihr Bauchgefühl, vertrauen auf ihre Intuition, ob der Schnupfen schlimm ist oder das Magengrummeln ernst. Die einen rennen für jeden Mist und verlangen beim ersten Räuspern Antibiotika, auch wenn es eine Viruserkältung ist. Man muss ja rund um die Uhr leistungsfähig sein! Sich mal zwei Tage zu schonen, keinen Leistungssport treiben, nicht 10 Stunden auf der Arbeit zu plockern und anschließend noch das gesellschaftliche Großprogramm zu leisten, das geht doch nicht! Die anderen gehen auch dann nicht, wenn sie den Kopf schon unterm Arm klemmen können, weil Ärzte alle Verbrecher sind und Krankheit eine Frage mangelnder Willenskraft. :(

Spender: Wie geschrieben, es gibt nur wenige ADSler, die ihr Leben wirklich nicht organisieren können. Die allermeisten Betroffenen sind einfach ein bisschen zerstreuter, können aber prima damit leben, dass sie ihre Termine nur durch Tricks im Griff haben, ihre Schlüssel nur durch Zufall finden und ihre Lose - Blatt - Sammlung an Telefonnummern wollen sie eines fernen Tages mal sortieren. Nach Schema F zu leben ist ein Greuel, aber: na und? Hauptsache, zufrieden. Und nicht jeder dieser sanft zerstreuten Chaoten wäre beim Militär gut aufgehoben. Gerade sie stellen oft genug das Potential eines Landes, weil sie unorthodox denken, Querverbindungen finden, an die noch niemand dachte. Unangepasste, rebellische Geister sind Pioniere in Forschung und Wissenschaft, in der Politik, an der Spitze von Konzernen. Sie bringen Höchstleistungen im Sport, als Ingenieure, als Shuttlepiloten.
Die verträumten, vom Leben gebeutelten Hypoaktiven können sich oft retten, wenn sie Zugang zur Kunst finden.

Natürlich ist nicht jeder ADSler ein Genie, nicht mal ein verkanntes, oder ein Alphamännchen. Nicht jeder sensible Geist ist zum Maler oder Dichter geboren. Genauso wenig wie jeder Hochbegabte dazu bestimmt ist, großartige Leistung zu vollbringen. Das Potential, etwas Großes zu leisten steckt in beinahe jedem Menschen, es kommt darauf an, ob er die Chance erhält, dieses Potential ausleben zu dürfen.
Das kann bedeuten, dass ein Kind eben Medikamente braucht. Nicht, um zu funktionieren oder ruhiggestellt zu werden, sondern um überhaupt die geistige Ruhe zu finden, um irgendeine Form von Potential entwickeln zu können.

Baloth
Active Member
Active Member

 
Beiträge: 172
Registriert: 27.10.2004
Fr 27. Jan 2006, 04:42 - Beitrag #16

Mein Bruder und wie es aussieht auch meine Mutter (Befindet sich grad in einer Studie auf dieses Thema bezogen) und ICH Leiden an ADS (Bruder mit Hyperaktivität, Ich vermutlich Hypoaktivität)! Bei meinem Bruder und meiner Mutter wurde es wirklich durch Tests erwiesen, und ich glaube, je mehr ich mich mit diesem Thema befasse, dass Ihnen die "Pillen" helfen, ob es sich nun um einen Placebo-Effekt handelt oder nicht!
Mein Bruder hat schon in der 1. Klasse angefangen in der Klasse zu randalieren (Tische umschmeißen, Lehrer und Mitschüler beschimfen und mit gegenständen zu beschmeißen etc.), darum wurde es bei ihm so früh entdeckt! Seit er seine "Medizin" bekommt ist er wesentlich ruhiger und auch aufmerksamer geworden!

Meine Mutter nimmt grad an einer Studie Teil, welche sich damit befasst, ob Ritalin auch bei Erwachsenen (bisher nur für Kinder erlaubt) hilft!

Mein Verdacht auf ADHS bei mir bezieht sich auf mehrere Bücher und Internetseiten, welche sich mit diesem Thema befassen. Ich habe bei mir viele der angegebenen Sympthome festgestellt!


Zum Thema Pillen auf dem Schulhof habe ich festgestellt, dass wirklich viele versuchen sich mit Pillen oder anderen Medikamenten "durchzuschummeln", sei es nun Medikinet, Ritalin oder irgend was anderes!
Dass sich die Kinder der Folgen der Einnahme dieser Mittel nicht bewusst sind zeugt doch von der Mangelhaften Aufklärung auf diesem Gebiet, oder sehe ich das falsch?

aleanjre
Moderatorin im Ruhestand
Moderatorin im Ruhestand

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2071
Registriert: 10.05.2004
Fr 27. Jan 2006, 09:47 - Beitrag #17

Baloth, wer spricht denn hier von Placebo? Methylphenidan ist kein Traubenzucker, es hat in jeden Fall einen Effekt auf den Körper - entweder eine gewünschte Haupt- oder eine unerwünschte Nebenwirkung. Placebos bestehen aus Stoffen, die keine oder wenig physiologische Wirkung zeigen, trotzdem aber einen Heileffekt bringen, weil der Patient so sehr darauf vertraut.

Die Testreihe mit deiner Mutter wundert mich allerdings etwas. Ritalin ist bei Erwachsenen umstritten, wird aber eingesetzt, wenn der behandelnde Therapeut es verordnet. Ich habe Kontakt mit einer Reihe von Betroffenen, Methylphenidan für Erwachsene ist keine Ausnahme. Es wird nicht von der Krankenkasse bezahlt, ab 18 muss man die Medikamente vollständig selbst übernehmen. Geht es vielleicht darum?

Von Selbstdiagnose anhand von Internetlisten kann ich nur abraten. :( Die Fragen sind so allgemein gestellt, dass sie grundsätzlich auf fast jeden Menschen zutreffen. Bei deiner Familiengeschichte kann man davon ausgehen, dass auch du betroffen bist. Die Frage ist: kommst du klar? Oder besteht hoher bis unerträglicher Leidensdruck? Wenn du Hilfe brauchst, dann geh in die Diagnostik.

Ritalin auf dem Schulhof? Dieses Medikament fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Ist vor dem Gesetz also gleichgesetzt mit Morphium. Wenn es schwarz gehandelt wird, ist das eine Straftat, die von Lehrern unterbunden und der Polizei angezeigt gehört.


Zurück zu Diskussion

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste